Das Bistum Chur (episcopatus/diocesis Curiensis) gehörte spätestens ab 451 und wahrscheinlich ununterbrochen bis zum Vertrag von Verdun 843 zum Erzbistum Mailand, danach zum Erzbistum Mainz bis zu dessen Aufhebung 1803/1818. Seither ist es direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt. Seine Patrone sind Luzius (10. Jh.) bzw. Luzius und Florinus (seit dem 11. Jh.). Bischofssitz und Kathedrale befinden sich auf dem Hof Chur.
Mittelalter
Aus dem 5. Jahrhundert stammen Reste einer Kirche unter der heutigen Kathedrale und einer Grabkammer der Stephanskirche, wohl für die Bischöfe, östlich des Hofs. 451 unterschrieb der Bischof von Como einen Synodalbrief des Bischofs von Mailand an Papst Leo I. auch für den abwesenden Bischof Asinio von Chur («pro ... Asinione ecclesiae Curiensis primae Rhaetiae episcopo»). Das hier erstmals bezeugte Bistum Chur wurde vielleicht schon im 4. Jahrhundert gegründet (Bistümer). Es entwickelte sich weitgehend in den Grenzen der römischen Provinz Raetia prima. Im 7. Jahrhundert fielen Teile seines Sprengels südlich des Bodensees an das Bistum Konstanz. Vom 6. bis 8. Jahrhundert waren Präses- und Bischofsamt in der Hand der Zacconen/Viktoriden vereinigt, teilweise in Personalunion. Nach 806 führte Karl der Grosse in Rätien die Grafschaftsverfassung ein, trennte die geistliche und weltliche Gewalt und schied Bistums- und Grafschaftsgut aus (Churrätien). Der Bischof von Chur gehörte zu den Erben des karolingischen Reichsguts in Rätien. Kaiser Otto I. privilegierte Bischof Hartpert insbesondere in der Stadt Chur und im Bergell reich und schuf die Voraussetzung für die bedeutende Stellung der Churer Bischöfe als Feudalherren und Reichsfürsten im Hoch- und Spätmittelalter, oft zum Schaden der Seelsorge.
1079/1080 setzte sich zur Zeit des Investiturstreits der kaiserliche Bischofskandidat Norbert trotz kirchlichen Bannspruchs gegen den päpstlichen Anhänger Ulrich II. von Tarasp durch; dieser wurde aber sein Nachfolger. Die folgenden Bischöfe entgingen den Wirren des Investiturstreits. Bischof Adelgott (1151-1160) reformierte die Klöster Cazis, Müstair und Schänis und förderte das Kloster St. Luzi in Chur. In staufischer Zeit standen die Churer Bischöfe als Hüter der rätischen Pässe im königlichen Lager, was zu Doppelwahlen und Störungen des kirchlichen Lebens führte. Im Interregnum musste sich Bischof Heinrich III. von Montfort (1251-1272) gegen den einheimischen Adel verteidigen. Bischof Konrad III. von Belmont berief 1277 die Dominikaner nach Chur, förderte die Gründung ihres Klosters St. Nicolai und ihre seelsorgerische Tätigkeit gegen Widerstände der Weltgeistlichen. Bischof Siegfried von Gelnhausen löste 1300 die Reichsvogtei Chur von den Freiherren von Vaz ein und diente Heinrich VII. als Gesandter in Italien. Die Parteinahme von Bischof Ulrich V. Ribi für Karl IV. und gegen Ludwig den Bayern 1347 führte zur teilweisen Annektierung des Hochstifts durch Markgraf Ludwig von Brandenburg, trug ihm aber auch grosszügige Privilegien ein. Das Grosse Schisma entzweite mehrmals Bischof und Domkapitel, zum Beispiel 1388 bei einer Doppelwahl nach dem Tode von Bischof Johannes II. Ministri. Unter den Bischöfen des 14. und 15. Jahrhunderts gab es fehdetüchtige Haudegen wie Hartmann von Werdenberg-Sargans, aber auch hochgebildete Juristen und Theologen wie Peter I. Gelyto, Johannes III. Ambundii, Johannes IV. Naso oder Leonhard Wismair, die in Reichsdiensten und auch an den Konzilien von Konstanz und Basel hervorragend wirkten. Oft landesabwesend, mussten sie geistliche und territoriale Aufgaben vernachlässigen oder Generalvikaren überlassen. Die erhaltenen Privilegien stützten und erweiterten die fürstbischöfliche Herrschaft, förderten zum Teil den Durchgangsverkehr im churrätischen Raum, führten aber auch zu widersprüchlichen Beurkundungen und Rechtsverwirrung. Komplex war das Verhältnis zwischen den Bischöfen und den Habsburgern, die bald als Ordnungsmacht, bald nach Vorherrschaft strebend aus Österreich und nach 1363 auch aus Tirol in den rätischen Raum hineinwirkten.
Eine neue Epoche der Churer Bistums- und Hochstiftsgeschichte begann im 14. Jahrhundert mit den Autonomiebestrebungen der Hochgerichte und der Stadt Chur, die sich allmählich zum Gotteshausbund vereinten und die bischöfliche Herrschaft bekämpften (Überfälle der Churer auf das bischöfliche Schloss 1422 und 1435). Um die Mitte des 15. Jahrhunderts stürzte ein Streit des Domkapitels und des Gotteshausbunds mit Heinrich von Hewen, Bischof von Konstanz und Administrator von Chur, besonders wegen der Schamserfehde das Bistum in eine schwere Krise. Noch stärker erschütterte der Schwabenkrieg (1499) das Vertrauen zwischen Bischof und Gotteshausbund. Zum weltlichen Herrschaftsgebiet des Churer Fürstbischofs gehörten die Stadt Chur, die Vier Dörfer (Fünf Dörfer), Bergell, Oberhalbstein, Engadin, Domleschg, Puschlav, Münstertal und Vinschgau, im Hochmittelalter vorübergehend auch Chiavenna und Bormio. Dazu kam zerstreuter Besitz ausserhalb dieses Raums, zum Beispiel in der Herrschaft Flums. Zu den Vasallen und Ministerialen des Fürstbischofs gehörten die mächtigsten rätischen Familien.
Bischöfe der Diözese Chur bis zur Reformation
a Bischof von Konstanz und Administrator von Chur
b Doppelwahl
Der geistliche Sprengel reichte vom Vinschgau bis zum Urserntal, von Vorarlberg und der Linthebene bis ins Misox. Im ausgehenden Mittelalter war das Bistum in acht Dekanatssprengel mit 183 Pfarreien eingeteilt. Die Volksfrömmigkeit ist in der sakralen Kunst, in Ablässen und in der Liturgie indirekt fassbar. Unter den mittelalterlichen rätischen Klöstern ragten hervor: Disentis, Marienberg (Vinschgau), Müstair, Pfäfers, Cazis, St. Luzi, Churwalden und St. Nicolai. Das seit 940 bezeugte Churer Domkapitel wirkte bei der Gestaltung der Gottesdienste in der Kathedrale mit, wählte den Bischof, soweit König oder Papst es zuliessen, und war an der geistlichen und im Spätmittelalter zunehmend auch an der weltlichen Verwaltung beteiligt. In der Auseinandersetzung mit dem Bischof fand es oft im Gotteshausbund Rückhalt. In der Zeit landesfremder Bischöfe des 14. und 15. Jahrhunderts sicherte das Domkapitel die Rechte des Bistums. Statuten sind aus den Jahren 1273, 1282, 1321 (Wahlkapitulation für die Bischofswahl), 1349 und 1414 überliefert. Es bestand 1237/1238 und 1283 aus 24 Chorherren, 1416 aus 17 und 1472 aus 23. Der Propst, Dekan, Scholaster, Kantor (seit 1235) und Kustos hatten eine gehobene Stellung (Dignitäre). Vom Ende des 13. Jahrhunderts an sprach der Bischof in geistlichen Sachen nicht mehr persönlich Recht, sondern ernannte geistliche Einzelrichter, die vorwiegend nach römisch-kanonischem Prozessrecht urteilten (Offizialat). Im entfernten Vinschgau war der Erzpriester, im oft unzugänglichen Engadin der Dekan geistlicher Richter.
Frühe Neuzeit
Unter Bischof Paul Ziegler brach der vom Spätmittelalter an schwelende Konflikt zwischen dem Bischof und der Stadt Chur offen aus. Dazu trug auch die Reformation bei, die sich um die Mitte der 1520er Jahre in der Stadt Chur durchsetzte. Die Ilanzer Artikel von 1524 und 1526 reduzierten die bischöfliche Herrschaft auf den noch 1514 von Kaiser Maximilian I. als von der Stadt exemt erklärten Hof Chur, das in Tirol gelegene Fürstenburg, die Herrschaft Grossengstingen in Schwaben (1717 Verkauf an das Kloster Zwiefalten) sowie auf einige Reste der früheren weltlichen Herrschaft in Graubünden, so im Münstertal, in Obervaz und in Fürstenau. Die in Chur verbliebenen Mitglieder des Domkapitels, die für den 1524-1541 landesabwesenden Bischof die Verwaltung ausübten, sicherten unter ungünstigen Umständen den Fortbestand des Bistums. Der damals noch mehrheitlich katholische Gotteshausbund beanspruchte in seinen anlässlich der Bischofswahl Lucius Iters erlassenen Sechs Artikeln vom Oktober 1541 eine eigentliche Mitverwaltung am Bistum. Die Annahme der Artikel durch den Bischof garantierte dem Bistum den Fortbestand und brachte 1543 die Anerkennung der bischöflichen Hoheit über den Hof Chur. Nach der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich eine Mehrheit der Bündner Gemeinden zur neuen Lehre bekannt. Die Mitverwaltung des Gotteshausbunds war somit der auch vom Heiligen Stuhl akzeptierte Preis für das Überleben des Bistums Chur im politisch und konfessionell gespaltenen Bündnerland. Die übrigen Gebiete des Bistums in Tirol, Vorarlberg, Liechtenstein und Urserntal blieben katholisch.


Die ersten Versuche einer Kirchenreform gingen nicht von den Churer Bischöfen aus: Karl Borromäus visitierte das Misox, und die ersten päpstlichen Nuntien in Luzern übten mit Unterstützung der fünf Orte Druck auf das Domkapitel aus. Doch erst Bischof Johann V. Flugi (1601-1627) veranlasste die notwendigen Reformen im Sinne des Tridentinums: Disziplinierung des Klerus, Berufung von Kapuzinermissionaren, Festigung des katholischen Glaubens. Den Kapuzinern gelang es, das kirchliche Leben in vielen verwaisten oder schlecht betreuten Pfarreien neu zu beleben. Ab 1621 wirkten unter dem Schutz Österreichs Kapuziner aus Süddeutschland (Fidelis von Sigmaringen) im Zehngerichtebund. Bedeutend war der Anteil der Missionare aus den Provinzen Brescia und Mailand im Oberhalbstein bzw. im Misox. Nach 1640 wurden mehrere Filialkirchen zu Pfarreien erhoben. Die zur Zeit der Bündner Wirren unter dazu günstigen politischen Bedingungen durchgeführten Rekatholisierungen waren indes von kurzer Dauer. Das Vorhaben, unter dem Abt von Disentis im Bündner Oberland ein Quasibistum mit 18 Pfarreien zu errichten, scheiterte 1656 am Widerstand des Bischofs. Der finanziellen Lage wegen waren Weihbischöfe nicht tragbar; die Bischöfe visitierten ihre Diözese selbst.
Das Vorhaben, den Besitzstand von vor 1524 wieder zu erlangen, scheiterte: Weder der unter österreichischem Druck zustande gekommene Lindauer Vertrag (1622) noch die von Nuntius Alessandro Scappi erlassenen 18 Artikel (1623) konnten eine Restitution des Bistums bewerkstelligen. Unter Bischof Johann VI. Flugi von Aspermont (1636-1661), stabilisierte sich das Verhältnis zwischen beiden Konfessionen, vor allem nach der politischen Anlehnung der Drei Bünde an Österreich. Vorwiegend dank dem Einsatz der Kapuzinermissionare in Romanisch-Bünden gelang es, die Religion in den katholischen, zum Teil auch in den konfessionell gemischten Gemeinden zu festigen. Die im 16. Jahrhundert unterbrochenen Beziehungen zum Reich wurden unter dem Schutz Österreichs wieder aufgenommen: Ab 1654 liessen sich die Churer Fürstbischöfe wieder an den Reichstagen vertreten. Ein abenteuerlicher Versuch von Oberst Johann Peter Guler von Wyneck, den Hof Chur am 18. Januar 1656 durch Truppen zu besetzen, scheiterte am Widerstand der reformierten Stadt Chur. Die guten Beziehungen sowohl der Drei Bünde als auch der Churer Bischöfe zu Österreich führten im späten 17. und im 18. Jahrhundert zu einem Modus vivendi und garantierten Stabilität in konfessionellen Angelegenheiten. Die Sechs Artikel von 1541 wurden von den Bischöfen nicht mehr beschworen, und der Kaiser liess sich ab 1728 an den Bischofswahlen durch einen Kommissar vertreten. Vergeblich wandten sich die Churer Bischöfe in Tirol und Vorarlberg gegen das aufgeklärte Staatskirchentum Josephs II. Sie mussten die meisten Massnahmen, unter anderem die Klosteraufhebungen, hinnehmen. Dagegen scheiterte der Versuch Österreichs, aus den Churer Bistumsteilen in Tirol und Vorarlberg eine neue Diözese mit Sitz in Feldkirch zu errichten. Auch in Liechtenstein führte das fürstliche Kirchenregiment zu Auseinandersetzungen.
Bischöfe der Diözese Chur der frühen Neuzeit
Amtsdaten | Bischof |
---|---|
1505 (?)-1541 | Paul Ziegler |
1542-1549 | Lucius Iter |
1550-1565 | Thomas Planta |
1565-1581 | Beatus a Portaa |
1565-1566 | Bartholomäus von Salisa |
1581-1601 | Peter de Raschèr |
1601-1627 | Johann V. Flugi |
1627-1635 | Joseph Mohr |
1636-1661 | Johann VI. Flugi von Aspermont |
1661-1692 | Ulrich VI. de Mont |
1692-1728 | Ulrich VII. von Federspiel |
1729-1754 | Joseph Benedikt von Rost |
1755-1777 | Johann Baptist Anton von Federspiel |
1777-1793 | Dionys von Rost |
1794-1833 | Karl Rudolf Buol von Schauenstein |
a Doppelwahl
Verschiedene Pläne zur Errichtung eines Diözesanseminars blieben unverwirklicht. Ausbildungsanstalten für Bündner Theologiestudenten waren vom ausgehenden 16. Jahrhundert an die Jesuitenkollegien Luzern und Freiburg. Freiplätze gab es am Collegium Helveticum in Mailand (ab 1579), am Jesuitenkolleg Dillingen (1610) und am St.-Barbara-Kolleg Wien (1627). 1649 erfolgte innerhalb der Diözese Chur die Gründung des Jesuitenkollegs Feldkirch. Für die Aufnahme in das Domkapitel waren adlige Herkunft oder ein akademischer Grad notwendig. Die Reformation brachte den Verlust vieler Einkünfte; die Zahl der residierenden Kanoniker verringerte sich. Die von Nuntius Giovanni Della Torre 1598 erlassenen Statuten setzten die Zahl der residierenden Domherren (Inhaber der Dignitäten) auf sechs fest, die übrigen 18 nicht in Chur residierenden Mitglieder des Domkapitels hatten das Teilnahmerecht an der Bischofswahl. Der Propst wurde vom Heiligen Stuhl providiert, der Dekan vom Kapitel, der Kantor und der Kustos vom Bischof gewählt. Die Ilanzer Artikel von 1524 und 1526 beschränkten den Einfluss der bischöflichen Gerichte stark. Der Generalvikar war residierender Domherr und übte auch das Amt des Offizials aus. Sein Amt war im 16. Jahrhundert nur zeitweise und erst im 17. und 18. Jahrhundert wieder ununterbrochen besetzt. In Vorarlberg, im Vinschgau, Misox, Oberhalbstein und Bündner Oberland wirkte je ein Vikar: Dieser hatte den Klerus zur Disziplin anzuhalten, informierte die bischöfliche Kurie und führte Pastoralkonferenzen durch.
19. und 20. Jahrhundert
Auf die im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 beschlossene Säkularisation Churs verzichtete die eidgenössische Tagsatzung 1804, weil die vorhandenen Vermögenswerte nicht ausreichten, um Bischof und Domkapitel zu entschädigen. Die weltlichen Hoheitsrechte des Bischofs erloschen, und die in Tirol gelegenen Besitzungen des Bistums (Fürstenburg) fielen an Österreich. Einzig der Hof Chur blieb im bischöflichen Besitz und behielt bis 1852 eine Sonderstellung. Weitgehenden Veränderungen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Diözesangebiet unterworfen: 1805 kamen Tirol und Vorarlberg zu Bayern, welches 1807 dem Bischof die Ausübung seiner Pflichten in diesen Gebieten untersagte. 1808 verzichtete Bischof Karl Rudolf Buol von Schauenstein auf die Zuständigkeit für die nun bayerischen Bistumsteile (ca. 80'000 Katholiken). Diese wurden 1809 provisorisch, 1816 endgültig zu den Diözesen Brixen und Trient geschlagen, sodass Chur mit Ausnahme Liechtensteins nur noch schweizerische Gebiete umfasste. 1819 übertrug der Heilige Stuhl dem Churer Bischof die meisten schweizerischen Teile der aufgelösten Diözese Konstanz. 1823 wurde das Bistum St. Gallen geschaffen und in Personalunion mit Chur verbunden. Das dem Kanton St. Gallen zugehörige Sarganserland kam vom Bistum Chur zum Bistum St. Gallen. Von den ehemals konstanzischen Gebieten schloss sich Schwyz 1824 definitiv Chur an. Provisorisch blieben Uri (Ursern gehörte bereits zuvor zu Chur), Unterwalden, Glarus und Zürich bis heute bei Chur, Schaffhausen bis 1841 (dann zu Basel), die beiden Appenzell bis 1867 (dann zu St. Gallen). 1867 trat Como die Pfarreien Brusio und Poschiavo an Chur ab, sodass nun der gesamte Kanton Graubünden Chur unterstand. Das Doppelbistum Chur-St. Gallen wurde wegen des Widerstands beider Kantonsregierungen 1836 wieder aufgehoben. Auseinandersetzungen zwischen der Bistumsleitung und dem Kanton Graubünden um das Schulwesen prägten die Mitte des 19. Jahrhunderts: 1850 wurde die katholische Kantonsschule mit der reformierten vereinigt, 1856 das bischöfliche Knabenseminar aufgelöst. Als Ersatz dafür wurde 1856 das Kollegium Schwyz gegründet, dessen Oberleitung dem Bischof von Chur zustand. Die Verhandlungen mit Unterwalden und Uri über eine definitive Aufnahme zogen sich über das ganze 19. Jahrhundert hinweg. Sie scheiterten, weil die Innerschweiz den Plan einer eigenen Diözese nie ganz aufgab und Graubünden sich, unter dem Verweis auf angebliche Vorrechte, der Gleichstellung aller Diözesanstände widersetzte. Erst 1928 wurden die beiden Innerschweizer Kantone als gleichwertig anerkannt, ohne dass sich aber an ihrer provisorischen Bistumszugehörigkeit etwas änderte.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts haben die industrielle Revolution und die dadurch bedingten gesellschaftlichen Umstrukturierungen die konfessionellen Verhältnisse stark verändert. So nahm die Zahl der Katholiken in reformierten Gebieten merklich zu, wogegen die Reformierten in der Innerschweiz nur eine geringe Zunahme verzeichneten. Am augenfälligsten veränderte sich das konfessionelle Verhältnis im Kanton Zürich. 1900 betrug der katholische Bevölkerungsanteil 19%, 1960 32%. 1970 wohnten 59% aller Angehörigen der Diözese Chur im Kanton Zürich. 1863 erlangten vier katholische Pfarreien, darunter Zürich, die öffentlich-rechtliche Anerkennung. Bereits 1873 wurde aber während des Kulturkampfs die katholische Pfarrei Zürich den Christkatholiken übergeben. Die zahlenmässig weit stärkeren Römisch-Katholiken mussten sich privatrechtlich organisieren. Mit finanzieller Unterstützung der Inländischen Mission gelang nach dem Kulturkampf der rasche Ausbau der Zürcher Diaspora. 1928 zählte der Kanton Zürich 41 katholische Pfarreien. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete er ein Dekanat. Später wurde er in drei Dekanate aufgeteilt, die einem bischöflichen Kommissar unterstellt waren. Nach langen Verhandlungen wurde 1956 für Zürich ein Generalvikariat errichtet. Erst die öffentlich-rechtliche Anerkennung brachte 1963 die rechtliche Gleichstellung der Katholischen mit der Evangelisch-reformierten Landeskirche.
Bis 1941 wurden die Bischöfe (alles Bündner) vom Domkapitel gewählt und vom Heiligen Stuhl bestätigt. Mit Johannes Vonderach wurde 1957 erstmals ein Koadjutor mit Nachfolgerecht vom Heiligen Stuhl ernannt, ebenso 1988 mit Wolfgang Haas. Dessen Berufung führte unter den Katholiken des Bistums zu schweren Auseinandersetzungen. 1997 wurde Liechtenstein kirchlich von Chur getrennt, zur Erzdiözese erhoben und Haas zum dortigen Erzbischof ernannt. Sein Nachfolger in Chur wurde Bischof Amédée Grab. 1917 waren die Stellen eines Generalvikars und Offizials geschaffen worden. Neben das 1956 errichtete Zürcher Generalvikariat traten 1970 je ein Generalvikariat für die Innerschweizer Kantone bzw. für Graubünden, Glarus und Liechtenstein.
Bischöfe der Diözese Chur 19.-21. Jahrhundert
Amtsdaten | Bischof |
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1835-1844 | Johann Georg Bossi |
1844-1859 | Kaspar (I.) de Carl von Hohenbalken |
1859-1876 | Nikolaus Franz Florentini |
1877-1879 | Kaspar II. Willi |
1879-1888 | Franz Konstantin Rampa |
1889-1908 | Johannes Fidelis Battaglia |
1908-1932 | Georg Schmid von Grüneck |
1932-1941 | Laurenz Matthias Vincenz |
1941-1962 | Christian Caminada |
1962-1990 | Johannes Vonderach |
1990-1997 | Wolfgang Haas |
1998-2007 | Amédée Grab |
2007-2019 | Vitus Huonder |
2019-2021 | Peter Bürcher |
2021- | Joseph Maria Bonnemain |
Das erste Priesterseminar der Diözese Chur wurde 1800 in Meran eröffnet. Nach der Schliessung durch Bayern 1807 setzte es noch im selben Jahr in der ehemaligen Prämonstratenserabtei St. Luzi in Chur den Lehrbetrieb fort. Die 1968 errichtete Theologische Hochschule erweiterte 1974 die Gradrechte um das Lizenziat und führte 1975 den dritten Bildungsweg für Laien im hauptamtlichen kirchlichen Dienst ein (1991 Trennung des dritten Bildungswegs vom Seminar). Der grösste Teil des Churer Klerus stammte aus der Innerschweiz und dem katholischen Graubünden (hauptsächlich dem Bündner Oberland). Bis zum Zweiten Vatikanum (1962-1965) stellten unter den Bündnern die Romanen den grössten Anteil. Unter grossem finanziellen Aufwand wurden nach dem Zweiten Vatikanum sämtliche Liturgiebücher in die verschiedenen rätoromanischen Idiome übersetzt. Vereinzelt schon im 19. Jahrhundert, besonders aber nach 1970 machte sich der Priestermangel bemerkbar: 1850 betreute jeder Diözesanpriester durchschnittlich 533, 1980 1184 Glaubensangehörige. Die Kapuzinermission unter der Aufsicht der Propagandakongregation wurde 1920 aufgehoben. Vereinzelt wirkten die Missionare bis 1955 weiter. Wegen des Priestermangels betreuen ab 1970 wieder vermehrt Ordensleute die Pfarreien. So sind Patres aus den im Bistum Chur gelegenen Benediktinerabteien Einsiedeln, Engelberg und Disentis auch in der Pfarrseelsorge tätig.
Quellen und Literatur
- Bischöfliches Archiv Chur, Chur
- Domschatzmuseum Chur, Chur
- Staatsarchiv Graubünden, Chur
- Helvetia Sacra I/1, 1972, 449-619 (mit Liste und Biografien der Bischöfe)
- A. Gasser, «Geschichte Liechtensteins als Teil des Bistums Chur», in Staat und Kirche, hg. von H. Wille, G. Baur, 1999, 178-191
- Handbuch der Bündner Geschichte, 4 Bde., 2000
- L. Deplazes, Reichsdienste und Kaiserprivilegien der Churer Bischöfe von Ludwig dem Bayern bis Sigmund, 1973
- U. Affentranger, Die Bischöfe von Chur in der Zeit von 1122 bis 1250, 1975
- Churrätisches und st. gallisches Mittelalter, hg. von H. Maurer, 1984
- O.P. Clavadetscher, W. Meyer, Das Burgenbuch von Graubünden, 1984
- Geschichte und Kultur Churrätiens, hg. von U. Brunold, L. Deplazes, 1986
- O.P. Clavadetscher, Rätien im Mittelalter, hg. von U. Brunold, L. Deplazes, 1994
- J. Küng, Der Verkauf und der Rückkauf des Münstertals (1728-1762), 1976
- H. Bissig, Das Churer Rituale, 1503-1927, 1979
- P.L. Surchat, «Zum Churer Bischofsstaat im Ancien Régime», in Kirche, Staat und katholische Wissenschaft in der Neuzeit, hg. von A. Portmann-Tinguely, 1988, 145-156
- P.L. Surchat, «Zur Katholischen Reform in Graubünden», in Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 84, 1989, 195-209
- W. Kundert, Die Koadjutoren der Bischöfe von Chur, 1991
- R. Loose, «Der Bischof von Chur, Herr zu Grossengstingen», in Jahrbuch der Historischen Gesellschaft von Graubünden 121, 1991, 141-167
- A. Fischer, Reformatio und Restitutio: das Bistum Chur im Zeitalter der tridentinischen Glaubenserneuerung, 2000
- U. Pfister, «Das Bistum Chur zwischen Graubünden und Habsburg, 1500-1813», in Calven 1499-1999: bündnerisch-tirolische Nachbarschaft, 2000, 207-217
- V. Gosatti, «Storia della separazione di Poschiavo e Brusio dalla diocesi di Como e loro aggregazione a quella di Coira», in Quaderni grigionitaliani 48, 1979, 197-213, 255-275
- M. Blaas, Der letzte Fürstbischof von Chur und sein Klerus in Tirol, 1983
- H. Maritz, «Erwägungen zum Churer "Bischofswahlrecht"», in Fides et ius, 1991, 491-505
- Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, hg. von E. Gatz, 3 Bde., 1991-1994
- Helvetia Sacra I/2, 1993, 215-228
- Priesterausbildungsstätten der deutschsprachigen Länder zwischen Aufklärung und Zweitem Vatikanischem Konzil, hg. von E. Gatz, 1994, 55-57
- M. Grichting, Kirche oder Kirchenwesen?, 1997