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JeanPiaget

Porträt von Jean Piaget. Zeichnung von Oscar Lazar, 1939 (Bibliothèque de Genève; Fotografie A. & G. Zimmermann).
Porträt von Jean Piaget. Zeichnung von Oscar Lazar, 1939 (Bibliothèque de Genève; Fotografie A. & G. Zimmermann).

9.8.1896 Neuenburg, 16.9.1980 Genf, reformiert, von La Côte-aux-Fées. Sohn des Arthur (->). Valentine Châtenay. Studium in Neuenburg, 1918 Dr. phil. nat. 1921-1925 Laborleiter, ab 1933 Direktor des Institut Jean-Jacques Rousseau in Genf. 1925-1929 Professor für Psychologie, Soziologie und Wissenschaftsphilosophie an der Universität Neuenburg. An der Universität Genf 1929-1939 Professor für Wissenschaftsgeschichte, 1939-1952 für Soziologie und 1940-1971 für experimentelle Psychologie. 1929-1967 Direktor des Internationalen Erziehungsbüros, 1955 Gründer und bis 1980 Direktor des Centre international d'épistémologie génétique (1984 geschlossen).

Angeregt durch den Naturwissenschafter Paul Godet widmete sich Jean Piaget bereits 1909 der Weichtierforschung. 1912 entwickelte er eine evolutionistische und immanente Metaphysik, geprägt durch die Philosophie Henri Bergsons und den liberalen Protestantismus. Während des Ersten Weltkriegs sympathisierte Piaget mit der christlichsozialen Bewegung, war aktives Mitglied des Schweizerischen Christlichen Studentenverbands und träumte von einer "Neugeburt" des Christentums, die sich auf die gesamte Gesellschaft hätte auswirken sollen. Sein Bergsonismus schwächte sich unter dem Einfluss des Philosophen Arnold Reymond am Gymnasium in Neuenburg ab, wobei Evolution und Immanenz weiterhin die Schlüsselbegriffe seiner Weltanschauung blieben. Im autobiografischen Roman "Recherche" setzte er 1918 Leben mit Anpassung an die Umwelt gleich und erkannte ein Gleichgewicht zwischen organischen, sozialen und psychologischen Phänomenen. Sein Interesse für die Psychoanalyse vertiefte Piaget 1919 während eines Semesters in Zürich theoretisch und praktisch. 1919-1921 eignete er sich in Paris einen historisch-kritischen Ansatz an, der von Léon Brunschvicg inspiriert war. Dort entdeckte er auch die "klinische" Methode zur Untersuchung seiner Studienobjekte und die Kinderpsychologie, um eine genetische Erkenntnistheorie zu entwickeln. In seinen ersten fünf Büchern untersuchte er 1923-1932 Sprache, Argumentation, Weltbild, Wahrnehmung von Zusammenhängen und Moral des schulpflichtigen Kindes. Daneben beschäftigten ihn biologische, soziologische, erkenntnistheoretische und religiöse Fragen.

Drei seiner wichtigsten Bücher beruhten auf der Beobachtung der ersten sieben Lebensjahre seiner drei Kinder und behandelten das Erwachen der Intelligenz (1936, deutsch 1969), den Aufbau der Wirklichkeit (1937, deutsch 1974) und die Entwicklung der Symbolfunktion (1945, deutsch 1969). Mit Bärbel Inhelder verfasste Piaget ab 1941 zahlreiche Studien über kognitive Operationen und Strukturen. Sein philosophisches Hauptwerk "Introduction à l'épistémologie génétique" erschien 1950 (3 Bde., deutsch 1974). Bis an sein Lebensende unternahm Piaget zahlreiche empirische Forschungen und veröffentlichte seine theoretischen Überlegungen weiterhin in Werken wie "Biologie et connaissance" (1967, deutsch 1974), "L'équilibration des structures cognitives" (1975, deutsch 1976) und "Psychogenèse et histoire des sciences" (postum, 1983).

Jean Piaget beeinflusste alle Geisteswissenschaften. Bereits in den 1920er Jahren anerkannten Psychologen und Reformpädagogen seine Originalität. Nach seiner Wiederentdeckung in den USA in den 1960er Jahren regte sein Werk die Neuformulierung der Entwicklungspsychologie an, löste den Erfolg der kognitiven Psychologie aus und trug zu einer konstruktivistischen Orientierung in gewissen Bereichen der Erziehung und in der zeitgenössischen Philosophie bei.

Quellen und Literatur

  • La psychologie de l'intelligence, 1947 (dt. 1948)
  • La psychologie de l'enfant, 1966 (dt. 1972)
  • L'épistémologie génétique, 1970 (dt. 1974)
  • «Autobiographie», in Cahiers Vilfredo Pareto, 1976, Nr. 38/39, 1-43
  • Archives Jean Piaget, Genf
  • A.M. Battro, Dictionnaire d'épistémologie génétique, 1966
  • Catalogue des Archives Jean Piaget, 1975-, (unter versch. Titeln)
  • H. Gruber, J. Vonèche, The Essential Piaget, 1977
  • J.J. Ducret, Jean Piaget savant et philosophe: les années de formation, 1984
  • M. Chapman, Constructive evolution, 1988
  • Bibl. Jean Piaget, 1989
  • F. Vidal, Piaget before Piaget, 1994
  • R. Kohler, Jean Piaget, 2008
Weblinks
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VIAF
Kurzinformationen
Lebensdaten ∗︎ 9.8.1896 ✝︎ 16.9.1980

Zitiervorschlag

Fernando Vidal: "Piaget, Jean", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.01.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009056/2011-01-18/, konsultiert am 07.12.2023.