Das Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz 1971 angenommen, 53 Jahre nach Deutschland, 52 Jahre nach Österreich, 27 Jahre nach Frankreich und 26 Jahre nach Italien. Seine Einführung brachte – wie auch in anderen Ländern – keine politischen Umwälzungen, bildete aber die Voraussetzung für Fortschritte in anderen gleichstellungspolitischen Fragen.
Der Weg zum Frauenstimmrecht
Das lange 19. Jahrhundert
Obschon die helvetische Verfassung von 1798, die liberalen Kantonsverfassungen des 19. Jahrhunderts sowie die Bundesverfassungen von 1848 und 1874 die Frauen nicht wörtlich von den politischen Rechten ausschlossen, blieb ihre Mitbestimmung (Stimm- und Wahlrecht) ausser Betracht. Die ab 1798 auch in der Schweiz geltenden Prinzipien Freiheit und Gleichheit fanden grossmehrheitlich nur auf Männer Anwendung (Demokratie).
1833 gewährte das Berner Gemeindegesetz Grund besitzenden Frauen Mitbestimmung in der Gemeindeversammlung, wo sie sich jedoch durch einen Mann vertreten lassen mussten. Die Vertretung wurde 1852 aufgehoben, das Recht auf Ledige und Witwen eingeschränkt und 1887 ganz abgeschafft. Im 19. Jahrhundert forderten Frauen nur selten politische Rechte, sondern vor allem zivilrechtliche Verbesserungen. 1868 verlangten Zürcherinnen anlässlich der kantonalen Verfassungsrevision vergebens das aktive und passive Wahlrecht. Beeinflusst von der deutschen und angelsächsischen Frauenbewegung, traten Ende des 19. Jahrhunderts Bildungs- und Berufsvereine auf, die für die rechtliche und wirtschaftliche Besserstellung der Frauen und für das Frauenstimmrecht fochten (Vereine). Juristen rieten den Frauen, Rechte zunächst nur im Kirchen-, Schul- und Armenwesen anzustreben. Später würde dann das Frauenstimmrecht auf kommunaler, kantonaler und zuletzt auf eidgenössischer Ebene folgen. Dieser taktische Rat, zum demokratietheoretischen Dogma erhärtet, bestimmte fortan das Vorgehen der Frauenverbände und das Denken von Politikern aller Parteien.
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden Stimmrechtsvereine, die 1909 den Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF) bildeten. Sie entfalteten eine rege Öffentlichkeitsarbeit bezüglich aller Belange der wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und politischen Gleichstellung der Frauen. Ihre Mitglieder, zu denen immer auch einige Männer zählten, waren häufig akademisch gebildet, ledig und erwerbstätig. Sie stammten vorwiegend aus dem protestantischen Bürgertum, dessen politisches Beziehungsnetz sie für ihre Forderungen nutzten. Erwerbstätige Frauen aus den Unterschichten gründeten manchenorts ab den 1880er Jahren Vereine, die 1890 zum Schweizerischen Arbeiterinnenverband zusammenfanden. 1893 forderte dieser erstmals das Frauenstimmrecht. Die Sozialdemokratische Partei (SP) nahm 1904 das Frauenstimmrecht in ihr Programm auf. Ab 1912 galt das Begehren offiziell als Kampfmittel für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Im selben Jahr verlangte die SP im St. Galler Grossen Rat das kantonale Frauenstimmrecht.
Kriegs- und Nachkriegszeit
Im Ersten Weltkrieg wurden Staatsbürgerschaft und Wehrpflicht gleichgesetzt. Die bürgerlichen Frauenverbände engagierten sich – als Vorleistung für zu erwartende politische Rechte – in der Kriegswohlfahrt. Als die Stimmung während des Krieges zunehmend einen sozialen Umbruch erwarten liess, erhielt die anfänglich zurückgebundene Forderung nach dem Frauenstimmrecht wieder Auftrieb. 1914-1921 wurden in den Kantonen Basel-Stadt, Bern, Genf, Neuenburg, Zürich und Waadt Anträge für das Frauenstimmrecht eingereicht, die aber grösstenteils bereits in den Parlamenten scheiterten. Der Genfer Stimmrechtsverein lancierte 1920 eine Volksinitiative. Zwischen 1919 und 1921 stimmten neben Genf auch Neuenburg, Basel-Stadt, Zürich, Glarus und St. Gallen über das Frauenstimmrecht ab, alle mit negativem Ergebnis. Im Tessin wurde 1919 in den patriziati (Bürgergemeinden der Landbesitzer) das Familienstimmrecht eingeführt, das durch einen Mann oder eine Frau ausgeübt werden konnte. Das Oltener Aktionskomitee nahm im Landesstreik 1918 das Frauenstimmrecht in seinen Forderungskatalog auf. Im Nationalrat wurden erstmals zwei Motionen für das eidgenössische Frauenstimmrecht eingereicht. 1919 wurden sie als Postulate an den Bundesrat überwiesen, der sie jahrzehntelang nicht behandelte.
Die mögliche Verwirklichung des Frauenstimmrechts nach dem Ersten Weltkrieg förderte erstmals auch die Bildung von Frauengruppen, die dem Ansinnen ablehnend gegenüberstanden. Die Gegnerinnen stammten wie die Befürworterinnen meist aus einem gesellschaftlich gehobenen, akademisch gebildeten und wirtschaftlich gesicherten Umfeld und waren häufig familiär wie beruflich mit politisch einflussreichen Gegnern des Frauenstimmrechts verbunden. Propagandistischer Methoden bedienten sie sich ebenso professionell wie die Befürworterinnen. Sie vertraten eine klare Trennung der gesellschaftlichen Aufgaben von Frau und Mann (Geschlechterrollen). Die Frauen sollten politischen Einfluss nur für die ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Bereiche geltend machen dürfen, und auch dies nur durch beratende Tätigkeit ohne Entscheidungsbefugnis.
1929 reichte der SVF mit Unterstützung anderer Frauenorganisationen, der SP und der Gewerkschaften auf Bundesebene eine Petition für das Frauenstimmrecht mit 249'237 Unterschriften (78'840 von Männern, 170'397 von Frauen) ein, die wie viele ähnliche Vorstösse folgenlos blieb. Mit der Wirtschaftskrise und dem Erstarken politisch konservativer und faschistischer Strömungen (Konservatismus, Faschismus) ging in den 1930er Jahren eine starke Betonung der Aufgaben der Frau im häuslichen Bereich einher, die das Anliegen der Stimmrechtsbewegung nicht begünstigte. Im Zweiten Weltkrieg setzten sich die Frauenverbände erneut mit der Hoffnung auf politische Rechte in der Volkswohlfahrt ein. 1940 und 1941 wurden in Genf und Neuenburg Vorlagen für das kantonale und kommunale Frauenstimmrecht verworfen. Im Nationalrat wurde 1945 ein Postulat für das Frauenstimmrecht an den Bundesrat überwiesen. In der Aufbruchstimmung der ersten Nachkriegsjahre fanden einige Abstimmungen über das kantonale oder kommunale Frauenstimmrecht statt, die jedoch alle negativ ausgingen (1946 Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Genf, Tessin; 1947 Zürich; 1948 Neuenburg, Solothurn; 1951 Waadt). Danach wurden in Genf, Basel-Stadt und der Stadt Zürich Frauenbefragungen mit deutlich positivem Ergebnis durchgeführt. Dennoch lehnten die Stimmbürger hier weitere Vorlagen für das Frauenstimmrecht ab. 1951 publizierte der Bundesrat einen Bericht, in dem er angesichts der kantonalen Misserfolge eine eidgenössische Abstimmung über das Frauenstimmrecht als verfrüht erachtete.
Weder der wirtschaftliche Aufschwung in den 1950er Jahren, als die bewahrende Funktion von Heim und Familie im Ausgleich zu den raschen Veränderungen der Aussenwelt betont wurde, noch die konservative politische Grundhaltung während des Kalten Krieges waren dem Frauenstimmrecht förderlich. Nur Basel-Stadt ermächtigte 1957 die drei Bürgergemeinden zur Einführung des Frauenstimmrechts (Riehen führte es am 26. Juni 1958 als erste Gemeinde ein). Als der Bundesrat die Schweizerinnen mit einem Zivilschutzobligatorium in die Landesverteidigung einbinden wollte, wehrten sich der SVF, der Schweizerische Katholische Frauenbund und der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF) dagegen, den Frauen neue Pflichten bei weiterhin fehlenden politischen Rechten aufzubürden. Bei der Volksabstimmung über den Zivilschutzdienst 1957 – die Vorlage wurde verworfen – organisierte Peter von Roten, Präfekt des Bezirks Raron, in der kleinen Walliser Gemeinde Unterbäch eine provokante Aktion: Mit Unterstützung des Gemeinderats wurden die Frauen zur Abstimmung zugelassen, auch wenn ihre Stimmen nicht mitgezählt wurden. Diese symbolische Aktion erregte medial grosses Aufsehen.
Da die öffentliche Kontroverse die Neuauflage des Zivilschutzprojekts gefährdete, legte der Bundesrat 1957 einen Abstimmungsentwurf zum Frauenstimmrecht vor. Mit Unterstützung von Gegnern des Frauenstimmrechts im Parlament, die eine Ablehnung durch die Stimmbürger herbeiführen wollten, passierte die Vorlage 1958 beide Räte. Vor dem Urnengang befürworteten die SP, der Landesring der Unabhängigen (LdU) und die Partei der Arbeit (PdA) das Frauenstimmrecht. Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei gaben die Stimme frei, die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) beschloss die Nein-Parole. Die Vorlage wurde 1959 mit 654'939 (66,9%) Nein gegen 323'727 (33%) Ja bei einer Stimmbeteiligung von 66,7% abgelehnt. Nur die Kantone Waadt, Genf und Neuenburg stimmten zu. Die Waadt führte gleichzeitig das kantonale und kommunale Frauenstimmrecht ein. Neuenburg folgte im selben Jahr, Genf 1960. Als erster Kanton in der deutschen Schweiz bejahte 1966 Basel-Stadt das kantonale und kommunale Frauenstimmrecht. Basel-Landschaft und das Tessin taten es ihm 1968 bzw. 1969 gleich.
Der Durchbruch 1971
1968 plante der Bundesrat die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention unter Ausschluss des Frauenstimmrechts. Die Frauenverbände, die eine weitere Verschleppung befürchteten, protestierten massiv. Angesichts der ohnehin gesellschaftlich angespannten Lage in den späten 1960er Jahren musste sich der Bundesrat nun mit einer neuen Abstimmungsvorlage zum Frauenstimmrecht beeilen. Da eine Annahme durch die Stimmbürger diesmal wahrscheinlich schien, hielten sich die Gegner zurück – keine Partei wollte sich die Gunst potentieller Wählerinnen verscherzen. Am 7. Februar 1971 nahmen die Stimmbürger das eidgenössische Stimm- und Wahlrecht für Frauen mit 621'109 (65,7%) Ja- zu 323'882 (34,3%) Neinstimmen bei einer Stimmbeteiligung von 57,7% an. Abgelehnt wurde das Frauenstimmrecht von acht Kantonen der Zentral- und Ostschweiz (Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Obwalden, Schwyz, St. Gallen, Thurgau und Uri). Im Zuge der Entwicklung auf Bundesebene führten die meisten Kantone kurz vor, nach oder zeitgleich mit dem eidgenössischen auch das kantonale und teilweise das kommunale Frauenstimmrecht ein. Manche Gemeinden verzögerten die Einführung des Frauenstimmrechts bis in die 1980er Jahre. In Appenzell Ausserrhoden entschied 1989 ein knappes Handmehr an der Landsgemeinde zugunsten des Frauenstimmrechts.
Da nicht der Wortlaut von Bundes- und Kantonsverfassungen, sondern nur deren Interpretation das Frauenstimmrecht verhinderte, versuchten dessen Befürworter und Befürworterinnen immer wieder, die zuständigen politischen und juristischen Instanzen zu einer anderen Auslegung zu bewegen. Diese hielten aber in allen Fällen eine Rechtsänderung durch Männerabstimmung zur Einführung des Frauenstimmrechts für unumgänglich. Davon wich das Bundesgericht erstmals mit seinem Entscheid vom 27. November 1990 ab: Die Einführung des Frauenstimmrechts in Appenzell Innerrhoden, welche die Landsgemeinde im selben Jahr abgelehnt hatte, bedürfe keiner Änderung der Kantonsverfassung, vielmehr sei der Wortlaut des Stimmrechtsartikels neu mit Gültigkeit auch für die Frauen auszulegen. Daraufhin führte auch Appenzell Innerrhoden das Frauenstimmrecht ein.
Frauen an der Urne und im Parlament
Die Einführung der politischen Rechte für Frauen eröffnete diesen mehrere Möglichkeiten, politischen Einfluss auszuüben: Sie konnten jetzt abstimmen, Volksinitiativen und Referenden unterschreiben sowie das aktive und das passive Wahlrecht wahrnehmen.
Frauen an der Urne
Die Einführung des aktiven Stimm- und Wahlrechts änderte – wie schon in den anderen westlichen Ländern – wenig bezüglich der parteipolitischen Zusammensetzung auf Parlaments- und Regierungsebene. Trotzdem sind einige Unterschiede im Wahl- und Stimmverhalten zwischen Frauen und Männern festzustellen. Die grösste Diskrepanz zeigte sich in der Stimm- und Wahlbeteiligung. Als die Frauen im Herbst 1971 zum ersten Mal an den Nationalratswahlen teilnahmen, betrug ihre Beteiligung 46%, das waren 24 Prozentpunkte weniger als bei den Männern. Bis 1995 verringerte sich diese Differenz aber auf sieben Punkte. Nach einem temporären Anstieg liegt sie seit 2011 wieder bei rund sieben Prozentpunkten. Ein Blick auf die Wahlbeteiligung nach Alter zeigt, dass der Unterschied zwischen Frauen und Männern bei den über 65-Jährigen besonders ausgeprägt ist, was die Forschung teils auf die späte Einführung des Frauenstimmrechts, teils auf die andersartige, weniger die politische Partizipation fördernde Ausbildung der Frauen zurückführt. Auch bei den Volksabstimmungen war die Beteiligung der Frauen niedriger als diejenige der Männer, aber weniger deutlich. In den 1980er Jahren betrug die durchschnittliche Differenz rund zehn Prozentpunkte, für die jüngere Zeit sind die Unterschiede in der Beteiligung zwischen Frauen und Männern nur noch gelegentlich statistisch signifikant.
Wie Auswertungen der Nationalratswahlen ab 1995 zeigen, wählen die Frauen überdurchschnittlich stark Vertreter der Grünen Partei und der SP; Männer unterstützen dagegen eher die FDP und vor allem die Schweizerische Volkspartei (SVP). Dies deckt sich mit Befunden aus anderen westlichen Ländern, gemäss denen die Frauen ab den 1980er Jahren tendenziell stärker ökologische und linke Parteien unterstützen.
Bei Volksabstimmungen verhielten sich die Frauen grundsätzlich ähnlich wie die Männer. Fallweise setzten sie die Akzente aber anders, so namentlich bei Gleichstellungsfragen, aber auch bei Fragen der Umwelt – sie stehen zum Beispiel der Atomenergie deutlich skeptischer gegenüber als Männer –, beim Konsumenten- und Mieterschutz (Miete) oder beim Service public. Einige Male gab eine Frauenmehrheit den Ausschlag, so etwa 1994 bei der Annahme des Antirassismus-Gesetzes (Rassismus), 2008 bei der Annahme der Initiative «Für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» oder 2014 bei der Ablehnung der Beschaffung des Kampfflugzeugs Gripen. 2022 wurden die Frauen dagegen bei der Reform AHV 21, die das Rentenalter für Frauen von 64 auf 65 erhöhte, deutlich von einer Männermehrheit überstimmt.
Frauen in Parlamenten und Regierungen
Bei den Wahlen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente erlangten die Frauen in der ersten Hälfte der 1970er Jahre durchschnittlich je ca. 5% der entsprechenden Mandate. Diese tendenziell grossen Gremien wurden nach dem Proporz bestellt, der sich für die Frauen als vorteilhaft erwies (Wahlsysteme). Bis 1991 steigerten die Frauen ihre Vertretung kontinuierlich auf 17,5 bzw. 15%. Auch wenn sie damit noch weit von der Parität entfernt waren, befand sich die Frauenvertretung jetzt im europäischen Vergleich bereits im Mittelfeld. In den 1980er Jahren setzte eine parteipolitische Akzentuierung der Frauenrepräsentation ein. Mit dem Aufkommen der Grünen und der Hinwendung der SP zu den neuen Mittelschichten wurde bei diesen beiden Parteien die Gleichstellung zu einer zentralen Forderung. Sie nominierten zunehmend mehr Frauen als Kandidatinnen und ihre Wählerinnen unterstützten dies, sodass die Zahl der gewählten Vertreterinnen der SP und der Grünen deutlich anstieg. Nur gering erhöhte sich dagegen die Frauenvertretung bei den bürgerlichen Parteien und insbesondere bei der SVP.
Bei den Wahlen in den Ständerat und vor allem in die Kantonsregierungen und in den Bundesrat waren die Hindernisse für die Frauen grösser; oft stiessen Letztere bereits im Vorfeld der Wahlen für diese prestigeträchtigen Ämter auf Widerstand. Ausserdem stellte das Majorzsystem, nach dem diese Sitze meistens vergeben wurden, eine höhere Wahlhürde dar als der Proporz. Zu Beginn der 1990er Jahre lag der Frauenanteil im Ständerat bei 9% und in den Kantonsregierungen bei 3%. 1983 nominierte die SP Lilian Uchtenhagen als erste Frau für einen Sitz in der Landesregierung; diese unterlag aber bei der Wahl in der Bundesversammlung ihrem vom Bürgerblock portierten Parteikollegen Otto Stich. 1984 wurde dann die Freisinnige Elisabeth Kopp als erste Frau in die Landesregierung gewählt. Nach ihrem Rücktritt 1989 war bis 1993 keine Frau mehr im Bundesrat vertreten.
Die 1990er Jahre waren hinsichtlich der Vergrösserung der Frauenrepräsentation auf eidgenössischer und kantonaler Ebene das erfolgreichste Jahrzehnt. Den Auftakt dazu machten der nationale Frauenstreik von 1991 sowie die Empörungswelle, die 1993 nach der Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat das Land erfasste. Der Frauenanteil stieg in sämtlichen politischen Institutionen stark an: 2003 zählte der Bundesrat mit Ruth Dreifuss und Ruth Metzler-Arnold zwei Frauen. In den Kantonsregierungen betrug der Frauenanteil jetzt fast 22%, im Ständerat und in den Kantonsparlamenten je rund 24% und im Nationalrat 26%. Noch immer befanden sich die Frauen aber klar in der Unterzahl.
In den 2000er und 2010er Jahren flachte das Wachstum der Frauenvertretung im Nationalrat und vor allem in den kantonalen Parlamenten und Regierungen ab. Im Ständerat ging der Frauenanteil gar von Wahl zu Wahl zurück. Anders dagegen im Bundesrat: Bei den Gesamterneuerungswahlen von 2007 ersetzte die Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf den bisherigen Zürcher SVP-Bundesrat Christoph Blocher. Als im September 2010 die Berner SP-Ständerätin Simonetta Sommaruga für den zurückgetretenen Moritz Leuenberger gewählt wurde, verfügten die Frauen im Bundesrat erstmals über eine Mehrheit. Diese endete bereits im Dezember 2011 mit dem Rücktritt der Genfer Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey, die der Freiburger Ständerat Alain Berset in der Landesregierung ablöste.
2019 erfuhr die Frauenvertretung in den Legislativen einen Aufschwung, den die internationale #MeToo-Bewegung, der zweite nationale Frauenstreik und die Massnahmen der von Politikerinnen aus allen Parteien und Frauenorganisationen getragenen Kampagne «Helvetia ruft!» mit auslösten. Bei den eidgenössischen Wahlen erhöhte sich der Anteil der Frauen im National- wie im Ständerat je um rund zehn Prozentpunkte auf 42% in der grossen und auf 26% in der kleinen Kammer. Die Frauenanteile wuchsen auch in den Kantonsparlamenten und Kantonsregierungen, wenn auch weniger stark.
Gleichstellungspolitische Volksabstimmungen
Mit der Einführung des Frauenstimmrechts von 1971 war die Gleichstellung der Frauen noch lange nicht verwirklicht, namentlich im gesellschaftlichen Bereich. In den 1970er Jahren lancierten daher die Frauenorganisationen eine Volksinitiative für die Gleichstellung der Frauen in Gesellschaft, Familie, Arbeit und Ausbildung. Ab diesem Jahrzehnt setzten sie sich auch – meist mit Unterstützung der Linksparteien – mit mehreren Vorstössen und Volksinitiativen für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Einführung einer Mutterschaftsversicherung ein.
1981 wurde der neue Verfassungsartikel für die Gleichstellung der Frauen in Familie, Ausbildung und Arbeit mit 60% Zustimmung angenommen. Etwas niedriger war 1985 der Ja-Stimmenanteil beim neuen Eherecht, welches die patriarchale Struktur der Familie beseitigte. Bei diesen beiden Volksabstimmungen hatten sich Frauen überdurchschnittlich zahlreich an die Urne begeben und stimmten auch stärker zu als die Männer. Beim neuen Eherecht gaben die Frauen gar den Ausschlag für die Annahme. Keine Chance hatte dagegen die Quoten-Initiative, über die im Jahr 2000 abgestimmt wurde (18% Ja-Stimmen).
Die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs war eine zentrale Forderung der Frauenbewegung der 1970er Jahre. 1977 scheiterte eine erste Volksinitiative in der Volksabstimmung knapp (mit 48% Ja-Stimmen). In weiteren Volksabstimmungen hatten die Stimmberechtigten nicht nur über Vorschläge für eine lockerere, sondern auch über solche für eine restriktivere Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu befinden. Alle Vorlagen wurden abgelehnt, wie etwa 1985 die Volksinitiative «Recht auf Leben», hinter der vor allem kirchennahe Organisationen standen. 2002 wurde schliesslich die Fristenregelung deutlich mit 72% Ja-Stimmen angenommen.
Mehrere Anläufe an der Urne brauchte auch die Forderung nach einer Mutterschaftsversicherung, für die schon seit 1945 ein Verfassungsauftrag bestand (Mutterschaft). 1984 wurde eine Volksinitiative mit nur 16% Ja-Stimmen deutlich verworfen. Erst 2004 reüssierte die Mutterschaftsversicherung in der Volksabstimmung.
Alle gleichstellungspolitischen Vorlagen polarisierten in den Volksabstimmungen entlang der Dimension «moderne versus traditionelle Werte». Bei dieser bildeten einerseits die lateinische und die deutschsprachige Schweiz, andererseits die Städte und die ländlichen Gemeinden die gegensätzlichen Pole. In der Romandie und im Tessin sowie in den Städten war die Zustimmung jeweils am grössten. Niedrig war sie in der Deutschschweiz, namentlich in den Kantonen der Zentral- und Ostschweiz, sowie in den ländlichen Gemeinden. Dieses Zustimmungsmuster hatte sich schon 1959 und 1971 bei den Abstimmungen über die Einführung des Frauenstimmrechts gezeigt. Im 20. Jahrhundert wurde das gleichstellungspolitische Zustimmungsmuster bei den Vorlagen zum Schwangerschaftsabbruch zusätzlich noch von der konfessionellen Konfliktdimension überlagert, bei den Vorlagen zur Mutterschaftsversicherung von der Links-Rechts-Dimension.
Quellen und Literatur
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- Ruckstuhl, Lotti: Frauen sprengen Fesseln. Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz, 1986.
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- Voegeli, Yvonne: Zwischen Hausrat und Rathaus. Auseinandersetzungen um die politische Gleichberechtigung der Frauen in der Schweiz 1945-1971, 1997.
- Neue Zürcher Zeitung, 7.2.2001.
- Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (Hg.): Frauen Macht Geschichte. Zur Geschichte der Gleichstellung in der Schweiz 1848-2000, 2001 (mit Bibliografie).
- Mesmer, Beatrix: Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht. Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914-1971, 2007.
- Amlinger, Fabienne: Im Vorzimmer der Macht? Die Frauenorganisationen der SPS, FDP und CVP, 1971-1995, 2017.
- Kergomard, Zoé: Wahlen ohne Kampf? Schweizer Parteien auf Stimmenfang, 1947-1983, 2020.
- Lauener, Lukas; Tresch, Anke et al.: Eidgenössische Wahlen 2019. Wahlteilnahme und Wahlentscheid, 2020.
- Seitz, Werner: Auf die Wartebank geschoben. Der Kampf um die politische Gleichstellung der Frauen in der Schweiz seit 1900, 2020.
- Studer, Brigitte: La conquête d'un droit. Le suffrage féminin en Suisse (1848-1971), 2020.
- Castelletti, Susanna; Congestrì, Marika (Hg.): Finalmente cittadine! La conquista dei diritti delle donne in Ticino (1969-1971), 2021.
- Steinhauser, Margrit: Die Frauen im Parlament. Kollektivbiografie der National- und Ständerätinnen 1971-2019, 2021.
- Studer, Brigitte; Wyttenbach, Judith: Frauenstimmrecht. Historische und rechtliche Entwicklungen 1848-1971, 2021.