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Kornhäuser

Bis zum 19. Jahrhundert zählten Kornhäuser zu den grossen öffentlichen Zweckbauten. Sie dienten der Aufbewahrung von Brotgetreide und anderen Nahrungsmitteln wie Wein, Salz, Butter. Kleinere Bauten findet man auch unter den Namen Zehntenscheune, Kornschütte und Kornspeicher. Oft erfüllte der Dachboden des Rathauses oder der Kirche den Zweck. In den Kornhäusern sammelten und horteten die Obrigkeiten aus Naturaleinkünften stammendes oder auf dem Markt hinzugekauftes Getreide, das sie zur Entrichtung von Naturallöhnen verwendeten und in Notzeiten verbilligt an die Bevölkerung abgaben (Kornpolitik). Den dominierenden Typus des städtischen Kornhauses stellte im 17. Jahrhundert ein rechteckiges, kleinbefenstertes Steingebäude mit hölzernen Kornböden dar; die jüngeren ähnelten zuweilen einem Palais.

Im 19. Jahrhundert beendeten die Ablösung des Getreidezehnten und eine neue Staatsauffassung die lenkende Rolle der öffentlichen Hand in Getreidelagerung und -handel; die staatlichen Aktivitäten beschränkten sich vor allem auf die Kriegsvorsorge (Wirtschaftliche Landesversorgung). Die Industrie rückte Mühle und Speicher zusammen. Die nach 1850 rasch wachsende Transportkapazität von Eisenbahn und Flussschifffahrt führte zu neuen Standorten, die mechanische Förderung zum neuen Typus des hochaufragenden Silos.

Obrigkeitliche Kornhäuser des Ancien Régime bestehen noch gegen hundert. Als ältestes gilt das ins Mittelalter zurückreichende Kornhaus des Klosters St. Katharinental (Gemeinde Diessenhofen, Ende 13. Jh.). Die stattlichsten sind das Museggmagazin in Luzern (1684-1686), das Grosse Kornhaus in Bern (mit Fasskeller und Markthalle, 1711-1718), das Kornhaus der Fürstabtei St. Gallen am Hafen von Rorschach (1745-1749, von Johann Caspar Bagnato) und das bernische von Moudon (1774-1777, von Niklaus Hebler). Als Magazinbauten mit bloss hölzerner Unterteilung liessen sich Kornhäuser leicht umnutzen; so wurde das baslerische Kornhaus in Waldenburg (1673) 1834 zur reformierten Pfarrkirche und das Kernen- oder Kornhaus in Schwyz (1711-1717) 1802 zum Zeughaus bzw. 1991 zum Forum der Schweizer Geschichte; die Halles du Molard in Genf (1690-1695) verwandelten sich 1801-1803 in Miets- und ab der Mitte des 20. Jahrhunderts in Geschäfts- und Bürohäuser. Das Kornhaus in Morges, welches die Berner Obrigkeit 1690-1692 errichten liess, dient seit der Renovation Ende der 1980er Jahre als Kulturzentrum.

In der Nachfolge der alten Kornhäuser stehen zwei herausragende Bauten aus dem 20. Jahrhundert. 1912-1913 wurde in Altdorf (UR) für die Kriegsvorsorge von Robert Maillart das Eidgenössische Getreidelager für Sack- und Schüttgut mit Betonpilzdecken errichtet (seit 2001 ausser Betrieb). 1924 entstand im Basler Rheinhafen im Auftrag des Kantons Basel-Stadt der Getreidesilo der Schweizerischen Schleppschiffahrt-Genossenschaft, das erste Hochhaus der Stadt (Architekt Hans Bernoulli, Ingenieur Oskar Bosshardt).

Quellen und Literatur

  • Kdm
  • INSA
  • A.-M. Piuz, L. Mottu-Weber, L'économie genevoise, de la Réforme à la fin de l'Ancien Régime, 1990, 264-266
  • P. Zünd, Dokumentationsmappe zur Ausstellung Kornhäuser und Getreidespeicher in der Schweiz, Rorschach, 1991
  • "Währschafft, nuzlich und schön", Ausstellungskat. Bern, 1994, 25-29
  • D. Studer, «Kornhäuser – ein charakterist. Haustyp und seine hist.-geogr. Bezüge im Bodenseeraum», in Was haben wir aus dem See gemacht?, 2001, 55-62
Weblinks

Zitiervorschlag

Georg Germann: "Kornhäuser", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11.11.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011004/2010-11-11/, konsultiert am 19.03.2024.