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Nutzungskonflikte

Als Nutzungskonflikte werden in der Historiografie Konflikte um natürliche Ressourcen wie Weiden, Wälder, Feuchtgebiete, Alpen oder Gewässer bezeichnet, die gewöhnlich nicht in dauerhaftem Individualbesitz standen, sondern im Gemeinschaftsbesitz eines oder mehrerer Siedlungsverbände (Genossenschaft) waren oder noch eine Art Niemandsland – eventuell in herrschaftlichem Obereigentum – darstellten. Nutzungskonflikte waren vom Mittelalter bis zu den Allmendteilungen im 19. Jahrhundert weit verbreitet, in jeder Ortsgeschichte finden sich meist mehrere Beispiele dafür. Einzelne Konflikte sind lokalhistorisch gut aufgearbeitet; hingegen sind sozialhistorische Studien, welche die Thematik aus einer übergeordneten Perspektive angehen, rar.

Das Pfäffikerried. Plan von Johannes Müller, 1771 (Staatsarchiv Zürich, Plan B 70).
Das Pfäffikerried. Plan von Johannes Müller, 1771 (Staatsarchiv Zürich, Plan B 70). […]

Die grosse Häufigkeit der Nutzungskonflikte ist eine Folge des hohen Stellenwerts des kollektiven Landbesitzes und der kollektiven Nutzungsrechte in der traditionellen Agrargesellschaft. Das meiste Land ausserhalb des Kulturlandes war im Dorfgebiet im Besitz der Dorfgemeinschaft oder grösserer Nutzungsverbände. Sobald diese gemeinschaftlichen Landressourcen knapp wurden, brauchte es Regeln für die Nutzung. Innerhalb der Dörfer entstanden oft Konflikte, weil die Interessen der Dorfbewohner je nach Grösse und Zusammensetzung des Besitzes variierten und sich zum Teil widersprachen. Die grossen Viehbesitzer waren meistens interessiert, die offene Allmend möglichst uneingeschränkt als Viehweide nutzen zu können, während die viehlose Dorfbevölkerung auf der Allmend Getreide, Gemüse und im 18. Jahrhundert Kartoffeln anpflanzen wollte. Konfliktfördernd wirkte sich auch die ursprünglich in allen Agrarzonen verbreitete Überlagerung der Nutzungsrechte aus: Getreideäcker und Mähwiesen mussten nach der Ernte für den Weidgang des Dorfviehs geöffnet werden. Auf den Alpweiden gab es "fremde" Weg-, Tränk-, Schneeflucht-, Vor- und Nachweiderechte (Alprechte), deren genauer Inhalt immer wieder Anlass zu Streitigkeiten gab. Waren die Konflikte einmal geschlichtet, so waren die Lösungen oft nicht dauerhaft, weil Nutzungsrechte und Grenzen nicht genug präzis umschrieben wurden. Dies konnte später zu neuen Auseinandersetzungen führen.

Als Typologie der Nutzungskonflikte drängt sich eine nach den Trägern der Konflikte auf:

Zwischen Untertanen und Herrschaft:

Lokale Adlige hatten in der Regel selbst grosse landwirtschaftliche Betriebe (Eigenwirtschaften) und waren deshalb an Weidgang und Holz interessiert. Die verstärkte Rezeption des römischen Rechts und die Intensivierung der Herrschaft in der frühen Neuzeit führten dazu, dass die Landesherren ein herrschaftliches Obereigentum an allem Allmendland beanspruchten (Eigentum). Gestützt auf das ius domini erhoben sie Bodenzinse für Einschläge und setzten – in der Schweiz eher selten – eine aktive Mitnutzung durch.

Zwischen benachbarten Siedlungsverbänden:

Diese rührten daher, dass Weiden, Wälder und Alpen ursprünglich von den benachbarten Siedlungen gemeinsam genutzt wurden. Konflikte führten zur Ausscheidung von Nutzungszonen, sich überlagernde Nutzungen blieben aber an den meisten Orten erhalten. Nachbardörfer hatten oft gemeinsame Weiderechte auf Zelgen im Grenzgebiet. Streit entstand, wenn das eine Dorf Vieh auftrieb, obwohl das andere noch am Ernten war.

Zwischen unterschiedlichen Gruppen eines Siedlungsverbands:

Die Konfliktlinie verlief häufig zwischen den dörflichen Sozialgruppen, den Bauern, Halbbauern und Taunern, die divergierende Ansprüche an das Gemeinland stellten. Auch vollberechtigte Genossen und minderberechtigte Hintersassen oder Gewerbetreibende und Bauern (z.B. Müller und Wiesenbesitzer, die um Wasserrechte stritten) konnten sich gegenüber stehen.

Zwischen externen Nutzern und den Bewohnern eines Siedlungsverbands:

Auswärtige Bergwerkbetreiber, Glasbrenner, Salpetersieder, Köhler usw., welche sich mit der obrigkeitlichen Gewerbekonzession auch Holznutzungsrechte erhandelt hatten, gerieten mit den ansässigen Bewohnern wegen der Waldnutzung in Konflikt.

Geschlichtet wurden die Nutzungskonflikte von herrschaftlichen Gerichten, in den Untertanengebieten der Stadtstaaten ab dem 15. Jahrhundert von den Landvögten und – in höherer Instanz – vom städtischen Rat. Dieser schützte oft die Rechte der armen Dorfbewohner, aus Gründen der "innergesellschaftlichen Befriedung", aber auch, weil er an einer grossen Untertanen- und Mannschaftszahl interessiert war und deshalb die Abdrängung der Unterschicht verhindern wollte. Komplizierter waren die Schlichtungsverfahren bei Nutzungskonflikten zwischen Siedlungen, die unterschiedlichen Territorien angehörten. Sie überlagerten sich oft mit Grenzkonflikten (Marchenstreit) und mussten von Schiedsgerichten entschieden werden. Die Anwendung von Gewalt ist vor allem für Konflikte zwischen Siedlungsverbänden belegt. In spätmittelalterlichen Alpstreitigkeiten kam es zu Plünderungen, Verwüstung von Gebäuden und Geräten und auch zu Gewalt gegen Personen. Bei Konflikten zwischen den dörflichen Sozialgruppen scheint Gewalt eher eine Ausnahme gewesen zu sein. Das das ganze Dorf überspannende verwandtschaftliche Geflecht, welches sich in der frühen Neuzeit verdichtete, wirkte gewaltdämpfend.

Was die zeitliche Verteilung der Nutzungskonflikte betrifft, so können in Perioden des langfristigen Bevölkerungswachstums deutliche Häufungen festgestellt werden (am Ende des hochmittelalterlichen Aufschwungs um 1300, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert). Allerdings dürfen Nutzungskonflikte nicht ausschliesslich als Verteilungskämpfe um sich verknappende Ressourcen interpretiert werden; vielfach waren sie die Folge von durchaus erfolgreichen ökonomischen Umstellungs- und Veränderungsprozessen (Ausbreitung der Alpwirtschaft im Spätmittelalter, Einschlagsbewegungen in den Dreizelgendörfern), bei denen es auch Verlierer gab, die sich zur Wehr setzten.

Quellen und Literatur

  • L. Deplazes, «Una lite fra due vicinanze bleniesi all'inizio del XIII secolo», in MDT, Ser. 3, 105-129
  • A. Suter, "Troublen" im Fürstbistum Basel (1726-1740), 1985
  • P.J. Brändli, «Ma. Grenzstreitigkeiten im Alpenraum», in MHVS 78, 1986, 18-188
  • L. Deplazes, Alpen, Grenzen, Pässe im Gebiet Lukmanier-Piora (13.-16. Jh.), 1986
  • D. Rogger, Obwaldner Landwirtschaft im SpätMA, 1989, 245-270
  • A. Ineichen, Innovative Bauern, 1996, 163-170
  • K. Hürlimann, Soziale Beziehungen im Dorf, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas Ineichen: "Nutzungskonflikte", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010248/2010-09-14/, konsultiert am 16.03.2025.