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Ausländer

Als Ausländer werden im Zeitalter der Nationalstaaten Personen bezeichnet, die nicht die Staatsangehörigkeit desjenigen Staates besitzen, in dem sie sich aufhalten. Diese Definition hat im 19. Jahrhundert den älteren Begriff Fremde weitgehend abgelöst, dessen Inhalte eng an das jeweils vorherrschende Verständnis von Identität und Gruppenzugehörigkeit gekoppelt waren und im Lauf der Zeit sehr unterschiedlich ausgelegt wurden.

Die rechtliche Stellung von der Helvetik bis zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (1798-1912)

Vor 1798 unterstanden Fremde in der Eidgenossenschaft grundsätzlich der Hoheit der eidgenössischen Orte bzw. ihrer Zugewandten. Mit der Umsetzung der Gleichheitsgedanken der Französischen Revolution im Einheitsstaat der Helvetischen Republik kam erstmals der Begriff Schweizerbürger (Bürgerrecht) auf, und Grundrechte (Menschenrechte) wie Freiheiten bestanden losgelöst von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Körperschaft. Das Gesetz vom 29. September 1798 stellte die (männlichen) Ausländer bis auf die politischen Rechte den (männlichen) Schweizerbürgern gleich. Gegen Vorlage eines Heimatscheins und eines Leumundszeugnisses gewährte das Direktorium der Helvetischen Republik Ausländern eine Duldungsbewilligung (Toleranzschein). Die Juden von Lengnau und Endingen wurden Ausländern gleichgestellt. Die Beibehaltung der Bürgergemeinde neben der Einwohnergemeinde führte vor allem bezüglich der Fürsorge zu Rechtsungleichheiten zwischen Gemeindebürgern und Nicht-Gemeindebürgern (Schweizern und Ausländern), die bis ins 20. Jahrhundert weiter bestanden. Mit dem Gesetz vom 24. November 1800 fiel die Befugnis zur Ausstellung von Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen, gegen Entrichtung einer Gebühr und mitunter Hinterlegung einer Kaution, an die kantonalen Verwaltungskammern zurück.

Die Mediationsakte von 1803 übertrug die Gesetzgebungskompetenz in Ausländerfragen den Kantonen. Mit Frankreich galt allerdings die Defensivallianz vom 27. September 1803, welche die gegenseitige Niederlassungsfreiheit und Ausübung der bürgerlichen Rechte vorschrieb. Der Bundesvertrag von 1815 übertrug den Kantonen alle ausländerspezifischen Angelegenheiten. Gleiches taten die Bundesverfassung (BV) von 1848 und deren Revision von 1874, mit Ausnahme von Artikel 70 BV, der dem Bund das Recht einräumte, Fremde wegzuweisen, welche die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden (Landesverweisung). Vor 1848 galten in den Kantonen auch Personen aus anderen Kantonen als Fremde.

Erst mit dem Inkrafttreten des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) 1912 wurde die Rechtsstellung der Ausländer landesweit einheitlich geregelt, nämlich als vollständige und bedingungslose zivilrechtliche Gleichstellung mit Schweizern. In den meisten kantonalen Gesetzen blieb die rechtliche Stellung der Ausländer vor 1912 unbehandelt, während andere sich auf eine Reziprozitätsklausel beschränkten. Bilaterale Verträge (z.B. zwischen Sardinien und 12 Kantonen am 12. Mai 1827, zwischen Frankreich und 18 Kantonen am 30. Mai 1827) gewährleisteten den Angehörigen der Vertragsstaaten Niederlassungs- sowie Handels- und Gewerbefreiheit. Nach 1848 schloss auch der Bund mit mehreren Staaten Freizügigkeitsabkommen (Einwanderung).

Aufenthalt und Niederlassung in der Schweiz waren an die Vorlage von Identitätsnachweis und Leumundszeugnis gebunden. Letzteres war für Personen aus angrenzenden Ländern (mit Ausnahme Deutschlands bis 1911) nicht nötig. Den Kantonen stand es frei, Personen, die die Voraussetzungen nicht erfüllten, abzulehnen oder aufzunehmen ― Deserteure oder politische Flüchtlinge etwa, die natürlich kaum die notwendigen Dokumente beschaffen konnten. Für die öffentliche Fürsorge waren Bürgergemeinde und Kanton zuständig, was Ausländer von der Sozialhilfe ausschloss. Mittellosigkeit stellte einen Ausweisungsgrund dar, sofern der Heimatstaat nicht für ausreichende Unterstützung aufkam.

Der Ausländerbestand vor 1914

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts war der Ausländeranteil an der schweizerischen Gesamtbevölkerung höher als in anderen europäischen Ländern. Dies erklärt sich unter anderem durch die vielen Grenzregionen, die zentrale Lage und die geringe Grösse unseres Landes. Überdies war es trotz der 1803 und 1815 eingeführten Beschränkungen für Ausländer nach 1798 einfacher als zuvor, sich zu bewegen oder niederzulassen. 1836-1839 verzeichneten die Kantone Basel-Stadt und Genf - beides Zentren von Räumen, die grossenteils im Ausland liegen - mit 21,5% bzw. 20,2% (bei gesamtschweizerisch 2,5%) Ausländern landesweit die höchsten Anteile.

Nach 1848 liessen der wirtschaftliche Aufschwung, die wachsenden Bedürfnisse von Industrie, Hoch- und Tiefbau, der Eisenbahnbau, die grössere Mobilität und erleichterte Niederlassung den Ausländeranteil in der Schweiz stark ansteigen (1850 3%, 1870 5,7%, 1900 11,6%, 1910 14,7%). Abgesehen von Luxemburg kannte kein anderes europäisches Land derartige Anteile, wobei nicht vergessen werden darf, dass in der Schweiz geborene Kinder von Ausländern gemäss dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behielten. Einbürgerungen waren kostspielig und mit Schwierigkeiten verbunden, ihr Nutzen nicht immer offensichtlich. So wurde in der Schweiz der Ausländerstatus - anders als in Ländern wie zum Beispiel Frankreich, wo das Gebietsprinzip (ius soli) gilt - von Generation zu Generation weitergegeben. 1910 war ein Drittel der Ausländer in der Schweiz geboren, davon mehr als die Hälfte unter 15 Jahren.

Die ausländische Wohnbevölkerung zeichnete sich durch einen hohen Beschäftigungsgrad (insbesondere im 2. Sektor), einen grossen Anteil an Lohnabhängigen und an Personen im erwerbsfähigen Alter aus. Diese Sozialstruktur erklärt die Konzentrationen in Industrie- und Grenzregionen: 1910 lebten fast 80% aller Ausländer in nur neun Kantonen. Ihr Bevölkerungsanteil betrug 40,4% in Genf, 37,6% in Basel-Stadt, 28,2% im Tessin, 19% im Thurgau und 17,6% in St. Gallen. Städte mit hohem Ausländeranteil waren Lugano mit 50,5%, Arbon mit 46,1%, Genf mit 42%, Rorschach mit 41,5%, Basel mit 37,8%, Schaffhausen mit 33,9% und Zürich mit 33,8%.

Der zahlenmässige Anteil der politischen Flüchtlinge war, mit Ausnahme von 1849, kaum signifikant. Umso mehr spielten sie bis 1914 im Bildungswesen ab der Sekundarstufe eine herausragende Rolle. 1833 und 1834 etwa beriefen die neu gegründeten Universitäten Zürich und Bern fast ausschliesslich deutsche Professoren. In Freiburg waren kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs lediglich 22 der 76 Professoren Schweizer.

Ausländer aus Nachbarstaaten vor 1914

Bis 1914 stammten 95% der Ausländer aus den Nachbarstaaten der Schweiz, wobei sich die Zusammensetzung nach Herkunftsland im Lauf der Zeit stark änderte.

Deutschland

Angehörige der verschiedenen deutschen Staaten und Länder waren bis 1914 anteilmässig am stärksten vertreten, obschon ihre Zahl gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine rückläufige Tendenz aufwies. Prozentual waren es 1830 ca. 35%, 1888 48,9% und 1910 39,7%, absolut 1830 20'000 Personen und 1848 40'000. Handwerker auf Wanderschaft durch Europa machten über 50% aus. In manchen Städten bildeten sie die Mehrheit unter den Schneidern, Schustern und Zimmerleuten. Ab 1830 gründeten sie Arbeiterbildungsvereine (Deutsche Arbeitervereine), in denen Wilhelm Weitling und die Republikaner des Jungen Deutschland ihre Anhängerschaft fanden. Rund 20% der deutschen Einwanderer führten Industrie- und Handelsbetriebe oder übten freie bzw. akademische Berufe aus. Die Sozialistengesetze des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1878-1890) trieben viele aktive Linke in die Schweiz. Die Arbeiterorganisationen der deutschen Sozialisten in der Schweiz waren für die schweizerische Arbeiterbewegung, den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) und die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS), deren linken Flügel sie nach 1913 im Wesentlichen bildeten, von grosser Bedeutung.

Die nationalen und demokratischen Tendenzen, die nach 1849 noch vorherrschten, schlugen nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 in einen ausschliesslich germanischen Nationalismus um, der von verschiedenen Vereinigungen getragen wurde. Dies wiederum rief Widerstand hervor, einerseits gegen Deutsche (Tonhallekrawall in Zürich 1871), andererseits gegen Schweizer, die am Bild Deutschlands vor der nationalen Einigung festhielten (Gottfried Keller, Ferdinand Vetter).

Frankreich

Die Franzosen, die sich zu 90% in der französischen Schweiz niedergelassen hatten (56% allein im Kanton Genf), bildeten eine stabile, gut integrierte Gruppe, die langsam wuchs und deren soziale Zusammensetzung in etwa jener der Schweizer Bevölkerung entsprach. Ihre republikanische Gesinnung und die in der Westschweiz vorherrschende Frankophilie erleichterten das gute Zusammenleben, und ihre Organisationen, die Sociétés de secours mutuels et d'entraide und Musikkapellen, integrierten sich gut in das lokale Vereinsleben. Um 1900 bildeten französische Sozialisten in Genf einen Cercle d'études sociales, der die Propaganda für die angrenzenden französischen Departemente organisierte und sogar die Führung der Fédération socialiste de l'Ain et des deux Savoies übernahm. Auch das rechte Lager organisierte sich; ab 1911 hielten französisch-schweizerische Gruppen der Action française Zusammenkünfte in Genf und Lausanne ab.

Italien

Ging der Anteil der Franzosen (wie derjenige der Deutschen) 1888-1910 von 23,4% auf 11,5% zurück, so stieg jener der Italiener im gleichen Zeitraum sprunghaft von 18,2% auf 36,7% an. Diese Zahlen fallen sogar noch zu tief aus, da bei den Volkszählungen im Dezember die Saisonniers nicht erfasst wurden, deren Zahl je nach Konjunkturlage zwischen 50'000 und 90'000 schwankte. So kämen zu den 202'809 Ende 1910 ansässigen Italienern noch rund 75'000 Saisonniers hinzu, die bis zum Herbst in der Schweiz beschäftigt waren.

Schätzungen zufolge stammten drei Viertel aller damals in der Schweiz lebenden Italiener aus dem Norden, knapp ein Viertel aus Mittelitalien und nur 1% aus dem Süden. 1910 lebten mehr als 20% allein im Tessin. Die meisten waren ohne berufliche Ausbildung und arbeiteten als Strassen- oder Hilfsarbeiter; Jüngere absolvierten eine Maurerlehre. Mehr als 80% der in der letzten Phase des Eisenbahnbaus eingesetzten Arbeitskräfte kamen aus Italien. Hier, wie auch auf den Baustellen der ersten Wasserkraftwerke, waren über Monate, manchmal Jahre regelrechte Italienerkolonien beschäftigt und notdürftig in Barackenlagern untergebracht. Der Aufschwung im Städtebau führte italienische Maurer, Hilfs- und Strassenarbeiter auch in kleinere Schweizer Ortschaften. Sie wohnten in der Regel in bestimmten Strassenzügen und zogen Landsleute (Gastwirte, Ladenbesitzer usw.) nach, wodurch mit der Zeit sogenannte Italienerviertel entstanden.

Nach 1900 nahm die Zahl der italienischen Fabrikarbeitskräfte, insbesondere in der Textilindustrie, stark zu. Dabei handelte es sich vor allem um Frauen, die über Italienervereine rekrutiert wurden. Als Folge gründeten religiöse Orden in unmittelbarer Nähe der Fabriken Mädchenheime, in denen eine klösterlich anmutende Zucht herrschte, die von den Sozialisten angeprangert wurde.

Das tiefe Durchschnittsalter, der hohe Männeranteil (insbesondere vor 1900) und ein geringer Integrationsgrad sind kennzeichnend für die damalige italienische Bevölkerung in der Schweiz. Von allen Ausländern heirateten Italienerinnen und Italiener am seltensten Einheimische. Das Verhältnis zu den Schweizern war schwierig. Häufig kam es auf Baustellen oder in Quartieren zu teils gewaltsamen Auseinandersetzungen (Käfigturmkrawall in Bern 1893, Italienerkrawall in Zürich 1896). Mit den Jahren liessen sich aber immer mehr italienische Staatsangehörige dauerhaft in der Schweiz nieder.

Die italienische Gewerkschaft ruft die Maurer und Handlanger zum Besuch einer Versammlung auf. Plakat der Tipografia Operaia, Lausanne, um 1900 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-78314).
Die italienische Gewerkschaft ruft die Maurer und Handlanger zum Besuch einer Versammlung auf. Plakat der Tipografia Operaia, Lausanne, um 1900 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-78314).

In die Schweiz geflüchtete italienische Sozialisten versuchten nach 1893 ihre Landsleute gewerkschaftlich zu organisieren. Gemeinsam mit den Tessiner Sozialisten hatten sie 1897 die Unione socialista di lingua italiana in Svizzera gegründet, 1900 folgte ein Ableger des Partito Socialista Italiano. Zudem existierten eine Vielzahl kultureller und gesellschaftlicher Vereinigungen, auch Zusammenschlüsse von Italienern derselben Provinz. Einige waren in der sozialistischen Bewegung aktiv, andere standen den offiziellen Vertretern Italiens näher: Dazu gehörten Hilfsvereine, Musikkapellen, die kulturelle Vereinigung Dante Alighieri, Handelskammern, die Opera Bonomelli (eine 1900 gegründete christliche Opera di assistenza agli emigranti italiani) oder die 1902 gegründete sozialistische Umanitaria. Italien richtete 1901 das Auswanderungsamt Commissariato Generale dell'Emigrazione (CGE) ein, dessen erster Vertreter in der italienischen Botschaft in Bern Giuseppe De Michelis war. Anliegen sowohl der "offiziellen" Vereinigungen als auch etwa der Opera Bonomelli war es, das Nationalgefühl zu stärken. Die Fremdenfeindlichkeit, der sich die italienischen Einwanderer ausgesetzt sahen, erklärt mit, weshalb vor 1914 nationalistisches Gedankengut in der italienischen Kolonie besonders viel Anklang fand.

Studenten und Touristen

In geringerer Zahl kamen auch Menschen aus nicht wirtschaftlichen Gründen ins Land. Ausländische Studenten zog es an die Schweizer Universitäten. Dies waren jedoch nicht die Kinder von Ausländern in der Schweiz, da es denen meist an den finanziellen Mitteln für den Besuch einer Hochschule fehlte. Die Studenten kamen direkt aus ihren Heimatstaaten, in die sie nach dem Studienabschluss zurückkehrten. Ihr Anteil an den Studierenden aller Schweizer Universitäten betrug 1890-1895 37%, 1895-1900 43,9%, 1900-1905 50,5%, 1905-1910 57,8% und 1910-1915 49,2% (3500 Personen). Die medizinischen Fakultäten waren besonders gefragt, insbesondere bei jüdischen Russen und vor allem Russinnen (1905-1910 betrug dort der Ausländeranteil 68%). An der Universität Freiburg waren 1895-1915 Ausländer stärker vertreten als Schweizer.

Auch der Tourismus führte Ausländer in die Schweiz. Zwar handelte es sich hierbei um eine begüterte Minderheit, aber die frühen Aufenthalte und Reisen dauerten mitunter recht lang. In der Fremdenverkehrsstatistik sind die Einreisen ausgewiesen: 1894 2'280'000, 1905 3'560'000, 1913 3'983'000, nach dem kriegsbedingten Einbruch 1920 2'832'000 (Vergleichszahlen 2010 8'628'000 ausländische von insgesamt 16'203'000 Touristen). Zur Beherbergung wurden sowohl Luxushotels wie auch bescheidene Familienpensionen gebaut. Sanatorien und Höhenkliniken zogen ebenfalls Gäste aus ganz Europa an.

Der Erste Weltkrieg als Zäsur

Der Erste Weltkrieg setzte der Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ein abruptes Ende. Einreise und Aufenthalt wurden fortan streng kontrolliert und aus wirtschaftlichen wie politischen Überlegungen eingeschränkt. Aufgrund ihrer Übervertretung in den Altersklassen zwischen 15 und 40 Jahren waren die Ausländer in der Schweiz von der Mobilmachung besonders stark betroffen. Auch die ungewisse Lage und die Wirtschaftskrise im Sommer 1914 veranlassten viele, in ihre Heimatstaaten zurückzukehren. Zwischen 1910 (552'011) und 1920 (402'385) fiel der Ausländeranteil um 27%. 1919-1939 entwickelte sich die schweizerische Wirtschaft nur zögerlich, und ausländische Arbeitskräfte wurden nicht mehr in grosser Zahl gebraucht. Die Wirtschaftskrise 1920-1922 und die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre erhöhten die Arbeitslosigkeit massiv. Die Schweiz verlor ihre Attraktivität; aufgrund neuer gesetzlicher Vorschriften beschränkten die Kantone die Niederlassung ausländischer Arbeitskräfte. Der Anteil der ansässigen Ausländer an der Gesamtbevölkerung der Schweiz fiel denn auch von 14,7% (1910) über 10,4% (1920) und 8,7% (1930 355'522) auf 5,2% (1941 223'554). Um 1930 lebten zwei Drittel der Ausländer bereits seit über 20 Jahren in der Schweiz, von diesen stammten 90% aus Nachbarstaaten.

Paradoxerweise wurden Ängste vor einer Invasion oder Überfremdung durch Ausländer, Ausdruck eines zuvor nur latenten engstirnigen Nationalismus, gerade in dem Zeitpunkt zu einem Thema, als der Ausländeranteil in der Bevölkerung zurückging. Die Spaltung der Schweiz in ein deutschland- und ein frankreichfreundliches Lager während des Ersten Weltkriegs sowie wachsende soziale Spannungen, die 1918 im Landesstreik gipfelten, führten zur Suche nach Sündenböcken. Der klassischen Komplotttheorie zufolge waren die Ereignisse von 1918 das Werk bolschewistischer Agenten, und die sozialistische Bewegung wurde ihrer internationalen Ausrichtung und multinationalen Anhängerschaft wegen geächtet.

Ausländer in der Schweiz 1880-2010
Ausländer in der Schweiz 1880-2010 […]

Ab 1917 regelte der Bundesrat die Einreise und Kontrolle, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern auf dem Verordnungsweg. Im Justiz- und Polizeidepartement wurde die Zentralstelle für Fremdenpolizei (heute Bundesamt für Ausländerfragen) eingerichtet. Neue Verordnungen stärkten die Befugnisse der Fremdenpolizei und stellten 1921 erstmals eine Verbindung zwischen Niederlassungs- und Arbeitsbewilligung her. Mit der Annahme von Artikel 69ter BV wurde dem Bund 1925 "die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer" übertragen. Das Bundesgesetz von 1931 berücksichtigte religiöse und wirtschaftliche Interessen und den Grad der "Überfremdung" des Landes. Die Verwendung dieses Begriffs führte zur Einteilung der Ausländer in Kategorien, wovon einige als nicht assimilierungsfähig eingestuft und ausgesondert wurden, zum Beispiel Personen aus dem Balkan oder osteuropäische Juden. Mitentscheidend für eine Verweigerung oder zeitliche Begrenzung von Bewilligungen war der Arbeitsmarkt.

Stärke der Ausländerkolonien in der Schweiz 1880-2010

 188019101920193019411950196019701980199020002010
Ausländische Bevölkerung (in absoluten Zahlen)211 035552 011402 385355 522223 554285 446584 7391 080 076944 9741 245 4321 495 5491 766 277
Wichtigste Herkunftsländer: 
Deutschland45,1%39,7%37,2%37,8%35,0%a19,4%16,0%10,9%9,3%6,9%7,5%14,9%
Österreich6,0%6,8%5,3%5,6% 7,7%6,5%4,1%3,4%2,4%2,0%2,1%
Frankreich25,4%11,5%14,2%10,4%10,9%9,6%5,4%5,1%5,0%4,2%4,2%5,4%
Italien19,7%36,7%33,4%35,7%42,9%49,1%59,2%54,0%44,3%30,8%21,5%16,3%
Grossbritannien      1,4%1,4%1,6%1,4%1,5%2,1%
Spanien      2,3%11,2%11,4%10,0%5,7%3,6%
Portugal      0,1%0,3%2,0%8,9%9,5%12,0%
Türkei      0,1%1,1%4,1%6,6%5,6%4,1%
(Ex-)Jugoslawien      0,2%2,3%6,4%13,9%24,2%17,8%
Anteil der ausländischen an der gesamten Wohnbevölkerung7,5%14,7%10,4%8,7%5,2%6,1%10,8%17,2%14,8%18,1%20,5%22,4%

a inkl. der Staatsbürger aus dem angeschlossenen Österreich

Stärke der Ausländerkolonien in der Schweiz 1880-2010 -  Eidgenössische Volkszählungen

Die Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus

In den Zwischenkriegsjahren war die Einwanderung aus Italien und Deutschland vom Faschismus und Nationalsozialismus geprägt. 1918 öffnete die Schweiz ihre Grenzen für diejenigen Ausländer, die bereits vor 1914 im Land gelebt hatten. Viele Italiener kamen zurück, die sich sowohl in sozialistischen Organisationen als auch in den ersten fasci zusammenfanden. Nach 1922 kontrollierte die Regierung Benito Mussolinis alle italienischen Kolonien und praktisch das gesamte Vereinswesen. In Lausanne schlossen sich in den 1930er Jahren etwa 20 Vereinigungen zu einem Kolonienrat unter dem Vorsitz des italienischen Konsuls zusammen. Der antifaschistischen Opposition gelang es immerhin, einige Verbände dem Einfluss der faschistischen Machthaber zu entziehen und Colonie libere italiane zu gründen, die sich 1943 zusammenschlossen.

Unter den deutschen Einwanderern bildeten sich ab 1919 einzelne rechtsextreme Kerne. Erste Ortsgruppen der NSDAP wurden 1930-1931 gegründet. Ab 1933 nahmen sie öffentlichen Charakter an, und ihre Anhängerschaft wuchs erheblich: In Basel zum Beispiel stieg die Mitgliederzahl bis 1941 von anfänglich 120 auf 4000. Die Nationalsozialisten organisierten mehrere Grosskundgebungen. Zu einem Erntedankfest im Oktober 1942 fanden sich über 12'000 Personen in Oerlikon ein. Der Protest der Zürcher Regierung beim Bund bewog den Bundesrat, Demonstrationen von mehr als 1000 Personen nicht mehr zu bewilligen. 1945 wurden die Naziorganisationen aufgelöst und verboten. Die meisten Antifaschisten hatten in der Schweiz Flüchtlingsstatus und waren als solche jeder öffentlichen politischen Handlungsmöglichkeit beraubt (Bundesbeschluss vom 7. April 1933).

Vom Zweiten Weltkrieg zum Wirtschaftsaufschwung der 1950er Jahre

Der Zweite Weltkrieg setzte auch den letzten, bereits schwachen Einwanderungsbewegungen ein Ende. Während des Kriegs kamen Internierte (Internierungen) und Flüchtlinge in die Schweiz. Die meisten kehrten in ihre Heimat zurück, sobald die Lage es zuliess. Für die anderen wurden nach Absprache mit internationalen Organisationen Ausreisen nach Argentinien, Australien und Palästina organisiert. Der Bund hielt an der Konzeption von 1933 fest, wonach sich die Schweiz als Transitland verstand. Der Begriff des dauernden Asyls setzte sich erst 1947 durch, sodass lediglich Flüchtlingen der letzten Kriegsjahre die Niederlassung in der Schweiz bewilligt wurde.

Die Nachkriegskonjunktur hielt in der Schweizer Wirtschaft (von wenigen Flauten abgesehen) bis 1974 an. Der Industriesektor griff in grossem Mass auf ausländische Arbeitskräfte zurück, um sowohl den Lohnanstieg zu bremsen wie auch zu expandieren. Später folgte der Dienstleistungssektor dem Beispiel. Der Ausländeranteil (ohne internationale Funktionäre, Grenzgänger und Saisonniers) stieg von 6,1% (1950 285'446) über 10,8% (1960 584'739) auf 17,2% (1970 1'080'076). Der Anteil an italienischen Staatsangehörigen wuchs bis Ende der 1960er Jahre weiter (1970 54% ohne Saisonniers), wogegen die Quote der Angehörigen anderer Nachbarstaaten abnahm. Stammten 1930 10,3% der niedergelassenen Ausländer aus nicht angrenzenden Ländern, so nahm deren Anteil nach Kriegsende stetig zu und erreichte 1970 25,7%. Geografisch vergrösserte sich das Einzugsgebiet von Nord- über Mittel- nach Süditalien, erreichte um 1960 Spanien und bald darauf Portugal, dehnte sich bis nach Griechenland und Jugoslawien und danach auf eine ständig wachsende Zahl von Ländern aus. Bis 1948 erfolgten die Anstellungen auf privater Ebene. Staatliche Abkommen mit Italien (1948, 1964) und Spanien (1961) steckten in Bezug auf Sozialversicherungen und Pensionskassen den rechtlichen Rahmen ab.

Wie in der Zwischenkriegszeit versuchten die schweizerischen Behörden in enger Zusammenarbeit mit der kantonal organisierten Fremdenpolizei und dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, die Migration an die Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen, unter Berücksichtigung sowohl des Arbeitsmarkts wie auch des "Überfremdungsgrads". Bis Ende der 1950er Jahre bestimmte die Angst vor einer erneuten Weltwirtschaftskrise das Verhalten. Man betrachtete die ausländische Arbeitskräfte als Konjunkturpuffer, eine Grösse, die bei verlangsamtem Wirtschaftswachstum rasch nach unten angepasst werden konnte (was denn auch 1948-1949, 1958 und nach 1974 getan wurde). Die Einführung eines Rotationssystems erschien als geeignete Massnahme. Der Aufenthalt von Fremdarbeitern sollte zeitlich begrenzt und nicht automatisch erneuerbar sein. Demzufolge wurden die Ausländer je nach Art der Bewilligung in Kategorien eingeteilt:

  1. Grenzgänger, die in der Schweiz erwerbstätig sind und jeden Abend wieder ausreisen (Ausweis F). Mit zunehmender Motorisierung und steigender Wohnungsnot wuchs die Zahl der Grenzgänger in den dafür günstig gelegenen Gebieten (1983-2000 ca. 100'000-150'000 Personen, mit einer Spitze von ca. 180'000 1990). Mit dem Inkrafttreten der bilateralen Abkommen zu Beginn des 21. Jahrhunderts stieg die Zahl der Grenzgänger stetig an (250'000 2011).
  2. Eine geringe, seit 1978 allerdings steigende Anzahl Personen, die eine kurzfristige, nicht erneuerbare Arbeitsbewilligung besitzen (sechs oder zwölf Monate, z.B. für Aupairmädchen).
  3. Saisonniers (Ausweis A), deren (wiederholter) Aufenthalt, ohne Familiennachzug, auf maximal neun Monate pro Jahr beschränkt ist. 1987 schwankte ihre Zahl zwischen 14'000 im Dezember und 114'000 im Sommer. Nach 1990 ging ihr Bestand um die Hälfte zurück. Mit den bilateralen Abkommen I von 1999 (2002 in Kraft) wurde dieser Status abgeschafft.
  4. Inhaber einer Jahresaufenthaltsbewilligung (Ausweis B), die erneuerbar ist und nach einer Frist, die nach Ursprungsland variiert, eventuell umgewandelt werden kann in
  5. eine unbefristete Niederlassungsbewilligung (Ausweis C), mit der die Ausländer arbeitsrechtlich schweizerischen Staatsangehörigen gleichgestellt sind.
  6. Internationale Funktionäre, die insbesondere in Genf stark vertreten sind (1950 2500, 2010 ca. 22'000 bei einem gesamtschweizerischen Total von 28'000), und Angehörige diplomatischer Vertretungen, die keiner Bewilligungspflicht unterstehen.

Um die gewünschten Migrationsbewegungen zu erreichen, wurde die Erteilung von C-Ausweisen beschränkt. Gleichzeitig versuchte man, die Inhaber von B-Ausweisen daran zu hindern, sich dauerhaft in der Schweiz niederzulassen. Deshalb wurde der Familiennachzug erst nach Jahren und nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Zudem zielte eine Reihe häufig abgeänderter Vorschriften darauf ab, die geografische, berufliche und gesellschaftliche Bewegungsfreiheit der Ausländer einzuschränken: Es war nicht erlaubt, ohne Bewilligung den Arbeitgeber, den Beruf oder den Kanton zu wechseln oder selbstständig zu werden. Für Ausländer in führenden Positionen oder für bestimmte Fachkräfte galten diese Fristen indes nicht. Vermögende Personen ohne Erwerbstätigkeit erhielten (und erhalten) relativ leicht eine Aufenthalts-, später eine Niederlassungsbewilligung. Berühmtheiten aus Sport und Kultur, wie zum Beispiel Charlie Chaplin, schätzten die Ruhe und die Steuervergünstigungen, die die Schweiz bot.

Auslegung und Anwendung des komplexen Regelwerks gaben den Behörden und der Polizei erhebliche Machtbefugnisse. Ab 1970 mehrten sich zwar die Rekursmöglichkeiten; sie blieben aber für isolierte, sprachunkundige Ausländer ohne juristische Kenntnisse nach wie vor schwer greifbar. Das Ziel, den Arbeiterfluss in Gang zu halten, wurde erreicht. Zu Beginn der 1960er Jahre lebte die grosse Mehrheit der Fremdarbeiter seit weniger als vier Jahren in der Schweiz.

Die Wende in den 1960er Jahren

Die schweizerische Ausländerpolitik erreichte zwar ihre Zielsetzungen, führte aber in eine Sackgasse. Andere Länder konkurrenzierten die Schweiz, die als Zielland italienischer Gastarbeiter an Attraktivität eingebüsst hatte, insbesondere nachdem die EWG 1964 die Freizügigkeit für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten vereinbart hatte. Schweizer Unternehmer mussten auf fernere Länder zurückgreifen, und Behörden wie Wirtschaftsspitzen wurde bewusst, dass der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nicht ein vorübergehendes, sondern ein strukturelles Phänomen war. Deshalb rückte man vom Rotationsprinzip ab und wandte sich schrittweise einer auf Integration und Assimilation ausgerichteten Politik zu, welche eine dauerhafte Niederlassung der Ausländer in der Schweiz fördern und eine erleichterte Einbürgerung ermöglichen sollte. Inhabern von B-Ausweisen wurde der Familiennachzug erleichtert. So wuchs der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung rascher als jener an Berufstätigen. Entsprechend stieg der Bedarf an Wohnungen, Plätzen in Schulen, Spitälern und Transportmitteln. Zuvor vernachlässigte Arbeiten an der öffentlichen Infrastruktur mussten nachgeholt werden (1950-1970 wuchs die Bevölkerung der Schweiz von 4'714'992 auf 6'269'783 Einw.), Arbeiten, die ohne zusätzliche ausländische Arbeitskräfte gar nicht bewältigt werden konnten.

Die Möglichkeit, nach Bedarf auf ausländische Arbeitskräfte zurückgreifen zu können, hatte die Unternehmen an ein extensives Wachstum gewöhnt und liess sie die Anlageinvestitionen vernachlässigen, was langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigte. Die Behörden versuchten die Zahl ausländischer Arbeitskräfte zu stabilisieren bzw. zu reduzieren, indem sie zuerst den Unternehmen Höchstzahlen vorschrieben, dann einen vollständigen Stopp erliessen, schliesslich die zulässige Zahl leicht tiefer ansetzten. 1970 wurden für neue A- und B-Ausweise in allen Kantonen Kontingente festgesetzt, womit die Ausländerzahl gesamtschweizerisch begrenzt wurde. Gleichzeitig wurden die Einschränkungen der Freizügigkeit gelockert. Diese Massnahmen zeigten zwar die gewünschte Wirkung (Rationalisierung und Modernisierung der Unternehmen), der ausländische Bevölkerungsanteil (1970 17,2%) aber wuchs, bedingt vor allem durch den Familiennachzug, bis zur Krise von 1974 weiter. Die Zusammensetzung hatte sich indes geändert. 1969-1974 verdoppelte sich die Zahl der bewilligten C-Ausweise, Ausdruck davon, dass der Anteil an bereits seit Jahren niedergelassenen Ausländern im Vergleich zu den Neuankömmlingen stark zunahm. Gleichzeitig erweiterte sich der Kreis der Herkunftsländer immer mehr. Stammten 1970 74% der Ausländer aus Nachbarstaaten, so waren es 2010 noch 38,7%; knapp 19% kamen (bei einer schlecht abzuschätzenden Dunkelziffer) aus nicht europäischen Ländern.

Die Ausländer als Gewinn für die Schweiz

Die 1974 ausbrechende Krise zeigte, dass sich die Ausländer als Konjunkturpuffer bestens eigneten. Indem abgelaufene A-, B- und F-Ausweise nicht erneuert und heimgekehrte Ausländer nicht ersetzt wurden, reduzierte sich die Anzahl Fremdarbeiter in vier Jahren um 300'000. So gelang es der Schweiz, ihre Arbeitslosigkeit zu exportieren, zumindest in den Rezessionsjahren 1975-1976 und 1982-1983. Auch die Krise der 1990er Jahre traf die Ausländer überdurchschnittlich stark, ihre Arbeitslosenquote war doppelt so hoch wie bei Schweizern, was sich unter anderem durch die hohe Zahl von Ausländern in wenig qualifizierten Stellen erklärt. 1959 arbeiteten mehr als zwei Drittel der erwerbstätigen Ausländer in: Baugewerbe sowie Stein- und Erdindustrie (24,5%), Hotel- und Gastgewerbe (16,6%), Metall- und Maschinenindustrie (13,8%), Haus- (8,6%, hauptsächlich Frauen) und Landwirtschaft (8,1%). 1995 arbeiteten neun Zehntel in: Energiewirtschaft, Gewerbe und Industrie (28,7%), Baugewerbe (11,3%), Handel und Gastgewerbe (24%), Banken, Versicherungs-, Beratungsgesellschaften (11,7%) und anderen Dienstleistungsbranchen (18,1%). Gemessen an der gesamtschweizerischen Erwerbsbevölkerung hatten Ausländer 1995 über 20% der Stellen im Gesundheitswesen inne, über 30% im Baugewerbe, über 40% im Hotel- und Gastgewerbe und über 50% in der Leder-, Schuh-, Texil- und Bekleidungsindustrie.

1950-1973 hatte sich das Bruttosozialprodukt (BSP) pro Einwohner fast verdoppelt, vor allem dank dem Rückgriff auf ausländische Arbeitskräfte. Aufgrund ihrer Sozialstruktur (jüngere, arbeitsfähige Altersgruppen, medizinische Aussonderung bei der Einstellung bzw. an der Grenze) verursachten die Ausländer der Gemeinschaft wenig Kosten. Die Ausbildung ging zu Lasten des Herkunftslandes. Einwanderer, die meist so viel Geld wie möglich in ihre Heimat schickten, machten viel seltener Gebrauch von der öffentlichen Infrastruktur. Mit den Familiennachzügen ab 1960-1964 änderte sich die Lage, dennoch blieben die Sozialkosten pro Kopf bei Ausländern geringer als bei Schweizern.

Soziale Folgen - Fremdenfeindlichkeit

Plakat gegen die Schwarzenbach-Initiative von Celestino Piatti, 1970 (Privatsammlung).
Plakat gegen die Schwarzenbach-Initiative von Celestino Piatti, 1970 (Privatsammlung).

Wenn auch manche Ausländer in hoch qualifizierten Stellen eine wesentliche Rolle gespielt haben (1951 stammten in der Privatwirtschaft 40% der in Forschung und Entwicklung Beschäftigten aus dem Ausland), so hatte doch ein Grossteil der Ausländer unattraktive, bei Schweizern verpönte Stellen inne. Ein Teil der Schweizer Erwerbsbevölkerung verlagerte sich vom 2. in den 3. Sektor. Innerhalb der Arbeiterschaft konnten sich die Schweizer in Posten halten, die mehr Lohn und Ansehen bedeuteten und Kader- oder Ausbildungsfunktionen umfassten. Der soziale Aufstieg vollzog sich allerdings nicht einheitlich und gleichmässig. Jenen, die nicht daran teilhaben konnten, erschienen die Ausländer vor allem als einströmende Zerstörer überkommener Arbeits- und Gesellschaftsverhältnisse. Hinzu kamen die unvermeidlichen alltäglichen Reibereien zwischen Gruppen aus verschiedenen Kulturkreisen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen, zusätzlich verstärkt dadurch, dass in den Hochkonjunkturjahren 1950-1965 das Rotationsprinzip eine Integration der Ausländer erschwert hatte.

Die Wohnungsnot und das Verbot des Familiennachzugs führten dazu, dass insbesondere 1950-1970 sehr viele Saisonniers und Jahresaufenthalter in Baracken oder auf engstem Raum in alten Liegenschaften hausten. Das Schicksal von illegal eingereisten Familien, deren Kinder nicht eingeschult werden konnten, war besonders hart. Der Wechsel zur Integrationspolitik hat neue Probleme aufgeworfen. Insbesondere die in der Schweiz geborenen oder im Kindesalter hergekommenen Ausländer bewegen sich zwischen zwei Kulturen. Bei den ältesten eingewanderten Gruppen hat sich die Lage entspannt, die Akzeptanz vergrössert. Doch die jüngsten Migrationswellen haben erneut die gleichen Probleme hervorgebracht.

Plakat gegen die Eidgenössische Volksinitiative "gegen die Überfremdung und Überbevölkerung der Schweiz". Die Initiative wurde am 20. Oktober 1974 verworfen (Musée historique de Lausanne, Fonds Meylan).
Plakat gegen die Eidgenössische Volksinitiative "gegen die Überfremdung und Überbevölkerung der Schweiz". Die Initiative wurde am 20. Oktober 1974 verworfen (Musée historique de Lausanne, Fonds Meylan).

Auch das Misstrauen gegenüber dem Ausland, dem die offizielle Schweiz lange Infiltrationsversuche und negative Beeinflussung unterstellt hatte, prägte die Geisteshaltung der Schweizer grundlegend, zumal die ideelle Gegenbewegung, der sozialistische Internationalismus von vor 1914, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs praktisch verschwunden war. Die Unzufriedenheit der Massen fokussierte sich auf die Ausländer. Anders als 1893 und 1896 entlud sich die Spannung - abgesehen von einigen unrühmlichen und mitunter tragischen Vorkommnissen - jedoch nicht in Form von Krawallen. Der Missmut nahm den institutionellen Weg über die Politik. An den kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Wahlen tauchten Listen gegen die "Überfremdung" auf; rechte Gruppierungen ausserhalb der traditionellen Parteien machten das Thema zum Zugpferd (Nationale Aktion, Schweizer Demokraten, Ausverkauf der Heimat). Dann wurde es vor allem von der Schweizerischen Volkspartei aufgegriffen. 1965-1988 wurden sechs Volksinitiativen lanciert, die darauf abzielten, die Zahl der Ausländer zu plafonieren. Alle wurden verworfen. Das zweite Volksbegehren dieser Reihe, die umstrittene Schwarzenbach-Initiative (1970), entfachte eine leidenschaftliche Diskussion mit ungewohnt heftigen Ausbrüchen von Fremdenhass.

Seit den ausgehenden 1960er Jahren hat die Zahl der politischen, religiösen oder humanitären Organisationen und Institutionen zugenommen, die sich für die Sache der Ausländer einsetzen. Vermehrt wurden auch Gegeninitiativen wie die 1981 abgelehnte Mitenand-Initiative lanciert.

Ausländerorganisationen

Ausländer haben eine Vielzahl an landesweiten, auf Freizeit, Kultur, allgemein interessierende Themen oder auch auf Politik ausgerichteten Vereinigungen gegründet. Die Verbände der italienischen Emigranten sind die ältesten. Die 1943 gegründete Federazione delle colonie libere italiane übernahm ihre Interessenvertretung gegenüber italienischen wie schweizerischen Behörden, führte Verhandlungen mit Gewerkschaften beider Länder und ermunterte ihre Mitglieder, dem SGB beizutreten. 1971 gründeten spanische Arbeiter eine vergleichbare Vereinigung, die Asociacion de Trabajadores Emigrantes Españoles en Suiza, die ebenfalls mit dem SGB zusammenarbeitet.

Während des Zweiten Weltkriegs übernahm der 1900 gegründete Partito Socialista Italiano in Svizzera unter Ignazio Silone die Leitung der (geheimen) Auslandzentrale des Partito Socialista Italiano, die als Kontakt- und Propagandastelle fungierte. 1942 wurde sie von der Schweizer Polizei ausgehoben. Die italienischen Kommunisten in der Schweiz, die sich 1948 vereinsmässig organisiert hatten, arbeiteten bis in die 1970er Jahre im Untergrund. 1966 erklärten die Schweizer Behörden, dass es Ausländern verboten sei, in irgendeiner Form auf die politische Willensbildung ganz allgemein einzuwirken, auch nicht unter Landsleuten. Aktivitäten gegen die bestehende demokratische Ordnung wurden verboten. Diese Massnahme zielte gleichermassen auf Kommunisten, Anarchisten und Rechtsextremisten ab. Gemäss einem Bundesbeschluss von 1948, der Bestimmungen aus der Vorkriegszeit aufgriff, bedurften Ausländer ohne C-Ausweis, die sich öffentlich zu einem politischen Thema äussern wollten, einer Bewilligung. Ab den 1970er Jahren ging man zu einer toleranteren Praxis über, und der Bundesbeschluss wurde 1988 aufgehoben. Seit 1980 befinden sich zum Beispiel unter den Tamilen in der Schweiz Separatisten der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), die für ihren Freiheitskampf Geld sammeln. Auch die Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans, Partiya Karkeren Kurdistan (PKK), haben einige spektakuläre Kundgebungen organisiert, um die Öffentlichkeit für ihre Anliegen zu sensibilisieren.

Die Lage im ausgehenden 20. Jahrhundert

Nach 1974 war die Zahl der Ausländer in der Schweiz gesunken, um seit 1980 vorerst leicht, seit Ende der 1980er Jahre stärker anzusteigen. Ihr Anteil an der Wohnbevölkerung stieg von 14,8% (1980) bis 1990 auf 18,1%, bis 2000 auf 20,5% und bis 2010 auf 22,4%. Das Bevölkerungswachstum in der Schweiz geht praktisch ausschliesslich auf die Ausländer zurück (75% Migrationszuwachs, 25% Geburtenüberschuss). 2000 waren 22,6% aller Ausländer in der Schweiz hier geboren (über ein Drittel Italiener, 30% Spanier), 73,8% lebten seit über fünf Jahren in der Schweiz. Rund 9% der Schweizer über 15 Jahren sind eingebürgerte Ausländer. Die Zusammensetzung der Ausländer nach Ländern hat sich mit den Jahren verändert. 1970 stammten 90,6% aus EWG- und EFTA-Ländern. 2000 waren es 55%. Neu hinzu kamen vor allem Personen aus Ex-Jugoslawien (24%) und der Türkei (5,6%).

Herkunft der Ausländer nach Kontinenten (Stand 2010)

Kontinentabsolute Zahlenin %
Europa1 504 94385,2%
Afrika71 5274,0%
Amerika74 5114,2%
Asien110 5496,3%
Australien und Ozeanien3 9900,2%
Staatenlose 757<0,1%
Herkunft der Ausländer nach Kontinenten (Stand 2010) -  Statistisches Jahrbuch der Schweiz

Auch wenn die im Mai 2000 vom Schweizer Stimmvolk angenommenen bilateralen Abkommen I den Personenverkehr mit den EU-Staaten vollständig regeln, stellt die Ausländerpolitik nach wie vor ein zentrales Thema der schweizerischen Innenpolitik dar. Im Vordergrund stehen dabei Themen wie die Integrations- und Flüchtlingspolitik; die Arbeitsbewilligungen für ausländische Arbeitskräfte aus dem Nicht-EU-Raum; die Ausländerfeindlichkeit (1994 Annahme des Antirassismusgesetzes, 1996 Ablehnung der Initiative "gegen die illegale Einwanderung", 2010 Annahme der Initiative "für die Ausschaffung krimineller Ausländer"); die staatsbürgerlichen Rechte für Ausländer (Ablehnung der erleichterten Einbürgerung für junge Ausländer 1994 und für Ausländer der zweiten und dritten Generation 2004) sowie die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (1994 angenommen). Zwei zusätzliche Protokolle zu den bilateralen Abkommen I, die in einer Volksabstimmung angenommen worden und 2004 bzw. 2009 in Kraft getreten sind, regeln die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und den neuen EU-Staaten. 1998 wurde ein neues Ausländergesetz in die Wege geleitet, das die Einreise und den Aufenthalt der Angehörigen von Nicht-EU- oder der EFTA-Staaten regelt; es wurde 2006 in einer Abstimmung angenommen und trat 2008 in Kraft.

Quellen und Literatur

  • H.-M. Hagmann, Les travailleurs étrangers, chance et tourment de la Suisse, 1966
  • R. Schlaepfer, Die Ausländerfrage in der Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg, 1969
  • A. Rosada, Giacinto Menotti Serrati nell'emigrazione (1899-1911), 1972
  • H.J. Hoffmann-Nowotny, Soziologie des Fremdarbeiterproblems, 1973
  • K. Urner, Die Deutschen in der Schweiz, 1976
  • D. Castelnuovo-Frigessi, Elvezia, il tuo governo: Operai italiani emigrati in Svizzera, 1977
  • W. Haug, "... und es kamen Menschen": Ausländerpolitik und Fremdarbeit in der Schweiz 1914 bis 1980, 1980
  • Gruner, Arbeiterschaft
  • M. Vuilleumier, Flüchtlinge und Immigranten in der Schweiz, 1989, (franz. 21987)
  • Revue syndicale suisse 82, 1990, Nr. 4
  • L'émigration politique en Europe aux XIXe et XXe siècles, 1991
  • T. Straubhaar, Schweiz. Ausländerpolitik im Strukturwandel, 1991
  • Migration und die Schweiz, hg. von H.-R. Wicker et al., 2003
  • G. und S. Arlettaz, La Suisse et les étrangers: immigration et formation nationale (1848-1933), 2004
  • Gli italiani in Svizzera, hg. von E. Halter, 2004
  • Histoire de la politique de migration, d'asile et d'intégration en Suisse depuis 1948, hg. von H. Mahnig, 2005
  • E. Piguet, Einwanderungsland Schweiz, 2006 (franz. 2004)
Weblinks

Zitiervorschlag

Marc Vuilleumier: "Ausländer", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.07.2015, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010384/2015-07-09/, konsultiert am 19.03.2024.