Autorin/Autor:
Rainer J. Schweizer
Das Bundesrecht umfasst die Rechtssätze, welche den Bund betreffen, sei dieser nun ein Staatenbund oder ein Bundesstaat. Für die Zeit vor 1848 fallen diejenigen Bestimmungen unter das Bundesrecht, welche das staatsrechtliche Verhältnis der Mitglieder des Bundes regeln, so zum Beispiel nach 1815 der Bundesvertrag selber, Verträge der Eidgenossenschaft mit einzelnen Kantonen über Bundesverhältnisse, Vergleiche und Schiedsrichtersprüche sowie Tagsatzungsbeschlüsse. Staatsverträge mit anderen Staaten, welche entweder der ganze Bund oder die Mehrheit der Kantone eingegangen waren, gehörten nicht zum Bundesrecht.
Im Bundesstaat nach 1848 umfasst das Bundesrecht die geschriebenen und ungeschriebenen Normen des Bundesverfassungsrechts (Bundesverfassung), die Konkretisierung und Ergänzung der Verfassungsnormen in Bundesgesetzen und -verordnungen (Gesetze), die von der Schweiz ratifizierten Staatsverträge, das von der Schweiz inkorporierte weitere Völkerrecht sowie das aufgrund der Rechtsprechung ergangene Richterrecht (Bundesgericht) und das Gewohnheitsrecht. Unter den Begriff Bundesprivatrecht werden die gestützt auf Artikel 64 der alten Bundesverfassung (aBV, vor 1999) erlassenen Bundesgesetze und -verordnungen sowie die in den entsprechenden Bereichen von der Schweiz abgeschlossenen Staatsverträge subsumiert. Artikel 49 der Bundesverfassung (BV) (= Artikel 2 der Übergangsbestimmungen der aBV) setzt implizit den Vorrang der BV und der Bundesgesetzgebung vor dem kantonalen und kommunalen Recht voraus: Als Folge der sogenannten derogatorischen Kraft des Bundesrechts ist diesem widersprechendes oder gleichlautendes kantonales und kommunales Recht ungültig. Bekannt gemacht wird das schweizerische Bundesrecht durch die «Amtliche Sammlung des Bundesrechts», welche die Bundeskanzlei herausgibt (früher zeitweise unter anderem Namen); die Publikation ist Gültigkeitserfordernis. Der thematischen Erschliessung dient die «Systematischen Sammlung des Bundesrechts», die seit 1970 erscheint.
Titelseiten der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts in deutscher, französischer und italienischer Sprache, 1849 bzw. 1851 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Entwicklung der verfassungsrechtlichen und staatsvertraglichen Grundlagen
Autorin/Autor:
Rainer J. Schweizer
Im Folgenden wird vor allem die Entwicklung der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen dargestellt, die den Rahmen für die Fortbildung des Bundesrechts zum Teil setzt. Verzichtet wird auf die Erörterung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die staatliche Organisation des Bundes und die politischen Rechte der Bürger, obwohl diese ebenfalls Bestandteile des Bundesrechts bilden.
Die Staatswesen, welche die Mediationsakte 1803 bzw. der Bundesvertrag 1815 begründeten, werden in der Regel als Staatenbünde verstanden; nur wenige Autoren haben die bundesstaatlichen Aspekte in den Vordergrund gestellt. In der Mediationszeit bestand die Eidgenossenschaft aus den 13 alten und sechs neuen Kantonen, die weitgehend selbstständige und grundsätzlich gleichberechtigte Staaten waren. Der Bund war für die auswärtige Politik und die Erhaltung des Landfriedens zuständig; die Tagsatzung, ein periodisch zusammentretender Kongress der Vertreter der Kantone, bildete sein oberstes Organ. Der Bundesvertrag von 1815, der von 22 «souveränen» Kantonen geschlossen wurde, betonte die föderalistischen Tendenzen stärker als je zuvor; gemäss Vertrag übte der Staatenbund nur in den Bereichen Militär-, Aussen- und Handelspolitik rechtssetzende Funktionen aus. Die Verfassungs- und Gesetzgebung oblag an sich den Kantonen (Kantonales Recht). Die Tagsatzung bildete das Beratungs- und Beschlussfassungsorgan der Eidgenossenschaft und besorgte die Bundesangelegenheiten. Ihre Beschlüsse wurden in erster Linie von den Kantonen vollzogen.
Schon in der Mediationszeit gestattete die Tagsatzung den Abschluss von Konkordaten zwischen den Kantonen unter der Voraussetzung, dass diese ihr jeweils zur Prüfung vorgelegt würden. Die Konkordate und vor allem die sogenannten eidgenössischen Konkordate, die von einer Mehrheit von mindestens zwölf Kantonen geschlossen wurden, spielten eine grosse Rolle für die Entwicklung des Bundesrechts. Obwohl die Konkordate bloss für die beigetretenen Kantone verbindlich waren, werden sie mitunter als Vorläufer der späteren Bundesgesetze interpretiert. In den 1830er Jahren wurden in verschiedenen Kantonen Straf- und Zivilrechtskodifikationen eingeleitet, welche die späteren Bundeskodifikationen (Kodifikation) erheblich beeinflussten.
Mit der Gründung des Bundesstaates von 1848 verloren die Kantone Teile ihrer Souveränität, auch wenn sie weiterhin für alle Bereiche, in welchen die BV nicht explizit die Kompetenz dem Bund überantwortete, zuständig blieben. Der Bundesstaat verfügte über eigene gesetzgebende, vollziehende und richterliche Behörden. Bezüglich der Aussenpolitik, des Münzregals, der Festlegung der Masse und Gewichte sowie der öffentlichen Werke stand seinen Organen das Recht zu, Gesetze zu erlassen und zu überwachen. Durch sie konnte der Bund neu auch in die Rechtsstellung der Gliedstaaten oder der einzelnen Bürger unmittelbar eingreifen.
Ab den 1860er Jahren wurde eine Neuordnung der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen angestrebt. Mit einer Totalrevision der Verfassung sollten die durch die teilweise immer noch kantonale Militärhoheit bedingten Mängel der schweizerischen Armee beseitigt sowie Forderungen nach der Säkularisierung des Staates, der Sicherung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, dem Ausbau der Niederlassungsfreiheit, einer Bundeszuständigkeit für Banknoten und einer Vereinheitlichung des Zivilrechts entsprochen werden. Der erste Verfassungsentwurf scheiterte 1872, weil er als zu zentralistisch empfunden wurde. Erst ein Kompromiss, der die Vereinheitlichung des Rechts auf bestimmte Materien des Zivilrechts beschränkte und den Kantonen in der Militärverwaltung gewisse Kompetenzen beliess, fand 1874 die Zustimmung von Volk und Ständen. Die neue BV verlieh dem Bund unter anderem im Eisenbahnwesen, im Privatrecht, im Bereich der Fischerei und Jagd sowie im Versicherungswesen Kompetenzen. Zudem wurde das Bundesgericht zur ständigen Einrichtung.
Die Verfassung von 1874 leitete einen langen Prozess ein, in dem sich der Bund zum Mittler zwischen den verschiedenen Interessengruppen der Verhandlungsdemokratie entwickelte und auch Aufgaben im sozialen Bereich übernahm. Die weitaus meisten der ca. 140 bis 1998 erfolgten Teilrevisionen der aBV erweiterten die Bundeskompetenzen und zogen, wenn auch manchmal mit erheblicher Verzögerung, eine entsprechende Ausdehnung oder Fortbildung des Bundesrechts nach sich. Viele der neuen Bundesgesetze wurden und werden allerdings von den Kantonen vollzogen (Vollzugsföderalismus). Die Totalrevision der BV von 1999 hat an der historisch gewachsenen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen keine wesentlichen Änderungen vorgenommen (Föderalismus).
Die Ausweitung des Bundesrechts wurde durch das seit dem Zweiten Weltkrieg enorm wachsende internationale Recht (u.a. rund 2000 Staatsverträge), das sich immer stärker mit dem Landesrecht verwebt, beschleunigt. Nicht nur die Bedeutung, sondern auch der Rang des internationalen Rechts ist gestiegen: Während Staatsverträgen im 19. Jahrhundert nach amerikanischem Vorbild Gesetzesrang zukam, wird ihnen heute ein mindestens übergesetzlicher Rang zuerkannt. Gemäss der monistischen Auffassung, welche die Eidgenossenschaft teilt, bedürfen unterzeichnete Staatsverträge keiner Transformation ins schweizerische Recht; die völkerrechtliche Verbindlichkeit zieht automatisch die landesrechtliche Gültigkeit nach sich.
Eine immer wichtigere Rolle spielt das europäische Recht. Bezüglich der Frage, wie weit eine Harmonisierung des Bundesrechts mit dem supranationalen Gemeinschaftsrecht der EU gehen soll, sind Bevölkerung und Wirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts tief gespalten. Der Bundesrat scheint vor allem in ökonomischen Fragen – hier ist der Handlungsdruck am grössten – diesem Dilemma mit einer Doppelstrategie zu begegnen: Einerseits setzt er in den Bereichen, in denen ohne eine gewisse Anpassung an die europäischen Normen der Zugang zum europäischen Markt nicht zu erreichen ist, Harmonisierungen durch; andererseits versucht er den Branchen, die von den Differenzen zwischen europäischem und schweizerischem Recht profitieren, den Spielraum zu erhalten.
Der Ausbau des Bundesrechts seit 1848
Autorin/Autor:
Rainer J. Schweizer
In der Verfassungs- und Rechtsgeschichte der Schweiz nimmt die Regelung des Militärwesens eine zentrale Stellung ein. Schon während der Restauration wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt (1817), aber noch nicht durchgesetzt. Im Bundesstaat wurde 1850 das erste Bundesgesetz über die Militärorganisation erlassen, das 1874 aufgrund der stark erweiterten Bundeszuständigkeiten revidiert wurde. Es wurde durch die Militärorganisation von 1907 ersetzt, auf die wiederum das Militärgesetz von 1995 (geändert 2001) folgte.
Die Kantone hatten schon vor 1848 Konkordate über die Rückschaffung von Heimatlosen in andere Kantone, das Bürgerrecht von Ehefrauen anderer Konfession oder den Gerichtsstand im Fall einer Scheidung einer solchen Ehe geschlossen. 1850 erging ein Bundesgesetz betreffend die Heimatlosigkeit; 1903 wurden Erwerb und Verzicht des Schweizer Bürgerrechts geordnet (heutiges Bundesgesetz von 1952). Angesichts der hohen Ausländerquote (vor dem Ersten Weltkrieg etwa 15%) und vor allem nach dem Vollmachtenrecht des Krieges erhielt der Bund 1925 die Kompetenz zur Ordnung des Ausländerrechts (Artikel 69ter aBV; Artikel 121 BV), worauf 1931 das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer erging. Dieses ordnete auch das Asylrecht, für das 1979 angesichts der wachsenden Zahl von Asylbewerbern ein spezielles Bundesgesetz erlassen wurde.
Erst 1971 wurde auf Bundesebene das Frauenstimmrecht eingeführt. 1981 wurde der Absatz über die Gleichstellung von Frau und Mann eingefügt (Artikel 4 Absatz 2 aBV bzw. Artikel 8 Absatz 3 BV), auf dem das Gleichstellungsgesetz von 1995 aufbaut.
Wichtig war für den Bund nach 1874 namentlich die Kodifikation des Zivilrechts, insbesondere des Wirtschaftsprivatrechts; 1881 wurde das erste Obligationenrecht erlassen, 1889 das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (bezüglich Letzterem waren schon während der Restauration in Konkordaten erste gemeinsame Richtlinien beschlossen worden). 1898 erhielt der Bund die Zuständigkeit im Bereich des gesamten Zivil- sowie des Strafrechts (Artikel 64 und Artikel 64bis aBV). 1907 wurde das Zivilgesetzbuch mit dem Personen-, Familien-, Vormundschafts-, Erb- und Sachenrecht vereinheitlicht, 1911 das revidierte Obligationenrecht (Schuld- und Gesellschaftsrecht) erlassen. 1937 kam die Kodifikation des Strafrechts zustande. 1888 wurde der Erfindungsschutz erstmals gesamtschweizerisch geregelt (aktuelles Patentgesetz von 1954), 1883 der Urheberrechtsschutz (revidiert letztmals 1992), 1892 der Schutz der Fabrik- und Handelsmarken (revidiert 1992), 1900 der Schutz der gewerblichen Muster und Modelle.
Die ersten Bundeseinnahmen flossen aus den Zöllen. 1848 wurden die Binnenzölle abgeschafft und 1849 durch das Bundesgesetz über das Zollwesen die Grenzzölle geordnet. Erste Verbrauchssteuern waren diejenigen auf alkoholischen Getränken. 1885 erhielt der Bund die Kompetenz, Steuern auf gebrannten Wassern zu erheben. Eine direkte Bundessteuer, die sogenannte Wehrsteuer, wurde 1940 wegen der Verteidigungsausgaben nötig und durch Vollmachtenrecht eingeführt; erst in der BV 1999 wurde sie unbefristet verankert. Die 1941 eingeführte Warenumsatzsteuer wurde 1995 durch eine Mehrwertsteuer ersetzt.
Im 19. Jahrhundert stiegen die Kommunikations- und Verkehrsbedürfnisse massiv. 1848 wurde das Postwesen Bundessache; 1849 regelte ein Bundesgesetz das Postregal, 1851 ein weiteres das Telegrafenwesen. Nach rund 150 Jahren wurden 1997 die Post teilweise und die Telekommunikation ganz privatisiert. Für Radio und Fernsehen erging 1991 ein Bundesgesetz. Die wichtigsten öffentlichen Werke des 19. Jahrhunderts waren Flusskorrektionen und Eisenbahnbauten. Das Bundesgesetz von 1852 überliess Bau und Betrieb den Kantonen und den Privaten, das von 1872 ordnete die Konzessionierung und das von 1875 den Eisenbahntransport. 1878 wurde die Unterstützung des Alpenbahnbaus durch den Bund beschlossen, 1897 die Verstaatlichung der Hauptbahnen und die Schaffung der Schweizerischen Bundesbahnen. 1957 wurde ein generelles Eisenbahngesetz erlassen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Nationalstrassenbau zum grössten Werk des Bundes; die entsprechende Verfassungsrevision datiert von 1958, das darauf basierende Gesetz von 1960. Den Strassenverkehr regelte (aufgrund von Artikel 37bis aBV von 1919; heute Artikel 82 BV) erstmals ein Bundesgesetz von 1932 (heutiges von 1958). Die Schifffahrt auf den Binnengewässern wurde 1919 Bundessache (Artikel 24ter aBV), eine einheitliche Gesetzgebung folgte erst 1974. Die Bundeszuständigkeit für die Luftfahrt (Artikel 37ter aBV) wurde 1921 begründet; das Luftfahrtgesetz von 1948 wurde 1998 erneuert. Die Ordnung der Verkehrsträger beruht auf Artikel 87 der BV 1999.
Schon der junge Bundesstaat hat Pionierleistungen im Ökologierecht erbracht. 1876 wurde die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei mit dem Grundsatz der Walderhaltung eingeführt (das aktuelle Waldgesetz stammt von 1991). 1877 wurde die Wasserpolizei im Hochgebirge geregelt. 1875 erliess der Bund ein Fischereigesetz und 1904 das Bundesgesetz über Jagd- und Vogelschutz. Der Wirtschaftsaufschwung und die zunehmende Urbanisierung machten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitere Massnahmen notwendig. 1962 wurde die Bundeskompetenz für den Natur- und Heimatschutz (Artikel 24sexies aBV; Artikel 78 BV), 1965 das entsprechende Bundesgesetz beschlossen. 1971 kam das erste Gewässerschutzgesetz zustande (aktuelles von 1991); 1969 erhielt der Bund in Artikel 22quater aBV (Artikel 75 BV) die Kompetenz für eine Rahmengesetzgebung über die Raumplanung, die 1979 erfolgte (Änderung 1998). Aufgrund von Artikel 24septies aBV von 1971 (heute Artikel 74 BV) erging 1983 das Umweltschutzgesetz.
Im Bereich des Gesundheitswesens verfügt der Bund nur über beschränkte Kompetenzen. Zur Abwehr der Cholera schlossen die Kantone schon 1829 ein Konkordat gegen Epidemien. Gestützt auf Artikel 69 aBV wurde 1886 das Bundesgesetz gegen gemeingefährliche Epidemien erwirkt (heute Epidemiengesetz von 1970), und aufgrund von Artikel 69bis BV von 1897 (vgl. Artikel 118 BV) erliess der Bund 1905 ein Gesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (das aktuelle Lebensmittelgesetz datiert von 1992).
Aus den sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Krankenkassen. Der Artikel 34bis aBV von 1890 (Artikel 117 BV) gab dem Bund die Kompetenz zur Regelung der Kranken- und Unfallversicherung, was 1911 zum Kranken- und Unfallversicherungsgesetz führte (heute Unfallversicherungsgesetz von 1981 und Krankenversicherungsgesetz von 1994). Aufgrund der Erfahrungen aus der Kriegszeit beantragte der Bundesrat 1919 die Kompetenz zur Gesetzgebung über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Artikel 34quater aBV von 1925; vgl. Artikel 111 Abs. 2 BV); das entsprechende Gesetz kam 1946 zustande. Es wurde seither ausgebaut (10. Revision 1994 bzw. 1997) und 1985 durch das Bundesgesetz über die beruflichen Vorsorge (sogenannte 2. Säule) ergänzt. Sozialpolitische Massnahmen zugunsten der Arbeitnehmer, insbesondere zum Gesundheitsschutz und zum Schutz der Frauen und Kinder drängten sich schon im 19. Jahrhundert wegen der rasanten Industrialisierung auf. Nach dem Vorbild verschiedener Kantone erliess der Bund 1877 das Gesetz über die Arbeit in Fabriken, das 1914 totalrevidiert und 1964 zum umfassenden Arbeitsgesetz ausgebaut wurde (heutige Version von 1998).
1908 erhielt der Bund mit Artikel 24bis aBV (Artikel 76 BV) die Kompetenz zur Regelung der Nutzung der Wasserkraft, 1916 erging das Wasserrechtsgesetz; das heute geltende ist seit 1997 in Kraft. 1902 schon war das erste Elektrizitätsgesetz erlassen worden. 1963 wurden die Rohrleitungen für Erdöl und Gas geregelt. 1959 erging das Gesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie (Atomgesetz), das allerdings wegen des öffentlichen Widerstandes gegen die Kernenergie 1978 durch einen restriktiven Bundesbeschluss ergänzt wurde. Eine erfolgreiche Initiative von 1990 erwirkte eine zehnjährige Pause für die Erteilung von Betriebsbewilligungen für Atomkraftwerke (Artikel 19 Übergangsbestimmungen aBV; vgl. Artikel 90 und und 196 Ziffer 4 BV). Aus demselben Jahr datiert der Energieartikel (Artikel 24octies aBV bzw. Artikel 89 BV), auf dem das Energiegesetz von 1999 basiert.
Die ökonomische Krise in den 1930er Jahren und die Schwierigkeiten der Kriegswirtschaft führten 1947 zur Neuordnung der Wirtschaftsrechtsartikel der BV (Artikel 31 und weitere aBV; vgl. Artikel 94-107 BV), die dem Bund Einflussnahmen auf die Wirtschaft mit polizeilichen und protektionistischen Massnahmen ermöglichten. Das Bundesgesetz über die Förderung der Landwirtschaft war bereits 1893 beschlossen worden (ersetzt durch das Landwirtschaftsgesetz von 1951, totalrevidiert 1995). Gefördert wurden sodann der Wohnungsbau, die Uhrenindustrie oder das Hotelgewerbe. Bleibend wichtig war die Einrichtung der Exportrisikogarantie 1958. Zu zentralen Wirtschaftsmassnahmen gehörten die Aufsicht über Banken und Sparkassen (Bundesgesetz von 1934) und über Anlagefonds (Bundesgesetze von 1966 bzw. 1994) sowie die Aufsicht über Privatversicherungen (Bundesgesetze von 1885, 1919 und 1978). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bemühte sich der Bund auch um die Sicherung der Wettbewerbsordnung, etwa durch das Kartellgesetz von 1962 (neu 1995), das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (1986), das Binnenmarktgesetz und das Gesetz über technische Handelshemmnisse (beide 1995).
Wichtige Schritte für die Rechtssetzung waren der Beitritt zum Europarat 1963 und die 1974 erfolgte Ratifikation der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK). Die Berücksichtigung der Praxis der EMRK und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durch das Bundesgericht trägt mittelbar zu einer Annäherung an die Verfassungsrechtsprechung der anderen Mitgliedstaaten des Europarates bei. Die Mitgliedschaft der Schweiz in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und der Abschluss des Freihandelsabkommens mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) im Jahre 1972 ermöglichten der Schweiz eine Teilnahme an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa. Nach der Ablehnung des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992 handelte die Schweiz in sieben sogenannten Dossiers (Personenverkehr, Landverkehr, Luftverkehr, Forschung, öffentliches Beschaffungswesen, technische Handelshemmnisse und Landwirtschaft) bilaterale Abkommen mit der Europäischen Union (EU) aus, die 2000 von Volk und Ständen angenommen wurden. Verhandlungen über weitere Sachfragen (verarbeitete Landwirtschaftsprodukte, Umwelt, Statistik, Betrugsbekämpfung) wurden bereits aufgenommen.