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Kunstgewerbeschulen

Die Kunstgewerbeschulen gehören zu den im 19. Jahrhundert entstandenen Institutionen der Berufsbildung. Seither wurden an den Kunstgewerbeschulen Lehrpersonen für den Zeichenunterricht ausgebildet und Interessierte auf den Eintritt in ausländische Kunstakademien vorbereitet. Spezielle Klassen für freie Kunst entstanden – mit Ausnahme von Genf (1852) – erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit den 1970er Jahren werden Kunstgewerbeschulen Schulen für Gestaltung (SfG) genannt. Sie bieten eine Vielzahl von Ausbildungen in gestalterischen Berufen an.

Viele Kunstgewerbeschulen haben sich aus den im 18. Jahrhundert gegründeten Zeichenschulen (z.B. Genf 1748, Basel 1762 und 1796, Zürich 1780, Luzern und St. Gallen 1783) entwickelt. Anstoss zur Gründung von Kunstgewerbeschulen in der Schweiz gaben die Weltausstellungen, die den wachsenden internationalen Wettbewerb auch im Bereich von Kunst und Kunsthandwerk förderten. Insbesondere nach der Weltausstellung von 1873 in Wien wurde die mangelhafte technische und formale Qualität der Schweizer Erzeugnisse öffentlich diskutiert und dringend die Einrichtung von besseren Schulen und von Kunst- bzw. Kunstgewerbemuseen gefordert. Vorbild für die Entstehung der Kunstgewerbeschulen in der Deutschschweiz waren die Schulen in Wien (1867) und Berlin (1868), die sich an der 1852 in London gegründeten Schule orientierten. Für die Westschweiz hatten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die französischen Kunstgewerbeschulen (Ecoles des arts et métiers) von Paris und Lyon Vorbildcharakter. Die Schulen, die in der Westschweiz auch Ecoles d'arts industriels oder Ecoles d'arts appliqués hiessen, unterrichteten die Studenten in Fachklassen. Je nach der lokal dominierenden Industrie wurden zum Beispiel in Winterthur und St. Gallen Kunsthandwerker für die Textilindustrie, in Genf und La Chaux-de-Fonds für die Uhrenindustrie und die Kunst des Emaillierens ausgebildet.

In der Schweiz wurden die ersten Kunstgewerbeschulen 1873 in La Chaux-de-Fonds, 1876 in Genf, 1877 in Luzern, 1878 in Zürich, 1887 in Biel, 1914 in Vevey und 1924 in Lausanne gegründet. Diejenigen von Biel und Vevey wurden später anderen Schulen angegliedert. Aus kunstgewerblichen Abteilungen allgemeiner Gewerbeschulen haben sich die Kunstgewerbeschulen in Bern, Basel, Lugano und St. Gallen entwickelt. Vorübergehend bestanden Kunstgewerbeschulen in Le Locle (1900-1921) und Winterthur (1874-1915). Daneben gibt es spezialisierte Fachschulen, so für Textil und Mode in St. Gallen (1867), für Weberei in Wattwil (1881) und für Holzschnitzer in Brienz (1884).

Ab 1884 wurden Kunstgewerbeschulen aufgrund eines Bundesbeschlusses subventioniert. Damit war lange Zeit eine Kontrolle durch eidgenössische Experten verbunden. Die Kunstgewerbeschulen entwickelten sich zu Fachschulen, die im Vollzeitunterricht (sogenannte Lehrwerkstätten) in Fachklassen die Grundausbildung vermittelten, aber auch Weiterbildungskurse anboten. Als das Berufsbildungsgesetz von 1930 den berufsbegleitenden Unterricht für die Lehrlinge für obligatorisch erklärte, fand dieser für die kunstgewerblichen Berufe meistens an den Kunstgewerbeschulen statt. Während sich die Kunstgewerbeschulen in den Nachbarstaaten spätestens im Zweiten Weltkrieg zu (Fach-)Hochschulen wandelten, kamen in der Schweiz Reformen nicht voran. Die von Max Bill 1963 geforderte Schaffung einer Hochschule für Gestaltung in Zürich stiess auf breiten Widerstand. Auch dem Namenswechsel in SfG in den 1970er Jahren lag keine Strukturänderung zugrunde. Im Expertenbericht zur schweizerischen Kulturpolitik (Clottu-Bericht) von 1975 wurde die Einbindung der Kunstgewerbeschulen in das Berufsschulwesen kritisiert. Der im Vergleich zum Ausland trotz anerkannt hoher Ausbildungsqualität zu niedrige Status der Kunstgewerbeschulen und die fehlenden Forschungsmöglichkeiten erfuhren eine negative Beurteilung. Gefordert wurde der Umbau aller Kunstgewerbeschulen in Fachhochschulen.

Mit der «Verordnung über die Mindestvorschriften für die Anerkennung von Höheren Fachschulen für Gestaltung» (HFG) von 1983 konnten Ausbildungsgänge auf der Tertiärstufe eingerichtet werden. Bis 1997 wurden entsprechende Klassen oder Schulen an den Schulen für Gestaltung in Basel, Bern, Genf, Lausanne, Luzern, Lugano, St. Gallen und Zürich anerkannt. Sie können seitdem den geschützten Titel «Visuelle Gestalter HFG» vergeben. Die Schweizerische Konferenz der kantonale Erziehungsdirektoren (EDK) regelt seit 1990 interkantonal die Anerkennung von Diplomen in freier Kunst (bis 1997 in Basel, Genf, Lausanne, Luzern, Zürich). In einem 1992 von der EDK verabschiedeten «Profil der Hochschulen für Gestaltung und Kunst (HGK)» wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass einige Ausbildungen an einer künftigen HGK bundesrechtlich geregelt werden, andere aber in kantonale Schulhoheit fallen, wie nebst der Ausbildung in freier Kunst die ästhetische Erziehung für Lehrberufe. Die EDK betonte den notwendigen Zusammenhang zwischen Ausbildungen in angewandter und freier Kunst und die enge organisatorische Verbindung der gestalterischen Ausbildung auf der Sekundarstufe II mit jener der Tertiärstufe. Das Fachhochschulgesetz von 1995 ermöglicht jenen Schulen, die ab 1998 in HGK überführt und in regionale Fachhochschulen eingegliedert wurden, die Postulate der 1970er Jahre zu realisieren.

Quellen und Literatur

  • G. Frauenfelder, Gesch. der gewerbl. Berufsbildung der Schweiz, 1938
  • 200e anniversaire de la fondation, 1748-1948. Résumé de l'histoire des écoles d'art à Genève depuis le 18e siècle, Ausstellungskat. Genf, 1948
  • Gründung und Entwicklung, 1878-1978: 100 Jahre Kunstgewerbeschulen der Stadt Zürich, Ausstellungskat. Zürich, 1978
  • C. Gfeller, «L'essor de l'Art nouveau à La Chaux-de-Fonds», in Nouvelle revue neuchâteloise, 1992, Nr. 34
  • P.-A. Jaccard, «La création des bourses et la formation artistique en Suisse», in Über Preise lässt sich reden. 100 Jahre Eidg. Wettbewerb für Freie Kunst, 1899-1999, 1999, 163-173,
Weblinks

Zitiervorschlag

Leza M. Uffer: "Kunstgewerbeschulen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.06.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010408/2012-06-13/, konsultiert am 28.03.2024.