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Lancasterschulen

Die Lancasterschulen gehen auf den britischen Erzieher Andrew Bell zurück, der Ende des 18. Jahrhunderts das Schulsystem des wechselseitigen Unterrichts entwickelte. Sein Landsmann Joseph Lancaster, ein Quäker, wandte die Idee wenige Jahre später in der von ihm gegründeten Schule in Southwark (Grossbritannien) an. Das Modell verbreitete sich Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem in Grossbritannien, Italien, Spanien und Frankreich.

Der Freiburger Franziskanerpater und Pädagoge Gregor Girard – der profilierteste Vertreter von Bells Pädagogik in der Schweiz – umschrieb 1820 die «Bell-Lancaster'sche Methode» als «die exakte Einteilung der Schule in mehrere Klassen; die Wahl eines oder mehrerer Schüler für das Unterrichten in jeder Klasse; schliesslich die gleichzeitige Arbeit aller Abteilungen im gleichen Lokal zur selben Zeit». Die Methode basiert auf dem Monitorialsystem, im abteilungsweisen Unterricht und im Durchlaufen von homogenen Klassen, die nicht nach Jahrgängen organisiert waren. Als Helfer des Lehrers wurden fortgeschrittene Schüler (Monitoren) eingesetzt. Die sogenannte Kehrordnung legte fest, welche Schülergruppen zu welcher Zeit in den Bänken zu sitzen und schriftlich zu arbeiten und welche sich den Wänden des Schulzimmers entlang zum mündlichen Unterricht aufzustellen hatten. Am Ende einer Unterrichtsphase wechselten die Schüler die Lernorte.

Eingangs des 19. Jahrhunderts war in Europa unklar, ob der traditionelle Einzelunterricht oder die noch junge Form der Unterweisung in Klassen Zukunft haben würde. Der wechselseitige Unterricht galt auch in der Schweiz als geeignete Möglichkeit, die ansteigenden Schülerzahlen zu bewältigen. Die Lancasterschulen verbreiteten sich von Frankreich aus zuerst in der Westschweiz. 1816 initiierte Gregor Girard in Freiburg eine Lancasterschule. Im gleichen Jahr eröffnete Frédéric-César de La Harpe in Lausanne und Charles Pictet de Rochemont in Genf eine école mutuelle, gefolgt von Louis Perrets Gründung in Neuenburg. Benannt nach der erfolgreichen Schule Girards entstanden auch sogenannten Girardinen im Kanton Tessin und vereinzelt in den Kantonen Bern, Basel, Zürich und Aargau. 1819 verordnete der Kanton Freiburg den wechselseitigen Unterricht in der Girard'schen Form für alle Landschulen. Gab es in Genf schliesslich rund 40 Lancasterschulen, waren es im Kanton Waadt 1828 73 von insgesamt 515 Klassen, die nach diesem System unterrichtet wurden.

Die Kritiker der Methode monierten die oft mechanisierten Unterrichtsformen und bemängelten die militärische Disziplin, die in den Lancasterschulen unabdingbar war. Während der wechselseitige Unterricht 1820 noch Vorbildcharakter hatte, regte sich der Widerstand bereits wenig später. Die Lancasterschulen gerieten mancherorts in die politische Auseinandersetzung zwischen Verfechtern eines liberalen und eines konservativ geführten Unterrichts. 1824 erliess Papst Leo XII. ein Verbot der Lancasterschulen. Auch in den reformierten Kantonen erlahmte die Bewegung allmählich und verschwand zum Teil bereits in den 1830er Jahren wieder.

Quellen und Literatur

  • G. Girard, Le père Girard 6-7, 1953-54
  • C. Jenzer, Die Schulklasse, 1991
  • O. Taramarcaz, Ces pairs que les adultes distinguent : l'entraide mutuelle en milieu scolaire, 1994
Weblinks

Zitiervorschlag

Hans-Ulrich Grunder: "Lancasterschulen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.11.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010427/2008-11-11/, konsultiert am 28.04.2025.