Altes Herkommen (auch "Herkommen", häufig synonym zu "Brauch", "Gebrauch", "Gewohnheit") heisst in der Rechtssprache des Mittelalters und der frühen Neuzeit das "von alter" hergebrachte, überlieferte Recht eines jeweiligen Rechtskreises. Die Überlieferung kann, wie die "Gewohnheit" (Gewohnheitsrecht), durch kontinuierliche Übung, dann durch Spruch von Gewährsleuten (Kundschaften) oder stillschweigende Zustimmung der Rechtsgenossen (Offnungen) zustande kommen. Zum alten Herkommen zählen unterschiedliche Rechtsquellen, so neben den Rechtsgewohnheiten im eigentlichen Sinn auch verbriefte Gewohnheiten, Privilegien und Freiheiten oder Vertrags- und Satzungsrecht (Statutarrecht). Im Rahmen von Protestbewegungen von Bürgern und Bauern gegen die Obrigkeit erhielt das alte Herkommen eine wichtige Funktion als ideologische Stütze und Legitimationsfigur des Widerstands (Widerstandsrecht). Beschwerden von Untertanen, die Herrschaft habe einseitig das als normative Grundlage des Herrschaftsverhältnisses betrachtete Herkommen verletzt, sowie die Forderung nach Wiederherstellung des alten Herkommens begegnen in zahlreichen Konflikten. Auf Seiten der Revoltierenden ist der Ruf nach dem alten Herkommen aber nicht nur Ausdruck eines verletzten Rechtsbewusstseins; er zielte auch nicht zwingend auf die Wiederherstellung bzw. Erhaltung der alten Rechtsordnung. Vielmehr war er vielfach Teil eines Mobilisierungskonzepts, das dem Protest Ziel, Richtung und Durchhaltevermögen verleihen sollte. Von eidgenössischer Seite wurden im Zuge der Ablösung vom Reich das Festhalten an den "alten Gebräuchen" sowie die Hochschätzung der Gewohnheit und pragmatischen Rechtsverfahren dem als spitzfindig, volksfern und unbillig deklarierten gelehrten, römischen Juristenrecht entgegengehalten und zum Merkmal eidgenössischer Identität sowie zur ideologischen Kategorie eines nationalen Selbstbewusstseins stilisiert. Diese Vorstellung hat in der (Rechts-)Geschichtsschreibung interpretationsleitend gewirkt.
Quellen und Literatur
- C. Schott, «Wir Eidgenossen fragen nicht nach Bartele und Baldele», in Gerichtslauben-Vorträge, hg. von K. Kroeschell, 1983, 17-45
- W. Trossbach, Soziale Bewegung und polit. Erfahrung, 1987, 52-59
- La Coutume 2: Europe occidentale, médiévale et moderne, 1990
- G. Dilcher, «Ma. Rechtsgewohnheit als method.-theoret. Problem», in Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im MA, hg. von G. Dilcher et al., 1992, 21-65
Weblinks