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Hauslehrer

Im 17. Jahrhundert entstanden nach dem Vorbild der Fürstenerziehung ständisch-exklusive Formen der Adelserziehung (Ständische Gesellschaft), die sich im wohlhabenden Bürgertum tradierten und in Deutschland bis 1919 anstelle des öffentlichen Schulbesuchs (Schulwesen) als sogenannte Hauslehrererziehung noch möglich waren. Der Hofmeister (Hauslehrer, Instruktor, Privatlehrer) bzw. die Hofmeisterin (Gouvernante, Lectrice, Demoiselle) hatten zunächst die höfischen Lebensformen und Künste zu vermitteln. Später bildete die Weltläufigkeit der Zöglinge das Ziel ihrer Tätigkeit – mit einem starken Akzent auf dem individuell gestalteten pädagogischen Bezug und der Einordnung des Unterrichts in einen persönlich-erzieherischen Umgang. Genügte die sich langsam konstituierende Institution der Schule weltanschaulichen oder erzieherischen Bedürfnissen von Eltern nicht, zum Beispiel wegen bewusster sozialer Abhebung (Privatschulen), wohnte die Familie zu weit vom nächstgelegenen Schulhaus entfernt oder konnten die Kinder die Schule infolge Krankheit oder Behinderung nicht besuchen, stellten die betroffenen Eltern Hauslehrer ein, die den gesamten Unterricht zu erteilen hatten und zumeist während längerer Zeit bei derselben Familie blieben. Ihre Arbeit bestand vor allem im Einzelunterricht der ihnen anvertrauten Kinder. Der Hauslehrer musste demzufolge die fachliche und persönliche Eignung für das Erteilen von Unterricht mitbringen und diese täglich praktisch unter Beweis stellen. Als Rechtsgrundlage für die Tätigkeit eines Hauslehrers diente seit jeher ein privatrechtlicher Vertrag mit dem Erziehungsberechtigten. War sie früher genehmigungspflichtig, gilt sie heute als besondere Form der Berufsausübung und ist – aufgrund der umfassenden Ausgestaltung der Schulpflicht – auf Ausnahmefälle beschränkt (z.B. Kinder von Diplomaten, Artistenfamilien und Fahrenden).

Der Beruf des häufig als traurige Gestalt verspotteten Hauslehrers stellte über zwei Jahrhunderte eine Art berufliches Moratorium für künftige Pfarrer und Wissenschaftler dar. Zahlreiche pädagogische Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts sammelten ihre Unterrichtserfahrungen als Hauslehrer, unter anderem die in der Schweiz weilenden Jean-Jacques Rousseau, Friedrich Froebel, Joachim Heinrich Campe, Erzieher der Brüder Humboldt, und Johann Friedrich Herbart. Letzterer nahm 1797 eine Anstellung als Hauslehrer in der Familie des Berner Landvogts Karl Friedrich Steiger an, in der er bis 1800 vier Jungen und drei Mädchen betreute. Die zweimonatlichen Berichte, die er für seinen Dienstherrn verfasste, spiegeln einerseits den Verlauf seines Wirkens innerhalb einer von ihm als «pädagogisches Experiment» definierten Arbeit. Andererseits enthalten sie bereits die Grundbegriffe seiner späteren Pädagogik, etwa das «Konzept der Vielseitigkeit des Interesses» oder des «erziehenden Unterrichts».

Aber auch vielen Frauen bot der Beruf eine Erwerbsmöglichkeit. Weil sie in der Schweiz keine Entfaltungschancen sahen, zogen beispielsweise junge ledige Lehrerinnen aus der Westschweiz, die häufig aus dem Bildungsbürgertum stammten, im 19. Jahrhundert temporär nach Russland, wo die französische Sprache die Bildungssprache war. Sie rechneten sich zudem nach einigen Jahren Russlanderfahrung bessere Berufsaussichten in der Heimat aus.

Mit dem Aufbau des öffentlichen Schulwesens, der steigenden Komplexität und dem wachsenden Umfang der zu erarbeitenden Inhalte verengte sich die Tätigkeit der Hauslehrer auf den Unterricht jüngerer Kinder. Das seitens des Staates durchgesetzte Schulobligatorium zwang schliesslich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch die dem Modell des Hauslehrers positiv gegenüberstehenden Eltern – etwa Angehörige des Adels oder des gehobenen Bürgertums –, ihre Kinder den öffentlichen Schulen anzuvertrauen.

Quellen und Literatur

  • R. Steck, Herbart in Bern, 1899
  • G. Röhl, Der Hauslehrer, 1929
  • J.F. Herbart, Kleine pädagog. Schriften, bearb. von A. Brückmann, 1968, 5-38
  • P. Bischof, Weibl. Lehrtätige aus der Schweiz im Zarenreich, Liz. Zürich, 1990
  • A. Maeder, Gouvernantes et précepteurs neuchâtelois dans l'empire russe (1800-1890), 1993
  • A. Tanner, Arbeitsame Patrioten – wohlanständige Damen, 1995, 226-264
  • A. Bloch Pfister, Priester der Volksbildung, 2007
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans-Ulrich Grunder: "Hauslehrer", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.02.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010421/2012-02-24/, konsultiert am 19.03.2024.