de fr it

Republik

Der Begriff Republik geht auf das lateinische res publica (wörtlich: öffentliche Sache) zurück und bezeichnet das Gemeinwesen als Angelegenheit derer, die sich unter gleichem Recht und zu gemeinem Nutzen zusammenschliessen. Erst in der frühen Neuzeit (Niccolò Machiavelli, Jean Bodin, Montesquieu) wurde die Gegenüberstellung von Monarchie und Republik als Frei- und Bürgerstaat üblich. Für Jean-Jacques Rousseau brachte die Republik als Gesetzesherrschaft den allgemeinen Willen zum Ausdruck; seiner Auffassung nach konnten einzig Regierungen republikanisch verfasster Staaten Legitimität für sich beanspruchen. Der Begriff Republik ist aber stets vieldeutig geblieben, ebenso der Terminus Republikanismus als vom Liberalismus zu unterscheidende freiheitliche Geisteshaltung.

Frühe Neuzeit

Vom Spätmittelalter an gab es Polemik von Eidgenossen gegen den Adel, die «grossen Herren» und Fürsten (Fürstentümer); diese war aber zumeist nicht generell, sondern konkret – zum Beispiel gegen die Habsburger – und weniger staatstheoretisch begründet als auf der Spannung zwischen adligem und bürgerlich-bäuerlichem Habitus beruhend. Das Wort Republik breitete sich im Deutschen erst ab dem 17. Jahrhundert als französisches Lehnwort in unterschiedlicher Schreibweise zur Bezeichnung der meisten Kantone aus, trat allerdings nie exklusiv auf. Es brachte die Souveränität gegen äussere Mächte zum Ausdruck (Genf gegen Savoyen 1603), den Ersatz einer monarchischen durch eine ständische Verfassung (die Walliser Zenden gegen den Fürstbischof von Sitten 1628) sowie ab 1648 auch die Exemtion vom Reich. Republik wurde herrschaftlich verstanden (z.B. Seigneurie et République de Genève), als absolutistische Aristokratie von Gottes Gnaden, zum Teil ausdrücklich als Gegensatz zu Demokratie (Wallis 1657). Auch deshalb erfolgte die Rezeption zuerst in den grossen, aristokratischen und reformierten Orten von Westen her (Bern) und nur ansatzweise in den katholischen Landsgemeindekantonen. Eine Ausnahme stellte der Gotteshausbund dar, der sich 1700 als kleine Souvraine Democratische Republic begriff. Repräsentiert wurde die Republik durch Rekurs auf antike Helden, die Befreiungstradition und die internationale Symbolsprache der Souveränität, deren Gebrauch Venedig und die Niederlande vorexerzierten.

Republik meinte die volle völkerrechtliche Souveränität und die hierarchische, aber auf Wahlen beruhende Verfassung als Aristokratie oder Demokratie. Wer nicht souverän war, dem wurde der Titel verweigert, so 1610 der Stadt Neuenburg durch den Fürsten. Der Begriff bezeichnete ursprünglich nur die Regierung selbst, den Staat mit oder ohne Grossen Rat. Im 18. Jahrhundert forderten Bürgerschaft und unterbürgerliche Schichten zunehmend Anteil an der Souveränität und damit an der Republik (Ländliche Unruhen, Städtische Unruhen) ein.

Vorder- und Rückseite eines Sechzehnerpfennigs von Bern. Silbermünze nach einer Gravur von Jean Dassier, 1742 (Bernisches Historisches Museum, Inv. 54.439)
Vorder- und Rückseite eines Sechzehnerpfennigs von Bern. Silbermünze nach einer Gravur von Jean Dassier, 1742 (Bernisches Historisches Museum, Inv. 54.439) […]

Als Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Republik wurde in der Aufklärung anstelle von ererbten ständischen Vorrechten immer öfter die politische Tugend genannt, die durch Bildung erwerbbare Fähigkeit der freiwilligen Pflichterfüllung. Seit Beat Ludwig von Muralt wurde dabei die Sitteneinfalt des schweizerischen Alpenvolks dem höfisch-französischen Luxus gegenübergestellt, später auch der Korruption und dem Eigennutzen der regimentsfähigen Familien. Im Geist Rousseaus entwickelte Johann Jakob Bodmer (1698-1783) seine historisch begründete, radikal-politische Zivilisationskritik, während Isaak Iselin (1728-1782) einen fortschrittsorientierten, philanthropischen Kosmopolitismus vertrat, in dem auch kommerzielle Wohlstandsmehrung über die Förderung der Wissenschaften zu policirter Tugend des Bürgers und damit zu republikanischer Freiheit führen konnte. Dieser Tugenddiskurs war besonders bei Agrarreformen wichtig, durch die es das republikanische Ideal der Autarkie mit kommerzieller Marktorientierung zu vereinen galt. Entsprechend war die Pädagogik eines Johann Heinrich Pestalozzi auf die Erziehung von Republikanern ausgerichtet, die unter Nachahmung der wehrhaften Vorfahren und über die Konfessionsgrenzen hinweg dem Vaterland dienen sollten. Ähnliche Ideale wurden auch von der Helvetischen Gesellschaft propagiert.

Allegorie der Republik Zürich. Deckenmalerei im Festsaal des Zürcher Rathauses von Hans Jakob Schärer, 1697-1699 (Fotografie Kantonale Denkmalpflege Zürich).
Allegorie der Republik Zürich. Deckenmalerei im Festsaal des Zürcher Rathauses von Hans Jakob Schärer, 1697-1699 (Fotografie Kantonale Denkmalpflege Zürich). […]

Als Bezeichnung für die gesamte Eidgenossenschaft betonte der Begriff Republik die völkerrechtliche Souveränität. Der Ausdruck wurde so zuerst von ausländischen Mächten – zum Beispiel während der westfälischen Friedensverhandlungen 1647 – verwendet und tauchte im 18. Jahrhundert neben dem mehrheitlich gebrauchten Terminus «Eidgenossenschaft» auch in der Schweiz vereinzelt auf, etwa in der von Johann Jacob Leu besorgten Ausgabe von Josias Simmlers «Von dem Regiment der Loblichen Eydgenossschaft» von 1722. Von Montesquieu bezog Johannes von Müller Republique fédérative 1775 auf die Eidgenossenschaft und 1788 auf das Reich, analog zur theoretischen Beschreibung als systema civitatum (im Gefolge Samuel von Pufendorfs für das Reich, aber auch für die Eidgenossenschaft, so 1721 Johann Rudolf von Waldkirch). Im Kontakt mit den jungen USA entstand die – 1778 von Jean-Rodolphe Vautravers erstmals formulierte – Vorstellung von den zwei Sister Republics.

19. und 20. Jahrhundert

In der Revolutionszeit signalisierte der Titel Republik (z.B. Raurachische Republik) zuerst den Bruch mit dem Ancien Régime, führte dann aber zur Integration als «Schwesterrepublik» in den französischen Nationalstaat. Analog wurden 1798 beispielsweise die Waadt als Lemanische Republik oder das Fürstenland als Freie Republik der Landschaft St. Gallen zuerst unabhängig, um wenige Wochen später in der Helvetischen Republik aufzugehen. Mit der Helvetischen Republik wurde das moderne französische Verständnis des «einen und unteilbaren» Einheitsstaats ohne monarchisches Haupt übernommen. Naturrechtliche Gleichheit und Volkssouveränität im zentralistischen Nationalstaat waren die Grundlage des neuen Republikverständnisses, während die föderalistischen Gegner der Helvetik die traditionelle Republik als herrschaftliche Vorrechte Privilegierter in einem Bund souveräner Kleinstaaten verteidigten.

Diese beiden unterschiedlichen Definitionen des Begriffs charakterisierten die innenpolitischen Verfassungskonflikte bis 1848. In den Anfängen der Helvetik explizit und später implizit gab es die Gruppierung der Republikaner, die zwischen den konservativen Föderalisten (Aristokraten) und den radikalen Patrioten standen, sich aber zur Aufklärung und zum nationalen Einheitsstaat (Unitarier) bekannten. Orientierungspunkte bildeten nicht Rousseau bzw. dessen direktdemokratischer Jakobinismus, sondern Montesquieu, die englische Verfassung und die gemässigte Phase der Französischen Revolution. Die Befürworter einer solchen Repräsentativverfassung waren vor allem Bildungsbürger aus den Haupt- und Munizipalstädten.

Der problematische Kerngehalt des Begriffs Republik in der Regeneration war die aktive Partizipation der Bürger an der Regierung, wie sie in den zumeist konservativen Landsgemeindekantonen noch möglich war. Diese Partizipation war durch den Zentralismus gefährdet, gegen den neue direktdemokratische Instrumente (Veto) entwickelt wurden. Rahmen der Politik blieb nach Jeremias Gotthelfs «ächtem republikanischen Sinn» die kollektive christliche Tugend, die gegen den individualistischen liberalen Laizismus verteidigt wurde. Dieses konservative Konzept der Republik betonte die kantonale Souveränität und die Legitimation von Herrschaft durch Gott. Die von den Liberalen geforderte Übertragung der Souveränität vom Kanton auf die Nation verlangte dagegen anstelle direkter Partizipation Repräsentanten, weshalb Liberale ihrerseits die Öffentlichkeit – und damit die Pressefreiheit – zur Voraussetzung der freistaatlichen Partizipation erklärten. Langfristig gelang es den ländlichen Liberalen, die republikanische Freiheitstradition für ihr Reformprogramm geltend und damit mehrheitsfähig zu machen: Gemeindebürgertum als Voraussetzung des nationalen Staatsbürgertums, Autarkie durch Besitz als Vorstufe zum Mehrerwerb durch Privateigentum. Resultat dieser semantischen Kombination von «liberté des anciens» und «liberté des modernes» (Benjamin Constant) war die «staatliche Volksgemeinde», wie sie Ludwig Snell im «Schweizerischen Republikaner» nannte.

«Die Republik Genf». Öl auf Holz von Jean-Pierre Saint-Ours, 1794 (Musée d'art et d'histoire Genève, no inv. 1985-0240).
«Die Republik Genf». Öl auf Holz von Jean-Pierre Saint-Ours, 1794 (Musée d'art et d'histoire Genève, no inv. 1985-0240). […]

Während Snell die Volkssouveränität im Rousseau'schen Sinn auch als Recht auf Revolution definierte, orientierte sich Ignaz Paul Vital Troxler am amerikanischen Anliegen der Gewaltenteilung, als er den Bikameralismus als «republikanischen Föderalismus» und damit als Modell für den Bundesstaat präsentierte. Auf dieser Grundlage garantierte die Bundesverfassung von 1848 die Kantonsverfassungen – mit implizitem Vorbehalt gegen Neuenburg – unter der Bedingung, dass sie republikanisch waren, und zwar entweder (direkt)demokratisch oder repräsentativ (Artikel 6b). 1815 hatten einige alte Orte auf die herkömmliche Staatsbezeichnung «Stadt und Republik» zurückgegriffen (z.B. Bern); sie gaben diese aber in der Regeneration zugunsten von «Kanton» wieder preis, wohl weil eine solche Reihung die hierarchische Überordnung der Stadt zum Ausdruck brachte. Dagegen wählten die neuen Kantone der lateinischen Schweiz den offiziellen Titel Republik, der sich bis heute für Genf, Neuenburg und das Tessin erhalten hat. Republik artikuliert die frühere oder neu erworbene Eigenstaatlichkeit, wogegen die Begriffe Kanton und Stand die Gliedstaatlichkeit im eidgenössischen Bund akzentuieren. Im Fall der République et Canton de Neuchâtel kam zudem der konstitutionelle Wandel von einem preussischen Fürstentum zu einem souveränen Glied der Eidgenossenschaft zum Ausdruck.

Die aussenpolitischen Konflikte der Schweiz wurden bis 1871 im Bewusstsein ausgefochten, dass in einer monarchisch dominierten Umwelt die einzige Republik Europas auf dem Spiel stand. Angesichts von Verfassungsstreitigkeiten in anderen Staaten setzten sich allerdings die Liberalen in der Schweiz gegen die Radikalen um Jakob Stämpfli durch und vertraten eine unideologische Neutralitätspolitik, in der die republikanische Verfassung nicht mit universalistischen Prinzipien begründet wurde, sondern als historische Eigenheit der Schweiz, die einen Sonderfall darstelle. Diese Sichtweise erleichterte es auch den konservativen Verlierern von 1848, die Republik als eidgenössische Gemeinsamkeit zu verstehen. Seit der Verfassung von 1874 vereinte diese Republik direktdemokratische und repräsentative Elemente in einer bürgernahen, «genossenschaftlichen» Alternative zu den nationalistischen Massengesellschaften monarchischer oder parlamentarischer Prägung; der Preis für diese nachhaltig erfolgreiche Verbindung des alten, partizipativen Republikanismus mit dem neuen liberalen, naturrechtlichen bildete ein in einzelnen Bereichen eher pragmatisch-offenes als systematisch-konsistentes Verfassungsrecht. Angesichts der deutschen Dominanz, der französischen Dritten Republik und der Deutschtümelei in Teilen der Deutschschweizer Eliten nach 1871 war die republikanische Tradition für die Westschweizer besonders attraktiv. Ebenso reklamierten die Anhänger einer nationalen Miliz- bzw. Volksarmee von souveränen Bürgern – 1874 war die Wehrpflicht zur inviduellen Verpflichtung erhoben worden – die Republik als «Soldatenstaat» gegen den bellizistischen Militarismus der preussisch inspirierten Neuen Richtung um Ulrich Wille.

Mit dem Sturz der Monarchien wurde die Republik ab 1918 von der Ausnahme zum europäischen Regelfall. Im umfassenderen Sinn blieb der Republikanismus im 20. Jahrhundert in einem latenten Spannungsverhältnis zum Liberalismus eine wichtige schweizerische Freiheitstradition. Charakteristisch für ihn waren der Föderalismus, das Milizsystem, die Bindung der politischen Partizipation an wehrdienstfähige und autarke Familienoberhäupter (was die späte Einführung von Frauenstimmrecht und Zivildienst erklärt), das kommunale Bürgerrecht, das Plebiszite über Einbürgerungen einschloss, die Vorrangstellung der direkten Demokratie vor Rechtsprozeduren (kein Verfassungsgerichtshof, Skepsis gegenüber dem Völkerrecht), der nationale Partikularismus (Ablehnung von universalistischen Anschauungen und supranationalen Institutionen) sowie eine historisch begründete, patriotische Zivilreligion (Bauernstaatsideologie, Rekurs auf 1291 statt 1848). Träger solcher republikanischer Werte war lange der Mittelstand, der gegen die Linke die Eigentumsrechte als Grundlage politischer Wirksamkeit hochhielt, aber aus moralischen Gründen gegen den schrankenlosen Kapitalismus einen moderaten Egalitarismus vertrat. Der antimodernistische Rekurs auf Land und Volksgemeinschaft bleibt weiter greifbar, ebenso republikanische Tugendappelle gegen gesellschaftliche Veränderungen wie die Globalisierung. Eine xenophobe Abgrenzung der nationalen Gesinnung kann dazugehören («Republikanische Blätter», Republikanische Partei von James Schwarzenbach), aber auch eine innenpolitische gegen Parteien (Frontenbewegung, Nationalsozialisten, Kommunistische Partei), welche gemäss einer moralischen Argumentation die republikanischen Werte Freiheit und Gleichheit nicht teilen. So bleibt der Appell an die Republik als Bürgergemeinschaft und an ihre Werte bis in die Gegenwart ein Integrationsfaktor für eine uneinheitliche Nation.

Quellen und Literatur

  • Zeichen der Freiheit, Ausstellungskat. Bern, 1991
  • A. Kölz, Neuere schweiz. Verfassungsgesch., 1992
  • Die Schweiz 1798-1998, 4 Bde., 1998
  • Republikan. Tugend, hg. von M. Böhler, 2000
  • B. Weinmann, Eine andere Bürgergesellschaft, 2002
  • T. Maissen, Die Geburt der Republic, 2006
Weblinks

Zitiervorschlag

Thomas Maissen: "Republik", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009925/2011-12-23/, konsultiert am 19.03.2024.