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Zeichnung

Weidendes Rentier. Gravierung auf Rengeweih aus der Altsteinzeit, um 10'000 v.Chr. (Rosgartenmuseum, Konstanz).
Weidendes Rentier. Gravierung auf Rengeweih aus der Altsteinzeit, um 10'000 v.Chr. (Rosgartenmuseum, Konstanz).

In prähistorischer Zeit trat die Zeichnung als Vorstufe zur Malerei und zum Schmücken von Gegenständen auf, etwa durch Ritzen von Knochen oder Stein. Weltberühmt ist die Ritzzeichnung des «Suchenden Rentiers» im Kesslerloch. Aus dem Früh- und Hochmittelalter sind Zeichnungen als Werkstattbehelf bekannt ― auf Wachstafeln oder Holztafeln mit Kreidegrundierung ― sowie Vorzeichnungen unter der Wandmalerei. Gezeichnet wurde mit Stift, Pinsel oder Feder. Ältester Beleg einer Federarbeit mit Tinte auf Pergament ist der um 820 entstandene Klosterplan von St. Gallen (Frühmittelalterliche Kunst). Die Zeichnung entwickelte sich während des Mittelalters in enger Verbindung mit der Buchmalerei und anschliessend der Buchillustration, zum Beispiel mit Martin Schongauer und dem Nürnberger Künstler Albrecht Dürer (Druckgrafik). In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verdrängte das günstiger hergestellte Papier das Pergament, was neue Techniken erforderte. Nun wurde auf grundiertem Papier auch mit dem Silberstift gezeichnet und mit Pinsel und Wasserfarbe stellenweise getönt, sodass die Zeichnung einen malerischen Effekt erhielt. Weich zeichnende Stifte wie Kohle und Kreide (Rötel) kamen in Gebrauch. Die Zeichnung begann sich als selbstständige Kunstgattung zu behaupten.

"Allegorie auf die Vergänglichkeit des Kriegsglücks". Federzeichnung von Urs Graf, um 1525 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler).
"Allegorie auf die Vergänglichkeit des Kriegsglücks". Federzeichnung von Urs Graf, um 1525 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler).

Um 1500 bildete die Region Oberrhein einen Schwerpunkt der zeichnerischen Entwicklung: In Basel wirkten Conrad Schnitt, ab 1509 Urs Graf der Ältere, ab Ende 1515 Hans Holbein der Jüngere. Von 1562 an entstand hier die systematisch angelegte Sammlung von Johannes Amerbach (Amerbach-Kabinett), in welcher Zeichnungen den Hauptbestandteil bilden. Das zeichnerische Potenzial des Oberrheins wirkte in Bern, Schaffhausen und Zürich bis ins frühe 17. Jahrhundert nach. Die in den deutschsprachigen Kantonen bis gegen 1700 entstandenen Scheibenrisse (Glasmalerei) stellen eine Sonderleistung innerhalb der zeichnerischen Produktion dar, zum Beispiel diejenigen des Berners Niklaus Manuel. Tessiner Maler, Architekten und Bildhauer beeinflussten die lombardische Entwicklung. Basel verlor im 17. Jahrhundert seine dominante Rolle auf dem Gebiet der Zeichnung; Matthaeus Merian und andere Zeichner verliessen die Stadt. Eine dichte Traditionslinie über Jahrzehnte hinweg bildeten dagegen in Zürich die Zeichnerfamilie Murer, Meyer und Füssli.

In den reformierten Städten waren Landschafts- und Städteveduten, Historiendarstellungen und Allegorien gefragt. Niederländische Vorbilder bereicherten die Landschaftsdarstellung. Die Historienzeichner liessen sich in Deutschland, Rom und Paris schulen. Um 1690 erhielt Bern eine private Zeichen-Akademie. Während in den katholischen Gebieten der Zentralschweiz die Zeichnung gegenüber der Malerei zurücktrat, gehörten Tessiner wie Pier Francesco Mola zu den bedeutenden Zeichnern Italiens. Vom 18. Jahrhundert an wurde Genf – zuerst mit Jean-Etienne Liotard, dann mit weiteren Zeichnern bis zu Ferdinand Hodler im 19. Jahrhundert – für rund zwei Jahrhunderte zum künstlerischen Zentrum der Schweiz. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begannen verlagsorientierte Ateliers, sich auf Schweizer Landschaften sowie das Bauern- und Trachtengenre zu spezialisieren. Ihre französisch geschulten Hauptmeister in Bern prägten eine als typisch «schweizerisch» betrachtete Zeichnungsrichtung; ein wichtiger Vertreter war der Kleinmeister Johann Jakob Biedermann, der seine Werke (Ölmalerei und Druckgrafik) in Zeichnungen vorbereitete. In Zürich versuchte Johann Caspar Füssli zur gleichen Zeit, das Bewusstsein für eine nationale Kunst und Kunstgeschichte aufzubauen. Sein Sohn Johann Heinrich Füssli (1741-1825) entwickelte sich in Rom und London zum Zeichner von internationalem Format.

Selbstporträt von Karl Dick. Bleistiftzeichnung, um 1920 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler).
Selbstporträt von Karl Dick. Bleistiftzeichnung, um 1920 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett; Fotografie Martin Bühler).

Obwohl ab 1762 Zeichnen in einzelnen öffentlichen Schulen zum Bildungskanon gehörte und Künstlergesellschaften sowie Ausstellungsmöglichkeiten entstanden, galten für die Schweizer Zeichner des 19. Jahrhunderts Aufenthalte in Genf oder im Ausland (Kunstschulen von Rom, Paris, München und Düsseldorf) als unerlässlich. Italien blieb, neben München, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts für Zürcher und Basler wichtiger Schaffensraum, Westschweizer und Berner bevorzugten Paris. 1810 waren junge Zürcher in Rom an der nazarenischen Neubelebung der Zeichnung als ein Hauptmedium der deutschen Romantik beteiligt. Auch im Werk Arnold Böcklins spiegelt sich das Gedankengut der Romantik. Nationale Themen erfuhren noch um 1900 Höhepunkte, zum Beispiel mit Ferdinand Hodler. Auf dem Weg vom 19. ins 20. Jahrhundert verschoben sich die künstlerischen Gewichte zu überregionalen Themen. Der Prozess der Formfindung erhielt im 20. Jahrhundert zunehmenden Eigenwert. In Zeichnungen von Schweizern oder in der Schweiz lebenden Künstlern ist weniger denn je ein nationaler Stil erkennbar. Wie die Beispiele Alberto Giacometti in Paris und Paul Klee in Bern zeigen, sind die Werke Teil der internationalen Entwicklung geworden. Die Zeichnung des späten 20. Jahrhunderts, konzeptnah und vielgestaltig, ist ein zentrales Ausdrucksmittel der zeitgenössischen bildenden Kunst (z.B. Silvia Bächli, Peter Roesch).

Quellen und Literatur

  • W. Hugelshofer, Swiss Drawings, 1967
  • Schweizer Zeichnungen im 20. Jh., Ausstellungskat. Zürich, 1971
  • A. de Herdt, Dessins genevois de Liotard à Hodler, Ausstellungskat. Genf, 1984
  • Das Amerbach-Kabinett, Ausstellungskat. Basel, 5 Bde., 1991
  • Y. Boerlin-Brodbeck, Schweizer Zeichnungen 1800-1850 aus dem Basler Kupferstichkabinett, Ausstellungskat. Basel, 1991
  • Kunstszene heute, hg. von B. Wyss et al., 1992
Weblinks

Zitiervorschlag

Yvonne Boerlin-Brodbeck: "Zeichnung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.02.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011170/2014-02-05/, konsultiert am 17.04.2024.