Als Bibliotheken werden Büchersammlungen (Buch) bezeichnet, die zu Bildungs-, Forschungs- und Unterhaltungszwecken dienen. Sie umfassen heutzutage hauptsächlich gedrucktes Schrifttum, können aber auch Handschriften und neuere Informationsträger (sogenannte Non-Books wie Tonträger, Videos, digitale Massenspeicher) enthalten. Hauptaufgabe der Bibliotheken ist es, Bücher- und Medienbestände zu bewahren und auszubauen, sie mit Hilfe von Katalogen und Datenbanken zu erschliessen und an die Benutzer zu vermitteln. Vor allem via Internet ermöglichen sie heute immer mehr auch den Zugang zu fremden Ressourcen.
Geschichte
Mittelalter bis 18. Jahrhundert
Die ältesten bekannten Bibliotheken in der Schweiz sind diejenigen der Klöster, namentlich der Benediktiner (St. Gallen, Einsiedeln, Muri, Engelberg), Dominikaner (Basel, Bern), Kartäuser (Thorberg, St. Margarethental in Kleinbasel), Zisterzienser und Augustiner Chorherren (Saint-Maurice). Älteste Bibliothek der Schweiz ist die Stiftsbibliothek St. Gallen, die Bibliothek des ehemaligen Klosters, die eine der bedeutendsten Sammlungen mittelalterlicher Handschriften (v.a. aus karolingischer Zeit) enthält. Bereits der erste Abt, Otmar (ca. 689-759), richtete ein Skriptorium ein (Buchmalerei, Schrift). Aus dem sogenannten Goldenen Zeitalter St. Gallens stammt der St. Galler Klosterplan um 820. Der Idealplan zeigt auch eigene Räume für Bibliothekszwecke. Einzige noch ins Mittelalter zurückreichende Universitätsbibliothek ist diejenige der 1460 gegründeten Universität Basel (Universität).
Im Zuge der Reformation wurden in der Schweiz theologische Akademien (Höhere Schulen) errichtet. Damit verbunden waren Bibliotheksgründungen, so in Zürich (um 1525), Bern (1528), Lausanne (1537) und Genf (1560), Kern der späteren Universitätsbibliotheken dieser Städte. Der in diesem Zeitalter angestiegene Bedarf an Büchern liess sich dank der Verbreitung des Buchdrucks decken. Im Rahmen der katholischen Reform entstanden bei den Kapuzinern und insbesondere in den Jesuitenkollegien Sammlungen, die den Grundstock für spätere Kantonsbibliotheken bildeten, unter anderem Luzern (1577), Freiburg (1581), Pruntrut (1592) und Sitten (1625). In Lugano legten die Somasker ab 1608 eine Büchersammlung an, welche später in der Kantonsbibliothek aufging.
Vom 17. Jahrhundert an wurden – meist auf private Initiative – in den reformierten Städten Bürgerbibliotheken gegründet. Dem Beispiel von Zürich (1629), Schaffhausen (1636) und Winterthur (1660) folgten bald kleinere Orte wie Zofingen, Burgdorf, Glarus, Biel, Solothurn, Morges, Thun und Neuenburg. Die Aufklärung beschleunigte diese Entwicklung, indem vermehrt kleine Landstädte und Gemeinden ihre Bevölkerung mit Bibliotheken versorgten, manchmal in Verbindung mit Lesegesellschaften und oft zum Missbehagen der paternalistischen Obrigkeit (z.B. Wädenswil, Richterswil, Altstätten, Vevey). Auch Ökonomische Gesellschaften verfügten über namhafte Buchbestände.
19. und 20. Jahrhundert
Die im 19. Jahrhundert gegründeten Kantonsbibliotheken – den Anfang machten die neuen Kantone Aargau 1803, Waadt 1806 und Thurgau 1807 – sollten der ganzen Kantonsbevölkerung offen stehen. Sie gründeten zum Teil auf namhaften Privatsammlungen (von Beat Fidel Zurlauben in Aarau oder von Joseph Anton Felix von Balthasar in Luzern) oder auf Sammlungen aufgelöster Klöster und Jesuitenkollegien (so im Tessin, wo die Kantonsbibliothek 1856, vier Jahre nach den Klosteraufhebungen, gegründet worden ist). Daneben blühte eine wachsende Vielfalt von konfessionell, parteimässig oder ständisch gebundenen Sammlungen. Kommerzielle Leihbibliotheken boten Unterhaltungsliteratur an. An der Wende zum 20. Jahrhundert setzten sich vor allem in den Städten die gesinnungsneutralen Bibliotheken durch, so zum Beispiel die Pestalozzigesellschaft Zürich mit ihren Zweigstellen (gegründet 1896) oder die Filialen der Allgemeinen Bibliotheken der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen (GGG) in Basel.
Die 1920 gegründete Stiftung Schweizerische Volksbibliothek sollte allen Landes- und Bevölkerungsteilen zu einer ausgeglichenen Literaturversorgung verhelfen. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken stark ausgebaut. In der französischen Schweiz waren sie schon früh Sache der öffentlichen Hand, so 1842 in Genf mit der Bibliothèque circulante oder 1934 in Lausanne mit der Bibliothèque municipale. Genf verfügte mit der Bibliothèque moderne (1931) über die erste Freihandbibliothek, ein Bibliothekstyp, der in der übrigen Schweiz erst nach dem Zweiten Weltkrieg zum Durchbruch gekommen ist. Die Bibliotheken im 20. Jahrhundert sind geprägt von der stetigen Zunahme an Informationsmaterial und der technologischen Entwicklung (Informationsträger, Automatisierung). Der Zersplitterung der Bestände versuchte man mit gemeinsamen Zuwachsverzeichnissen oder Gesamtkatalogen zu begegnen (1897 in Zürich, später in Basel und Genf). Die Bibliotheksautomatisierung begann an den Hochschulen Anfang der 1970er Jahre (ETH Zürich, Bibliothèque cantonale et universitaire in Lausanne). Die Studien- und Bildungsbibliotheken sowie die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken folgten meist in den 1980er Jahren.
Bibliothekstypen, Trägerschaft und Berufsverband
Allgemeine wissenschaftliche Bibliotheken sind die zentralen Sammlungen der Hochschulen, die wissenschaftliche Literatur zu den jeweiligen Lehrfächern anbieten. Entsprechend einer schweizerischen Tradition sind sie frei zugänglich. Die Universitätsbibliotheken von Basel, Bern, Freiburg, Genf, Lausanne, Neuenburg und Zürich erfüllen gleichzeitig die Funktion einer Kantons- und zum Teil einer Stadtbibliothek.
Studien- und Bildungsbibliotheken archivieren die Literatur ihres Einzugsgebiets, führen ein Grundangebot an wissenschaftlicher Literatur aller Gebiete, populärwissenschaftliche Literatur für ein breites Publikum sowie eine Auswahl an Belletristik. Diesem Bibliothekstyp gehören die Kantonsbibliotheken der Nichthochschulkantone und eine Reihe grösserer Stadtbibliotheken an, so etwa die Zentralbibliotheken Luzern und Solothurn, die Stadtbibliotheken von Winterthur und La Chaux-de-Fonds, die Walliser Kantonsbibliothek in Sitten, die Kantonsbibliotheken St. Gallen (Vadiana) und Graubünden in Chur sowie die vier kantonalen Bibliotheken im Tessin (wo im Zusammenhang mit den drei in den 1990er Jahren gegründeten Fakultäten neue Bibliotheken entstehen).
Allgemeine öffentliche Bibliotheken (früher Volksbibliotheken) dienen der Aus- und Fortbildung sowie der Unterhaltung, in erster Linie auf der Stufe der Gemeinden und der Stadtteile. Sie haben keine Archivierungspflicht.
Wissenschaftliche Spezialbibliotheken führen ein umfassendes Angebot in einem oder einigen wenigen Fachgebieten. Beispiele sind das Schweizerische Sozialarchiv in Zürich und das Schweizerische Wirtschaftsarchiv in Basel, die beide Archiv- und Bibliotheksfunktion vereinen. In vielen Fällen sind auch Firmenbibliotheken dieser Kategorie zuzurechnen.
Entsprechend der Kulturhoheit in der Schweiz werden die meisten öffentlichen Bibliotheken von den Kantonen und Gemeinden getragen. Auf Bundesebene finanziert werden die Bibliotheken der ETH Zürich und Lausanne sowie die Schweizerische Landesbibliothek (SLB) in Bern, die für die vollständige Sammlung der Helvetica ab 1848 zuständig ist. Daneben existieren zahlreiche private Bibliotheken und Bibliotheken von Firmen, Stiftungen (z.B. die Bibliotheca Bodmeriana in Cologny), Gesellschaften und internationale Organisationen (z.B. WHO, UNO, CERN, ILO).
Der 1897 gegründete Verband der Bibliotheken und der Bibliothekarinnen/Bibliothekare der Schweiz, BBS (bis 1992 Vereinigung Schweizerischer Bibliothekare, VSB) ist die älteste Bibliothekarenvereinigung auf dem europäischen Kontinent mit kontinuierlichem Bestehen.
Quellen und Literatur
- M. Beck, «Die schweiz. Bibliotheken», in Atlantis 4, 1946, 153-156
- C. Senser, Die Bibliotheken der Schweiz, 1991 (mit Lit.)
- R. Barth, G. Schneider, «Die Zukunft hat noch nicht begonnen», in Für alle(s) offen, Fs. für F. Gröbli, 1995, 26-37
- R. Barth, Bibliotheken, Bibliothekarinnen und Bibliothekare in der Schweiz, 1997
- Biblioteche della Svizzera italiana, hg. von C. Antognini et al., 1999