18.7.1504 Bremgarten (AG), 17.9.1575 Zürich, von Bremgarten, 1534 von Zürich. Sohn des Heinrich (->) und der Anna Wiederkehr. 1529 Anna Adlischwyler, ehemalige Nonne des Klosters Oetenbach in Zürich, Tochter des Hans, Kochs und Zunftwirts zur Meisen. Nach der Grundschulausbildung in seiner Heimatstadt und dem Besuch der Lateinschule in Emmerich am Niederrhein studierte Heinrich Bullinger 1519-1522, bis zum Abschluss als Magister Artium, an der Universität Köln. Unter dem Einfluss humanistischer Lehrer und der Lektüre von Schriften der Kirchenväter und Reformatoren wandte er sich in dieser Zeit von der römischen Kirche ab. Als Lehrer an der Klosterschule in Kappel am Albis, 1523-1529, wurde er zum entschiedenen Anhänger Zwinglis und trat durch öffentliche exegetische Vorlesungen, im Briefwechsel und publizistisch für die Zürcher Reformbewegung ein (Reformation). 1528 nahm er an der Berner Disputation teil, und im selben Jahr wurde er in die Zürcher Kirchensynode aufgenommen. 1529-1531 war er Pfarrer in Bremgarten, von wo er im Zweiten Kappelerkrieg nach Zürich flüchtete.
Am 9. Dezember 1531 wurde Bullinger zum Nachfolger des gefallenen Zwingli berufen. Unter seiner Führung erstarkte die durch den Kriegsausgang erschütterte Zürcher Kirche rasch. In der "Prädikanten- und Synodalordnung" (1532) schuf er eine dauerhafte Kirchenverfassung, welche die Beziehungen zwischen Kirche und Obrigkeit, das Synodalwesen usw. klar regelte. Mit dem Ausbau des Schul- und Stipendienwesens bewältigte Bullinger das kirchliche Nachwuchsproblem und verhalf der Zürcher Schule durch die Berufung ausgewiesener Gelehrter zu hohem Ansehen. Gegenüber der Obrigkeit trat er stets mit Nachdruck für die spezifischen Interessen von Kirche und Pfarrerschaft ein, beispielhaft in den Debatten um die zweckgerechte Verwendung der kirchlichen Güter. Auch die Freiheit des Kanzelwortes war ihm, dem engagierten Prediger, ein zentrales Anliegen.
Anders als zur Zeit Zwinglis war die eidgenössische Politik Zürichs nach 1531 defensiv, und Bullingers Einwirkungsmöglichkeiten blieben beschränkt. Als Berater der Obrigkeit war er zwar bestrebt, zumindest den konfessionellen Besitzstand zu wahren. Doch in den oft zermürbenden Streitigkeiten – etwa um das Zürcher Messemandat (1532-1533), um Rudolf Gwalthers polemischen "Antichrist" (1547) oder im Dauerkonflikt um eine gemeineidgenössische Schwurformel – lag kein Gewinn, und in der Auseinandersetzung um die Locarneser Reformierten (1555) konnte Bullinger nur gerade die Folgen lindern helfen. Gegenüber den Auswirkungen der Gegenreformation – angesichts der Rekatholisierungen in den gemeinen Herrschaften, dem Fall von Konstanz (1548) oder im Glarnerhandel (1559-1560) – war er machtlos. Doch mit Erfolg verhinderte er, gegen starken miteidgenössischen Druck, die Teilnahme der reformierten Schweizer Kirchen am Konzil von Trient.
Prägend und nachhaltig war Bullingers Einfluss auf den eidgenössischen und den europäischen Protestantismus. Unter seiner massgeblichen Beteiligung entstand 1536 in Basel das Erste Helvetische Bekenntnis. Die von Martin Bucer vermittelten Konkordienverhandlungen mit Luther scheiterten zwar 1538 endgültig, doch mit Calvin verständigte sich Bullinger 1549 im Consensus tigurinus in der Abendmahlsfrage.
Von ungewöhnlichem Ausmass und von grossem Quellenwert ist Bullingers Korrespondenz. Diese bildet mit rund 12'000 überlieferten Schreiben einen der umfangreichsten Gelehrten- bzw. Reformatorenbriefwechsel des 16. Jahrhunderts. Der Kreis der Korrespondenten – Angehörige fast aller Gesellschafts- und Bildungsschichten, vor allem Pfarrer, aber auch Politiker und Fürsten – erstreckte sich über den eidgenössischen, elsässischen und deutschen Raum hinaus und hatte deutliche Schwerpunkte in England und Polen. Vor allem aber Bullingers Publizistik war von starker normativer Kraft. Neben apologetischen und polemischen Schriften, in denen er sich immer wieder gegen den römischen Katholizismus, gegen das Täufertum und später auch gegen das Luthertum abgrenzte, veröffentlichte er eine Vielzahl von Bibelkommentaren und Predigtsammlungen, verfasste Schriften zu praktischen Fragen wie Eheleben und Krankenseelsorge. Seine Werke (124 Titel) erschienen schon zu seinen Lebzeiten in vielen Auflagen und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Das berühmteste, das "Hausbuch", eine Sammlung von 50 Predigten, fand Verbreitung weit über Europa hinaus.
Der bleibende Einfluss machte Bullinger zu einem der Väter des reformierten Protestantismus. Die Bundestheologie, als deren vorrangiger Gestalter Bullinger gilt, wirkt noch im weltlichen Staatsrechtsdenken nach, und sein Bekenntnis von 1566, auf Wunsch von Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz gedruckt, wurde als Zweites Helvetisches Bekenntnis zur Glaubensgrundlage vieler Reformierter; es ist noch heute in mehreren Kirchen Osteuropas in Kraft. Aber nicht nur als Autor kirchlich-theologischer Literatur machte sich Bullinger einen Namen. Mit seinem "Spiel von der schönen Lucretia" trat er auch als Dramatiker hervor, und mit Arbeiten zur Schweizergeschichte – zahlreiche Einzelstudien, eine Reformationsgeschichte (1564), eine Eidgenössische Geschichte (1568) und eine Zürcher Geschichte (1573-1574) – profilierte er sich als bedeutender Profanhistoriker.