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Kulturzeitschriften

Im heutigen Sinn sind Kulturzeitschriften Periodika, die für ein unspezifisches Publikum Themen aus dem ganzen Spektrum des Wissens, der Künste und des weit gefassten Bereichs der Traditionen und Lebensformen einer Gesellschaft oder Nation anbieten. In dieser Form gibt es Kulturzeitschriften seit dem 20. Jahrhundert, während ihre Vorläufer bereits ab dem 17. Jahrhundert existierten.

Deutsche Schweiz

Als früheste Schweizer Zeitschrift mit kulturellen Informationen gilt der 1694-1723 in Zürich herausgebrachte «Historische und Politische Mercurius», der monatlich über wichtige politische Geschehnisse, Naturereignisse, Unfälle und Verbrechen, seltener über wissenschaftliche Erkenntnisse oder Belange der Künste Auskunft gab. Gelegentlich wurden Buchrezensionen oder Literaturhinweise eingefügt. Den Hauptanteil der frühen Periodika machten die Gelehrtenzeitschriften aus. Sie waren meist interdisziplinär ausgerichtet und boten Literaturhinweise und Rezensionen. Zeitschriften wie Johann Jakob Scheuchzers «Seltsamer Naturgeschichten des Schweitzer-Lands wochentliche Erzehlung» (1706-1708), die in Zürich herausgegeben wurde, hatten eine andere Klientel im Auge, nämlich die gebildete bürgerliche Leserschaft. Dieser wurden in populärer Form naturwissenschaftliche Beobachtungen und Experimente sowie überlieferte Sagen zugänglich gemacht. Wissen, das der Bereicherung der Konversation dienen konnte, boten auch die «Lehrreichen, Lustig-erbaulichen Monatlichen Gespräche» (1714-1726) von Johann Heinrich Tschudi (herausgegeben in Zürich).

Wichtige Wegbereiter der späteren Kulturzeitschriften sind die ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den reformierten Städten Zürich, Basel und Bern erschienenen moralischen Wochenschriften, die im Geist der Aufklärung Tugend und Vernunft der gebildeten Bürger zu mehren trachteten und ausdrücklich auch Frauen ansprachen. So veröffentlichten Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger in Zürich die «Discourse der Mahlern» (1721-1723), die sich wöchentlich mit den Themen und Sitten der Zeit beschäftigten. Rund hundert Jahre später publizierten Schweizer Schriftsteller im Almanach «Alpenrosen» (1811-1830 in Bern, 1831-1854 in Aarau herausgegeben) Erzählungen, Dorfgeschichten und volkskundliche Beiträge. Ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert datiert die Zeitschrift «Civitas» des katholischen Schweizerischen Studentenvereins (seit 1856), die auf ihre Weise die Tradition der Gelehrtenzeitschrift fortsetzt und sich vom Vereinsorgan zur katholisch orientierten Kulturzeitschrift entwickelte.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trug die Zeitschrift «Die Alpen», hervorgegangen aus der «Berner Rundschau» (1906-1910), den Untertitel «Monatsschrift für schweizerische und allgemeine Kultur». Ab 1913 hiess die Zeitschrift «Wissen und Leben», ab 1922 «Neue Schweizer Rundschau». Max Rychner, der diese Zeitschrift 1922-1931 redigierte, engte den vormals weit gefassten Kulturbegriff wieder ein und machte aus dem Blatt ein international anerkanntes Forum für europäische Literatur. Auch zahlreiche, zu Beginn des 20. Jahrhunderts publizierte Mitgliederzeitschriften von Kunst- und Theatervereinen sowie von Berufsorganisationen aus den Bereichen Kunst, Architektur und Design gehören zu den Kulturzeitschriften. So erschien 1914 erstmals «Das Werk» als offizielles Organ des Bundes Schweizer Architekten, des Schweizerischen Werkbundes und des Schweizerischen Kunstvereins. 1921 wurden die Schweizerischen Monatshefte (heute «Schweizer Monatshefte») begründet, die als «Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur» mit explizit liberaler Ausrichtung kulturelle Themen vor allem aus den Bereichen Literatur und Kunst behandeln. Als «klassische» Kulturzeitschrift der Schweiz gilt das 1941 ins Leben gerufene Heft «Du».

Schweizer Schriftsteller wie Arnold Kübler, Maria Waser, Jakob Bührer, Rudolf von Tavel, Albin Zollinger oder Felix Moeschlin redigierten mehrfach Publikums- oder eigene kleine Literaturzeitschriften. Als langlebig erwiesen sich literarische Blätter, die sich auf ihr eigenes Gebiet beschränken, wie der «Drehpunkt», der seit 1968 erscheint, oder die Zeitschrift «Orte», die seit 1974 herausgegeben wird. 1987 gründete Alexander J. Seiler zusammen mit Max Frisch die gesellschaftspolitisch orientierte Autorenzeitschrift «Einspruch», die seit 1991 als «Entwürfe» fortgesetzt wird.

In den 1980er Jahren wurden spartengebundene Zeitschriften wie «Musik & Theater» (1980), «Parkett» (Kunst, 1984) oder «Hochparterre» (Architektur, 1988) gegründet. Eine neue Art von Kulturzeitschrift entstand Ende der 1980er Jahre aus städtischen Veranstaltungskalendern und als Ergänzung zu der als ungenügend taxierten Kulturberichterstattung lokaler Tageszeitungen: In Basel die «Programmzeitung» (1987), in Luzern «Der Kulturkalender» (1988, seit 2000 «Das Kulturmagazin»), in St. Gallen «Saiten» (1994) und in Bern «Ensuite» (2003, seit 2007 auch in Zürich). Kulturelle Themen im weitesten Sinne beleuchtet die seit 1985, heute dreimal jährlich in deutscher, französischer und englischer Sprache erscheinende Zeitschrift «Passagen» der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Einem ebenso weit gefassten, aktuellen Kulturbegriff waren jüngere Schweizer Kulturzeitschriften wie «Kult» (1997-2006) und «EigenArt» (2000-2004) verpflichtet. Kultur beschränkte sich in diesen eher urban orientierten und auf ein junges Publikum fokussierten Periodika nicht nur auf die herkömmlichen Belange der Kunst und Wissenschaft oder auf die Pflege der Tradition, sondern umfasste auch allgemeine Lebensformen und gesellschaftliche Phänomene.

Französische Schweiz

Die älteste Kulturzeitschrift in der heutigen Westschweiz war der 1732-1784 in Neuenburg erschienene «Mercure suisse», der wissenschaftliche und literarische Artikel veröffentlichte. Zu seinen Mitarbeitern zählten mehrere Schweizer Gelehrte. Das Verschwinden des «Mercure suisse» hinterliess eine Lücke, die von keiner der nachfolgenden Zeitschriften gefüllt wurde. Zur Zeit der Französischen Revolution wurden hauptsächlich Streitschriften und Zeitungen produziert. Dennoch erschien in Genf 1796 erstmals die «Bibliothèque britannique», ab 1816 als «Bibliothèque universelle» bekannt. Die angesehene bürgerliche Zeitschrift mit umfangreichen Nummern hatte bis 1924 Bestand, bevor sie mit der «Revue de Genève»fusionierte. Im Lauf der Zeit erstarkte sie immer mehr, sodass sie 1861 ihre Rivalin, die «Revue suisse», übernehmen konnte. Diese war 1838 in Lausanne lanciert worden, musste jedoch aufgrund der radikalen Waadtländer Revolution nach Neuenburg ausweichen.

Umschlag der neunten Nummer der Cahiers vaudois, die einem Text des Genfer Schriftstellers Jean Violette gewidmet ist, 1916 (Bibliothèque de Genève)
Umschlag der neunten Nummer der Cahiers vaudois, die einem Text des Genfer Schriftstellers Jean Violette gewidmet ist, 1916 (Bibliothèque de Genève) […]

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gründeten Vertreter der jungen Generation mehrere kleine Literatur- und Kunstzeitschriften. Einige von ihnen, wie die «Revue de Genève», «La Montagne» oder die «Revue helvétique» («Schweizerische Rundschau»), verschwanden bald wieder. Die Zeitschrift «La Voile latine» und später die «Cahiers vaudois» markierten den Beginn des 20. Jahrhunderts. Charles Ferdinand Ramuz, Charles-Albert Cingria, Gonzague de Reynold und Robert de Traz holten sich hier ihr Rüstzeug. Zur selben Zeit entstanden die ersten stärker politisierten Kulturzeitschriften wie «Les Feuillets», «Les Idées de Demain» und «Revue de Fribourg».

1927 verschwand auch die «Semaine littéraire», die 1896 von Louis Debarge gegründet worden war. Sie hatte als Forum für die Literaten der französischen Schweiz eine wichtige Rolle gespielt und war auch Paris gegenüber immer offen gewesen. Die von Robert de Traz lancierte «Revue de Genève» (1920-1930) konnte sie nie wirklich ersetzen. In der Zwischenkriegszeit gab es keine tonangebende Publikation, hingegen vermehrte sich die Zahl der kleinen Kulturzeitschriften mit beschränkter Auflage. Diese Publikationen waren stark politisiert, oft kurzlebig und erschienen meist in Genf oder Lausanne. Die Blätter «Nouvelle Revue romande», «Centurion», «Visages», «Ordre et Tradition» (später «Cahier de la Renaissance vaudoise») und «Homme de Droite» bekannten sich vorwiegend zum Gedankengut des Franzosen Charles Maurras und sympathisierten mit dem Faschismus. Im Gegensatz dazu vertraten «L'Eveil», «Connaître» und «L'Essor» einen antifaschistischen Kurs und betonten die Bedeutung des freien und verantwortungsvollen Menschen. Die Versuche einiger junger Autoren, unter der Führung von Gilbert Trolliet und Daniel Simond in der französischen Schweiz eine stärker literarisch ausgerichtete Zeitschrift zu gründen, scheiterten alle. «Présence» und später «Suisse romande» wiesen kaum die zum Überleben notwendigen 500 Abonnenten auf. Einige Jahre zuvor hatte «Aujourd'hui», die originelle Zeitschrift von Ramuz und Gustave Roud, kurz vor ihrem zweiten Geburtstag ihr Erscheinen einstellen müssen.

Trotz Krieg und Zensur entstanden sowohl im linken Lager («Traits») wie auch am rechten Rand («Le Mois suisse») neue Zeitschriften. Einige Blätter wie die «Suisse contemporaine» und «Lettres», die Kultur als Mittel zur Verteidigung der Demokratie einsetzten, waren weniger politisch ausgerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mehrere Kulturzeitschriften ins Leben gerufen, die mit der Linken sympathisierten («Carreau», «Carrérouge», «Rencontre», «Revue Transjurane», «Pays du Lac»), aber keine schaffte es, sich durchzusetzen und zu bestehen. Seit dem Ende der 1960er Jahre schrumpft die Zahl der Kulturzeitschriften in der französischen Schweiz kontinuierlich. Ein Grund dafür mag die Konkurrenz sein, die sich mit den Literaturbeilagen der «Gazette de Lausanne» und des «Journal de Genève» sowie mit den Magazinen aus Frankreich verstärkt hat. Die 1964 lancierte und 2005 eingestellte «Ecriture» zählte zu den wenigen Zeitschriften, die über vierzig Jahre erschienen. Die «Feux Croisés» (seit 1999, ab 2006 «Viceversa Literatur», erscheint in drei verschiedenen Ausgaben auf Französisch, Deutsch und Italienisch), die «Revue de Belles-Lettres» und die bescheideneren Blätter «La Distinction» (seit 1987) und «Le Passe-Muraille» (seit 1992) gehören zu den letzten Vertretern einer verlegerischen Gattung, die vom Aussterben bedroht scheint.

Italienische Schweiz

In der italienischen Schweiz erschienen erst am Anfang des 19. Jahrhunderts der Kultur gewidmete Periodika von einer gewissen Bedeutung wie der «Appendice letteraria» der Zeitung «Gazzetta Ticinese» (1824-1825), der enzyklopädische Vorlieben mit Popularisierungsabsichten verband, oder der «Educatore della Svizzera italiana» (1855-1972) im Geiste Stefano Franscinis. Gegen Ende des Jahrhunderts tauchten neben den allgemeinbildenden Zeitschriften auch eher fachorientierte Periodika auf; das wichtigste war die historische Zeitschrift «Bollettino storico della Svizzera italiana». Sie erschien ab 1879 mit grossen Unterbrechungen im Laufe des 20. Jahrhunderts (eine neue Reihe der Zeitschrift kommt seit 2001 heraus).

Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war für die Kulturzeitschriften eine fruchtbare Phase, auch wenn einige – «Coenobium» (1906-1919) und «Pagine libere» (1906-1912, dann in Italien fortgesetzt) – von italienischen Flüchtlingen gemacht und vor allem für ein italienisches Publikum bestimmt waren. 1899 gründete Francesco Chiesa die «Piccola rivista ticinese» (1899-1901), die bevorzugt literarische Themen und Zeitfragen behandelte. Die Kulturzeitschrift «L'Adula» (1912-1935) verteidigte die kulturelle und sprachliche Identität des Tessins im Sinne der Italianità. Auf katholischer Seite erschienen für einige Jahre die gegen die «Adula» gerichteten «Pagine nostre» (1921-1927). Mehr die Züge einer Fachzeitschrift wies die «Cultura moderna» (1905-1915) auf, die nach eigenen Angaben «wissenschaftlich-religiöse Absichten» verfolgte.

In den 1930er Jahren begründete die Sprach- und Kulturorganisation Pro Grigioni italiano für die italienischsprachigen Täler Graubündens die Zeitschrift «Quaderni grigionitaliani» (ab 1931); in demselben Jahrzehnt bekam auch das Tessin eine Neuerscheinung, die Zweimonatsschrift «Rivista storica ticinese» (1938-1946), deren Untertitel («Archäologie, Geschichte, Kunst») die Interessengebiete absteckte. Die Entstehung der Zeitschrift «Svizzera italiana» (1941-1962) stand ganz im Kontext des Zweiten Weltkriegs und der daraus folgenden Verschärfung der Debatte zwischen Italianità und Helvetismus; eine andere kurze, aber bedeutungsvolle Initiative in dieser besonderen historischen Zeit (in die auch das Auftauchen der literarischen Feuilletons in den Tessiner Zeitungen fällt) war die Herausgabe der Literaturzeitschrift «Belle lettere» (1945-1946), die ein gutes Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen schweizerischen und italienischen Intellektuellen darstellt.

In der Nachkriegszeit entstanden verschiedene Kulturblätter und -zeitschriften, unter denen «Il Cantonetto» (1953), «Cenobio» (1952), und das auf Geschichte spezialisierte «Archivio storico ticinese» (1960) Bedeutung erlangten. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erschienen in der kantonalen Kulturszene die «Bloc Notes» (1979), eine interdisziplinäre und epistemologische Zeitschrift, sowie die literarische Halbjahresschrift «Idra» (1990-2001), die vom Willen getragen war, den literarische Austausch mit Italien aufzunehmen. Dieser war im Übrigen das Anliegen eines bedeutenden Teils der Kulturzeitschriften aus der italienischen Schweiz.

Quellen und Literatur

Allgemein
  • Lex. der Schweizer Literaturen, hg. von P.-O. Walzer, 1991
Deutsche Schweiz
  • A. Silbermann, «Die Kulturzeitschrift als Lit.», in Internat. Archiv für Sozialgesch. der dt. Lit. 10, 1985, 94-112
  • E. Bollinger, Pressegesch., 2 Bde., 1995-2000
  • W. Faulstich, Mediengesch., 2 Bde., 2006
Französische Schweiz
  • D. Jakubec, «Une mosaïque de revue», in 19-39: la Suisse romande entre les deux guerres, 1986, 177 f.
  • A. Clavien, D. Le Dinh, «Jalons pour une histoire à faire: les revues romandes 1880-1914», in Les Annuelles, 1993, Nr. 4, 7-27
  • «Vingt ans de recherche sur les revues en Suisse: Bibliographie 1980-2000», in Bull. du groupe de recherche en histoire intellectuelle contemporaine, 2001, Nr. 3, 5 f.
  • A. Clavien, «Les revues suisses et la France», in La Belle Epoque des revues, 1880-1914, 2002, 335-346
Italienische Schweiz
  • P. Fontana, A. Soldini, «Giornalismo letterario e culturale ticinese nell' 800 e nel '900», in Il giornale letterario in Italia, 1960, 203-242
  • F. Mena, Stamperie ai margini d'Italia, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Urs Bugmann; Alain Clavien; Nelly Valsangiacomo: "Kulturzeitschriften", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.12.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010470/2012-12-20/, konsultiert am 19.03.2024.