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Kulturpolitik

In einem weiten Verständnis umfasst Kulturpolitik alle Bestrebungen von Machtträgern, die auf die Felder der Kunst, Religion, Bildung und Wissenschaft, Medien sowie Freizeitgestaltung gerichtet sind. Sie wirkt vor allem ordnend, indem sie zum Beispiel das Urheberrecht (Geistiges Eigentum) oder den Kulturgüterschutz regelt, aber auch fördernd, indem sie künstlerisches Schaffen unterstützt. Sie erreicht eine breitere gesellschaftspolitische Ausprägung, wenn die kulturelle Versorgung etwa dem Ziel einer kollektiven Identität oder der kritischen Auseinandersetzung mit ihr dient; oder eine machtpolitische, wenn sie künstlerische Werke und geistige Werte für ihre Zwecke instrumentalisiert. Der Begriff Kulturförderung umschreibt die Kulturpolitik in einem engeren Sinne. Er meint die zumeist materielle Unterstützung der Produktion, Vermittlung und Bewahrung kultureller Leistungen, wie sie staatliche Institutionen, aber auch Private wie Kulturstiftungen, Sponsoren oder Mäzene (Mäzenatentum) betreiben.

Geschichtliche Entwicklung

Frühe Formen der Kulturpolitik zeigen sich in der Förderung von Künstlern oder in der Errichtung von Prestigebauten, die den politischen oder kirchlichen Mächtigen zur Selbstdarstellung oder zur Verbreitung von Wertvorstellungen dienten. Missionierung, Schul- und Kirchengründungen oder ab dem 15. Jahrhundert die Osterspiele (Geistliche Spiele) in grösseren Städten sowie das Volkstheater waren ebenso Ausdruck kulturpolitischen Gestaltungswillens wie das im 17. Jahrhundert erlassene Verbot des Theaterspiels oder die verbreitete behördliche Zensur.

Bis ins 18. Jahrhundert beschränkte sich die Kulturpolitik meist auf einzelne Städte und eidgenössische Orte sowie geistliche Fürsten wie etwa den Fürstabt von St. Gallen oder den Fürstbischof von Basel. Selbst nach der Gründung des Bundesstaates blieb es auf eidgenössischer Ebene bis in die 1880er Jahre bei punktuellen Aktionen. Die republikanische Schweiz mass der Kulturpolitik nicht jene gesellschaftliche Einflusskraft zu wie die europäischen Fürstenhöfe. Bis heute existiert in der föderalistischen Schweiz weder eine Nationalgalerie noch ein Staatstheater.

Die Anfänge einer Kulturpolitik im modernen Verständnis gehen auf die zentralistisch strukturierte, ebenso kurze wie kulturpolitisch nachhaltige Helvetische Republik zurück. Hierbei spielte unter den zum Liberalismus neigenden, die alte föderalistische Ordnung bekämpfenden Vertretern insbesondere Philipp Albert Stapfer, Minister der Künste und Wissenschaften, eine wichtige Rolle. Die Bundesverfassung von 1848, wieder stark von föderalistischen Kräften geformt, enthielt hingegen keinen Kulturartikel. Doch entsprachen Gründungen wie jene des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich 1854 (Eidgenössische Technische Hochschulen), des Schweizerischen Landesmuseums 1890 und der Schweizerischen Landesbibliothek 1894 dem Bemühen, auch ohne ausdrückliche Verfassungsgrundlage die nationale Identität zu stärken. Bereits die erste der Landesausstellungen hatte 1883 mit ihrer Kunstschau der patriotischen Selbstdarstellung gedient. Diesem Zeitgeist entsprach 1886 der Bundesbeschluss über den Schutz historischer Denkmäler (Denkmalpflege), während jener zur Kunstförderung von 1887, der die periodische Veranstaltung nationaler Ausstellungen, Werkankäufe und die Unterstützung monumentaler Kunstwerke vorsah, auf Grund künstlerischer (Hebung der Qualität), wirtschaftlicher (Kunstmarkt) und patriotischer Überlegungen zustande kam.

Ein nächster kulturpolitischer Schub folgte vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Zug der Geistigen Landesverteidigung. Der Bund begegnete der totalitären Bedrohung mit identitätsstärkenden Anstrengungen: 1938 erfolgte die Subventionierung des Kurzwellendiensts als Verbindung zu den Auslandschweizern (Radio) und die Anerkennung des Rätoromanischen als vierte Landessprache (Mehrsprachigkeit), 1939 die Gründung der Pro Helvetia zur Förderung des künstlerischen Schaffens, der Volkskultur (Volkskunst) und der Verständigung über die Sprachgrenzen im Inland hinweg. In der Botschaft «über die Organisation und die Aufgaben der schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung vom 9.12.1938», welche die Schaffung der Pro Helvetia begründete, setzte sich der Bundesrat auch eine offizielle Aussenkulturpolitik zum Ziel. Informell hatte es eine solche schon lange gegeben, etwa mit der Teilnahme von Schweizer Künstlern an internationalen Ausstellungen auf der Basis des Bundesbeschlusses zur Kunstförderung von 1887 oder mit der Teilnahme an Weltausstellungen (oft auch ein Instrument der Wirtschaftspolitik). Kulturpolitisch begann sich die Schweiz nach 1945 nach aussen zu öffnen, zuerst mit einseitiger Kulturwerbung, später mit dem Konzept des gegenseitig wirkenden Austauschs. 1949 trat sie der Unesco bei. Hingegen vermied sie bilaterale Kulturabkommen, einerseits aus föderalistischen und neutralitätspolitischen Gründen, andererseits wegen fehlender Rechtsgrundlage.

In der Nachkriegszeit wurden zwar wichtige Artikel zu Bereichen der Kulturpolitik in der Bundesverfassung verankert, so 1958 zum Filmschaffen (Film) und 1962 zum Heimatschutz, doch offenbarten die gesellschaftlichen Turbulenzen der späten 1960er Jahre ein Defizit: Eine einseitige Ausrichtung auf die wirtschaftliche und technologische Wachstumsförderung, föderalistische Rücksichtnahmen und die Angst vor einer «Staatskultur» verhinderten eine schweizerische Kulturpolitik. 1975 publizierte eine vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission unter dem Präsidium von Gaston Clottu, die eine Auslegeordnung der Kulturpolitik vornahm, unter dem Motto der kulturellen Demokratie reichhaltige Empfehlungen, die jedoch kaum umgesetzt wurden.

Abstimmungsplakat für die Kulturinitiative vom 28. September 1986, gestaltet von Bruno Kammerer (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Abstimmungsplakat für die Kulturinitiative vom 28. September 1986, gestaltet von Bruno Kammerer (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Nach der Rezession der 1970er Jahre boomte das Kulturleben. Die 1980 lancierte Kulturinitiative verlangte einen Verfassungszusatz, wonach ein Prozent der Staatsausgaben für kulturelle Zwecke zu reservieren sei. Sie scheiterte 1986 in einer Volksabstimmung aber ebenso wie 1994 ein moderaterer Vorschlag. Erst 1999 gelang es im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung, der Kulturpolitik eine Verfassungsgrundlage und dem Bund eine explizite Kompetenz zur Kulturförderung zu sichern. Zehn Jahre später verabschiedete das Parlament ein Kulturförderungsgesetz, in welches auch das frühere Pro Helvetia-Gesetz integriert wurde. Der Erlass hat primär Organisationscharakter und regelt die Kulturförderung des Bundes hinsichtlich der Bewahrung des kulturellen Erbes, des Kunst- und Kulturschaffens, der Vermittlung von Kunst und Kultur sowie des Kulturaustauschs im Inland und mit dem Ausland.

Grundzüge und Akteure

Die Kulturpolitik der «Willensnation» Schweiz spiegelt deren Wesenszüge. Sie ist föderativ, d.h. dezentral strukturiert. Sie strebt keine Einheitlichkeit an, sondern fördert die Vielfalt. Sie schützt besonders die Minderheiten im Land und dient dem Zusammenhalt unter den vier Sprachregionen. Als wichtiges Prinzip gilt zudem, dass der Staat gegenüber den Privaten und obere staatliche Instanzen gegenüber unteren subsidiär wirken sollen. Auf nationaler Ebene sind die Hauptakteure der schweizerischen Kulturpolitik das Bundesamt für Kultur (dieses setzt als Fachbehörde die Kulturpolitik des Bundes um und ist auf jenen Gebieten tätig, für die nicht die Pro Helvetia oder das EDA zuständig sind), die Stiftung Pro Helvetia (ihr obliegen die Nachwuchsförderung, die Kunstvermittlung, die Förderung des künstlerischen Schaffens sowie der Kulturaustausch im Inland und mit dem Ausland) und das EDA mit der Organisation Präsenz Schweiz und seinen Auslandvertretungen.

Bedeutsame kulturpolitische Funktionen übernimmt der Bund als Sammler (u.a. erwirbt er aus dem ihm 1890 von privater Seite geschenkten Vermögen der Gottfried Keller-Stiftung Werke der Schweizer Kunst), in der Denkmalpflege (Bundesinventare), als Betreiber eigener Institutionen wie Museen, der Cinémathèque (Schweizer Filmarchiv), der Schweizerischen Landesphonothek, des Bundesarchivs und des Schweizerischen Literaturarchivs, in der Ausbildung Kunstschaffender (Kunststipendien), in der Sprachpolitik (Sprachengesetz, Wörterbücher) sowie in der Medienpolitik (Kulturauftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft).

Kulturausgaben der öffentlichen Hand 1990-2002
Kulturausgaben der öffentlichen Hand 1990-2002 […]

Auch wenn der Bund laut Verfassung «kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen» kann, so sind doch primär die Kantone für die Kultur zuständig, wobei den grossen Städten eine zentrale Rolle zukommt. Diese föderalistische Regelung war derart selbstverständlich, und Kulturpolitik derart lange kein massgebliches Politikgebiet, dass die Kantone erst ab den 1960er Jahren begannen, ihre Kompetenz in spezifischen Rechtserlassen zu konkretisieren. Viele von ihnen verfügen neben den ordentlichen Budgets über ein weiteres, flexibles Förderinstrument: den Lotteriefonds. Ansonsten lassen sich angesichts der kantonalen Unterschiede kaum allgemein gültige Aussagen machen. Dem dreisprachigen, ländlich geprägten Bergkanton Graubünden zum Beispiel stellen sich ganz andere kulturpolitische Aufgaben als den urbanen Stadtkantonen Basel und Genf. Verbindendes kulturpolitisches Denken entwickeln die Konferenzen der kantonalen und städtischen Kulturbeauftragten. Die föderalistischen Zuständigkeiten drücken sich auch in den öffentlichen Kulturausgaben aus: Von den etwa 2,24 Mrd. Franken im Jahr 2007 trugen die Gemeinden 46%, die Kantone 39% und der Bund 15%.

Quellen und Literatur

  • Der Bund fördert, der Bund sammelt, 1988
  • F. Kessler, Die schweiz. Kulturstiftung "Pro Helvetia", 1993 (mit Bibl.)
  • A. Schindler, C. Reichenau, Zahlen, bitte!, 1999
  • R. Keller, «Die Kulturpolitik der Schweiz», in Kompendium Kulturmanagement, hg. von A. Klein, 22008, 119-144
Von der Redaktion ergänzt
  • Gillabert, Matthieu: Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse. Objectifs, réseaux et réalisations (1938-1984), 2013.
  • Milani, Pauline: Le diplomate et l'artiste. Construction d'une politique culturelle suisse à l'étranger (1938-1985), 2013.
Weblinks

Zitiervorschlag

Rolf Keller: "Kulturpolitik", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.07.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010993/2010-07-14/, konsultiert am 17.04.2024.