Die politischen Rechte beinhalten die Mitwirkung der Stimmberechtigten an der staatlichen politischen Willensbildung; sie sind Ausdruck der Selbstregierung des Volkes. Das kraft Stimm- und Wahlrecht regierende Staatsvolk ist dabei nicht identisch mit den Rechtsunterworfenen, sondern beschränkt sich primär auf die volljährigen Staatsangehörigen meist mit Wohnsitz im Inland. Vereinzelt ist auch das Ausländerstimmrecht bekannt. In der politischen Ideengeschichte wurden die politischen Rechte letztlich aus den Prinzipien der individuellen Freiheit und Gleichheit begründet. Freiheit bedeutet nicht nur private Autonomie, sondern auch politische Selbstbestimmung. In staatsrechtlicher Hinsicht stellen die politischen Rechte nicht nur Individualrechte, sondern auch die Ausübung einer staatlichen Organfunktion dar. Deshalb lassen sich Stimm- und Wahlpflichten begründen, wie sie vereinzelt in einigen Staaten stipuliert und sogar durchgesetzt (Stimmzwang) werden.
Zu den einzelnen politischen Rechten gehören auf Bundesebene das aktive Wahlrecht bei Nationalratswahlen, das passive Wahlrecht bezüglich Nationalrat (Bundesversammlung), Bundesrat und Bundesgericht (Wahlen), das Recht, an Abstimmungen aufgrund fakultativer Gesetzes- oder obligatorischer Verfassungsreferenden (Referenden) teilzunehmen sowie das Recht, Volksinitiativen, Referendumsbegehren, Wahlvorschläge bei Nationalratswahlen und Petitionen zu unterzeichnen und einzureichen. Die verschiedenen Arten von Referenden und das Initiativrecht (Initiative) machen den Kern der direkten Demokratie aus (Volksrechte). Weitere zusätzliche politische Rechte in Kantonen und Gemeinden sind etwa die Volkswahl der Exekutive, der Ständeräte sowie bestimmter Richter und Beamter, das Finanzreferendum, die Gesetzesinitiative, das Abwahlrecht (für einige Kantonsregierungen und Kantonsparlamente), die Volksmotion (Kanton Solothurn), die Volksdiskussion (Kanton Appenzell Ausserrhoden) und das konstruktive Referendum (Kanton Bern).
Politische Rechte in der alten Eidgenossenschaft (bis 1798)
Autorin/Autor:
Andreas Kley
Die Vorstellungen über die alte Eidgenossenschaft als eine Gemeinschaft von Urdemokratien treffen nicht zu. Als «Volksherrschaften» können jedoch die Landsgemeindeorte, die Walliser Zenden und Graubündenbetrachtet werden. Hier verfügte im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit die Mehrheit der erwachsenen Männer über politische Rechte. Diese an den Besitz des Landrechts gebundenen politischen Rechte waren aber nicht naturrechtlich begründet; sie stellten ein vererbbares Privileg dar, von dem die Hintersassen und die Bewohner der Untertanengebiete ausgeschlossen blieben.
Ab dem 15. Jahrhundert galt in den Städteorten (Zunftstädte, Patrizische Orte) der städtische Grosse Rat als oberste staatliche Gewalt, wobei in allen Orten die Exekutivinstitution, der Kleine Rat, dazu tendierte, seinen Einfluss auszudehnen. Obwohl sich die Räte ganz oder zum Teil durch Kooptation selbst ergänzten, verfügte jeder Stadtbewohner über eine gewisse Chance, wenigstens in den Grossen Rat zu gelangen. Aufgrund der demografischen und wirtschaftlichen Stagnation, politischer Instabilität sowie der mit diesen Faktoren verbundenen Offenheit des Bürgerrechts blieben die Räte bis ins 16. Jahrhundert hinein für breite Kreise zugänglich, sodass diese Ratsverfassungen als relativ «demokratisch» gelten können. In einigen Stadtkantonen wurde die untertänige Landbevölkerung im 15. und 16. Jahrhundert durch Ämteranfragen an der politischen Willensbildung beteiligt, wobei es sich nicht um ein eigentliches politisches Recht, sondern um eine von der Obrigkeit gewährte Gunst handelte.
Vom 16. Jahrhundert an wurden die Bürgerrechte restriktiver erteilt. Im Zuge der Bevölkerungszunahme schlossen sich die alteingesessenen Dorfgenossen und Städter zunehmend gegen Neuzuzüger ab. Diesen sowie deren Nachkommen (sogenannten Hintersassen) wurde das Bürgerrecht und damit das Stimmrecht vorenthalten. Zudem fand ab dem 16. Jahrhundert in der gesamten Eidgenossenschaft, vor allem aber in den Stadtkantonen, eine Aristokratisierung der Herrschaft (Patriziat) statt, welche die politischen Freiheiten mehr und mehr zum Verschwinden brachte.
Politische Rechte in Helvetik, Mediation, Restauration (1798-1830)
Autorin/Autor:
Andreas Kley
Die Helvetische Verfassung von 1798 (Helvetische Republik) brach mit den überkommenen Verhältnissen, indem sie in der ganzen Eidgenossenschaft das allgemeine und gleiche, wenn auch noch indirekte Wahlrechtfür Männer einführte (Wahlsysteme). Voraussetzungen waren das zurückgelegte 20. Altersjahr, der Wohnsitz in derselben Gemeinde seit fünf Jahren sowie das Schweizer Bürgerrecht, das Fremde nach 20-jährigem Aufenthalt erwerben konnten. Der Zensus, die Abhängigkeit des Wahlrechts von einem Mindestvermögen oder von Steuerleistungen, wurde abgeschafft. Neben den Frauen waren auch Geistliche von den politischen Rechten ausgeschlossen.
Die Mediationsakte von 1803 (Mediation) sah zwar in Artikel 3 des 20. Kapitels vor, dass es in der Schweiz weder Untertanenlande noch Vorrechte der Orte, der Geburt, der Personen oder Familie gebe, überliess die Regelung der politischen Rechte dann aber den Kantonen, welche viele der traditionellen Stimmrechtsbeschränkungen wieder einführten. Ausser in den Landsgemeindekantonen stand das aktive Wahlrecht einzig den Grundeigentümern zu, die Stadtkantone verlangten überdies selbstständige Berufsausübung und Zugehörigkeit zur Miliz. Die Restaurationszeit brachte weitere Einschränkungen, obwohl der Bundesvertrag von 1815 in Paragraph 7 vermerkt, dass der Genuss der politischen Rechte nie das Privileg einer Klasse der Kantonsbürger sein könne. Die politischen Rechte waren Kantonsbürgern reserviert, und in manchen Kantonen wurden die Stimmberechtigten der Hauptstadt in der Zuteilung der Parlamentssitze bevorzugt. Der Zensus war selbst in einem Teil der Landsgemeindekantone verbreitet.
Ausweitung der politischen Rechte ab 1830
Autorin/Autor:
Andreas Kley
Die regenerierten Kantone strichen ab 1830 nach und nach den Zensus aus ihren Verfassungen (Regeneration). Kantonsfremden Schweizern wurden die politischen Rechte grundsätzlich gewährt, der Wehrdienst war meist keine Voraussetzung mehr. Hingegen blieben andere politische Ungleichheiten wie der Ausschluss unselbstständig Erwerbender und die Bevorzugung der Städte oft bestehen.
Im 1848 gegründeten Bundesstaat wurde – gemäss Artikel 63 der Bundesverfassung (BV) – in eidgenössischen Angelegenheiten jeder Schweizer Bürger stimmberechtigt, der das 20. Altersjahr zurückgelegt hatte und nach der Gesetzgebung seines Wohnsitzkantons nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen war. Der Vorbehalt der Gesetzgebung des Wohnsitzkantons verzögerte die Durchsetzung des allgemeinen Stimmrechts auf Bundesebene erheblich. Die Kantone schlossen aus Gründen wie Armengenössigkeit und Nichtbezahlung von Steuern viele Bürger weiterhin von den politischen Rechten aus. Den kantonsfremden, niedergelassenen Schweizer Bürgern wurden in Artikel 42 der BV unter Vorbehalt einer kantonalgesetzlichen Karenzfrist von höchstens zwei Jahren auch die politischen Rechte in kantonalen Angelegenheiten garantiert, eine Frist, welche die BV von 1874 auf drei Monate verkürzte. Auf kommunaler Ebene bestanden indes für Neuzuzüger vorerst noch verschiedene Stimmrechtshindernisse.
Die politischen Vorrechte des Ortes, des Vermögens oder des Standes verschwanden in Anwendung von Artikel 4 der BV (Rechtsgleichheit) anlässlich von Beschwerden, die der Bundesrat bzw. die Bundesversammlungzu beurteilen hatte, aus dem kantonalen Recht. Ebenso schränkte die Bundesversammlung in ihrer Gewährleistungspraxis zu den Kantonsverfassungen allmählich die Ungleichheiten bei den politischen Rechten ein.
Demokratische Bewegung (ab 1863) und weitere Entwicklungsstationen
Autorin/Autor:
Andreas Kley
«Überall auf der Welt brennt es. Lasst nicht zu, dass die Aufgaben unserer Regierung noch schwieriger werden, als sie schon sind. Stimmt am 25. Januar NEIN.» Abstimmungsplakat für die Volksabstimmung vom 25. Januar 1942 vonNoël Fontanet (Privatsammlung).
[…]
In der Zeit nach 1848 nahmen in den Kantonsparlamenten, namentlich im Kanton Zürich, häufig reiche und mächtige Industrielle eine Vorrangstellung ein. Diese politische Hegemonie des Wirtschaftsbürgertums erweckte den Argwohn der arbeitenden Klassen. Um sich an der politischen Macht zu beteiligen, erhoben breite Bevölkerungskreise die Forderung nach direktdemokratischen Mitwirkungsinstrumenten anstelle der repräsentativen Ordnung. Nachdem die Demokratische Bewegung erstmals 1863 mit der Verfassungsrevision im Kanton Basel-Landschaft, später mit Revisionen in den Kantonen Zürich, Solothurn, Thurgau und Bern Erfolg gehabt hatte, strebte sie im Bund nach direkter Demokratie. Zunächst enthielt die Bundesverfassung von 1874 das Gesetzesreferendum als direktdemokratisches Recht. 1891 nahmen Volk und Stände die Möglichkeit der Volksinitiative auf Teilrevision der Verfassung an. Über 250 sind seither eingereicht worden. Eine dieser Verfassungsinitiativen führte 1918 zur Annahme der Verhältniswahl (Proporz) bei Nationalratswahlen (Wahlsysteme) und 1921 eine weitere zur Einführung des Staatsvertragsreferendums. 1949 wurde ebenfalls aufgrund einer Initiative das Dringlichkeitsrecht (Dringlichkeitsklausel), das die Bundesversammlung häufig angewandt hatte, stark eingeschränkt. Ebenso wurde das extrakonstitutionelle Notrecht gegen den Willen des Bundesrates ausser Kraft gesetzt. 1991 senkte der Verfassungsgesetzgeber das Stimm- und Wahlrechtsalter von 20 auf 18 Jahre. Andere Initiativen auf Ausweitung der politischen Rechte scheiterten hingegen, so die Volkswahl des Bundesrates (1900, 1942, 2013) oder die Einführung spezieller Verwaltungsreferenden (Rüstungsreferendum 1987).
Das Frauenstimmrecht und damit das allgemeine Erwachsenenstimmrecht wurde spät eingeführt. Die Schweiz folgte mit diesem Vorhaben erst, nachdem die europäischen Länder diesen Schritt längst getan hatten. Auf Bundesebene lehnten die Schweizer Männer 1959 eine entsprechende Verfassungsänderung ab und hiessen das Anliegen erst 1971 gut.
In den 1990er Jahren stand die Erneuerung der politischen Rechte im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung zur Diskussion. Um die Annahme der 1999 gutgeheissenen Verfassung nicht zu gefährden, wurde die Volksrechtereform separat angegangen. 2003 stimmten Volk und Stände einer bescheidenen Änderung zu, deren Herzstück die Einführung der Allgemeinen Volksinitiative war. Bei dieser bringen die Initianten ein Anliegen in Form einer allgemeinen Anregung vor, das Parlament aber bestimmt die konkrete Formulierung und entscheidet, auf welcher Rechtsetzungsstufe (Verfassung oder Gesetz) es behandelt wird. Im selben Reformpaket wurde das fakultative Staatsvertragsreferendum ausgeweitet. Infolge Undurchführbarkeit akzeptierten Volk und Stände aber bereits 2009 die Abschaffung der Allgemeinen Volksinitiative.
Ryffel, Heinrich: Die schweizerischen Landsgemeinden nach geltendem Rechte, 1903.
Auer, Andreas: Les droits politiques dans les cantons suisses, 1978.
Gruner, Erich; Andrey, Georges et al.: Die Wahlen in den schweizerischen Nationalrat 1848-1919. Wahlrecht, Wahlsystem, Wahlbeteiligung, Verhalten von Wählern und Parteien, Wahlthemen und Wahlkämpfe, 4 Bde., 1978.
Peyer, Hans Conrad: Verfassungsgeschichte der alten Schweiz, 1978.
Schwingruber, Anton: Das Stimmrecht in der Schweiz. Eine Untersuchung über das Stimmrecht als subjektives Recht, mit besonderer Berücksichtigung der kantonal-rechtlichen Ausschlussgründe, 1978.
Herold, Peter: «Zur Geschichte des Finanzreferendums im Bunde», in: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung 82, 1981, S. 64-85.
Hangartner, Yvo: «1798-2000 und ?. Der lange Weg zum allgemeinen Stimmrecht», in: Schott, Clausdieter; Petrig Schuler, Eva (Hg.): Festschrift für Claudio Soliva zum 65. Geburtstag, 1994, S. 127-145.
Andreas Kley: "Politische Rechte", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.02.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010368/2021-02-17/, konsultiert am 07.12.2024.