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Fürstentümer

Der moderne Gattungsbegriff Fürstentum bezeichnet das Herrschaftsgebiet von Fürsten (Principes). Fürstlich wird seit dem Frühmittelalter neben den Herrschern selbst (Kaiser, Könige) auch die höchste Schicht des Adels genannt, die aus Herzögen oder Gleichgestellten (Markgrafen, Landgrafen) bestand. Im Heiligen Römischen Reich bildete sich aus diesen weltlichen Fürsten bis 1180 der Reichsfürstenstand heraus, zu dem nach dem Investiturstreit auch die geistlichen Fürsten (Erzbischöfe, Bischöfe, Reichsäbte) gehörten. Die Reichsfürsten (Principes Sancti Romani Imperii) erhielten ihre Reichslehen direkt vom Kaiser (Reichsunmittelbarkeit), besassen wie die Reichsstädte auf dem Reichstag Sitz und Stimme und übten in ihren Territorien die Landeshoheit aus. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 brachte das Ende fast aller geistlichen und vieler weltlichen Reichsfürstentümer. Diejenigen, die sich noch behaupten konnten, schlossen sich 1815 im Deutschen Bund zusammen. Dazu gehörte auch das Fürstentum Liechtenstein; erst 1719 zum Reichsfürstentum erhoben, konnte es wegen seiner peripheren Lage zwischen der Schweiz und Österreich das Ende des Heiligen Römischen Reiches (1806) und des Deutschen Bundes (1866) überleben und sich als souveräner, seit dem Ersten Weltkrieg mit der Schweiz eng verbundener Staat behaupten.

Ausserhalb des Heiligen Römischen Reiches bezeichneten Fürstentum und Fürsten Unterschiedliches. In Italien schufen ab dem 14. Jahrhundert lokale Machthaber im Kampf gegen die Kommunen grossräumige Territorialherrschafen und eigene Dynastien, wie etwa die Visconti in Mailand. Die Päpste und die Könige von Neapel vergaben ab der Renaissance den Fürstentitel an Adlige. In Frankreich hiessen ab dem 16. Jahrhundert die engsten Verwandten des Königs, sofern sie in männlicher Linie von Ludwig dem Heiligen abstammten, Princes du Sang. Sie besassen aber keine eigenen Herrschaftsgebiete.

Die republikanische Tradition der Eidgenossenschaft lässt oft vergessen, dass einige Teile der heutigen Schweiz bis ins 19. Jahrhundert Fürstentümer waren oder zu ausländischen Fürstentümern gehörten. Zu den frühesten Fürstentümern zählten im Mittelalter die Herrschaftsgebiete der Herzöge von Zähringen (12. Jh.), der Grafen von Savoyen, der zu Herzögen von Österreich aufgestiegenen Habsburger sowie in der Südschweiz der Herzog von Mailand. Neben diesen weltlichen Fürsten gelang es einigen geistlichen Fürsten, so den Bischöfen von Genf, Lausanne, Sitten, Basel, Konstanz und Chur sowie den Äbten von St. Gallen, Disentis, Pfäfers und der Äbtissin von Fraumünster in Zürich, im Hoch- und Spätmittelalter eigene Herrschaftsgebiete aufzubauen.

Die Eidgenossenschaft, die einzelnen Orte und ihre Verbündeten waren vom 14. bis ins 16. Jahrhundert im Zuge der Territorialbildung bestrebt, das Entstehen von Fürstentümern in ihrem Einflussbereich zu verhindern und sich bestehende Fürstentümer ganz oder teilweise einzuverleiben. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts waren bis auf wenige Reste die Habsburger (1415 Eroberung des Aargaus, 1460 des Thurgaus), die Mailänder (1516 Ewiger Frieden) und die Savoyer (1536 Eroberung der Waadt) vom Gebiet der heutigen Schweiz verdrängt. Nachdem schon im Spätmittelalter die Herrschaft der Klöster Pfäfers, Disentis und Fraumünster zu Ende gegangen war, brachte die Reformation die Fürstbistümer Lausanne und Genf vollständig und Chur weitgehend zum Verschwinden. 1634 musste der Fürstbischof von Sitten zugunsten der Walliser Zenden auf die Landeshoheit verzichten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestanden im Gebiet der heutigen Schweiz noch vier geistliche Fürstentümer: das Fürstbistum Basel, die Fürstabtei St. Gallen sowie die beiden Kleinstterritorien der Fürstbischöfe von Konstanz (mit Besitzungen im Thurgau) und von Chur. Daneben gab es eine Reihe von geistlichen Fürsten ohne Landeshoheit (Titularfürsten), wie die Bischöfe von Lausanne und Sitten, die Äbte von Disentis, Einsiedeln, Pfäfers, Muri (ab 1701) und die Fürstäbtissin von Schänis.

"Entrée solennelle de S. M. Frédéric Guillaume III Roi de Prusse et de S. A. R. le Prince Vilhelm (second fils du Roi) dans la Ville de Neuchâtel le 12 juillet 1814". Radierung von Charles Samuel Girardet (Musée d'art et d'histoire Neuchâtel).
"Entrée solennelle de S. M. Frédéric Guillaume III Roi de Prusse et de S. A. R. le Prince Vilhelm (second fils du Roi) dans la Ville de Neuchâtel le 12 juillet 1814". Radierung von Charles Samuel Girardet (Musée d'art et d'histoire Neuchâtel). […]

Ein Sonderfall ist das frühneuzeitliche Fürstentum Neuenburg, das kein Reichsfürstentum war. Ab den 1640er Jahren nannte sich der Graf von Neuenburg und Valangin (selbst ein französischer Prince du Sang), Henri II d'Orléans-Longueville, Fürst von Neuenburg, nachdem sich sein Grossvater Léonor bereits im 16. Jahrhundert als Comte souverain de Neuchâtel en Suisse bezeichnet hatte. Das Fürstentum fiel 1707 an die preussischen Könige und 1806 an den napoleonischen Marschall Louis-Alexandre Berthier. Von 1815 bis 1848 war Neuenburg zugleich eidgenössischer Kanton und preussisches Fürstentum. Diese Zwitterstellung fand zwar mit der Revolution von 1848 de facto ein Ende, wurde aber de jure erst mit dem Neuenburgerhandel von 1857 sowohl nach öffentlichem als auch internationalem Recht geregelt.

Quellen und Literatur

  • LexMA 4, 1029-38
  • Dizionario di storia, 1993, 1023
  • Dictionnaire de l'Ancien Régime, hg. von L. Bely, 1996, 1018 f.
Weblinks

Zitiervorschlag

Marco Jorio: "Fürstentümer", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.08.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009920/2010-08-12/, konsultiert am 09.02.2025.