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Burgrecht

Das Wort Burgrecht bedeutete bei seiner ersten fassbaren Verwendung durch den St. Galler Mönch Notker den Deutschen um 1000 das römische Zivilrecht. Später bezeichnete es im oberdeutschen Raum auch die freie Erbzinsleihe und wohl auch das ortsbezogene Recht einer Burg oder Stadt. Vor allem im Gebiet der späteren Schweiz meint der Begriff Burgrecht dann aber vom 13. Jahrhundert an die von einer Stadt mit anderen Städten, Klöstern, Einzelpersonen (vor allem Adligen mit Herrschafts- und Besitzrechten) oder Personenverbänden (Korporationen) geschlossenen Bündnisse und Verträge, die eine Bürgerrechtsklausel enthalten. Diese Burgrechte konnten zeitlich unbefristet («ewig») oder befristet (und erneuerbar) sein. Der Bürgereid, mit dem die Aufnahme ins Bürgerrecht beschworen wurde, verlieh dem Burgrecht im Vergleich zu anderen Bündnissen ein besonderes Gewicht. Die Verburgrechteten kamen in den – zum Teil allerdings eingeschränkten – Genuss der stadtbürgerlichen Privilegien, vor allem des militärischen und gerichtlichen Schutzes sowie des Marktzugangs. Der Stadt brachte das Burgrecht zusätzliche Mannschaft, Einnahmen (Aufnahmegeld, Udel, Steuern), (schieds-)gerichtlichen Einfluss ausserhalb der Stadt und eine bessere Versorgung ihrer Märkte. Die Verteilung von Pflichten und Rechten in Burgrechtsverträgen spiegelt die Machtbeziehung zwischen den Parteien.

Die Grafen von Kyburg erneuern 1311 das 1301 mit Bern abgeschlossene Burgrecht. Illustration aus der Spiezer Chronik (1485) von Diebold Schilling (Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.I.16, S. 152).
Die Grafen von Kyburg erneuern 1311 das 1301 mit Bern abgeschlossene Burgrecht. Illustration aus der Spiezer Chronik (1485) von Diebold Schilling (Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.I.16, S. 152). […]

Neben der Eroberung, der Pfandschaft und dem Kauf wurde das Rechtsinstrument des Burgrechts von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ein in seiner Bedeutung spezifisch schweizerisches Mittel zum Aufbau von Territorialherrschaften. Da die Initiative zur Verburgrechtung nicht selten auch von den Burgrechtsnehmern, also von den Adelsherrschaften und Landschaften ausging, müssen diese als aktive Faktoren der städtischen Territorialbildung bezeichnet werden. Burg- und Landrechte waren oft der erste Schritt einer Beziehung, die von blosser Einflussnahme über «Protektoratsverhältnisse» bis zur staatlichen Integration einerseits, von der Stützung autonomer Strukturen bis zur Emanzipation von ehemaligen Herren andererseits führen konnte. Durch ihre besonders intensive Burgrechtspolitik band beispielsweise die Stadt Bern (Burgundische Eidgenossenschaft) fast alle Adligen, Klöster und (Land-)Städte der Umgebung an sich. Die Oberländer Landschaften Hasli und Saanen nutzten vorerst das Berner Burgrecht, um sich gegen die Weissenburger (Pfand-)Herren bzw. gegen die Grafen von Greyerz zu behaupten; sie wurden aber langfristig in den bernischen Staat integriert. Wie Bern drängte auch die Stadt Zürich umliegende Herrschaften und Stadtgemeinden in ihr Burgrecht und sicherte sich ein Vorkaufsrecht. Eine ähnliche Territorialpolitik verfolgten in abgeschwächter Form auch Luzern und Freiburg, während das Burgrecht für die Städte Basel und Solothurn eine unbedeutende Rolle spielte.

Eine Parallelerscheinung zur Aufnahme in das Burgrecht war die Aufnahme ins Landrecht eines Landsgemeindeorts. Die Landrechte hatten für die eidgenössischen Länderorte dieselbe Bedeutung wie die Burgrechte für die Städteorte. Auch die Aufnahme in das Landrecht konnte für die Berechtigten die Emanzipation von feudalen Herren und die (fast) gleichwertige Integration in den Landsgemeindeort bedeuten (Ursern in Uri, Arth in Schwyz). Sie vermochte ebenfalls autonome Strukturen gegen eine vorhandene Landesherrschaft zu stützen (Schwyz und Glarus standen der Landschaft Toggenburg gegen den Abt von St. Gallen bei), oder sie ersetzte bloss die alte Herrschaft durch die neue eines Länderorts (Leventina unter Uri, Talschaft Einsiedeln unter Schwyz).

Auch die Anbindung von Teilen der französischen Schweiz, der Nord- und der Ostschweiz an die Eidgenossenschaft, sei es als selbstständige Orte (Freiburg, Solothurn, Schaffhausen), als Untertanengebiete (Aargau, Waadt), als Zugewandte (Abtei und Stadt St. Gallen, Biel, Genf) oder Verbündete (Wallis, Drei Bünde), wurde durch Burg- und Landrechte eingeleitet. Im Westen lieferten Burgrechte mit Waadtländer Herren und der Stadt Lausanne (1525) Bern 1536 einen Vorwand zur Eroberung der Waadt. Über Burgrechte mit Bern und Freiburg waren die Herrschaft Valangin (1401, 1427), die Grafschaft und die Stadt Neuenburg (1406 bzw. 1408), Teile des Fürstbistums Basel (Biel mit dem Erguel 1344/1352, La Neuveville 1388) und Solothurn (1345) mit der Eidgenossenschaft verbunden. Die Propstei Moutier-Grandval stand mit den Städten Basel (1406), Solothurn (1462) und Bern (1486) im Burgrecht. Für die ab 1536 unabhängige Republik Genf waren die eidgenössischen Burgrechte (Freiburg 1519, Bern 1526) ein wichtiger Schritt zur Emanzipation vom Bischof und vom Herzog von Savoyen, der noch 1477 für sich und die Stadt Genf mit Bern und Freiburg ein Burgrecht geschlossen hatte. Die Stadt Neuenburg verteidigte mit Hilfe des Burgrechts mit Bern (1406) ihre Position gegen den Grafen von Neuenburg. Die Burg- und Landrechte eidgenössischer Orte (Luzern, Uri, Unterwalden) mit der Landschaft Wallis (1416/1417) hatten den Charakter bilateraler Verträge zwischen Gleichberechtigten. Im Osten sicherten Burgrechte mit eidgenössischen Orten (1403, 1411) Appenzells Emanzipation vom Abt von St. Gallen. Dieser selbst schloss 1451 ein ewiges Burg- und Landrecht mit Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus, das die Stellung der Fürstabtei als zugewandten Ort begründete. Die Stadt St. Gallen war ab 1412 mit eidgenössischen Orten verburgrechtet. Von 1339 an bestanden Burgrechte zwischen eidgenössischen Orten und einzelnen Mitgliedern der entstehenden Drei Bünde. Aber nicht alle der zahlreichen Burgrechte, welche vielfältig sich überlappende und zum Teil auch konkurrierende Beziehungsnetze bildeten, zeitigten langfristige, stabilisierende Wirkungen. Sie konnten auch Anlass zu Kriegen (Laupenkrieg 1339, Burgdorferkrieg 1384, Sempacherkrieg 1386, Alter Zürichkrieg 1440) und Krisen sein: Das Ewige Burgrecht von 1477 zwischen Zürich, Bern, Luzern, Freiburg und Solothurn brachte die achtörtige Eidgenossenschaft an den Rand der Spaltung in Städte- und Länderorte und musste 1481 wieder aufgelöst werden (Stanser Verkommnis).

Einzelne ins Burgrecht aufgenommene Personen hiessen Ausbürger oder Pfahlbürger, wenn sie grundsätzlich ausserhalb der betreffenden Stadt wohnhaft blieben. Wurden ganze Dörfer und Gemeinden zu Ausbürgern, so vermischten sich die Grenzen zwischen Ausbürgeraufnahme und Burgrechtserteilung. Vor allem die in Krisenzeiten erfolgten massenhaften Ausbürgeraufnahmen (v.a. Bern im 14. Jh., Luzern 1330-1386, Zürich 1351-1450) liefen oft parallel zu Burgrechten und dienten den gleichen territorialpolitischen Zwecken. Die von den Landbewohnern gesuchte und von den Städten geübte Praxis der individuellen Bürgeraufnahme von Hörigen als Aus- oder Pfahlbürger stiess auf grossen Widerstand der feudalen Herren, die dadurch ihren herrschaftlichen Zugriff verloren. Deshalb erliess das Reich erstmals 1231 und besonders scharf in der Goldenen Bulle von 1356 Verbote gegen Ausbürgeraufnahmen und Burgrechte. Diese liessen sich aber in der Eidgenossenschaft nicht durchsetzen. Die eidgenössischen Orte regelten unter sich lediglich, wer wo Ausbürger aufnehmen durfte.

Noch zur Zeit der Reformation verbanden sich einige eidgenössische und süddeutsche Städte zur Absicherung des neuen Glaubens durch sogenannte Christliche Burgrechte (1527-1531). Vom frühen 16. Jahrhundert an verloren die Burgrechte indes an Bedeutung, weil die Territorialbildung im Schweizer Raum weitgehend abgeschlossen war und weil nach der Reformation nicht nur die Christlichen Burgrechte, sondern auch eine ganze Reihe älterer Burgrechte aus konfessionellen Gründen aufgelöst wurden (1531 Bischof von Chur mit Zürich, 1534 Freiburg mit Genf). Nach der Eroberung der Waadt zwang Bern einige Städte (Payerne 1536, Avenches 1537, Lausanne 1538), ihre Burgrechte mit Freiburg zu kündigen. Gänzlich neue Burgrechte von Gewicht entstanden nicht mehr. Einige der alten wurden aber immer wieder erneuert und zum Teil modifiziert (z.B. Bern mit Genf 1558, Schwyz und Glarus mit dem Toggenburg 1703, Solothurn mit Neuenburg bis 1756, Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus mit der Abtei St. Gallen 1767, Bern mit der Propstei Moutier-Grandval bis 1774). Die alten Land- und Burgrechte wie auch Ausbürgerverhältnisse hatten für die Untertanen bei ländlichen Unruhen noch bis zum Ende des Ancien Régime eine legitimatorische Funktion (z.B. Wädenswil 1646, Toggenburg 1703-1712, Freiburger Chenaux-Handel 1781-1784, Stäfnerhandel 1794-1795).

Quellen und Literatur

  • HRG 1, 564 f.
  • C. Cuendet, Les traités de combourgeoisie en pays romands, 1979
  • G.P. Marchal, Sempach 1386, 1986, 109-225
  • P. Blickle, «Friede und Verfassung», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 1, 1990, 134-156
  • P. Bierbrauer, Freiheit und Gem. im Berner Oberland, 1300-1700, 1991, 93-108
  • E. Walder, Das Stanser Verkommnis, 1994
  • R. Gerber, Gott ist Burger zu Bern, 2001, 118-184, 402-420
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Würgler: "Burgrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.02.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009829/2005-02-16/, konsultiert am 19.03.2024.