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Schirmherrschaften

Schirmorte

Schirmherrschaften hiessen Gebiete, die dem Schutz eines oder mehrerer Schirmherren unterstellt waren. Im Rahmen der Eidgenossenschaft versteht man darunter in der Regel nur jene Gebiete, die langfristig auswärtigen Schirmherren unterstanden, nicht aber die Klöster, die unter der üblichen Schutzherrschaft (Kastvogtei) der Orte in deren Territorien (z.B. Einsiedeln in Schwyz, Interlaken in Bern) oder in den Gemeinen Herrschaften lagen (z.B. Pfäfers in Sargans, Muri in den Freien Ämtern). Schirmherren gewährten Herren, die sich wegen ihrer geringen Machtmittel oder wegen ihres geistlichen Standes nicht selbst zu schützen vermochten, in politischer und rechtlicher Hinsicht Schutz und Schirm. Sie erwarteten dafür Treue und Gehorsam, Truppen und eventuell Abgaben (Schirmgeld).

In der komplex zusammengesetzten alten Eidgenossenschaft waren die Schirmherrschaften ab dem Spätmittelalter unterschiedlich ausgeprägt. Sie konnten zwar mehr Selbstverwaltung praktizieren als die gemeinen Herrschaften, aber weniger als die zugewandten Orte, wiewohl sie oft im nämlichen Rechtsverhältnis zu den eidgenössischen Orten standen (z.B. Burgrecht). Zu diesen Schirmherrschaften gehörten ausser geistlichen Territorien auch Städte, Dörfer, Herrschaften und Landschaften. Die Schirmherrschaft von Schwyz über Zug 1365-1404 oder der Eidgenossen über das Herzogtum Mailand 1512-1515 blieb Episode, der sogenannte eidgenössische Schirm für die Waldstädte, das Fricktal, Konstanz, das südliche Elsass oder die Freigrafschaft Burgund beschränkte sich auf meist befristeten militärischen Beistand ohne herrschaftliche Komponente.

Die Zahl und Zusammensetzung der Schirmherren der einzelnen Schirmherrschaften waren verschieden, ebenso die rechtlichen Grundlagen, auf die sich das Schutzverhältnis stützte. Besonders kompliziert lagen die Verhältnisse im Fall der Fürstabtei St. Gallen, die einerseits zugewandter Ort der Eidgenossenschaft war und als solcher einen ab 1667 sogar verbrieften Sitz an der Tagsatzung einnahm. Andererseits wurde sie mit dem Schirmvertrag von 1451 den Schirmorten Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus unterstellt, die ab 1479 auch den vom Abt zu besoldenden Schirmhauptmann (Landeshauptmann) mit Sitz in Wil bestimmten. Das später konfessionell gemischte Toggenburg war ab 1468 ebenfalls ein Teil des fürstäbtischen Untertanengebiets und zudem ab 1436 Schirmherrschaft von Schwyz und Glarus bzw. ab 1718 von Zürich und Bern.

Schirmherrschaften der Eidgenossenschaft

Schirmherrschaft (Status)ZeitraumSchirmherrenRechtsgrundlage
Gersau (Republik)1359-1798LU UR SZ UWBündnis
Engelberg (Abtei)1386-1798LU SZ OW NWRechtsnachfolge
La Neuveville (Stadt)1388-1798BEBurgrecht
Erguel (Landschaft)1395-1797BielMannschaftsrecht
Bellelay (Abtei)1414-1797SO BE (bis 1528)Burgrecht
Muri (Kloster)1415-1798ZH LU SZ UW ZG GL UR (ab 1549) BE (ab 1712)Rechtsnachfolge
Wettingen (Kloster)1415-1798ZH LU SZ UW ZG GL UR (ab 1549) BE (ab 1712)Rechtsnachfolge
Toggenburg (Landschaft)1436-1718SZ GLLandrecht
 1718-1798ZH BESchirmbündnis
Le Landeron (Stadt)1449-1783SOBurgrecht
St. Gallen (Fürstabtei)1451-1798ZH LU SZ GL1451 Bündnis, 1479 Schirmvertrag
Rapperswil (Stadt)1464-1712UR SZ UW GLSchirmbündnis
 1712-1798ZH BE evangelisch GLSchirmbündnis
Stein am Rhein (Stadt)1484-1798ZHSchirmbündnis
Moutier-Grandval (Propstei, später Herrschaft)1486-1798BEBurgrecht
Haldenstein (Herrschaft)1541-1798ZH LU UR SZ UW ZG GLSchirmvertrag
Schirmherrschaften der Eidgenossenschaft -  Zusammenstellung Andreas Würgler

Die Beziehungen zwischen Schirmherren und Schirmorten entwickelten sich tendenziell so wie im Fall Rapperswil. Waren die Bürger der Stadt im ersten Schirmbündnis 1464 noch als «weise und gute Freunde» angesprochen worden, so straften sie die Schirmherren Uri, Schwyz, Unterwalden und Glarus für die Hinwendung zur Reformation 1532 mit einer Einschränkung der Selbstständigkeit (Eingriff in Ratswahl und innere Konflikte, Appellation an Schirmherren) und verlangten, künftig als «Herren» (im 18. Jh als «gnädige Herren») tituliert zu werden. Auch die neuen Herren ab 1712, Zürich, Bern und Evangelisch-Glarus, schränkten die anfänglich gewährten Spielräume bald wieder ein. So war Rapperswil schliesslich dem Status einer gemeinen Herrschaft näher als dem eines zugewandten Orts. Ähnlich erging es der kleinen rechtsrheinischen Reichsstadt Stein am Rhein, die sich 1484 in Zürichs Schirm begeben hatte und nach lang andauernden Spannungen 1784 von Zürcher Truppen besetzt wurde. Die Helvetische Revolution setzte 1798 den Schirmherrschaften ein Ende.

Quellen und Literatur

  • EA 1-8
  • A. Niethammer, Das Vormauernsystem an der eidg. Nordgrenze, 1944
  • HRG 4, 1413, 1525-1529; 5, 931-946
  • HbSG 2, 752
  • LexMA 7, 1594 f.
  • GKZ 2, 404 f.
  • SGGesch. 3, 39-43, 176-184
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Würgler: "Schirmherrschaften", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.10.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009830/2012-10-18/, konsultiert am 28.03.2024.