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Flugblätter

Holzschnitt, um 1653 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).
Holzschnitt, um 1653 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung). […]

Flugblätter sind ein- bis zweiseitige Druckschriften, die in knapper Form eine Nachricht oder Botschaft übermitteln. Der Buchdruck war also die Voraussetzung für ihre Entstehung. Die Grenze zwischen Flugblatt und längerem Schriftstück (Flugschrift) ist fliessend. Im 15. Jahrhundert erschienen erste Flugblätter in Form von Ablassbriefen, Gebeten und Kalenderblättern. Später kursierten Flugblätter mit Nachrichten über Kriege, Schlachten, Hinrichtungen, Naturkatastrophen und Kometenerscheinungen. Diese Gelegenheitsblätter hiessen oft «Neue Zeitungen», was neue, aktuelle Nachricht bedeutete. Fliegende Händler verkauften an Messen und Märkten Flugblätter, die Gesellschaftskritik, Sensationsmeldungen oder auch propagandistisches Gedankengut enthielten. Technische Neuerungen erlaubten eine raschere Vervielfältigung der Texte und förderten die Aktualität der veröffentlichten Nachrichten, womit die Flugblätter, die neben dem Text oft Holzschnitte oder Kupferstiche enthielten, zu den Vorläufern der modernen Presse wurden.

Die mit der Reformation erscheinenden kämpferischen und polemischen Flugschriften wandten sich breit an die öffentliche Meinung, um diese für bestimmte religiöse und politische Gesinnungen zu gewinnen. Die Drucker und Verbreiter der Flugschriften wollten diese vor allem in Zeiten politischer Wirren und Unruhen einer möglichst breiten Masse zugänglich machen. Besonders hohe Auflagen erreichten bestimmte Streitschriften Martin Luthers, die nach seinen eigenen Angaben in verschiedenen Auflagen bis zu 4000 Stück vertrieben wurden. Im Dreissigjährigen Krieg erlebten die Flugblätter eine Blütezeit: Sie erschienen mit Beschreibungen von Schlachten, Belagerungen und Plünderungen, aber auch – oft in Versform und von Karikaturen begleitet – als Streitschriften und Spottblätter. Flugblätter boten ihren Autoren den Vorteil, dass sie anonym erschienen und der Druckort rasch gewechselt werden konnte. Deshalb umgingen sie die Zensur leichter als die damals schon erscheinenden Wochenzeitungen.

In der Schweiz erschienen im 16. Jahrhundert Flugblätter über die Schlachten in den Kappelerkriegen, den Wehrwillen der Eidgenossen gegenüber Kaiser Karl. V., die Befreiungskriege gegen Österreich und gegen die Vögte, ferner «wahrhaftige Relationen» über kriegerische Ereignisse. Aus dem 17. Jahrhundert sind Flugblätter über die Spannungen und Kriegshandlungen zwischen Katholiken und Reformierten, die Gefahr der Religionsstreitigkeiten für die Einigkeit der Eidgenossenschaft sowie «Manifeste» und «Contramanifeste» der sich bekämpfenden Konfessionen, patriotische «Lieder», «Warnungsstimmen» und religiöse «Aufwecker» neben anderen zahlreichen «Discoursen» und «Berichten» zur politischen Lage im Land bekannt.

Der Flugblatthändler auf einem Bauernhof. Hinterglasmalerei von Cornel Suter, um 1790 (Schweizerisches Nationalmuseum).
Der Flugblatthändler auf einem Bauernhof. Hinterglasmalerei von Cornel Suter, um 1790 (Schweizerisches Nationalmuseum). […]

Eine besonders wichtige Rolle spielten Flugblätter in den Bauernkriegen und -aufständen im 17. Jahrhundert, auch im schweizerischen Bauernkrieg von 1653. Viele Flugblätter brachten kritische Beschreibungen der Bauernschaft, andere stellten in Text und Illustration Szenen aus dem bäuerlichen Alltag dar. Die Landbevölkerung wurde oft als Gegnerin des Papsttums und als Verfechterin des Protestantismus dargestellt. Das Erscheinen der ersten periodischen Zeitungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts bedeutete nicht das Ende der Flugblätter, die namentlich in stürmischen Zeiten weiter kursierten. Über Auflagenhöhen im 17. und 18. Jahrhundert liegen keine präzisen Angaben vor. Nach Schätzungen sollen es einige hundert Exemplare, in seltenen Fällen tausend gewesen sein. Nach Bedarf wurden Flugblätter in wenigen Tagen mehrmals nachgedruckt.

Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870-1871 benutzte man die Flugblätter auf eine neuartige Weise: Sie wurden während der Belagerung von Paris als Schmäh- oder Propagandaschriften aus Luftballons abgeworfen. Auch im Zweiten Weltkrieg erschienen Flugblätter wieder als psychologisches Kampfmittel und als Nachrichtenträger. Als Propagandamittel wurden sie zeitweise in Millionenauflagen verbreitet. Anlässlich der Pariser Mai-Unruhen von 1968 spielten Flugblätter eine neue Rolle als schnelle und billige Nachrichtenträger und in der Agitation für die Strasse. Im Alltag des beginnenden 21. Jahrhunderts sind Flugblätter nach wie vor im politischen Kampf von linken, ökologischen und bürgernahen Bewegungen, die über keine Lobby verfügen, von Bedeutung. Neuerdings werben sie auch in grafisch ausgeklügelter Form als sogenannte Flyers für meist kommerzielle Veranstaltungen wie Konzerte und Discos.

Quellen und Literatur

  • K. Kirchner, Flugblätter: Psycholog. Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg in Europa, 1974
  • W. Harms, Dt. illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jh., 1985
  • K. Schottenloher, J. Binkowski, Flugblatt und Zeitung 1, 1985
  • H.-J. Köhler, Die Flugschriften der frühen Neuzeit, 1987
  • R. Haftlmeier-Seiffert, Bauerndarstellungen auf dt. illustrierten Flugblättern des 17. Jh., 1991
  • H.-J. Köhler, Bibl. der Flugschriften des 16. Jh., 1991-
  • Canards sanglants: naissance du fait divers, hg. von M. Lever, 1993
  • R. Scribner, For the Sake of Simple Folk, 1994
  • E. Bollinger, Pressegesch. 1, 1995
  • Dt. illustrierte Flugblätter 7, hg. von W. Harms et al., 1997
  • Das illustrierte Flugblatt in der Kultur der Frühen Neuzeit, hg. von W. Harms, M. Silling, 1998
  • D. Guggisberg, Das Bild der "Alten Eidgenossen" in Flugschriften des 16. bis 18. Jh., 2000
  • Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450-1700), hg. von W. Harms, A. Messerli, 2002
Weblinks

Zitiervorschlag

Ernst Bollinger: "Flugblätter", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.10.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010465/2009-10-22/, konsultiert am 12.04.2024.