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Helvetische Republik

Helvetische Republik (französisch République helvétique, italienisch Repubblica elvetica) ist die offizielle Bezeichnung des schweizerischen Staatswesens, das am 12. April 1798 die alte Eidgenossenschaft ablöste und bis zum 10. März 1803 bestand; "Helvetik" lautet der entsprechende Epochenbegriff.

Hauptstadt der Helvetischen Republik war bis September 1798 Aarau, danach bis zum Mai 1799 Luzern, schliesslich bis zum März 1803 Bern. Das Staatsgebiet umfasste einen Grossteil der heutigen Schweiz. Rätien (Graubünden) schloss sich der Helvetischen Republik am 21. April 1799 an. Am 13. August 1802 gab Frankreich sein Einverständnis zur Einverleibung des früher vorderösterreichischen Fricktals. Das Wallis wurde am 27. August 1802 in die Unabhängigkeit entlassen. Genf, das Territorium des vormaligen Fürstbistums Basel und das preussische Fürstentum Neuenburg gehörten dagegen nie zur Helvetischen Republik. Die Bevölkerung zählte um 1800 1'493'726 Einwohner.

Entstehung und staatliche Organisation

Die politische Umwälzung

Porträt von Mathias Alexandre Tabin, Abgeordneter des Wallis im helvetischen Grossen Rat. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers, um 1800 (Geschichtsmuseum Wallis, Sitten) © Geschichtsmuseum Wallis, Sitten; Fotografie Robert Barradi.
Porträt von Mathias Alexandre Tabin, Abgeordneter des Wallis im helvetischen Grossen Rat. Öl auf Leinwand eines unbekannten Künstlers, um 1800 (Geschichtsmuseum Wallis, Sitten) © Geschichtsmuseum Wallis, Sitten; Fotografie Robert Barradi. […]

Die Erfolge im Ersten Koalitionskrieg (1792-1797) gegen Preussen und Österreich in Mitteleuropa sowie in Italien und der Frieden von Campoformio vom 17. Oktober 1797 liessen dem revolutionären Frankreich (Französische Revolution) für den Sturz der alten Ordnung in der Eidgenossenschaft freie Hand. Schon am 10. Oktober erzwang Frankreich den Anschluss der Bündner Untertanengebiete an die Cisalpinische Republik; im Dezember besetzte es die südlichen Teile des Fürstbistums Basel, die in die eidgenössische Neutralität eingeschlossen waren, während Peter Ochs in Paris gleichzeitig im Auftrag des Direktoriums eine Verfassung für die Eidgenossenschaft ausarbeitete. Frankreich nutzte die bestehende Unzufriedenheit der ländlichen Eliten in den Untertanengebieten sowie der aufgeklärten Bürger in den städtischen Orten und förderte gezielt revolutionäre Bestrebungen. Nach ihrem Ausbruch in Basel und der Waadt im Januar 1798 griff die Helvetische Revolution rasch auf andere Orte über; am 4. April 1798 gab es in der Schweiz kein einziges Untertanengebiet mehr. Angefacht oder ausgelöst und zugleich auch abgesichert wurde die Umwälzung durch französische Truppen, die ab Ende Januar in einer Zangenbewegung von der Waadt und vom Jura her in das westliche Mittelland vorstiessen (Franzoseneinfall). In den Kampfhandlungen Anfang März 1798 ging die alte Eidgenossenschaft unter. Die Kantone Freiburg, Solothurn und Bern wurden besetzt; die Franzosen begannen mit der Ausplünderung und dem politischen Umbau der eroberten oder ihnen durch Revolution zugefallenen Gebiete.

Verfassung

Das am 12. April 1798 in Kraft getretene, von Frankreich aufoktroyierte Grundgesetz war eine Adaptation der französischen Direktorialverfassung von 1795. Es gestaltete die erweiterte Eidgenossenschaft der Helvetischen Revolution in einen nationalen Einheitsstaat um, der auf den Prinzipien der Rechtsgleichheit, der Volkssouveränität und der Gewaltentrennung beruhte und nach dem Repräsentativsystem funktionierte. Die Aktivbürger traten in den Gemeinden jährlich zu den Urversammlungen zusammen und bestimmten die Wahlmänner. Die kantonale Wahlmännerversammlung nahm die Wahlen in die Zentral- und die Kantonsbehörden vor. In die beiden Parlamentskammern, den Senat und den Grossen Rat, entsandte jeder Kanton vier bzw. acht Abgeordnete, an den Obersten Gerichtshof einen Richter. Das aus fünf Mitgliedern bestehende Vollziehungsdirektorium besass weitgehende Kompetenzen (Direktorium). Es stützte sich auf vier, später sechs Minister, welche die einzelnen Bereiche der Zentralverwaltung leiteten. Mittels der Regierungsstatthalter, der Distriktsstatthalter und der Agenten kontrollierte es theoretisch das ganze Land. Die Kantone sanken zu blossen Verwaltungseinheiten herab; sie verfügten zwar über eine Gerichtsorganisation (Kantonsgericht, Distriktsgerichte), nicht aber über eigene Legislativen. Die kantonale Administration lag in den Händen der fünfköpfigen Verwaltungskammer. Mit der von Peter Ochs entworfenen, vom französischen Direktorium abgeänderten helvetischen Verfassung begann in der Schweiz die Entwicklung zum modernen, nur durch den Willen der Bürger legitimierten Verfassungs- und Verwaltungsstaat, der die Förderung des Gemeinwohls bezweckte. Als Amtssprachen waren Deutsch, Französisch und Italienisch anerkannt.

Die helvetischen Kantone

Die Helvetische Republik 1799
Die Helvetische Republik 1799 […]

Gemäss Verfassung sollte die Helvetische Republik aus 21 Kantonen bestehen: den bisherigen 13 Orten, dazu St. Gallen (Stadt, Alte Landschaft, Toggenburg), Sargans (Rheintal, Sax, Gams, Werdenberg, Gaster, Uznach, Rapperswil und March), Aargau (bernischer Teil), Thurgau, Bellinzona (oberes Tessin), Lugano (unteres Tessin), Léman (Waadt) und Wallis. Rätien wurde zum Beitritt eingeladen. Am 28. März 1798 erhob der französische Regierungskommissär François-Philibert Le Carlier das Berner Oberland zu einem eigenen Kanton, am 11. April angesichts des Widerstands in Zug auch Baden und die Freien Ämter. Die Landsgemeindeorte und ein Teil der befreiten Landschaften in der Inner- und der Ostschweiz empfanden die helvetische Verfassung als Bedrohung der Religion und ihrer alten Freiheiten. Nach einer missglückten militärischen Offensive (22. April - 3. Mai 1798) nahmen die Urkantone die Konstitution gezwungenermassen an. Um den Einfluss der verfassungsfeindlichen Landesteile zu vermindern, dekretierte Le Carliers Nachfolger Jean-Jacques Rapinat am 4. Mai die Schaffung der drei Kantone Waldstätten (Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug), Linth (Glarus, Sargans, oberes Toggenburg) und Säntis (Appenzell, St. Gallen, Rheintal, unteres Toggenburg), wodurch die Zahl der helvetischen Kantone auf 18 sank.

Die helvetischen Führungsschichten

Getragen wurde die Helvetische Revolution bzw. die Helvetische Republik vornehmlich von Vertretern der haupt- und munizipalstädtischen Reformelite, die nicht selten bereits vor der politischen Umwälzung Regierungs- und Verwaltungsämter bekleidet hatte. In die Zentral- und die Kantonsbehörden gelangten Magistraten, Beamte, Juristen, Solddienstoffiziere, Ärzte, Theologen, Erzieher, Kaufleute und Fabrikanten. Viele von ihnen waren Mitglieder der Helvetischen Gesellschaft. Die Gemässigten bildeten im Parlament die Gruppe der Republikaner, die Radikalen schlossen sich mit den Repräsentanten der Landbevölkerung zur Gruppierung der Patrioten zusammen, die den Revolutionsprozess aufgrund der Mehrheitsverhältnisse zu beschleunigen suchte. In den ehemaligen Landsgemeindeorten mussten als Beamte überwiegend Altgesinnte verpflichtet werden. Für den lokalen Verwaltungsapparat wurden Angehörige der ländlichen Elite herangezogen, von denen manche als Untervögte, Weibel oder Schaffner des Ancien Régime gewirkt hatten. Unter den ländlichen Amtsträgern waren neben den Bauern die Wirte, Müller und Chirurgen gut vertreten. Innerhalb der Führungsschicht löste die Helvetik, indem sie jungen Männern eine politische Karriere ermöglichte, einen Generationenwechsel aus.

Modernisierungsphase (1798-1800)

Die politische und militärische Entwicklung

Als besetztes Land hatte die Helvetische Republik den Unterhalt der Armée française en Helvétie zu tragen und wurde - wie die übrigen sogenannten Schwesterrepubliken - rücksichtslos ausgeplündert. Die Repräsentanten Frankreichs beschlagnahmten die kantonalen Staatsschätze und das Kriegsmaterial und auferlegten den Patriziaten und verschiedenen Klöstern Kontributionen. Am 16. Juni 1798 nötigte Regierungskommissär Jean-Jacques Rapinat die Direktoren David Ludwig Bay und Alphons Pfyffer zur Demission, was den Promotoren der politischen Umwälzung, Peter Ochs und Frédéric-César de La Harpe, den Eintritt in die Zentralregierung ermöglichte. Mit dem Abschluss einer Offensiv- und Defensivallianz am 19. August wurde der Kriegszustand zwischen den beiden Staaten offiziell beendet; die Helvetische Republik musste als Satellitenstaat Frankreichs ihre Neutralität preisgeben und verlor jegliche aussenpolitische Bewegungsfreiheit. Diplomatische Vertretungen - die ersten ständigen der Schweiz überhaupt - unterhielt sie nur in Paris und Mailand.

"Massaker an den Luganeser Patrioten am 29. April 1799". Kolorierte Federzeichnung von Rocco Torricelli, um 1800 (Museo d'arte della Svizzera italiana, Lugano, Collezione Città di Lugano).
"Massaker an den Luganeser Patrioten am 29. April 1799". Kolorierte Federzeichnung von Rocco Torricelli, um 1800 (Museo d'arte della Svizzera italiana, Lugano, Collezione Città di Lugano). […]

Am 12. Juli 1798 dekretierten die helvetischen Räte, dass alle Bürger den in der Verfassung vorgesehenen Eid auf die Helvetische Republik abzulegen hätten. Dieser Beschluss löste offenen Aufruhr in Nidwalden und Schwyz aus, der auf Ersuchen der helvetischen Exekutive von General Alexis Balthasar Henri Antoine von Schauenburg niedergeschlagen wurde, wobei die französischen Truppen am 9. September im Distrikt Stans ein Blutbad anrichteten (Nidwaldner Schreckenstage). Die sich nach dem österreichischen Einmarsch in Graubünden (18. und 19. Oktober) rasch verschlechternde internationale Lage bewog die Zentralbehörden, den Aufbau einer Militärorganisation voranzutreiben. Die Forderung Frankreichs nach einem von der Helvetischen Republik zur Verfügung zu stellenden Hilfskorps von 18'000 Mann und der Vollzug des Milizorganisationsgesetzes vom 13. Dezember hatten zur Folge, dass sich viele Wehrpflichtige ins Ausland absetzten. Manche traten in die Emigrantenregimenter ein. Nach dem Ausbruch des Zweiten, zum Teil auf schweizerischem Boden ausgefochtenen Koalitionskriegs kam es in verschiedenen Kantonen zu Volksaufständen, die sich gegen die Rekrutierungen richteten, weshalb das Parlament am 30. und 31. März 1799 Ausnahmegesetze erliess. Der Verlust der von den Alliierten besetzten Süd- und der Ostschweiz, wo altgesinnte Interimsregierungen die Verwaltung übernahmen, führte innerhalb des seit dem 18. Mai mit Sondervollmachten versehenen Vollziehungsdirektoriums zu Spannungen. Am 25. Juni zwang Frédéric-César de La Harpe seinen Rivalen Peter Ochs zum Rücktritt. Die französischen Siege in der zweiten Jahreshälfte (zweite Schlacht bei Zürich) sicherten die Weiterexistenz der Helvetischen Republik In den von den Kampfhandlungen besonders betroffenen Gebirgskantonen herrschte grosse Not, die durch staatliche und private Hilfsmassnahmen gemildert werden konnte. Der von Frédéric-César de La Harpe nach dem Staatsstreich Napoleon Bonapartes vom 9. November angestrebten Alleinherrschaft verweigerte der neue Machthaber in Paris die Unterstützung, was den Republikanern am 7. Januar 1800 ermöglichte, den Waadtländer und mit ihm die patriotische Regierungsmehrheit zu stürzen (sogenannter erster Staatsstreich).

Trotz der vielen Schwierigkeiten griffen die helvetischen Politiker in dieser Phase viele Postulate der Aufklärung auf und leiteten einen langfristigen Modernisierungsprozess ein. Allerdings konnte vorderhand nur ein Teil der einzelnen Neuerungen und Reformen umgesetzt werden.

Die Ablösung der Feudallasten

In den durch Zehnten belasteten Gegenden des Mittellandes erhofften sich die Bauern das volle Verfügungsrecht über den von ihnen bebauten Boden, zumal Artikel 13 der helvetischen Verfassung den Loskauf der Feudallasten ermöglichte. Das unter Zugzwang stehende Parlament erklärte am 4. Mai 1798 die persönlichen Feudalpflichten entschädigungslos für aufgehoben. Am 8. Juni wurde der Bezug des Zehnten sistiert, wodurch vor allem die von diesem abhängigen Pfarrer in Not gerieten. Die Art der Ablösung der dinglichen Feudalabgaben, welche vorerst die Haupteinnahmequelle der Helvetischen Republik bildeten, führte in den Räten zu leidenschaftlichen Debatten. Während die Patrioten nach französischem Vorbild die Grundlasten ohne Entgelt abschaffen wollten, traten die Republikaner für eine Entschädigung der Besitzer ein. Das Gesetz über die Feudallasten vom 10. November sah die unentgeltliche Abschaffung der Kleinzehnten vor, der Grosszehnt und die Bodenzinsen mussten unter Mitwirkung des Staates losgekauft werden. Die in den Kantonen eingerichteten Liquidationsbüros kapitulierten jedoch vor der Riesenaufgabe, in kurzer Zeit sämtliche Grundstücke zu schätzen, und der Helvetischen Republik fehlten die finanziellen Mittel, um die Feudallastenbesitzer zu entschädigen. Am 13. Dezember 1799 wurde deshalb für die Grundzinsen ein direktes Loskaufsverfahren zwischen Schuldnern und Gläubigern eingeführt.

Schaffung eines modernen Steuersystems

Um auf die Zehnten und Bodenzinsen verzichten zu können, musste die Helvetische Republik die Finanzwirtschaft des Ancien Régime durch ein modernes Steuersystem ersetzen. Die Umwandlung der einzelörtischen Staatsvermögen in Nationalgut am 24. April 1798 bewahrte das von Frankreich ausgeplünderte Land vorläufig vor dem Bankrott. Das am 17. Oktober verabschiedete Auflagengesetz führte eine Reihe bis dahin unbekannter direkter und indirekter Steuern ein. Das Vermögen wurde mit einer Kapital-, einer Grund- und einer Häusersteuer belastet. Hinzu kamen eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, Handänderungs- und Stempelgebühren sowie eine Handels- (Engroshandel), eine Getränke- (Detailhandel) und eine Luxusabgabe (Besitz von Jagdhunden, Kutschen usw.). Die Taxation der Kapitalien, Grundstücke und Liegenschaften verlief schleppend, wodurch sich die finanzielle Lage der Helvetischen Republik verschlimmerte. Die im Kriegsjahr 1799 erhobenen Sondersteuern wirkten sich ebenfalls negativ auf das reguläre Steuersystem aus. Weil die Steuererträge unter allen Erwartungen blieben, war der Staat vom April 1800 an gezwungen, seine Tätigkeit durch den Verkauf von Nationalgütern zu finanzieren.

Sicherung der Staatsmonopole

Die Helvetische Republik bemühte sich, die wegen ihrer Erträge wichtigen Hoheitsrechte der ehemaligen eidgenössischen Orte an sich zu ziehen und zentral zu verwalten. Am 4. Mai 1798 übernahm sie den Salzhandel. Das Postwesen wurde am 1. September zum Staatsmonopol erklärt, eine generelle Verstaatlichung der Postbetriebe gelang indessen nicht. Im Vorfeld des Zweiten Koalitionskriegs wurde am 17. November das Pulverregal gesetzlich verankert. Die Übertragung der Münzhoheit an den Zentralstaat am 19. März 1799 war begleitet von der Einführung einer einheitlichen Währung mit dem Schweizer Franken zu 10 Batzen und 100 Rappen als Grundlage. Die desolate Finanzlage verunmöglichte jedoch den Einzug sämtlicher im Umlauf befindlichen Geldsorten. Die Nationalisierung der Bodenschätze kam erst durch das Gesetz vom 13. Februar 1800 zustande. Allgemein begrüsst wurde die am 26. Juni 1798 verordnete einheitliche Zeitrechnung.

Handel und Gewerbe, Wirtschaftsreform

Die Gewerbebeschränkungen des Ancien Régime wurden nach der Konstituierung der Helvetischen Republik ignoriert, obschon der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit in der helvetischen Verfassung fehlte. Am 8. Mai 1798 hoben die gesetzgebenden Räte alle interkantonalen Handelshemmnisse auf. Die Vorrechte der Zünfte wurden am 19. Oktober abgeschafft, worauf sich die Städte mit dem Zuzug ländlicher Handwerker konfrontiert sahen. Das System der Ehaften für Tavernen, Mühlen usw. wurde durch Gewerbebewilligungen ersetzt. Weil die Zahl der Wirtschaften sprunghaft anwuchs, führte das Parlament am 24. September 1799 Patentgebühren ein. Mit der gezielten Förderung von Ackerbau und Viehzucht wurde eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge bezweckt. Auf das im Frühjahr 1798 einsetzende unkontrollierbare Jagen reagierte das Vollziehungsdirektorium am 9. Mai mit einem zeitlich befristeten Jagdverbot. Die Fischerei wurde hingegen unter dem Vorbehalt von Eigentumsrechten freigegeben. Weil in den zum Nationaleigentum erklärten bisherigen Staatswäldern der Waldfrevel überhand nahm, erliess die Zentralregierung am 28. Februar 1799 eine Forstverordnung. Eine Förderung der Textilindustrie wurde durch die Kriegsereignisse verunmöglicht.

Neuordnung des Rechtswesens

Staatsaufbau der Helvetischen Republik 1798-1800 (vereinfacht)
Staatsaufbau der Helvetischen Republik 1798-1800 (vereinfacht) […]

Die Rechtsgleichheit war zweifelsohne die grösste Errungenschaft der Helvetik. Artikel 8 der Verfassung ebnete die seit Jahrhunderten bestehenden rechtlichen Standesunterschiede ein und beseitigte die letzten Reste der Leibeigenschaft, Artikel 19 schuf ein einheitliches helvetisches Staatsbürgerrecht. Von der Gleichberechtigung ausgeschlossen blieben die Frauen, deren Diskriminierung für die überwiegende Mehrheit der Politiker kein Problem darstellte. Die Juden wurden zwar am 1. Juni 1798 von der ihnen auferlegten Kopfsteuer befreit (Judensteuer), die helvetische Staatsbürgerschaft gewährte ihnen das Parlament jedoch nicht. Die in der Helvetischen Republik niedergelassenen Ausländer wurden am 29. Oktober den helvetischen Staatsbürgern privatrechtlich gleichgestellt, was einem Bruch mit der Vergangenheit gleichkam. Die Unehelichen erhielten am 28. Dezember die vollen bürgerlichen Rechte mit Ausnahme der Intestaterbfolge. Mit der Vereinheitlichung und Kodifikation des Zivil- und des Strafrechts sollte das Nationalbewusstsein gefördert werden. Das Vorhaben eines Zivilgesetzbuches auf der Basis des schweizerischen Rechts gedieh allerdings nicht über Einzelregelungen hinaus. Im Bereich des Eherechts setzte sich die französische Auffassung von der Ehe als bürgerlicher Vertrag durch, die Ehehindernisse wurden gemildert. So erklärte die Legislative am 2. August konfessionelle Mischehen und am 17. Oktober Ehen zwischen Cousins und Cousinen für zulässig. Die neu geschaffenen Einwohnergemeinden verpflichtete man zur Führung von Zivilstandsregistern und zur Übernahme der Vormundschaftspflege. Gesetzlich verankert wurde auch das im Artikel 9 der Verfassung garantierte Privateigentum. Auf dem Gebiet des Strafrechts gelang die Ausarbeitung des dem französischen Code pénal von 1791 nachgebildeten "Helvetischen Peinlichen Gesetzbuches", das am 4. Mai 1799 in Kraft trat. Das von den Ideen der Aufklärung durchdrungene Strafrecht regelte die Strafmasse nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, schränkte die richterliche Willkür ein und sah einen humaneren Strafvollzug vor. Die Folter war bereits am 12. Mai 1798 abgeschafft worden.

Gemeindeorganisation und Gemeindebürgerrecht

Das helvetische Staatsbürgerrecht stellte zwar die Niedergelassenen politisch den Ortsbürgern gleich, berechtigte sie aber nicht zur Nutzung der Gemeindegüter. Die Helvetik verzichtete darauf, das bisherige Ortsbürgerrecht abzuschaffen. Das Gesetz über die Gemeindebürgerrechte vom 13. Februar 1799 garantierte den Ortsbürgern das Recht auf den Gemeindenutzen, behielt das Prinzip der heimatörtlichen Armenunterstützung bei, formulierte den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und fixierte den Anspruch der Niedergelassenen auf den Einkauf in die Gemeinde- und Armengüter. Die im Frühjahr 1798 herrschende Unsicherheit, ob die Gemeinden in der herkömmlichen Form als Nutzungskorporationen oder nach französischem Muster als blosse Agentschaften weiterbestehen würden, beendeten die helvetischen Räte, indem sie am 13. November provorisch und am 15. Februar 1799 definitiv zwei Gemeindearten schufen, die Einwohnergemeinde (Gemeinde) der Aktivbürger und die Bürgergemeinde der Ortsbürger. Als deren Behörden wirkten die Munizipalität und die Gemeindekammer, die innerhalb ihres Aufgabenbereichs beschränkte Autonomie genossen. Dadurch konnten sich die kommunalen Institutionen entfalten.

Staat und Kirche

Den führenden Helvetikern schwebte ein laizistischer Staat vor. Artikel 26 der Verfassung aberkannte den Pfarrern die politischen Rechte und trieb diesen Stand dadurch in die Opposition. Ein Gesetz stellte am 31. August 1798 Geistliche und Laien einander gleich. Die geistliche Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche wurde abgeschafft, desgleichen die Sittengerichte in den reformierten Kantonen. Die Massnahmen zur Durchsetzung der staatlichen Oberaufsicht über die Kirchengemeinschaften trafen in erster Linie die katholische Kirche. Am 27. April versagte das Vollziehungsdirektorium dem päpstlichen Nuntius die Anerkennung. Das Vermögen der Klöster und Stifte wurde am 8. Mai einer staatlichen Zwangsverwaltung unterstellt und am 17. September zum Nationaleigentum erklärt (Säkularisation). Den Klöstern wurde auch untersagt, Novizen und Professen aufzunehmen. Schliesslich schränkte die helvetische Exekutive am 4. April 1799 die Prozessionen ein und verbot auf diese Weise die Wallfahrten. Der Artikel 6 des Grundgesetzes, der die Glaubens- und Kultusfreiheit gewährleistete, verhinderte eine umfassende Säkularisierung von Staat und Gesellschaft. Die Pfarrwahlen und die Pfründenbesetzungen erfolgten unter der Aufsicht der Verwaltungskammern, doch behielten die Kirchengemeinschaften ihre bisherigen Rechte. Im Grunde genommen vertraten die Helvetiker ein aufgeklärtes Staatskirchentum.

Erziehungswesen, Volksaufklärung

Auf keinem Gebiet unternahm die Helvetische Republik so grosse Anstrengungen wie auf demjenigen des Erziehungswesens. Für Philipp Albert Stapfer, den Minister der Künste und Wissenschaften, führten Bildung und Erziehung zur ethischen Vervollkommnung des Menschen. Stapfer wandelte die Schule von einer kirchlichen in eine staatliche Einrichtung um. Gestützt auf einen Regierungsbeschluss vom 24. Juli 1798 übernahm in jedem Kanton ein achtköpfiger Erziehungsrat die Aufsicht über das Schulwesen. Der von einem umfassenden Erziehungsplan begleitete Gesetzesentwurf zur Umgestaltung der Volksschule wurde im Parlament schleppend behandelt und verwässert. Erst am 4.-6. Dezember 1800 sollte die Exekutive die Einrichtung von Elementarschulen in den Gemeinden und die allgemeine Schulpflicht in den Wintermonaten dekretieren. Von den Projekten für Lehrerseminare zur Verbesserung der Lehrerbildung waren die wenigsten von Erfolg gekrönt. Die politische Volksaufklärung lag in den Händen des im November 1798 geschaffenen Bureaus für National-Kultur, das Heinrich Zschokke leitete.

Kultur- und Pressepolitik

Als Kulturminister erwarb sich Philipp Albert Stapfer ebenfalls bleibende Verdienste. Der Altertümerschutz und die Kunstförderung gingen auf seine Initiative zurück. Weiter bemühte er sich um die Sicherung der Klosterbibliotheken und der bereits an die Abtei St. Blasien im Schwarzwald verkauften wertvollen "Zurlaubiana" aus Zug. Am 18. Dezember 1798 beschloss die Legislative die Einrichtung eines Nationalarchivs (Bundesarchiv) und einer Gesetzgebungsbibliothek. Der Aufbau einer Nationalbibliothek gelang nicht. Die Etablierung von Nationalfesten (Feste) zur Stärkung der helvetischen Identität scheiterte an der politischen Entwicklung. Eine integrative Wirkung sollte auch mit Symbolen wie der Nationalkokarde, dem Freiheitsbaum oder der Figur Wilhelm Tells erreicht werden.

Infolge der in Artikel 7 der Verfassung verankerten Pressefreiheit verdoppelte sich plötzlich die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften. Das bedeutendste Presseorgan war der von Hans Conrad Escher von der Linth und Paul Usteri herausgegebene "Schweizerischer Republikaner", der die Bürger über die Parlamentsverhandlungen informierte. Die Gesetze und Erlasse wurden in offiziellen Kantonsblättern veröffentlicht. Das neue Recht machten sich auch die Gegner der Helvetik zunutze. Auf Karl Ludwig von Hallers Polemiken in den "Helvetischen Annalen" reagierte das Vollziehungsdirektorium am 7. November 1798 mit der Einführung der Pressezensur, die sich für spätere Machthaber als probates Mittel zur Unterdrückung der Opposition erwies.

Statistik

Die breit angelegten statistischen Erhebungen, welche die Zentralbehörden in den verschiedensten Lebensbereichen durchführten, sollten die Grundlagen für eine rationale Gestaltung der Helvetischen Republik liefern. Am 21. Oktober 1798 leitete Innenminister Albrecht Rengger die erste gesamtschweizerische Volkszählung in die Wege. Bekannt sind auch die Pfarrer- und die Schulenqueten Philipp Albert Stapfers vom Februar 1799.

Armenpflege, Gesundheitswesen

Die Armenpflege wurde - anders als in Frankreich - nicht verstaatlicht, sondern den Gemeindekammern übertragen, doch vermochten viele Gemeinden ihre Armen nicht ausreichend zu unterhalten, was den Bettel förderte. Die Fürsorgetätigkeit der Helvetischen Republik beschränkte sich auf finanzielle Beiträge an bedürftige Individuen und die Unterstützung wohltätiger Vereine. Für die Einrichtung von Arbeitshäusern fehlten die Mittel. Die Aufsicht über das Gesundheitswesen in den Kantonen übernahmen besondere Sanitätskommissionen. Weil kein Medizinalgesetz zustande kam, blieb ihnen eine wirksame Tätigkeit versagt.

Militärorganisation

Artikel 25 der Verfassung verankerte die allgemeine Wehrpflicht, die nicht ausdrücklich an die helvetische Staatsbürgerschaft gebunden war, auf nationaler Ebene. Am 4. September 1798 wurde die Bildung der helvetischen Legion beschlossen, einer 1500 Mann umfassenden, stehenden Eingreiftruppe zur Sicherung der inneren Ordnung. Das Milizorganisationsgesetz vom 13. Dezember hatte den Aufbau einer helvetischen Armee zum Ziel. Für die Aushebung und Einteilung der Dienstpflichtigen waren die Generalinspektoren in den Kantonen zuständig. Als feststand, dass sich ein militärischer Konflikt mit den Koalitionsmächten nicht mehr abwenden liess, bot die Zentralregierung am 24. Februar 1799 20'000 Mann für den Grenzschutz auf, schuf am 28. Februar einen Generalstab und ernannte am 28. März den Solothurner Augustin Keller zum General. Die helvetischen Truppen erwiesen sich jedoch als völlig kriegsuntauglich. Am 12. August wurde die Milizarmee faktisch abgeschafft. Ebenfalls aufgelöst wurde am 5. September die helvetische Legion. Das Parlament beschloss am gleichen Tag die Aufstellung stehender Einheiten, deren Stärke maximal 6500 Mann betragen sollte. Ein am 5. Juli 1798 erlassenes Werbungsverbot für fremde Kriegsdienste musste sogleich wieder gelockert werden, weil es die Interessen Frankreichs tangierte.

Aufruf zum Dienst in der helvetischen Legion (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).
Aufruf zum Dienst in der helvetischen Legion (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung). […]

Stagnationsphase und Zerfall (1800-1803)

Verfassungskämpfe und Staatsstreiche

Nach dem Sturz von Frédéric-César de La Harpe - dem sogenannten ersten Staatsstreich - im Januar 1800 wurde anstelle des Vollziehungsdirektoriums ein siebenköpfiger Vollziehungsausschuss gewählt, in dem auch drei Altgesinnte Einsitz nahmen. Zum beherrschenden innenpolitischen Thema entwickelte sich die Verfassungsfrage, welche die Revolutionäre spaltete und die Helvetische Republik destabilisierte. Am 7.-8. August 1800 erzwangen die Republikaner mit dem Einverständnis Frankreichs die Auflösung der beiden von den Patrioten dominierten Parlamentskammern und sicherten sich in den provisorischen Zentralbehörden, dem 43 Mitglieder zählenden Gesetzgebenden Rat und dem siebenköpfigen Vollziehungsrat, die Mehrheit. In vielen Munizipalitäten waren die Patrioten bereits bei den Erneuerungswahlen im Mai konservativen Kräften gewichen, deren Loyalität zur Helvetischen Republik sich in Grenzen hielt. Die Zeit nach dem zweiten Staatsstreich war von der erbittert geführten publizistischen Auseinandersetzung zwischen den Unitariern, den Befürwortern des Einheitsstaats, und den vom Ersten Konsul aus machtpolitischen Erwägungen begünstigten Föderalisten geprägt. Obwohl der Frieden von Lunéville vom 9. Februar 1801 der Helvetischen Republik das Selbstbestimmungsrecht zugestand, wurde sie gezwungen, ein von Bonaparte ausgearbeitetes Grundgesetz zu akzeptieren. Die Verfassung von Malmaison vom 29. Mai, welche die Helvetische Republik in einen Bundesstaat umgewandelt hätte, stiess in beiden politischen Lagern auf Ablehnung. Als die helvetische Tagsatzung, die das Grundgesetz formell gutheissen sollte, Abänderungen in unitarischem Sinn vornahm, ergriffen die Föderalisten am 27.-28. Oktober durch den dritten Staatsstreich die Macht, stellten die Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug wieder her und konstituierten den aus zwei Landammännern und 23 Räten bestehenden Senat und den vierköpfigen Kleinen Rat. Der Widerstand des Ersten Landammanns Alois Reding gegen die von Frankreich geforderte Abtretung des Wallis, die Anknüpfung von Beziehungen mit Preussen und Österreich - im Januar 1802 wurde ein Botschafter nach Wien entsandt - und die Modifikation des Grundgesetzes kosteten die Föderalisten die Gunst des französischen Diktators. Am 17. April 1802 gewannen die Unitarier durch den vierten Staatsstreich die Regierungsgewalt zurück und setzten eine Notabelnversammlung ein, welche die Verfassung von Malmaison erneut überarbeitete. Nach der ersten in der Schweiz durchgeführten Volksabstimmung, bei der die Nichtstimmenden als Befürworter gezählt wurden (Abstimmungen), galt sie am 2. Juli als angenommen. Die obersten Staatsorgane waren nun der dreiköpfige Vollziehungsrat und der 27 Mitglieder umfassende Senat.

Das Ende der Reformen

Die aus der tiefen politischen Kluft resultierende Handlungsunfähigkeit führte zu Stagnation und zur Rücknahme vieler Reformen. Dem am 3. April 1801 beschlossenen Aufbau eines Grenzzollsystems blieb der Erfolg versagt, und die am 4. August eingeführten Masse und Gewichte, die auf dem metrischen System basierten, vermochten sich nicht durchzusetzen. Nachdem schon Stapfers Pläne über die Einrichtung der Volksschule nur teilweise hatten verwirklicht werden können, beschränkte sich die Reform der Mittelschulen auf Einzelmassnahmen. Das Projekt einer Nationaluniversität wurde nicht realisiert. Der von den Republikanern beherrschte Gesetzgebende Rat setzte am 15. September 1800 das Feudallastengesetz ausser Kraft und verfügte am 6. Oktober den Bezug der Grundzinsen für 1800, um der Helvetischen Republik und den Pfarrern die Einkünfte zu sichern. Im Kanton Basel reagierten die Bauern im Oktober mit dem "Bodenzinssturm". Zu Zehntunruhen kam es im Januar 1802 auch in den Zürcher Distrikten Fehraltorf und Wald. Die gefährlichste Protestbewegung gegen die restaurative Tendenz war der im Mai 1802 ausbrechende Aufstand der Bourla-Papey im Kanton Léman. Das Prinzip der Handels- und Gewerbefreiheit wurde durchbrochen. Am 20. November 1800 führte das Parlament den Bedürfnisnachweis für die Eröffnung neuer Wirtshäuser ein. Schrittweise verschärft wurde auch die Niederlassungs- und Einbürgerungspraxis. Das Fremdengesetz vom 10. August 1801 machte die Erteilung der helvetischen Staatsbürgerschaft von der Zusicherung eines Ortsbürgerrechts abhängig.

Der Zerfall der Helvetischen Republik

Die Zentralregierung verlor jegliche Autorität, als sie die Umwandlung des Wallis in eine scheinsouveräne Republik sanktionierte. Ende Juli 1802 zogen die französischen Besatzungstruppen überraschend aus der Helvetischen Republik ab, was den Vollziehungsrat seiner Machtbasis beraubte. In der Innerschweiz brach sogleich ein Aufstand los. Der sogenannte Stecklikrieg erfasste im September fast sämtliche 19 Kantone und nötigte die Zentralbehörden zur Flucht nach Lausanne. Am 30. September, kurz vor dem definitiven Zusammenbruch der Helvetischen Republik, erliess Bonaparte die Proklamation von Saint-Cloud. Er ordnete die Rückkehr zur verfassungsmässigen Ordnung an und befahl Vertreter der Konfliktparteien zu einer Consulta nach Paris. Die Helvetische Republik wurde erneut von französischen Truppen besetzt. Deren Oberbefehlshaber General Michel Ney verhinderte im Dezember die Übernahme des Fricktals durch einen helvetischen Emissär. Die Mediationsakte vom 19. Februar 1803 besiegelte das Ende der Helvetischen Republik. Am 10. März ging die Amtsgewalt der helvetischen Behörden an den Landammann der Schweiz und an die provisorischen kantonalen Regierungskommissionen über.

Kurz vor ihrer Auflösung konnte die Helvetische Republik noch einen aussenpolitischen Erfolg verzeichnen. Ihre Vertreter hatten in den Verhandlungen über die Neuordnung des Deutschen Reichs erreicht, dass im Reichsdeputationshauptschluss das Verhältnis der Schweiz zum Reich geklärt wurde.

Ursachen für das Scheitern

"Berns Triumph über die Helvetik 18. September 1802". Aquarellierte Zeichnung eines unbekannten Künstlers (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen).
"Berns Triumph über die Helvetik 18. September 1802". Aquarellierte Zeichnung eines unbekannten Künstlers (Bernisches Historisches Museum; Fotografie Stefan Rebsamen). […]

Die französische Grossmachtpolitik verhinderte eine eigenständige schweizerische Revolution und entzog der Helvetischen Republik die ökonomischen Mittel für eine gedeihliche Entwicklung. Für die Machthaber in Paris war die Helvetische Republik einerseits ein Teil eines Gürtels von Satellitenstaaten, andererseits aber auch ein weiteres Verfassungsexperiment. Das Präfektensystem beispielsweise wurde in Frankreich erst 1800 eingeführt. Ihre politische Instabilität teilte die Helvetische mit der Batavischen und der Cisalpinischen Republik. Mit den zentralistischen Strukturen waren weder die Regierenden noch die Regierten vertraut. Neuerungen wurden zum Teil überstürzt eingeführt, und der Krieg von 1799 lähmte die Staatstätigkeit. Schliesslich nahmen die Republikaner zwischen 1800 und 1801 der Revolution die Kraft. Durch den Wiederbezug der Bodenzinsen verloren sie den Rückhalt in der Landbevölkerung, die ihre Hoffnung auf eine grundlegende Besserung begrub, sich im Machtkampf zwischen Unitariern und Föderalisten passiv verhielt und sich im Stecklikrieg schliesslich auf die Seite der Konterrevolution schlug.

Historiografie, Nachleben und Erinnerung

Die Periode der Helvetischen Republik wurde in der schweizerischen Geschichtsschreibung kontrovers beurteilt. Carl Hilty verstand 1878 die Helvetische Republik als erste Demokratie auf schweizerischem Boden. Der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkende Alfred Rufer solidarisierte sich aus linksbürgerlicher Warte mit den Helvetikern, die trotz widriger Begleitumstände den Aufbau eines neuen Staatswesens gewagt hatten. Die konservative Hauptströmung der Historiografie dagegen fokussierte die Helvetik auf das Thema des nationalen Versagens, beklagte die Fremdherrschaft und kritisierte den unschweizerischen Zentralismus der Helvetischen Republik Die Geschichtsforschung des ausgehenden 20. Jahrhunderts betrachtete die Periode zwischen 1798 und 1848 als Umbruchzeit, die zur Entstehung der modernen Schweiz bzw. zur Gründung des Bundesstaats führte. Die unterschiedlichen Helvetikbilder in den verschiedenen Kantonen verunmöglichten 1898 ein nationales Zentenarjubiläum. Die Kantone Waadt, Thurgau und Tessin feierten die 1798 erlangte Unabhängigkeit. In den Kantonen Bern, Schwyz und Nidwalden stand die Erinnerung an die militärische Niederlage im Vordergrund. 1995 beschlossen die eidgenössischen Räte, des 200-Jahr-Jubiläums der Helvetischen Republik bloss zu gedenken. Die offizielle Erinnerung blieb Sache der Kantone, von denen einige (Basel-Stadt, Waadt, Aargau) zahlreiche Aktivitäten organisierten. Am offiziellen Gedenkakt in Aarau am 17. Januar 1998 nahm der Bundesrat in corpore teil.

Quellen und Literatur

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  • G. Hunziker et al., Das Zentralarchiv der Helvetischen Republik 1798-1803, 2 Bde., 1990-92 (mit Bibl.)
  • HbSG 2, 785-839
  • A. Kölz, Neuere schweiz. Verfassungsgesch., 1992, 59-142
  • A. Fankhauser, «Die Zentralbehörden des helvet. Einheitsstaates», in Itinera 15, 1993, 35-49
  • Dossier Helvetik 1-6, 1995-2000
  • A. Fankhauser, «Die helvet. Militärorganisation», in Dossier Helvetik 1, 1995, 47-62
  • C. Simon, «Die Helvetik - Eine aufgezwungene und gescheiterte Revolution?», in Im Zeichen der Revolution, hg. von T. Hildbrand, A. Tanner, 1997, 29-49
  • Nidwalden 1798, 1998
  • H. Böning, Der Traum von Freiheit und Gleichheit, 1998
  • T. Kästli, Die Schweiz, eine Republik in Europa, 1998
  • M. Vuilleumier, «Le Centenaire de 1798 en Suisse», in SQ 24, 1998, 81-129
  • A. Fankhauser, «Die Bedeutung der Helvetik für die Ausbildung moderner kant. Verwaltungsstrukturen», in Itinera 21, 1999, 79-91
  • P. Delvaux, La république en papier, 2 Bde., 2004
  • S. Arlettaz, Citoyens et étrangers sous la République helvétique (1798-1803), 2005
  • L. Chocomeli, Jakobiner und Jakobinismus in der Schweiz, 2006
  • E. Godel, Die Zentralschweiz in der Helvetik (1798-1803), 2009
Von der Redaktion ergänzt
  • Guzzi, Sandro: «Widerstand und Revolten gegen die Republik. Grundformen und Motive», in: Schluchter, André; Simon, Christian (Hg.): Helvetik – neue Ansätze. Referate des Helvetik-Kolloquiums vom 4. April 1992 in Basel, 1993, S. 84-104 (Itinera, 15).
  • Guzzi, Sandro: Logiche della rivolta rurale. Insurrezioni contro la Repubblica Elvetica nel Ticino meridionale (1798-1803), 1994.
  • Guzzi-Heeb, Sandro: «Logik des traditionalistischen Aufstandes. Revolten gegen die Helvetische Republik (1798-1803)», in: Historische Anthropologie, 9, 2001, S. 233-253.
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Andreas Fankhauser: "Helvetische Republik", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.01.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009797/2011-01-27/, konsultiert am 19.03.2024.