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Arbeitsrecht

Beim modernen schweizerischen Arbeitsrecht handelt es sich um ein Sonderrecht ohne einheitliche Kodifikation, das privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Bestimmungen umfasst. Hauptsächliche Rechtsquellen sind das Obligationenrecht und das Arbeitsgesetz. Das individuelle Arbeitsverhältnis wird durch einzel- und kollektivarbeitsvertragliche Regelungen sowie durch öffentlich-rechtliche Normen, welche die Stellung des Arbeitnehmers schützen, beeinflusst.

Vor 1800

Arbeit war schon im Mittelalter Gegenstand rechtlicher Regelungen. Anders als modernes Arbeitsrecht beschrieben die arbeitsrechtlichen Bestimmungen jedoch Sonderrechte von Personengruppen in unterschiedlichen Rechtsstellungen oder Berufen im Rahmen bestehender Rechtsordnungen, obschon übergreifende Elemente nicht fehlten.

Bereits bei den unfreien Arbeitsverhältnissen von Hörigen (Leibeigenschaft) der mittelalterlichen Grundherrschaft sowie bei den das Mittelalter überdauernden Relikten der Unfreiheit, unter anderem den Frondiensten, waren einzelne Rechte der Arbeiter brauchmässig geregelt, so das Mahl für die Fronarbeiter. Auch Verträge über die bäuerliche Leihe regelten die entgeltlich zu leistende Arbeit (z.B. Tagwerke) zugunsten des Leihegebers.

Mit der Lohnarbeit (Lohn) kamen vom 14. Jahrhundert an Arbeitsverträge (mittelhochdeutsch verding, gedinge) auf, am frühesten im Handwerk. Dessen berufseigene Handwerksordnungen regelten unter anderem die Rahmenbedingungen der Lehre, vor allem das öffentliche Prozedere (u.a. Auf-, Abdingen) und die generelle Dauer. Der eigentliche Lehrvertrag (Akkord) wurde zwischen Meister und Lehrling persönlich abgesprochen und enthielt die individuell abgestimmten Vertragspunkte bezüglich Lehrdauer, Lehrgeld, Urlaub zur Erntezeit, spezieller Kost usw.; er wurde vom 16./17. Jahrhundert an auch auf dem Land in schriftlicher Form festgehalten. Seine Öffentlichkeit war gewahrt, da sämtliche Verträge, auch die Verdinge im Bauhandwerk, der Meisterschaft (Zünfte) respektive einem Notar vorzulegen und Lehrverträge in das Zunftbuch einzutragen waren.

Dienstverträge des Gesindes in der Landwirtschaft, sowohl im patrizischen oder klösterlichen Gutsbetrieb als auch bei Bauern, wurden ebenfalls bezüglich Lohn und Dauer individuell ausgehandelt. Vom 15. Jahrhundert an genossen Forderungen um Dienstenlöhne (Lidlohn) im Pfand-, Konkurs- und Beweisrecht noch vor den Handwerkerlöhnen Vorrang.

In der Regel lebten Lehrlinge, Gesellen und Gesinde in der Hausgemeinschaft des Meisters und unterstanden dessen Schirmgewalt (Munt), d.h. seiner Fürsorgepflicht bei Krankheit und seiner verantwortlichen Aufsicht in Sachen Sittenzucht, wobei ihm das Recht auf Züchtigung zukam (u.a. Stadtsatzung Burgdorf 1622).

Während die vertraglich meist unerwähnte tägliche Arbeitszeit generell durch das Tageslicht bestimmt war, mit längeren Arbeitszeiten im Sommer und kürzeren im Winter, war der Lohn Gegenstand persönlicher Absprachen zwischen Meistern und Dienstboten oder Gesellen über Zahlungstermine, Höhe und Zusammensetzung. Er umfasste nebst Kost und Logis Naturalbezüge (u.a. Kleidung) und Bargeld. Mit den neuen Arbeitgebern der Heim-, Manufaktur- und Fabrikarbeiter bekamen Barlöhne Vorrang.

Die Taglöhne von Handwerkern und landwirtschaftlichen Taglöhnern sowie die Monats- oder Jahreslöhne der Dienstboten unterlagen vom 16. Jahrhundert an zunehmend obrigkeitlicher Tarifierung (z.B. Luzerner Lohntarife ab 1568). An einem geordneten Arbeitsbetrieb interessiert, regelten Obrigkeiten ab dem 16. Jahrhundert bei Berufen des städtisch-öffentlichen Dienstes, vor allem im Bauwesen, ausser den Löhnen vermehrt auch Arbeitszeit und Ruhepausen und setzten Arbeitsverbote für Sonn- und Feiertage fest. Sie verlangten bei Stellenantritt den Eid auf treue Pflichterfüllung.

Zu den berufsübergreifenden Elementen der Arbeits- oder Dienstverträge zählten unter anderem die Bekräftigung des Dienstvertrags bei Dienstboten und Söldnern durch das Handgeld und/oder den Weintrunk. Generell wurde das verbotene Abwerben (Abdingen) von Arbeitskräften gebüsst. Arbeitsverträge endeten durch Zeitablauf und bei Tod. Künden konnte nur der Meister, doch liefen Arbeiter trotz harter Bestrafung (u.a. Lohnverlust, Arbeitssperre) nicht selten fort. Arbeitsstreitigkeiten wurden vor ordentlichen Gerichten meist schiedsgerichtlich entschieden. Im Handwerk waren sie Sache der besonderen Gerichtsbarkeit der zünftigen Meisterschaften, im sich ausbreitenden Verlagssystem auch von obrigkeitlichen Kommissionen (in Zürich spätestens ab 1717 und bald als Fabrikkommission bezeichnet, in Basel ab 1738), Vorläufern der eigentlichen Arbeitsgerichte.

Die Arbeitsfreiheit (Handels- und Gewerbefreiheit) blieb bis 1798 insgesamt und vor allem im Handwerk stark eingeschränkt, unter anderem auch durch den Ausschluss von Illegitimen und Angehörigen unehrlicher Berufe.

19.-20. Jahrhundert

Das moderne Arbeitsrecht als Sonderprivatrecht der unselbstständig Erwerbenden ist historisch betrachtet eine Reaktion der staatlichen Sozialpolitik auf den überzogenen Wirtschaftsliberalismus und ein der Ethik entfremdetes Rechtsverständnis des Bürgertums nach 1800 sowie in zunehmendem Masse auf Aktionen und Forderungen der Arbeiterbewegung. Der Liberalismus hatte verbreitet die freie Vereinbarung über Arbeit und Lohn (Arbeitsvertrag) gebracht. Die Arbeitskraft war dadurch zum Entlöhnungsfaktor des freien Arbeitsmarkts geworden, die Masse der Arbeitenden aber aus ihrer bisherigen sozialen Sicherheit herausgerissen worden. Die frühe Industrialisierung bewirkte auch in der Schweiz Pauperismus, Kinderarbeit, Auswanderung und soziale Konflikte. Im Sinne der Forderung nach Gleichheit wurden zum Arbeiterschutz und zur Sicherung des sozialen Friedens Fabrikgesetze erlassen und Tarifverträge (Gesamtarbeitsvertrag) ausgehandelt.

Die Kompetenz zur Gesetzgebung im Privatrecht lag auch nach Gründung des schweizerischen Bundesstaats von 1848 bei den Kantonen. Diese regelten in ihren Kodifikationen das Arbeitsrecht aufgrund älterer Rechtstypen unterschiedlich: Bern (1826, 1831) und Luzern (1839) sprachen von der «Verdingung zur Arbeit», Freiburg (1849) übernahm die gemeinrechtliche «Arbeitsmiete». Dagegen betonten Zürich (1853, 1855) und unter dessen Einfluss Graubünden (1863) und Schaffhausen (1864) die Würde der Person des Arbeitnehmers (Johann Caspar Bluntschli). Dieser Ansatz wirkte sich auf die weitere Gesetzgebung des Bundes im Zivilrecht und Arbeitsrecht aus (Eugen Huber, Philipp Lotmar), indem bedeutende Rechtswissenschaftler die Zeichen der Zeit erkannten und das Recht fortbildeten.

Aufgrund der Revision der Bundesverfassung von 1874 war nunmehr der Bund für die Gesetzgebung im Arbeitsrecht zuständig (Artikel 34 BV). Es folgte der etappenweise Ausbau mit dem eidgenössischen Fabrikgesetz (1877) und dem Dienstvertrag im Obligationenrecht (OR; 1881, 1911). Flankierend dazu wurde der öffentliche Arbeiterschutz seit der Jahrhundertwende ausgebaut und insbesondere durch die Neufassung des Arbeitsgesetzes (1964) auf eine neue Grundlage gestellt. Im Rahmen der Revision des OR zwischen 1957 und 1971 wurde das bisherige Dienstvertragsrecht neu zum Arbeitsrecht umgestaltet, um damit der rechtlichen Parität von Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ausdruck zu geben. Auch die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) haben sich auf das schweizerische Arbeitsrecht ausgewirkt. Dieses umfasst drei historisch gewachsene Normenkomplexe: individuelles Arbeitsrecht (Einzelarbeitsvertrag), kollektives Arbeitsrecht (Gesamtarbeitsvertrag, Arbeitskampf, Verbände) und öffentlicher Arbeitsschutz (u.a. Unfall, Sicherheit, Vorsorge, Kündigung, Arbeits- und Ruhezeit, Sonderschutz für weibliche und jugendliche Arbeitnehmende, Arbeitsmedizin, Sozialversicherungen). Seit 1990 wird der Abbau von Schutzvorschriften im Arbeitsrecht diskutiert (sogenannte Deregulierung). Das 1998 gutgeheissene neue Arbeitsgesetz trägt den Anliegen der Sozialpartner sowohl nach einer Flexibilisierung des Arbeitsmarkts wie auch nach einem wirkungsvollen Arbeiterschutz Rechnung.

Quellen und Literatur

Vor 1800
  • HRG 1, 206-211
  • LexMA 1, 875 f.
  • A.-M. Dubler, Handwerk, Gewerbe und Zunft in Stadt und Landschaft Luzern, 1982, v.a. 239-269, 334-340
19.-20. Jahrhundert
  • J.C. Bluntschli, Allg. Staatsrecht, 1852, 627-638
  • L. Carlen, «Zur Gesch. des Arbeitsrechts in der Schweiz», in ZSR 91, 1972, 233-260
  • M. Rehbinder, Schweiz. Arbeitsrecht, 1977 (152002)
  • R. Zäch, «Entwicklung des schweiz. Arbeitsrechts», in Recht, Nr. 1, 1985, 1-21
  • H.P. Tschudi, Gesch. des schweiz. Arbeitsrechts, 1987
  • Soziale Spannungen ― wirtschaftl. Wandel, hg. von A. Balthasar, E. Gruner, 1989, v.a. 310-338
  • Schweiz. Arbeitsvertragsrecht, hg. von M. Rehbinder, 1991
  • R. Wyler, Droit du travail, 2002 (22008)
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler; Marcel Senn: "Arbeitsrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.02.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009610/2010-02-11/, konsultiert am 23.04.2025.