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Neues Bauen

Das Neue Bauen in der Schweiz ist Teil einer internationalen künstlerischen Avantgarde-Bewegung (andere Bezeichnungen sind Internationaler Stil, Architektur der Moderne, Rationale Architektur, Architecture moderne und Movimento moderno), deren Vertreter nach dem Ersten Weltkrieg Städtebau, Architektur und Produktegestaltung (Design) unter ökonomischen, technischen und sozialen Aspekten radikal zu erneuern suchten. Aus diesen Bedingungen wurde der Gebrauchswert der Architektur zur formbildenden Kraft (Funktionalismus) abgeleitet und die historisierende Stilvielfalt des 19. Jahrhunderts für überwunden erklärt. Die Standardisierung der (Wohn-)Bedürfnisse, die Typisierung der Grundrisse und die Normierung der Bauteile wurden zu Leitwerten der Formfindung. Mit den Mitteln einer engagierten Publizistik, mit Wettbewerben, Kongressen, Ausstellungen und Mustersiedlungen sollten neben Fachleuten auch Laien aufgeklärt und für die Sache der Moderne gewonnen werden.

Buchumschlag des Werks Die Wohnung für das Existenzminimum, publiziert nach dem 2. Internationalen Kongress für Neues Bauen in Frankfurt am Main, 24.–26. Oktober 1929 (Schweizerische Nationalbibliothek).
Buchumschlag des Werks Die Wohnung für das Existenzminimum, publiziert nach dem 2. Internationalen Kongress für Neues Bauen in Frankfurt am Main, 24.–26. Oktober 1929 (Schweizerische Nationalbibliothek). […]

Aufgrund ihrer in Deutschland und England erworbenen Kenntnisse vermittelten Karl Coelestin Moser und Hans Bernoulli als Lehrer an der ETH Zürich die theoretische Grundlage einer gleicherweise traditionsbewussten wie zukunftsgerichteten Architekturauffassung. Die Generation der Schüler sammelte ihre ersten praktischen Erfahrungen auf den Baustellen des sozialen Wohnungsbaus in den Niederlanden, im Umkreis des Bauhauses in Deutschland oder im Atelier von Le Corbusier in Paris. Die 1924-1928 von Hans Schmidt, Mart Stam, El Lissitzky und Emil Roth herausgegebene Zeitschrift «ABC, Beiträge zum Bauen» pflegte die Rhetorik des Manifests. Umtriebiger Propagandist der Bewegung war der Zürcher Kunsthistoriker Sigfried Giedion. Als Sekretär der CIAM (Congrès Internationaux d'Architecture Moderne) knüpfte er, mit Le Corbusiers Unterstützung, ein internationales Beziehungsnetz von Gleichgesinnten, die der Sache des Neuen Bauens zum Durchbruch verhelfen sollten. Die fünf ersten Kongresse setzten in der Wahl und Erörterung aktueller Themen Massstäbe: In La Sarraz (1928), Frankfurt am Main (1929, «Die Wohnung für das Existenzminimum»), Brüssel (1930, «Rationelle Bebauungsweisen»), Athen (1933, «Die funktionelle Stadt») und Paris (1937, «Wohnung und Erholung») verabschiedeten die Delegierten programmatische Erklärungen. In der Westschweiz arbeitete Alberto Sartoris an der Dokumentation und Verbreitung des Neuen Bauens. Als abwägender Kritiker wirkte der Architekt und Kunsthistoriker Peter Meyer. Zentren der Bewegung waren in der Phase des Aufbruchs Genf, Lausanne, Biel, Basel und Zürich, die bevorzugten Bauaufgaben der Wohnhaus- und Siedlungsbau, Schulhäuser und Sportanlagen.

Unter den städtebaulichen Neuerungen erlangte der rationelle Zeilenbau nach deutschem Vorbild weit reichende Bedeutung, etwa mit der Mustersiedlung der Woba (Wohnausstellung Basel, 1930) oder jener von Neubühl in Zürich-Wollishofen (1928-1932 von Max Ernst Haefeli, Werner M. Moser, Rudolf Steiger, Paul Artaria, Hans Schmidt, Emil Roth und Carl Hubacher). Aus den strukturellen Bedingungen des Stahlskeletts entwickelte Le Corbusier im Immeuble Clarté (Genf, 1931-1932) reiche Spielformen der Grundrissordnung und ein Höchstmass an räumlicher Offenheit. Die Prinzipien der konstruktiven Ökonomie (Stahl- und Betonskelett) und der formalen Strenge (Flachdach, geometrisch gebundene Grundriss- und Fassadenordnung, Entmaterialisierung) regelten den Entwurf von Arbeiterhäusern und Villen. Nach wenigen Jahren der Entfaltung erlebte die rigide Ästhetik der Sparsamkeit in den 1930er Jahren eine Revision, die im Zeichen dekorativer oder regionalistischer formaler Vielfalt stand. In der Wirtschaftskrise wurde die Entwicklung industrieller Bauverfahren gehemmt und die gattungsbedingten, repräsentativen Ausdruckswerte der Architektur wieder vermehrt beachtet (sogenannte Monumentalismusdebatte).

Quellen und Literatur

  • Accademia di architettura, Mendrisio
  • ACM
  • ETH-GTA
  • CIAM: Internat. Kongresse für Neues Bauen, hg. von M. Steinmann, 1979
  • J. Gubler, Nationalisme et Internationalisme dans l'Architecture Moderne de la Suisse, 21988
  • A. Rüegg, Konstruktive Konzepte der Moderne, 2001
  • Schweizer Möbel und Interieurs im 20. Jh., hg. von A. Rüegg et al., 2002
Weblinks
Kurzinformationen
Kontext Bauhaus, Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM)

Zitiervorschlag

Dorothee Huber: "Neues Bauen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011188/2010-09-07/, konsultiert am 16.04.2024.