Französisch ist neben Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch eine der vier Landessprachen der Schweiz. Die ersten drei gelten seit der Helvetischen Republik (1798-1803) de facto als gleichberechtigte Amtssprachen; ihre Gleichstellung wurde in der Verfassung von 1848 festgeschrieben (Artikel 109; Artikel 116 BV 1874; Artikel 70 BV 1999).
Verbreitung
2000 war Französisch die Hauptsprache von 20,4% der Wohnbevölkerung in der Schweiz (1'485'056 bei einer Gesamtbevölkerung von 7'288'010). 21% der Bevölkerung mit schweizerischer Nationalität und 18% der ausländischen Bevölkerung waren französischsprachig. Infolge einer bedeutenden Zuwanderung ausländischer Personen (Spanier, Portugiesen usw.) ging der Anteil der Französischsprachigen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts leicht zurück (1910: 21,1%). Vier Kantone sind offiziell französischsprachig; in ihnen überwiegt das Französisch deutlich: Jura (90% von 68'224 Einwohnern), Neuenburg (85,3% von 167'949 Einwohnern), Waadt (81,8% von 640'657 Einwohnern) und Genf (75,8% von 413'673 Einwohnern). Drei Kantone gelten als zweisprachig; sie liegen längs der Sprachgrenze und bestehen eigentlich aus zwei nahezu einsprachigen Teilen: Freiburg (französisch 63,2%, deutsch 29,2%, 241'706 Einwohner), Wallis (französisch 62,8%, deutsch 28,4%, 272'399 Einwohner) und Bern (französisch 7,6%, deutsch 84%, 957'197 Einwohner). Von den sechzehn Städten mit über 30'000 Einwohnern sind Genf, Lausanne, La Chaux-de-Fonds und Neuenburg französischsprachig. In ihnen leben grosse anderssprachige Minderheiten ausländischer Herkunft, in Genf zum Beispiel viele Englischsprachige. Einen zweisprachigen Status haben Freiburg (2000: französisch 64%, deutsch 21%) und Biel (2000: französisch 28%, deutsch 55% ).
Seit den 1990er Jahren wird heftig diskutiert, ob in der Deutschschweiz weiterhin Französisch als erste Fremdsprache unterrichtet werden soll. Die Ostschweizer Behörden möchten, dass in der Schule zuerst Englisch gelernt wird, was die Stellung des Französischen schwächen würde. Appenzell Innerrhoden hat diesen Schritt im Schuljahr 2001-2002 vollzogen, der Kanton Zürich folgt im Schuljahr 2005-2006.
Geschichte
Die Westschweiz wurde nach dem im 1. Jahrhundert v.Chr erfolgten Einbezug ins römische Herrschaftsgebiet romanisiert (Römisches Reich, Romanisierung). Die burgundische Ansiedlung im 5. Jahrhundert hinterliess, abgesehen von einigen Ortsnamen (Endungen auf "-ens" bzw. "-ingôs" in den Kantonen Waadt und Freiburg sowie vor allem im Juraraum), keine nennenswerten Spuren. Sprachlich gehören die meisten Westschweizer Mundarten wie diejenigen im Südosten Frankreichs und im Aostatal zum Frankoprovenzalischen. Einzig die Mundarten des Jura lassen sich der nordfranzösischen Sprachgruppe, der Langue d'oïl, zuordnen. Die durch die Westschweiz verlaufende Dialektgrenze geht wahrscheinlich auf die spätrömische Verwaltungseinteilung zurück, deren Grenzen im Mittelalter als Diözesangrenzen zwischen Lausanne und Besançon fortbestanden.
Bis ins 18. Jahrhundert wurden die Westschweizer Mundarten in allen Gebieten und sozialen Schichten für die mündliche Kommunikation im Alltag verwendet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts liess der Mundartgebrauch zuerst in den reformierten Städten nach. Der Niedergang der Dialekte beschleunigte sich im 19. Jahrhundert mit der Verbreitung des Französischen als Umgangssprache in den Städten und den am stärksten industrialisierten ländlichen Gebieten (früherer Berner Jura, Neuenburg), in denen die letzten Dialektsprecher Anfang des 20. Jahrhunderts ausstarben. Im Kanton Waadt verbot das Schulgesetz von 1806 den Schülern und Lehrern, im Unterricht Patois zu sprechen. Anfang des 21. Jahrhunderts droht den angestammten Dialekten sogar in den konservativsten katholischen und ländlichen Gegenden (Wallis: 6,3% Dialektsprecher; Freiburg: 3,9%, v.a. im Greyerzerland; Jura: 3,1%) das endgültige Verschwinden.
Die Sprachgrenze zwischen der französischen und der deutschen Schweiz hat sich in einem jahrhundertelangen Prozess ausgebildet. Die eigentliche alemannische Landnahme südlich des Rheins begann im 7. Jahrhundert, wobei ortsnamenkundliche Untersuchungen darauf hindeuten, dass die Assimilation der romanischen Bevölkerung langsam und kontinuierlich voranschritt. Ende des 8. Jahrhunderts erreichte das Alemannische den Bielersee und das Saanetal, doch belegen zahlreiche Ortsnamen zwischen Aare und Saane eine spätere Germanisierung. Die Entstehung der Sprachgrenze im Wallis ist noch nicht eingehend erforscht. 1481, im Jahr seines Beitritts zur Eidgenossenschaft, erhob Freiburg, das stets zweisprachig gewesen war, das Deutsche zur offiziellen Kanzleisprache. Einige aristokratische Familien deutschten ihren Geschlechtsnamen ein, doch die romanische Bevölkerung des Kantons germanisierte sich nicht. Ab Ende des 17. Jahrhunderts, als das Prestige des Französischen die Berner Patrizier frankophil werden liess, erinnerte sich Freiburg wieder seiner galloromanischen Wurzeln, und seine Oligarchie kehrte gerne ihre Zugehörigkeit zur französischen Kultur- und Sprachgemeinschaft (francité) heraus.
Die letzten grösseren Verluste entlang der Sprachgrenze verzeichnete das Galloromanische in Murten, das sich nach der Annahme der Reformation 1530 Bern zuwandte und im Laufe des 16. Jahrhunderts zur deutschen Sprache wechselte, und Ligerz am Nordufer des Bielersees, in dem sich das Deutsche zwischen dem 17. Jahrhundert und der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich durchsetzte. Umgekehrt zogen im Laufe der Industrialisierung viele Französischsprachige nach Biel, das offiziell zweisprachig wurde. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Grenze zwischen Französisch und Deutsch weitgehend stabil.
Die meisten der durch Binnenwanderung entstandenen alemannischen Sprachinseln in der Romandie wurden resorbiert. Das Bestreben, der Deutschschweizer Mehrheit einen wirksameren kulturellen Widerstand entgegenzusetzen, war vielleicht mit ein Motiv für die Aufgabe der Westschweizer Dialekte im 19. Jahrhundert. Auf jeden Fall wurde dadurch die Assimilation der Binnenmigranten erleichtert. Infolge des Territorialitätsprinzips wechselten zahlreiche ursprünglich bernische Familien, die sich in der Waadt und vom 19. Jahrhundert an auch im Jura niedergelassen hatten, zur französischen Sprache, wobei die allgemeine Schulpflicht und das höhere Prestige des Französischen im Vergleich zu den alemannischen Dialekten deren rasche Integration gefördert haben. In Sitten verlor das Deutsche Mitte des 19. Jahrhunderts seine Mehrheitsstellung, und der Anteil des Französischen stieg von 60% 1880 auf 75% 1910. In Siders, in dem 1880 noch eine Mehrheit von 66% deutschsprachig war, überwogen 1910 die Französischsprachigen mit 66%. In Delsberg, das infolge der Industrialisierung viele Deutschschweizer angezogen hatte und 1880 noch zweisprachig gewesen war (französisch 1654, deutsch 1228 Personen), erlangte das Französische wieder eine stabile Mehrheit (1990: französisch 9442, deutsch 450 Personen). Die Täufer bernischer Herkunft, die vom Ende des 16. Jahrhunderts an von den Fürstbischöfen von Basel im Jura aufgenommen worden waren und lange abgekapselt gelebt hatten, öffneten sich zunehmend dem Einfluss ihrer französischsprachigen Umgebung. 1990 bestanden im Berner Jura nur noch drei kleinere ländliche Gemeinden mit einer deutschsprachigen Mehrheit (Mont-Tramelan, Châtelat und Rebévelier). Fast alle deutschsprachigen Schulen im Jura sind im Lauf des 20. Jahrhunderts verschwunden.
In der Westschweiz entwickelte sich nie eine eigentliche Schrifttradition auf der Grundlage der angestammten Dialekte; diese wurden immer hauptsächlich mündlich gebraucht. Im Mittelalter (13.-15. Jahrhundert) richteten sich die in der Volkssprache abgefassten Verwaltungstexte in Freiburg, Neuenburg, Genf und im Jura nach den Sprachmodellen der kulturellen Zentren im benachbarten Frankreich (Dijon, Lyon), doch wiesen sie auch einige lokale Eigentümlichkeiten auf (Scripta "para-francoprovençale"). Bern liess die amtlichen Texte, die für seine Untertanen im Waadtland bestimmt waren, ins Französische übersetzen. Im Wallis wurden die Schriftstücke der Rechtspflege und teilweise auch der Verwaltung bis zur Französischen Revolution lateinisch verfasst. Ab dem 16. Jahrhundert entstanden sporadisch Texte in Frankoprovenzalisch (Dialektliteratur). Abgesehen von diesen wenigen Ausnahmen ist die gesamte Westschweizer Literatur seit ihren Anfängen (Otto III. von Grandson) in französischer Sprache gehalten. Mit ein Grund für diese Entwicklung war die Reformation, da Calvins Wirken namhafte französische Humanisten und Drucker nach Genf zog.

Wie in den meisten französischsprachigen Gebieten verbreitete sich das Französische auch in der Westschweiz auf schriftlichem Weg; die Kenntnis der Sprache musste durch bewusstes Lernen mit Hilfe von Büchern erworben werden. Bevor das Französisch sich als Sprache für die spontane Konversation durchsetzte, wurde es vor allem beim lauten Vorlesen verwendet. Die während der Reformation entstandene Schultradition in den reformierten Kantonen trug dazu bei, dass man auch in den benachbarten Ländern Genf, Neuenburg und Lausanne als Zentren der francité wahrnahm, in denen ein gepflegtes Französisch gesprochen werde. Der Französischunterricht für Ausländer erlangte grosse Bedeutung, und im 19. Jahrhundert beschäftigten viele vornehme Familien in Europa Genfer, Waadtländer und Neuenburger Gouvernanten.

Ständig bemüht um eine möglichst prestigeträchtige Sprache, sind die Westschweizer Intellektuellen stets darauf bedacht, die Reinheit des Französischen zu bewahren. Der Kult des "guten" Französisch hat in der Westschweiz eine lange Tradition. In sprachpuristischen Schriften, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Westschweizer Presse veröffentlicht wurden, tritt eine heftige Deutschfeindlichkeit zutage. Westschweizer Puristen kämpften mit allen Mitteln gegen echte und vermeintliche Germanismen und postultieren eine idealisierte Hochsprache, die sich allein am Französisch der Hauptstadt Paris orientiert. Gegenüber Regionalismen nahmen sie eine zwiespältige, manchmal unverhohlen feindliche Haltung ein, wobei sie im Mundartgebrauch – zu Unrecht – eine Bedrohung der sprachlichen Reinheit sahen. Diese Sprachpolitik erweckte bei vielen Romands, die überzeugt waren, nicht das "richtige" Französisch zu sprechen, Schuldgefühle. Zudem verknappte sie die Ressourcen, aus denen sich die Weiterentwicklung der Sprache speist: Mit dem volksnahen, dem spontanen mündlichen Gebrauch entlehnten Sprachgut liess sich die Alltagswirklichkeit in mancherlei Hinsicht besser zum Ausdruck bringen als mit dem abgehobenen "Buchfranzösisch", das oft als die einzig "gute" Sprache galt.
Regionalfranzösisch: Besonderheiten und Funktionen
Die langen Traditionen der Schriftsprache und der eigenständigen schulischen Vermittlung erklären, weshalb sich in der Westschweiz einige vom Standardfranzösisch der Hauptstadt abweichende Archaismen erhalten haben. Die Bezeichnungen der drei Tagesmahlzeiten, déjeuner (Frühstück), dîner (Mittagessen) und souper (Abendessen), entsprechen dem Sprachgebrauch in Frankreich bis Anfang des 19. Jahrhunderts. In der Aussprache sind die verlängerten Schlussvokale in Wörtern wie "journée" oder "amie", wie sie in der gepflegten Aussprache des Pariser Französischen bis ins 18. Jahrhundert üblich waren, teilweise gebräuchlich geblieben. Selbst der scheinbare Germanismus il a aidé à sa mère statt il a aidé sa mère (er half seiner Mutter) erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein durch den Kontakt mit dem Deutschen gestärktes Relikt des alten Hochfranzösischen.
Der Gebrauch der französischen Sprache in der Westschweiz zog viele Anpassungen an die örtlichen Verhältnisse nach sich. Helvetismen wie votation (Abstimmung) oder bourgeoisie (Bürgergemeinde) bezeichnen Phänomene aus dem politischen Leben, die in Frankreich so nicht vorkommen. Dies gilt auch für einige Germanismen wie les Neinsager. Der Ausdruck numéro postal (Postleitzahl) wurde in der Schweiz schon benutzt, bevor Frankreich, sich über den Sprachgebrauch in der übrigen Frankofonie hinwegsetzend, den Begriff code postal einführte. Erst seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts werden auch schweizerische, belgische und kanadische Ausdrücke in die französischen Wörterbücher aufgenommen.

Ursprünglich war Französisch der Soziolekt der Pariser Oberschicht. Um die kommunikativen Bedürfnisse der diversen französischsprachigen Bevölkerungsgruppen abzudecken, musste diese Sprache in grossem Umfang Entlehnungen bei Dialekten und Regionalsprachen machen. Die meisten Ausdrücke für Phänomene aus den alpinen Regionen wie luge (Schlitten), varappe (Klettern), moraine (Moräne), névé (Firn), sérac (Eiszacken) und avalanche (Lawine) stammen beispielsweise aus dem Frankoprovenzalischen, aus Savoyen oder aus der Westschweiz. Einige gelangten über Rousseau in die Sprache der französischen Literatur. Die angestammten Mundarten erlaubten die präzise Beschreibung und Bezeichnung der materiellen Welt. Dieser Vorzug ist bis zu einem gewissen Grad auf das Regionalfranzösische übergegangen, das eine Ergänzung zur Hochsprache bildet. Solange regionale Besonderheiten wie carnotzet (Weinstübchen), raccard (Speicher) und bisse (Wasserkanal) im Wallis, armailli (Senn) im Greyerzerland und taillaule (spezielles Hefegebäck) in Neuenburg existieren, sind auch die entsprechenden Bezeichnungen notwendig.
Neben seiner Hauptaufgabe, eben dem Bezeichnen regionaler Besonder- und Begebenheiten, hat das Regionalfranzösische auch eine identitätsstiftende und symbolische Funktion. Diese ist der Grund, weshalb in der Westschweiz hartnäckig an einigen Ausdrücken festgehalten wird, für die es im Standardfranzösischen exakte Entsprechungen gibt: galetas statt grenier (Estrich), pive statt cône du sapin (Tannzapfen) usw. Häufig wird quatre-vingts statt huitante verwendet, während sich septante und nonante neben soixante-dix und quatre-vingt-dix behaupten. Die Möglichkeit der Abgrenzung erklärt auch die liebevolle Pflege der zwischen den einzelnen Westschweizer Kantonen bestehenden sprachlichen Unterschiede. Durch das Verschwinden der Dialekte verliert das Regionalfranzösische allerdings zunehmend den Nährboden. Dementsprechend lässt sich im Sprachgebrauch der Westschweizer Jugendlichen eine Abneigung gegen regionale Ausdrücke und das Auftreten von – häufig dem Englischen entlehnten – Wörtern und Wendungen aus der jeweils gerade angesagten Trendsprache beobachten.
Quellen und Literatur
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