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Jean-JacquesRousseau

Jean-Jacques Rousseau porträtiert in Pastell von Maurice-Quentin de La Tour, um 1752 (Musée Jean-Jacques Rousseau, Môtiers) © Fotografie Bibliothèque publique et universitaire de Neuchâtel.
Jean-Jacques Rousseau porträtiert in Pastell von Maurice-Quentin de La Tour, um 1752 (Musée Jean-Jacques Rousseau, Môtiers) © Fotografie Bibliothèque publique et universitaire de Neuchâtel. […]

28.6.1712 Genf, 2.7.1778 Ermenonville (Picardie), reformiert, ab 1728 katholisch, ab 1754 erneut reformiert, bis 1763 von Genf. Sohn des Isaac, Uhrmachers, und der Suzanne Bernard. 1768 Thérèse Levasseur, Wäscherin, Französin. Kurz nach seiner Geburt verlor Jean-Jacques Rousseau seine Mutter, wurde zunächst von seinem Vater aufgezogen, dann in ein Internat in Bossey gebracht und schliesslich bei einem Graveur in Genf in die Lehre gegeben. Im März 1728 verliess er Genf und wurde in Annecy von Françoise-Louise de Warens aufgenommen, die kurz zuvor zum Katholizismus übergetreten war. Auch Rousseau konvertierte im April 1728 in Turin und kehrte anschliessend zu Madame de Warens zurück. Zusammen zogen sie nach Chambéry, zuerst in die Stadt, dann auf das Gut Les Charmettes. Hier bildete er sich autodidaktisch weiter. 1730-1731 unternahm er eine lange Fussreise durch die Schweiz, die ihn nach Nyon, Freiburg, Lausanne, Vevey, Neuenburg und Solothurn führte. 1740 wurde er Hauslehrer der Kinder von Jean Bonnot de Mably, Generalpächter in Lyon, und arbeitete eine neue Musiknotenschrift aus. In Venedig, wo er 1743 Sekretär des französischen Botschafters war, erhielt seine Vorliebe für italienische Musik neue Nahrung. 1745 liess Rousseau in Paris seine "Muses galantes" aufführen und zog sich die Feindschaft Jean-Philippe Rameaus zu. Dennoch überarbeitete er dessen Oper "La princesse de Navarre" nach einem Libretto von Voltaire. Im gleichen Jahr begann er mit Thérèse Levasseur zusammenzuleben, die ihm nach seinem Geständnis in den "Bekenntnissen" fünf Kinder gebar, die alle ins Hospiz für Findelkinder in Paris gegeben wurden.

Frontispiz und Titelseite des Diskurses über die Ungleichheit, herausgegeben von Marc Michel Rey in Amsterdam, 1755 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne).
Frontispiz und Titelseite des Diskurses über die Ungleichheit, herausgegeben von Marc Michel Rey in Amsterdam, 1755 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne). […]

Als Sekretär von Louise Marie Madeleine Dupin verkehrte Jean-Jacques Rousseau in den Kreisen der "philosophes" und schrieb Beiträge für die "Encyclopédie". 1750 veröffentlichte er die von der Akademie Dijon preisgekrönte "Abhandlung über die Frage, ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen hat?" (deutsch 1752) und 1755 die "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen" (deutsch 1756). Daneben widmete er sich weiterhin der Musik. Es gelang ihm, seine Oper "Le devin du village" 1752 vor Ludwig XV. aufführen zu lassen. 1752-1754 beteiligte sich Rousseau am berühmten Opernstreit, dem sogenannten querelle des Bouffons. Auf der Durchreise in Genf trat er wieder zum Calvinismus über. 1756 liess er sich in Montmorency nördlich von Paris nieder, zuerst in der Ermitage, einem Landhaus im Besitz von Louise Lalive d'Epinay, wo er die ersten Briefe des Briefromans "Die neue Héloïse" verfasste. Nachdem er sich mit seiner Gastgeberin zerstritten hatte, lebte er im Gartenhaus von Mont-Louis und 1759 bei Herzog Charles II. Frédéric de Montmorency-Luxembourg. 1758 vollendete er den "Brief an d'Alembert über das Schauspiel" (z.T. deutsch 1761), 1761 "Julie oder Die neue Héloïse" (deutsch 1761/1776), 1762 "Emile oder Von der Erziehung" (deutsch 1762) sowie 1762 "Vom Gesellschaftsvertrag" (deutsch 1782).

Das Jahr 1762 markiert einen Bruch in Rousseaus Leben: "Emile", dessen viertes Buch das heftig umstrittene Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars enthält, wurde vom Pariser Parlament verurteilt. Rousseau musste fliehen. Es folgte ein unstetes Wanderleben von mehreren Jahren, das ihn nach Yverdon zum Bankier Daniel Roguin, nach Môtiers (NE) zum Pfarrer Frédéric-Guillaume de Montmollin und auf die St. Petersinsel führte. Im Val-de-Travers unternahm er botanische Exkursionen und lernte Pierre-Alexandre DuPeyrou kennen, einen der späteren Verleger seines Gesamtwerks und sein Testamentsvollstrecker; später vermachte dieser der Neuenburger Bibliothek alle Manuskripte, die ihm Rousseau anvertraut hatte. Zudem suchten ihn mehrere Deutschschweizer, vor allem Zürcher Gelehrte wie Johann Heinrich Füssli, Leonhard Usteri und Johann Kaspar Lavater in Môtiers auf. Im Januar 1766 gelangte der Flüchtling nach London und liess sich in Wootton (Staffordshire) nieder. Noch im selben Jahr zerstritt er sich dort mit dem Philosophen David Hume. Zu diesem Zeitpunkt begann er mit der Niederschrift seiner "Bekenntnisse". 1767 kehrte er nach Frankreich zurück, heiratete Thérèse Levasseur und liess sich in Paris nieder, wo er bis April 1778 blieb. In dieser Zeit verfasste er seine drei letzten grossen Werke: 1769 vollendete er " Die Bekenntnisse" (deutsch 1782/1790), 1772-1776 verfasste er "Rousseau richtet über Jean-Jacques" und 1776-1778 "Die Träumereien eines einsamen Spaziergängers" (deutsch 1782); im fünften "Spaziergang" spricht er über seinen Aufenthalt auf der St. Petersinsel. Jean-Jacques Rousseau starb in Ermenonville beim Marquis René Louis de Girardin, wo er auch bestattet wurde. Seine sterbliche Hülle wurde 1794 nach Paris ins Panthéon überführt.

Rousseaus politisches Werk, das sogar als Keimzelle der Französischen Revolution gedeutet wurde, stiess bei den Genfer Patriziern kaum auf Zustimmung. Zum politischen Gegensatz kam noch ein religiöser Konflikt hinzu, der seine Ursache wesentlich im erklärten Agnostizismus des savoyischen Vikars hat. Dies erklärt die oft sehr heftigen Spannungen, die Rousseaus Beziehungen zu seiner Vaterstadt kennzeichneten. Nach der Verurteilung des "Emile" und des "Gesellschaftsvertrags" durch den Kleinen Rat 1762 verzichtete der Philosoph 1763 feierlich auf sein Bürgerrecht der Republik Genf. Die Stadt steht trotzdem im Zentrum seines Werks, zunächst mit ihren Sitten und Gebräuchen: In einem Abschnitt des "Briefs an d'Alembert über das Schauspiel" erwähnt Rousseau die Welle der Brüderlichkeit, welche die Bevölkerung bei einem patriotischen Fest im Quartier Saint-Gervais ergriffen hatte. Ferner spielte die Geschichte eine wichtige Rolle, denn die Stadt Calvins tritt als der Ort in Erscheinung, in dem politische Erneuerung oder Erprobung möglich ist. Schliesslich ist die Stadt symbolisch ständig präsent, als Rousseau seine "Bekenntnisse" niederschrieb. Von Genf und Neuenburg gingen im 20. Jahrhundert die Bestrebungen aus, Werk und Denken Rousseaus bekannt zu machen. 1905 wurde in Genf die Société Jean-Jacques Rousseau gegründet, ab 1959 begannen seine "Œuvres complètes" zu erscheinen.

Dank Rousseaus Werk rückte die Schweiz auch in den Fokus der Aufklärungsbewegung. Mit der Figur der Julie stellt "Die neue Héloïse" der mondänen Pariser Welt das einfache Glück einer Waadtländer Familie am Ufer des Genfersees – Schauplatz ist Clarens – gegenüber. Die zahlreichen Beschreibungen der von Rousseau durchstreiften Orte vom Wallis bis ins Val-de-Travers regten zu einer Landschaftsbetrachtung an, die in der Literatur berühmte Nachahmungen finden sollte. Sogar die Musik, namentlich die Volksmusik, verdankt Rousseau einige ihrer späteren Entwicklungen. Wegen dieser Wirkungen sah man in Rousseau lange den Begründer der Romantik. Dazu beigetragen hat auch der Umstand, dass er in seinen drei letzten Hauptwerken eine Praxis des autobiografischen Schreibens entwickelte, die sowohl in Frankreich (François René de Chateaubriand, George Sand) als auch in der Schweiz (Henri-Frédéric Amiel) beträchtlichen Widerhall fand.

Eine grosse Bedeutung kommt auch Rousseaus politischer Philosophie zu. Einige ihrer Schlüsselbegriffe wie Naturzustand oder Gemeinwille sind weltbekannt. Zudem steht sie am Beginn einer Beschäftigung mit dem Wesen der Macht und den Regierungssystemen. Das politische Denken ist bei Rousseau allgegenwärtig und nicht auf die im engeren Sinn politischen Schriften beschränkt. Es beruht auf einer oft unerbittlichen Analyse der bestehenden Systeme, zum Beispiel in den 1764 publizierten "Briefen vom Berg" (deutsch 1782/1787), und prägt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Debatten über das Wesen der Demokratie und ihre möglichen Umsetzungen mit.

Nach seinem Tod entwickelte sich vor allem während der Französischen Revolution ein veritabler Rousseau-Kult, der schon zu Lebzeiten des Philosophen eingesetzt hatte. Dieser Kult findet im Künstlerischen einen Niederschlag in den Werken von Jean-Pierre Saint-Ours, Jean-Antoine Houdon oder James Pradier und in der Aufwertung der Insel als idealisierten Naturraum. Er führte zudem sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich in regelmässigen Abständen zu grossen Feiern.

Quellen und Literatur

  • Œuvres complètes, hg. von B. Gagnebin, M. Raymond, 5 Bde., 1959-95
  • Correspondance complète de Jean-Jacques Rousseau, hg. von R.A. Leigh, 52 Bde., 1965-98
  • Teilnachlässe in: BGE, BPUN und Société Jean-Jacques Rousseau
  • Annales de la Société Jean-Jacques Rousseau, 1905-92, 1997-
  • F. Jost, Jean-Jacques Rousseau suisse, 2 Bde., 1961
  • J. Starobinski, Rousseau: eine Welt von Widerständen, 1988 (franz. 21971, überarbeitete Neuaufl. 2006)
  • Botanisieren mit Jean-Jacques Rousseau, hg. von R. Schneebeli-Graf, 2003
  • Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau, hg. von F.S. Eigeldinger, R. Trousson, 1996
  • M. und B. Cottret, Jean-Jacques Rousseau en son temps, 2005
  • G. Bedeschi, Il rifiuto della modernità: saggio su Jean-Jacques Rousseau, 2010
Weblinks
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Zitiervorschlag

François Jacob: "Rousseau, Jean-Jacques", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.05.2012, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009547/2012-05-25/, konsultiert am 19.03.2024.