10.7.1509 Noyon (Picardie), 27.5.1564 Genf. Sohn des Gérard Cauvin, Notars des Domkapitels von Noyon. Cousin des Pierre Robert Olivétan. 1540 Idelette von Bure (1549), Witwe des Wiedertäufers Jean Stordeur, den Johannes Calvin zum reformierten Glauben zurückgeführt hatte. Nach humanistisch-theologischen Studien in Paris absolvierte Calvin in Orléans und Bourges zusammen mit Pierre de l'Estoile und Andreas Alciati ein Rechtsstudium, das er 1531 mit dem Lizentiat abschloss. In Orléans hatte er sich in die griechische Sprache eingelesen und das reformierte Gedankengut kennengelernt. Nach dem Tod seines Vaters 1531 kehrte er nach Paris zurück, um sich der klassischen Literatur zu widmen. 1532 verfasste er einen Kommentar zu Senecas "De Clementia". Ende 1533 musste Calvin die Hauptstadt verlassen, weil er sich für die Reformation erklärt hatte. Nach Aufenthalten bei Margarethe von Navarra in Angoulême und bei Renée d'Este in Ferrara liess er sich in Basel nieder und veröffentlichte 1536 die "Institutio Religionis Christianae", eine Unterweisung in der christlichen Religion. Als er im Juli 1536 während einer Reise in Genf weilte, überzeugte ihn Guillaume Farel, in die soeben für die Reformation gewonnene Stadt zu ziehen. Calvin hielt dort zunächst Vorlesungen über die Heilige Schrift; einige Monate später wurde er Pfarrer. Farel und Calvin wollten die Zulassung zum Abendmahl beschränken; die langwierigen Auseinandersetzungen mit dem Stadtrat, die sich an dieser Frage entzündeten, führten Ostern 1538 zu ihrer Verbannung aus Genf. Calvin ging nach Strassburg, wo er Pfarrer der französischsprachigen Flüchtlingsgemeinde wurde und an der neuen Akademie lehrte. Er veröffentlichte 1539 eine zweite Ausgabe der "Institutio" (mit 17 anstatt 6 Kapiteln) und 1541 eine französische Übersetzung derselben, die als frühes Musterbeispiel französischer Eloquenz gilt, sowie dazwischen 1540 den Kommentar zum Römerbrief, den ersten seiner zahlreichen Bibelkommentare. Ferner verfasste er eine französischsprachige Liturgie, die stark von Martin Bucer beeinflusst war, und publizierte eine erste Sammlung der Psalmenverse von Clément Marot. 1540-1541 nahm er mit Bucer an den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg teil und schloss Freundschaft mit Philipp Melanchthon.
Den Genfer Behörden mangelte es nach dem Abzug der bischöflichen Beamten an kompetenten Administratoren und Rechtsgelehrten. Nach dem Rücktritt der zwei Pfarrer, die Farel und Calvin ersetzt hatten, sahen sie sich 1540 gezwungen, Calvin zurückzurufen. Dieser liess zehn Monate verstreichen, bevor er in eine Rückkehr einwilligte. Obwohl er zunächst beabsichtigt hatte, nur wenige Monate in Genf zu verbringen, blieb Calvin die folgenden 23 Jahre bis zu seinem Tod in der Rhonestadt. Schon 1541-1542 schuf er mit den drei theologischen Schriften, den "Ordonnances ecclésiastiques", dem "Genfer Katechismus" und der "Forme des prières" Grundlagen für die Verfassung, die Liturgie und die Lehre der Genfer Kirche, wie sie seit dem Wegzug des Bischofs nicht mehr bestanden hatten. Die "Ordonnances" unterschieden mit den pasteurs (Pfarrern), den docteurs (Lehrern), den anciens (Ältesten, für die Disziplin zuständig) und den diacres (Diakonen, im Spital- und Almosenwesen tätig) zwischen vier Ämtern im Kirchendienst. Die Compagnie des pasteurs diente der ständigen Weiterbildung der Amtsträger und spielte als eine Art "kollektiver Bischof" die Rolle der Aufsicht. Das Konsistorium, dem die Pfarrer und die aus dem Stadtrat gewählten Ältesten angehörten – Letztere stellten in dem Gremium die Mehrheit –, überwachte die Einhaltung der Sitten- und Glaubensregeln; es konnte im Gegensatz zu den Konsistorien von Zürich und Bern auch Exkommunikationen (Ausschlüsse vom Abendmahl) verfügen. Dieses Recht war aber bis 1557 umstritten.
In seinen häufigen Reden im Genfer Stadtrat als Wortführer der Compagnie des pasteurs und seinen zahlreichen Predigten (ca. 250 pro Jahr) propagierte Calvin nicht nur die religiöse Reform, sondern auch eine radikale Veränderung des gesellschaftlichen und individuellen Verhaltens. Sein Ideal war das "neue Jerusalem", die Heilige Stadt. Calvin verfügte in Genf allerdings über keinerlei politischen Einfluss; eingebürgert wurde er erst 1559. Die zahlreichen französischen und lateinischen Schriften verbreiteten die Botschaft des Reformators weitherum, vor allem auch in Frankreich. Deren Attraktivität lässt sich an den Tausenden von Flüchtlingen ablesen, die nach Genf strömten: 1535-1562 wuchs die Bevölkerung der Stadt von 10'000 auf 23'000 Einwohner, das Druckergewerbe wurde zu einem wichtigen Industriezweig und die Professoren und Studenten der 1559 gegründeten Akademie machten Genf zur "Bildungshauptstadt" des französischsprachigen Protestantismus.
Johannes Calvin starb, von Konflikten ausgezehrt und von Krankheiten geschwächt, kurz vor seinem 55. Geburtstag. Die Botschaft, die er hinterliess, unterschied sich in ihrem Kern nicht von jener der anderen Reformatoren, doch wusste er ihr – insbesondere in der aus vier Büchern bzw. 80 Kapiteln bestehenden Endfassung der "Institutio" (lateinisch 1559, französisch 1560) – eine Spannweite und Kohärenz zu verleihen, die man bei Luther und Zwingli nicht findet. Nach Calvin kann der Mensch sich nicht durch gute Taten vor Gott rechtfertigen bzw. sein Seelenheil verdienen, weil in den Augen eines unendlich reinen Gottes keine menschliche Tat verdienstvoll ist, da ihr stets der Sündenfall anhaftet. Heil kommt nur von der Gnade, von der unentgeltlichen Gabe Gottes in Jesus Christus. Das einzige, was Gott von uns erwartet, ist der Glaube. Diese Aussagen stützen sich auf die Autorität der Bibel. Sie, und nicht die geistliche Hierarchie (weder Papst noch Konzil), ist die alleinige Quelle der göttlichen Offenbarung. Zu den Besonderheiten der Lehre Calvins gehört der grosse Abstand zwischen Gott und Mensch: Die unendliche Erhabenheit Gottes geht Hand in Hand mit dem Bewusstsein des vollständigen Verfalls des Menschen. Im Unterschied zu Luther waren für Calvin alle Bibelteile gleichermassen durch den Heiligen Geist inspiriert, weshalb er dem Alten Testament mehr Bedeutung beimass als die anderen Reformatoren. Die für die jüdische Geschichtsschreibung grundlegende Idee vom auserwählten Volk ist der Lehre der doppelten Prädestination, die Calvin vortrug, nicht unähnlich: Nach dieser Lehre bestimmt Gott, welche Menschen Erwählte (Ausdruck der göttlichen Barmherzigkeit) und welche auf ewig Verdammte (Ausdruck der göttlichen Gerechtigkeit) sind. Im Abendmahlsstreit versuchte Calvin zwischen Luther und Zwingli zu vermitteln. Einerseits sprach er in "Petit Traité de la sainte Cène" (1541) wie die Lutheraner von Jesus Christus als "Substanz" des Sakraments und versicherte, dass beim Abendmahl wirklich der Leib und das Blut von Jesus Christus eingenommen werden ("vrayement en la Cene le corps et le sang de Jesus Christ"). Andererseits fügte er wie die Zwinglianer hinzu, dass dabei die Gemeinschaft der Gläubigen versinnbildlicht werde und die Seelen geistige Nahrung erhielten ("le Seigneur nous y represente la communion de l'un et de l'autre", "nos âmes reçoivent une nourriture spirituelle"). Calvin wusste mit den Nachfolgern Zwinglis eine Einigung zu finden ("Consensus Tigurinus" 1549), mit den Lutheranern hingegen war keine Verständigung möglich, und die Feindschaft der beiden Lager hielt noch jahrhundertelang an. Was das Verhältnis von Kirche und Staat betrifft, räumte Calvin der Kirche ein Mass an Autonomie ein, das grösser war als dasjenige Luthers oder Zwinglis und ihr erlaubte, auch in einem feindlichen Umfeld zu überleben (z.B. in Frankreich oder den Niederlanden).
Nur wenige Menschen haben eine so grosse und vielfältige Wirkung gehabt wie Calvin. Er war nicht nur der Vater einer solide abgestützten, klarsichtigen theologischen Lehre, welche die reformierten Kirchen der ganzen Welt inspirierte (Calvinismus), sondern gab auch den Anstoss zu einer Entwicklung hin zur Verantwortlichkeit des Individuums, die zur modernen Demokratie führte. Man schreibt ihm auch zu, zum Aufstieg des Kapitalismus beigetragen zu haben, wobei dieses Verdienst bisweilen überschätzt wird. Durch die Klarheit und Einfachheit seines Stils trug er wesentlich zur Entstehung der klassischen französischen Sprache bei. Trotz des radikalen Pessimismus hinsichtlich der Sündhaftigkeit des Menschen entwarf und vermittelte er die Vision einer begnadeten, vor Gott direkt verantwortlichen Menschheit, welche die Menschenwürde achtet, da sie bestrebt ist, Gott zu ehren und zu loben.