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Notariat

Das autorisierte öffentliche Notariat war befugt, siegellose und mit Notariatszeichen versehene Urkunden mit derselben Beweiskraft wie eine kaiserliche oder päpstliche Urkunde auszustellen. Mit der zunehmenden Verwaltungstätigkeit und Schriftlichkeit war das Notariat nebst der Kanzlei auch wesentlich an der Herstellung von Akten beteiligt. Schriftkundige Notare wirkten in der Schweiz ab dem 13. Jahrhundert in bischöflichen Offizialaten, die neben geistlichen auch weltliche Konflikte regelten. Vom 14. Jahrhundert an traten auch Juristen als Notare auf. Im Unterschied zur Süd- und Westschweiz konnte sich in der Nord- und Ostschweiz das öffentliche Notariat neben den anderen weltlichen Gerichts- und Beurkundungsstellen (Verwaltung) im Spätmittelalter nicht durchsetzen. Die von den Westschweizer Notaren, speziell in Freiburg, geführten Register gehören nebst den Notariatsverzeichnissen und Notariatsakten im Tessin und in Südbünden zu den wichtigsten Quellen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Spätmittelalters.

Mittelalter

Das Notariat steht im Zusammenhang mit der Rezeption des römischen Rechts in der Schweiz im Spätmittelalter. Das von der päpstlichen Kanzlei und herrschaftlichen Gerichtshöfen unabhängige öffentliche Notariat erreichte von Oberitalien über das Wallis und Savoyen im 13. Jahrhundert die Westschweiz sowie von Südfrankreich die Stadt Genf. Von der Westschweiz gelangte es auch in die Nordschweiz, aber nicht mehr in der Form des freien öffentlichen Notariats, sondern als Amtsnotariat, das sich an der Person des Stadtschreibers und des Landschreibers als öffentlicher Urkundsperson festmachen lässt (Gerichtswesen). Das Notariat verbreitete sich weiter von Westen nach Osten, selbst nach Graubünden. Die Bündner Südtäler Misox, Puschlav und Bergell sowie das Tessin, insbesondere das Sottoceneri, kannten hingegen wie Oberitalien eine frühe Form des Notariats vor der Jahrtausendwende.

Das Notariat in der Westschweiz erscheint im Vergleich dazu erst spät und nur selten (etwa in Genf) als eigenes Rechtsinstitut in Form des öffentlichen Notariats. In den meisten Fällen stand es in Abhängigkeit vom geistlichen Gerichtswesen. Die Notare (notarii curie) waren geschworene Schreiber der Offizialate der Diözesen Genf und Lausanne, und ihre Notariatsinstrumente wurden – um Rechtskraft zu erlangen – zusätzlich zum Notariatssignet mit amtlichen Siegeln versehen. Im französischen Teil der Diözese Lausanne fand das Notariat Verbreitung über die Dekanate Lausanne, Vevey, Avenches, Neuenburg, Ogoz und Freiburg, die alle ihre geschworenen Notare hatten. Bis zur Reformation wurden die Notariatsurkunden in Lateinisch abgefasst, mit Ausnahme von Neuenburg, Estavayer-le-Lac und Freiburg, wo die französische Sprache bis um 1500 Eingang fand, in der Stadt Freiburg zudem die deutsche Sprache. Im Waadtland und in Genf wurde das Notariat 1536 den weltlichen Obrigkeiten unterstellt und der Gebrauch des Französischen für obligatorisch erklärt.

Urkunde des Notars Heinrich von Diessenhofen vom 10. Juli 1389 (Staatsarchiv Basel-Landschaft, Liestal).
Urkunde des Notars Heinrich von Diessenhofen vom 10. Juli 1389 (Staatsarchiv Basel-Landschaft, Liestal). […]

Im Bistum Sitten brauchte das Notariat lange, bis es sich gegen die etablierten Kanzleien der Augustinerchorherren von Saint-Maurice und des Domkapitels von Sitten durchsetzte. Auch hier traten ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mehr und mehr Notare in den Kanzleien auf. 1475 nahm der Walliser Bischof Walter Supersaxo das Notariat unter seine Kontrolle. In Freiburg fand das Notariat erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts Eingang, und zwar in der Form von geschworenen Notaren des Offizialats von Lausanne und des Dekanats von Freiburg sowie von geschworenen Schreibern der Stadt selbst. Auch die Stadtschreiber von Freiburg und Murten waren vereidigte Notare. In Neuenburg ist das Notariat erst recht spät bezeugt und bestand ausschliesslich aus geschworenen Notaren der Offizialate von Besançon und Lausanne, des Dekanats sowie der Kanzlei der Grafen von Neuenburg.

Von der frühen Neuzeit bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Wurden im Mittelalter die öffentlichen Notare noch durch den Papst, den Kaiser oder den König eingesetzt, so übernahmen ab dem 15. Jahrhundert Landes- und Territorialherren, zum Beispiel Adlige, Bischöfe, Stadtherren oder städtische Räte (wie 1536 in Genf), die Ernennungskompetenz. Zudem drängte die Reformation in den reformierten Gebieten das päpstliche Notariat und das bischöfliche Offizialat zurück. Ab 1460 bis zum Ende des Ancien Régime wurden in Basel, Chur und St. Gallen zahlreiche Notare durch den mit kaiserlichen Sonderprivilegien ausgestatteten Hofpfalzgrafen (Adliger, Bischof) ernannt. Mit der Ernennungskompetenz lokaler Gewalten kam anstelle des gemeinrechtlichen Notariats eine regionale Rechtssetzung auf. Das Berufsnotariat wurde in der frühen Neuzeit zunehmend reglementiert (z.B. Bern 1523). Die Ernennung folgte bestimmten Formen und Ritualen wie der Übergabe von Feder, Tintenfass, Ring oder Diplom. Vorausgesetzt wurden der Notareneid (Eid) sowie eheliche Geburt (Illegitimität), Ehrlich- und Redlichkeit (Ehre), Geübtheit in der Federführung und Rechtskundigkeit (Rechtsschulen). Ab dem 17. Jahrhundert wurden Schweizer Notare wieder vermehrt an in- und vor allem ausländischen Universitäten ausgebildet, wodurch sich das akademische Notariat ausbreitete. In Brig bestand bereits vor 1550 eine Notariatsschule, weitere wurden 1661 in Bern, später auch in Lausanne, Genf und Freiburg gegründet sowie Prüfungsbehörden eingerichtet (Bern 1718, Basel 1719). Neben dem geschulten und freien Notariat entstand ab dem 16. Jahrhundert vor allem in der Ostschweiz ein neuer, zum Teil erblicher Schreiberstand, der sich aus dem städtischen Patriziat rekrutierte.

Das 19. Jahrhundert war durch die unterschiedlichen kantonalen Notariatsgesetzgebungen gekennzeichnet (Kantonales Recht), was das Ende des gemeinrechtlichen Notariats bedeutete. Die Ausweitung des Handels und das Bedürfnis nach öffentlicher Transparenz (Register) führte zu einer verstärkten Reglementierung des Notariats. Der Einfluss des französischen Konzepts eines öffentlichen Amts (notaire public, gemäss dem Dekret von 1791) wirkte sich vor allem auf die Westschweiz und das Tessin aus. Die kantonale Gesetzgebung (1802 Wallis, Tessin, 1803 Waadt, 1804 Genf, 1805 Freiburg) zum Notariatswesen brachte in erster Linie die Liberalisierung als Berufsstand. Das Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1907 verlangte die Anpassung des Beurkundungsrechts der Kantone, vor allem hinsichtlich der Mindestanforderungen an Inhalt und Verfahren der öffentlichen Beurkundung einzelner Rechtsgeschäfte. Die Frauen blieben bis ins 20. Jahrhundert vom Notariat weitgehend ausgeschlossen.

Die Ausgestaltung des Notariats ist durch die historische Entwicklung und Tradition bestimmt. In einigen Kantonen hielt sich neben dem freiberuflichen Notariat (Berufsnotariat: Verleihung der Beurkundungsbefugnis durch eine Konzession) das Amtsnotariat (öffentliche Beurkundung durch Beamte) bis in die Regenerationszeit. Seit 1830 hat kein Kanton sein bestehendes Berufsnotariat abgeschafft oder eingeschränkt. Ein reines Berufsnotariat kennt die gesamte Westschweiz (Kanton Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg, Jura und Genf) sowie die Kantone Aargau, Tessin, Bern, Uri, Basel-Landschaft und Basel-Stadt. Teilweise Wechsel vom Amts- zum Berufsnotariat vollzogen die Kantone Luzern, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau, Solothurn, Graubünden sowie Ob- und Nidwalden. Beim Amtsnotariat verblieben Zürich und Schaffhausen. Die Kantone Schwyz, Glarus, Zug und St. Gallen kennen kein eigentliches Notariat oder haben die Beurkundungsbefugnis verschiedenen Personen oder Behörden übertragen. Die Institution des Notariats war auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Sache der Kantone, die sie rechtlich reglementierten und überwachten (ZGB Schlusstitel, Artikel 55).

Quellen und Literatur

Mittelalter
  • Elsener, Ferdinand: Notare und Stadtschreiber. Zur Geschichte des schweizerischen Notariats, 1962 (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, 100).
  • Bautier, Robert-Henri; Sornay, Janine: Les sources de l'histoire économique et sociale du Moyen Age. Provence, Comtat Venaissin, Dauphiné, Etats de la Maison de Savoie, Bd. 2, 1971, S. 1353-1372.
  • Rück, Peter: «Die Anfänge des öffentlichen Notariats in der Schweiz (12.-14. Jahrhundert)», in: Archiv für Diplomatik, 36, 1990, S. 93-123.
  • Mango-Tomei, Elsa (Hg.): Formulari notarili, Bd. 1, 1991 (Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, TI C/1).
  • Gawlik, Alfred; Schuler, Peter-Johannes et al.: «Notar, Notariat», in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Spalten 1271-1279.
  • Hildbrand, Thomas: Herrschaft, Schrift und Gedächtnis. Das Kloster Allerheiligen und sein Umgang mit Wissen in Wirtschaft, Recht und Archiv (11.-16. Jahrhundert), 1996, S. 211-229.
  • Roth-Lochner, Barbara: De la banche à l'étude. Une histoire institutionnelle, professionnelle et sociale du notariat genevois sous l'Ancien Régime, 1997 (Mémoires et documents publiés par la Société d'histoire et d'archéologie de Genève, 58).
  • Poudret, Jean-François: Coutumes et coutumiers. Histoire comparative des droits des pays romands du XIIIe à la fin du XVIe siècle, Bd. 1, 1998, S. 205-259.
Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
  • His, Eduard: «Zur Geschichte des Basler Notariats», in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 20, 1922, S. 1-58.
  • Rennefahrt, Hermann: Aus der Geschichte des bernischen Notariats, 1946.
  • Schmidt, Maurice: La réformation des notaires dans le Pays de Vaud (1718-1723), 1957 (Bibliothèque historique vaudoise, 19).
  • Carlen, Louis: Notariatsrecht der Schweiz, 1976.
Weblinks

Zitiervorschlag

HLS DHS DSS; Kathrin Utz Tremp; Alain Prêtre: "Notariat", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.08.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009640/2023-08-08/, konsultiert am 17.04.2024.