Die Kurzform Radio bezeichnet ein System zur Übertragung akustischer Signale mittels elektromagnetischer Wellen; dessen Komposita stehen für die Nutzungsformen von Radio-Telegrafie (Telegraf) als Übertragung von Morsezeichen ab 1896, von Radio-Telefonie (Telefon) als Übertragung komplexer Klanggebilde wie Sprache und Musik zwischen festen Sendern und Adressaten ab 1906 und von Radio-Broadcasting (drahtloser Rundspruch) als Rundfunk mit grundsätzlich unbegrenzt vielen Rezipienten ab den 1920er Jahren. Im engeren Sinn versteht man unter Radio den Rundfunk, ebenso das Empfangsgerät, das in den 1920er Jahren zu einem Objekt und Instrument des Massenkonsums wurde, sowie den gesamten Studio- und Sendebetrieb radiophonischer Programme. Seit den 1930er Jahren zählt das Radio zu den meistgenutzten Massenkommunikationsmedien.
Die technische Verbreitung von Radio-Rundfunk erfolgte seit Anfang der 1930er Jahre sowohl über Rundfunksender als auch über Kabelnetze. Die Geschichte des Radio-Rundfunks in der Schweiz lässt sich in die Phasen Gründerzeiten (1923-1930), Blütezeit der SRG-Landessender (1931-Mitte 1960er Jahre), Übergang vom Einschalt- zum Begleitmedium (Ende 1960er bis 1980er Jahre) sowie Zeit der Kommerzialisierung mit Veranstaltervielfalt (seit 1983) gliedern.
Frühe militärische und wirtschaftliche Nutzungsformen
Autorin/Autor:
Edzard Schade
International begann die Radiogeschichte 1896 mit der Patentierung der drahtlosen Telegrafie Guglielmo Marconis, der seine ersten Experimente in Salvan durchgeführt hatte. In der Schweiz führten wie vielerorts Armeeangehörige 1905 erste umfassende Radioversuche durch. Die Ausrüstung der Schweizer Armee mit Radio-Telegrafie bzw. -Telefonie blieb jedoch über den Ersten Weltkrieg hinaus bescheiden. Der Bundesrat ermöglichte ab 1911 die zivile Nutzung der Radio-Telegrafie und erteilte dazu mehrere Radioempfangskonzessionen. Anfänglich interessierten sich vor allem Uhrenhändler für den Empfang des seit 1910 in Paris ausgestrahlten Zeitzeichens. Die kommerzielle Nutzung der Radio-Telegrafie begann in der Schweiz 1922, als in Münchenbuchsee die Marconi Radio Station AG (1928-1988 Radio Schweiz AG) den Kundenverkehr aufnahm.
Kabellose Telegrafiestation in Lausanne. Fotografie vonHenri Fontannaz, 1922 (Musée historique de Lausanne).
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Die technische Weiterentwicklung der Radio-Telegrafie zur Radio-Telefonie erfolgte wenig später. In der Schweiz entstanden erste grössere Anlagen der Radio-Telefonie zu Beginn der 1920er Jahre im Dienst des Flugverkehrs. Der erste professionell betriebene Radio-Telefoniesender wurde 1921 für die Flugplätze Kloten und Dübendorf in Betrieb genommen. 1922 folgten Sender für den Flughafen Cointrin (Genf) und für das Flugfeld in Lausanne.
Gründerzeiten des Rundspruchs
Autorin/Autor:
Edzard Schade
Der weltweite Siegeszug des Radios als Informations- und Unterhaltungsmedium begann Anfang der 1920er Jahre in den USA. Die Schweiz zählte in den 1920er Jahren zu den Rundfunkpionierländern, obschon sie keine bedeutende Radioindustrie beherbergte. Zwar regulierte der Bundesrat als oberste Radioaufsichtsbehörde die Funkkommunikation weiterhin stark, doch bewilligte er 1923 nicht kommerzielle Rundfunkversuche mit den Flugplatz-Sendern in Genf, Lausanne und Kloten (Zürich). Daraus gingen mehrere Radioveranstalter mit teilweise eigenen Radiosendern hervor: 1923 Lausanne, 1924 Zürich, 1925 Bern und Genf sowie 1926 Basel.
Das neue Medium faszinierte. Waren bis Ende 1923 knapp 1000 Empfangskonzessionen gelöst, so zahlten 1930 über 100'000 Konzessionäre Empfangsgebühren. Dieser Popularitätsgewinn gelang trotz offensichtlicher Mängel: Die Übertragungsqualität war häufig schlecht, die bis zu einstündigen Vorträge blieben schwer verständlich und bei musikalischen und dramaturgischen Sendungen störte allzu oft starkes Rauschen und Knacken den Hörgenuss. Die Radioprogramme übernahmen meist vorgegebene Formen wie Konzert-, Opern- und Theateraufführungen, Nachrichten, Vorträge, Predigten und Lesungen. Die Radiopioniere entwickelten aber auch Innovatives wie thematische Literatur- und Musikprogramme, Hörfolgen (Montage aus literarischen Zitaten, Musik und Reportagen) und Hörspiele, die dank Aufzeichnungstechnik immer mehr sukzessive statt simultan produziert wurden.
Die Radio-Programme ermöglichten breiten Bevölkerungsschichten die Teilhabe an der literarischen und musikalischen Kultur; sie versorgten diese mit Informationen zur Lebensführung und der sozialen Organisation des Alltags und sie veränderten das gesellschaftliche Musikleben sowie das musikalische Schaffen vor allem in der Unterhaltungsmusik und der Volksmusik nachhaltig.
Blütezeit der SRG-Landessender
Autorin/Autor:
Edzard Schade
Bereits Ende der 1920er Jahre erlebte die Schweiz eine erste Radiokrise, da die kleinen Radiostationen mehrheitlich nicht über genügend Gebühreneinnahmen verfügten, um kontinuierlich ein international konkurrenzfähiges Programm zu senden. Der Bundesrat förderte deshalb eine nationale Organisation des Rundfunks und die Beschränkung des Programmangebots auf die drei sprachregionalen Landessender Beromünster, Sottens und Monte Ceneri. Er orientierte seine Radiopolitik am Modell der seit 1927 als Service public geführten British Broadcasting Corporation (BBC) und setzte die Radioreform ab 1931 mit der Gründung der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, SRG) um. Die SRG wurde als nationale Monopolorganisation mit landesweiter Programmversorgung konzipiert, die als Non-Profit-Unternehmen organisiert, durch Empfangsgebühren finanziert und mit möglichst grosser Unabhängigkeit gegenüber kommerziellen, politischen und staatlichen Interessen ausgestattet war. Die Programme sollten nicht nur informieren und unterhalten, sondern auch der Weiterbildung, kulturellen Entfaltung und Integration dienen. Die Landessender profilierten sich vor allem als kulturelle Vermittler zwischen Stadt, Land und Bergregion und spielten eine wichtige Rolle in der Geistigen Landesverteidigung, die in den Radioprogrammen eine eher konservative Auslegung erfuhr. Die Einbindung der politischen Lager erwies sich als konfliktreich. Insbesondere die Linke beklagte mit dem Arbeiter-Radio-Bund der Schweiz (ARBUS) eine mangelhafte Berücksichtigung ihrer Anliegen in den Programmen. Bei der aktuellen Information musste die SRG strenge Auflagen akzeptieren: Mit der Beschränkung des Radionachrichtendienstes auf wenige kurze Bulletins sollte die Zeitungsbranche geschützt werden, und bis 1971 war die SRG verpflichtet, die Meldungen von der Schweizerischen Depeschenagentur zu beziehen.
Ganzseitiges Inserat für Radioapparate aus der Schweizer Illustrierten Zeitung, Nr. 50 vom 11.12.1920 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
[…]
Der 1927 erstmals eingeführte Finanzausgleich zwischen den einzelnen Radiostationen wurde mit der SRG-Konzession institutionalisiert, sodass seither die Programme für die Sprachminderheiten durch Gebührengelder aus der Deutschschweiz mitfinanziert werden. Innert weniger Jahre entwickelte sich das Radio zum am stärksten rezipierten Massenmedium der Schweiz: 1937 waren 500'000 und 1950 eine Million Konzessionen gelöst. Neben den SRG-Programmen stiessen aber auch ausländische Sender auf ein breites Publikumsinteresse. Insbesondere bei den musikalischen Unterhaltungsangeboten konnten die Landessender bezüglich der Qualität und Vielfalt kaum mit den meist finanzkräftigeren Konkurrenzsendern mithalten. Um den Radiokonsum auch in Regionen mit ungünstigen Empfangsverhältnissen zu fördern, bewilligte der Bundesrat 1931 den Aufbau privater Kabelnetze (Rediffusion AG, Allgemeine Radibus AG). Gleichzeitig begannen auch die Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe (PTT) über ihr Telefonnetz mit dem Aufbau des Telefonrundspruchs (1931-1998).
In den Krisen- und Kriegsjahren von 1933 bis 1945 etablierten sich die Landessender über die Landesgrenzen hinaus als seriöse Informationskanäle, die sich deutlich von der Propaganda des Staatsfunks der umliegenden Länder abhoben. Dabei erlangten einzelne Persönlichkeiten wie Jean Rudolf von Salis, René Payot oder Fulvio Bolla mit ihren regelmässigen Zeitanalysen eine hohe Bekanntheit.
Vom Einschalt- zum Begleitmedium
Autorin/Autor:
Edzard Schade
Die Programmstrategie der SRG, welche das Radio bis in die 1960er Jahre als Einschaltmedium konzipiert hatte, geriet mit dem Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium und der neuen Jugendkultur unter Druck. Bei der Neuausrichtung ihrer Radioangebote orientierte sich die SRG am kommerziellen Rundfunk in den USA und an der BBC. Dort hatte das Radio schon in den 1950er Jahren – unter anderem dank der raschen Verbreitung tragbarer Transistorradios (ab 1953) – als Begleitmedium eine neue Funktion erlangt. Durch Formatierung des Angebots, d.h. mittels spezifischer, durchgängiger Gestaltung der Musikprogramme sollten bestimmte Zielgruppen dauerhaft angesprochen werden. Die SRG profilierte ihre beiden Programmketten in den späten 1960er Jahren vor allem im Musikangebot klar: Das erste Programm bietet seither vor allem leichte Unterhaltung, regelmässige Aktualitätssendungen und verschiedene Servicesendungen (u.a. für die wachsende Hörergruppe der Autofahrer), das zweite Programm ist auf klassische Musik und Kultursendungen ausgerichtet. Das verbreitete Bedürfnis der jüngeren Generation nach Pop- und Rockmusiksendungen fand weiterhin nur begrenzt Berücksichtigung, weshalb ein wachsendes Publikum ausländische Stationen (Radio Luxembourg, SWF 3, italienische Privatsender) einschaltete. Insgesamt konnte das Radio seine Verbreitung weiter erhöhen: 1974 wurde die zweimillionste Radiokonzession gelöst.
Veranstaltervielfalt und Kommerzialisierung
Autorin/Autor:
Edzard Schade
Der letzte grosse Umbruch der schweizerischen Radiolandschaft setzte Ende der 1970er Jahre ein, als vermehrt kommerzielle Piratensender wie Roger Schawinskis Radio 24 (ab 1979) aus dem Ausland in die Schweiz einstrahlten und inländische Schwarzsender vor allem Pop- und Rockmusik für das von der SRG vernachlässigte jugendliche Publikum verbreiteten. Der Bundesrat reagierte 1983 mit der versuchsweisen Bewilligung von privaten Lokalradios, die sich über Werbung finanzieren konnten. Die SRG erhielt zugleich die Konzession für eine dritte Radioprogrammkette, die sie seither für Pop- und Rockprogramme nutzt. Die Phase der Rundfunkversuchsordnung endete 1992, als das neu geschaffene Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) in Kraft trat.
Mit der Zulassung kommerzieller Konkurrenz stieg im gesamten Radiobereich die Publikums- bzw. Nachfrageorientierung. Seitdem hat die Formatierung der Radioangebote zugenommen. Dabei zeigt sich, dass die Vielfalt an Radioveranstaltern nur begrenzt zu einer Vielfalt publizistischer Angebotsformen führt. Dessen ungeachtet löste die Liberalisierung des Radiomarkts eine Renaissance des Radios aus, was sich seither in einer erhöhten Nutzungsdauer niederschlägt. Schon seit dem Übergang vom Einschalt- zum Begleitmedium hat sich das Radiohören vom Programmhören zu dem eine andere Tätigkeit begleitenden Nebenhören entwickelt, mit tiefgreifenden Auswirkungen sowohl auf die Musik- wie die Nachrichtenproduktion: Während Musik am Radio zunehmend als Stimmungsmittel eingesetzt wird, reduzieren sich Nachrichten oft auf blosse Schlagzeilen, die das Gefühl von Informiertheit vermitteln sollen. Daneben bestehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin anspruchsvolle Kultursender, die Musiksendungen zu Hörschulen machen oder die Nachrichten durch Hintergrundsendungen vertiefen.
Seit Ende der 1990er Jahre nutzen die Radioveranstalter vermehrt das Internet als digitalen Verbreitungskanal: einerseits für ihre Rundfunkprogramme, andererseits aber auch für Zusatzangebote wie Programminformationen, Archive oder das zeitunabhängige Abhören von Sendungen über Podcasting. Die seit 1999 vom Bundesrat geförderte terrestrische Verbreitung durch Digital Audio Broadcasting (DAB) setzt sich jedoch trotz technischer Vorteile nur langsam durch.
Edzard Schade: "Radio", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010481/2015-01-29/, konsultiert am 20.03.2025.