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Reichsprivilegien

Im weitesten Sinn des Worts sind Privilegien Rechtsbegünstigungen für einen Einzelempfänger, also immer Sonderrecht. Sie wurden vornehmlich, aber keineswegs ausschliesslich von den beiden höchsten Gewalten, Kaiser und Papst, erteilt und spielten während des ganzen Mittelalters bis weit in die Neuzeit hinein im Rechtsleben eine zentrale Rolle.

Gesandte von Zürich und Bern lassen sich von König Sigismund ihre alten Freiheiten bestätigen. Abbildung aus der Spiezer Chronik (1485) von Diebold Schilling (Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.I.16, S. 588).
Gesandte von Zürich und Bern lassen sich von König Sigismund ihre alten Freiheiten bestätigen. Abbildung aus der Spiezer Chronik (1485) von Diebold Schilling (Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.I.16, S. 588). […]

Im Heiligen Römischen Reich des Mittelalters gründete die Herrschaft in reichsunmittelbaren Städten und Landkommunen letztlich auf der Rechtsverleihung des Königs, d.h. auf Reichs- oder Königsprivilegien. Für die Entwicklung der dreizehn eidgenössischen Orte waren diese sogenannten frijheiten des Spätmittelalters entscheidend. Die ungleich bekannteren Bundesbriefe hatten daneben nur subsidiäre Wirkung; gemeinsames Vorgehen vermochte die Macht zu stärken, hatte aber keine legitimierende Kraft. Durch die Verleihung der Reichsunmittelbarkeit und die Anerkennung der örtlichen Gerichtsbarkeit unter Befreiung von fremden Gerichten sowie durch das Recht, die Regalien (königliche Hoheitsrechte wie Steuer, Geleit und Zoll, Münzprägung, Truppenaufgebot) auszuüben und Herrschaftsgebiete zu erwerben, wurden die einzelnen Orte gegenüber den Fürsten aufgewertet. Zudem war es ihnen möglich, auf dieser Rechtsgrundlage in langwierigem Bemühen die Herrschaft über ein geschlossenes Territorium aufzubauen. Die Erteilung solcher frijheiten setzte ein gewisses Interesse des Königs für den Rechtsempfänger voraus (z.B. strategische Lage, finanzielles Aufkommen, militärische Macht), hing somit auch von politischen Situationen ab – Ludwig der Bayer stellte die Privilegien für Uri, Schwyz und Unterwalden 1316 im Hinblick auf den Gegenkönig Friedrich den Schönen aus, Karl IV. jene für Zürich 1362 und Sigismund jene für Bern 1415 im Hinblick auf die jeweiligen habsburgischen Rivalen – und bedingte meist Gegenleistungen (Privilegien gegen Reichsdienst). Die Verleihung von Reichsprivilegien war ein Gnadenakt, der von jedem nachfolgenden König wiederholt werden musste und auf den ab dem 15. Jahrhundert auch die Kurfürsten Einfluss nahmen. Eine Stadt oder ein Land konnte durch Verpfändung vorübergehend oder dauernd die Reichsunmittelbarkeit und in der Folge meist auch die Reichsprivilegien verlieren (z.B. Rheinfelden 1330). Die eidgenössischen Orte liessen sich deshalb die frijheiten von jedem neu gewählten König bestätigen, manchmal sogar ein zweites Mal bei dessen Aufstieg ins Kaisertum (z.B. Zürich 1433). In den Archiven der Reichsstädte Bern und Zürich befinden sich lückenlose Reihen von Bestätigungsurkunden vom 13. bis ins 16. Jahrhundert.

Die Einbindung der eidgenössischen Orte ins Reich liess in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts merklich nach, um die Bestätigung ihrer Reichsprivilegien bemühten sie sich aber weiterhin (z.B. 1521 Zürich, 1559 letztmals sämtliche Orte). Mit dem Westfälischen Frieden 1648 trennten sich die Orte vom Reich und liessen in der Folge auch die Privilegien nicht mehr bestätigen. Statt der herkömmlichen Rechtsgrundlage beriefen sie sich nunmehr auf die göttliche Einsetzung der Obrigkeit. Letzte Reste der Herleitung einzelörtischer Staatlichkeit vom Reich verschwanden aber erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts und endgültig mit dem Untergang der alten Eidgenossenschaft.

Quellen und Literatur

  • HRG 3, 1999-2005
  • K. Mommsen, Eidgenossen, Kaiser und Reich, 1958
  • H.C. Peyer, Verfassungsgesch. der alten Schweiz, 1978
  • LexMA 7, 224-228
  • B. Stettler, Die Eidgenossenschaft im 15. Jh., 2004
Weblinks

Zitiervorschlag

Bernhard Stettler: "Reichsprivilegien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.04.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009833/2010-04-22/, konsultiert am 13.04.2024.