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Katholische Kirche

Die katholische Kirche, auch römisch-katholische Kirche genannt, was auf die beiden Dimensionen ihrer Katholizität und Romanität hinweist, versteht sich nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils (Vatikanische Konzile) als die wahre Kirche, in der die Kirche Jesu Christi verwirklicht ist, und als "Volk Gottes". Sie besteht in und aus Teil- oder Ortskirchen. Der Papst und mit ihm das Kollegium der Bischöfe als Vorsteher der Ortskirchen besitzen die oberste Lehr- und Leitungsgewalt. Vom Begriff Katholische Kirche zu unterscheiden ist derjenige des Katholizismus, der zwar personell und sachlich an die hierarchisch strukturierte Kirche gebunden ist, der aber auch alle jene kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen und Lebensäusserungen umfasst, die historisch-kontingenter Natur sind und die kirchliche Entwicklung entsprechend beeinflussen.

Anfänge und Mittelalter

Im Gebiet der heutigen Schweiz reichen die Anfänge des Christentums in die römische Spätantike zurück. Für dessen Kontinuität, die auch in Rätien und den Südtälern festzustellen ist, sorgten in der Westschweiz nach der Christianisierung die Burgunder, die ursprünglich dem Arianismus anhingen; die neue Religion verbreitete sich überall dort, wo sich die romanische Bevölkerung im Laufe des 3. Jahrhunderts festgesetzt hatte, auch in der Nordwestschweiz und im Mittelland. In den östlichen Teilen der Schweiz wurde die Christianisierung nach der Ansiedlung der Alemannen von dem um 600 errichteten Bistum Konstanz vorangetrieben (Bistümer), welches spätestens ab dem 12. Jahrhundert fast die gesamte deutschsprachige Schweiz umfasste. Bedeutsam waren hier auch der Einfluss irofränkischer Wandermönche wie Kolumban und Gallus sowie ab dem frühen 8. Jahrhundert zahlreiche Klostergründungen im rätisch-alemannischen Raum, darunter Pfäfers, Müstair, Disentis, Rheinau und vor allem die Abteien St. Gallen und Reichenau als weit ausstrahlende kirchliche, kulturelle und wirtschaftliche Zentren (Mönchtum). In der Westschweiz waren in der Karolingerzeit Saint-Maurice und Moutier-Grandval überregionale Zentren kirchlichen Lebens. Zur selben Zeit wurde die mittelalterliche Kirchenorganisation mit Bischofssitzen in Basel, Konstanz, Chur, Como, Mailand, Sitten, Lausanne und Genf Teil der fränkisch-karolingischen Reichskirche.

Im Hochmittelalter beeinflussten die Klosterreformen von Cluny, Hirsau und St. Blasien zahlreiche Niederlassungen auf Schweizer Boden. In der zweiten Hälfte des 10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts war Einsiedeln ein monastisches Reformzentrum von überregionaler Bedeutung. Unter den in der Schweiz bekannten Ritterorden waren die Johanniter, die sich unter anderem in Hitzkirch und Reiden niederliessen, am zahlreichsten vertreten. Ab dem 12. Jahrhundert verbreiteten sich die Zisterzienser, ab dem 13. Jahrhundert die Bettelorden (Franziskaner, Dominikaner), die vor allem in den entstehenden Städten tätig waren und die religiöse Frauenbewegung, unter anderem die Beginen, kirchlich einbanden. Während des Grossen Schismas (1378-1417) gehörten die Bistümer mit Ausnahme der Diözesen Genf (clementistisch) und Como (urbanistisch) wechselnden Obedienzen an.

Im ausgehenden Mittelalter verdichtete sich die religiöse Erneuerung in einer intensiven Volksfrömmigkeit, die sich in gesteigerter Reliquien- und Heiligenverehrung, in Wallfahrten und im Pilgerwesen ausdrückte. Ein bedeutender Vertreter der spätmittelalterlichen Mystik war Niklaus von Flüe. Auf die zahlreichen alternativen Strömungen reagierte die Kirche mit der Inquisition. Weder das Konzil von Konstanz (1414-1418) noch das Konzil von Basel (1431-1449) brachten im 15. Jahrhundert die erhoffte Kirchenreform, doch wurde Basel zu einem Zentrum des Humanismus. Spannungsreich gestaltete sich das Verhältnis zwischen der auf ihren Privilegien beharrenden Kirche und der entstehenden Eidgenossenschaft hinsichtlich der Abgrenzung des geistlichen und weltlichen Einflussbereichs. Die Eidgenossen versuchten, den Machtbereich der Kirche zurückzudrängen und nahmen Einfluss auf die Ausübung kirchlicher Funktionen. Verschiedene Orte liessen sich als Gegenleistung für die Stellung von Söldnern die Ausübung kirchlicher Vorrechte durch den Papst bestätigen.

Reformation bis Mitte des 20. Jahrhunderts

Prozession in Adelwil anlässlich der Überführung von Reliquien der Vierzehn Nothelfer und des heiligen Gallus sowie des Schleiers Mariens, 16. Juli 1752. Tafelbild in der Wallfahrtskapelle im luzernischen Adelwil (Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Luzern).
Prozession in Adelwil anlässlich der Überführung von Reliquien der Vierzehn Nothelfer und des heiligen Gallus sowie des Schleiers Mariens, 16. Juli 1752. Tafelbild in der Wallfahrtskapelle im luzernischen Adelwil (Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Luzern).

Die Reformation führte zur Herausbildung zweier getrennter Kirchen (Konfessionalismus). In der katholischen Kirche begann mit dem Konzil von Trient (1545-1563) die Gegenreformation, die sich vor allem in der Konfessionspolitik niederschlug, sowie eine tiefgreifende Katholische Reform, die beide durch die katholischen Orte gefördert und gelenkt wurden. Zu ihren Trägern gehörten des Weiteren die 1586 errichtete ständige Nuntiatur in Luzern sowie die ins Land berufenen Jesuiten, die im höheren katholischen Schulwesen eingesetzt wurden, und die Kapuziner, die sich insbesondere der Volksseelsorge widmeten. Der Priesterbildung diente das vom Mailänder Erzbischof Karl Borromäus errichtete Collegium Helveticum in Mailand. Ihren Ausdruck fand die katholische Reform in der Kultur und Frömmigkeit des Barock, im Kirchen- und Klosterbau, in Bruderschaften, Marienverehrung, Prozessionen, Wallfahrten und Reliquientranslationen. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurde vor allem von einer katholischen Elite in Städten und Klöstern aufgegriffen. Sie führte in den katholischen Orten zu einer stärkeren Akzentuierung staatskirchenrechtlicher Ansprüche (Udligenswiler Handel). Auf kirchlichem Gebiet kam es unter Einwirkung der katholischen Aufklärung zu Reformen, am ausgeprägtesten im frühen 19. Jahrhundert im Bistum Konstanz unter Ignaz Heinrich von Wessenberg.

Die Helvetische Revolution von 1798 und der Untergang der Reichskirche im Reichsdeputationshauptschluss (1803) beendeten die jahrhundertealte Ordnung der grenzübergreifenden Bistümer mit ihrer Zugehörigkeit zu auswärtigen Kirchenprovinzen (Erzbistümer). Die kirchliche Neuordnung führte 1821 zur Errichtung des Bistums Genf-Lausanne (seit 1924 Genf-Lausanne-Freiburg), 1828 zur Reorganisation des Bistums Basel und 1847 zur Errichtung des Bistums St. Gallen. Das Bistum Chur verlor 1816 seine österreichischen Gebiete, 1997 mit der Errichtung des Erzbistums Vaduz auch das Fürstentum Liechtenstein. Für den Kanton Tessin wurde 1888 eine apostolische Administratur, 1971 das Bistum Lugano errichtet. Unverändert blieb das Bistum Sitten. Die Säkularisation von rund 50 klösterlichen Niederlassungen im 19. Jahrhundert wurde teilweise aufgefangen durch die ab 1830 zahlreich gegründeten Kongregationen für Männer und Frauen wie namentlich der Schwesterngemeinschaften von Baldegg, Cham, Ingenbohl und Menzingen, die in Schule, Krankenwesen und auf sozial-karitativem Gebiet unentbehrliche Leistungen für das Wohl der katholischen Bevölkerung erbrachten, nicht zuletzt in der rasant wachsenden katholischen Diaspora in den industrialisierten Ballungsgebieten.

Katholische Universität Freiburg, Miséricorde. Fotografie von Benedikt Rast, um 1960 © Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung Benedikt Rast.
Katholische Universität Freiburg, Miséricorde. Fotografie von Benedikt Rast, um 1960 © Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung Benedikt Rast. […]

Ab den 1830er Jahren wehrte die katholische Kirche Aufklärung und Liberalismus ab; in zahlreichen Kantonen war sie in harte Auseinandersetzungen mit dem schweizerischen Staatskirchentum verwickelt (Badener Artikel). Sonderbund und Bundesstaatsgründung brachten die katholische Kirche und den mit ihr eng verbundenen konservativen politischen Katholizismus auf Bundesebene vorerst in eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Randposition. Kirchliche Erlasse gegen die Moderne (Enzyklika "Quanta cura" mit "Syllabus" 1864) und Ultramontanismus verstärkten in der zweiten Jahrhunderthälfte auf kirchlicher Seite die Ablehnung der liberal-bürgerlichen Gesellschaft. Folge davon war der nach dem Ersten Vatikanum (1869-1870) offen ausgetragene Kulturkampf, in dessen Verlauf es 1873 zur staatlichen Aufhebung der Nuntiatur, zu den gegen die katholische Kirche gerichteten Ausnahmeartikeln in der Bundesverfassung von 1874 und zur Bildung der christkatholischen Kirche kam. Der Kulturkampf verstärkte zugleich den Prozess der Bildung einer katholisch-konservativen Sondergesellschaft mit ihrem dichten Netz von kulturellen, sozialen und politischen Institutionen, während umgekehrt der liberale Katholizismus an Einfluss verlor. 1889 erfolgte die Gründung der katholischen Universität Freiburg.

«Wir teilen». Plakat für das Fastenopfer der Schweizer Katholiken von Werner Andermatt, 1962 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
«Wir teilen». Plakat für das Fastenopfer der Schweizer Katholiken von Werner Andermatt, 1962 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Nach dem Ersten Weltkrieg bahnte sich in der Beziehung zwischen katholischer Kirche und modernem Bundesstaat eine neue Ära an, bedingt zum einen durch die liberal-konservative Allianz auf politischer, zum anderen durch die gemeinsame Abwehr von Kommunismus, Sozialismus und Sozialdemokratie auf weltanschaulicher Ebene, die auch durch Antisemitismus gekennzeichnet war. Im Zweiten Weltkrieg unterstützte die Katholische Kirche die Politik der Landesregierung. Nach 1950 erfolgte die rechtliche Gleichstellung von katholischer und reformierter Kirche in allen Kantonen mit Ausnahme Genfs; in der Waadt wurde sie 1970, in Neuenburg 2000 verwirklicht. 1961 entstand aus der katholischen Missionsbewegung das Fastenopfer, das neben der Caritas (seit 1901) das bedeutendste katholische Hilfswerk der Schweiz ist.

Die nachkonziliare Kirche

Zu einer grundlegenden Neuausrichtung der schweizerischen katholischen Kirche kam es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) und der Synode 72. Die von Konzil und Synode initiierte innerkirchliche Erneuerung führte zu Reformen vor allem in Liturgie (u.a. Einführung der Volkssprache), religiöser Unterweisung und Seelsorge, zu neuer Orientierung auf gesellschaftlich-sozialem Gebiet sowie in den Bereichen Kultur und Mission; Ausdruck fand sie auch in einer neuen Sakralarchitektur. Auf Pfarrei- und Bistumsebene entstanden nachkonziliare Räte und Fachkommissionen sowie für die religiöse Erwachsenenbildung zahlreiche Bildungshäuser, die von Ordensgemeinschaften oder kantonalkirchlichen Institutionen getragen werden.

Im Bereich der Ökumene trat die katholische Kirche in den Dialog mit den anderen christlichen Kirchen. Seit 1971 ist sie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der Schweiz. Zunehmende Bedeutung erhielten seit 1960 die Kantonalkirchen (Landeskirchen), die wie die Kirchgemeinden staatskirchenrechtlich verfasst und seit 1971 unter dem Dach der Römisch-katholischen Zentralkonferenz vereinigt sind. Sie nehmen vor allem finanzielle Aufgaben wahr (Steuerbezug), stehen jedoch zum Teil in einem gespannten Verhältnis zur kirchlichen Organisation. Nachkonziliare Krisen, wie sie etwa durch die Enzyklika "Humanae vitae" (1968) oder durch den Konflikt im Bistum Chur (1988-1997) im Zusammenhang mit der Ernennung und dem Wirken von Bischof Wolfgang Haas verursacht wurden, führten zu erheblichen Verunsicherungen und Polarisierungen, im Falle der Bewegung des traditionalistischen Erzbischofs Marcel Lefebvre (Integralismus), dessen Anhängerschaft vor allem in der Westschweiz (Wallis und Freiburg) zu finden ist, 1988 gar zum Schisma. Dagegen hat sich unter anderem mit der sukzessiven Streichung der konfessionellen Ausnahmeartikel zwischen 1983 und 2001 das historisch belastete Verhältnis zwischen Kirche und Staat entspannt.

Protestkundgebung anlässlich der Weihe von Wolfgang Haas zum Bischof von Chur am 22. Mai 1988. Fotografie von Jean-Claude Gadmer, 1988 © Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung CIRIC.
Protestkundgebung anlässlich der Weihe von Wolfgang Haas zum Bischof von Chur am 22. Mai 1988. Fotografie von Jean-Claude Gadmer, 1988 © Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung CIRIC. […]

Überdiözesan begann nach dem Konzil die 1863 gegründete Schweizer Bischofskonferenz – bis dahin vor allem ein Konsultationsorgan –, Leitungs- und Koordinationsaufgaben wahrzunehmen, obschon alle schweizerischen Bistümer Rom direkt unterstellt sind und es keine schweizerische Kirchenprovinz gibt. International setzte nach dem Zweiten Vatikanum eine Zusammenarbeit unter den europäischen Bischöfen ein, die 1971 zur Gründung des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen führte. Dieser hat seit 1990 seinen Sitz in St. Gallen und arbeitet eng mit dem Rat der Konferenz Europäischer Kirchen zusammen.

Schweizer Bischofskonferenz in Einsiedeln am 29. Mai 2001. Fotografie von Jean-Claude Gadmer © Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung CIRIC.
Schweizer Bischofskonferenz in Einsiedeln am 29. Mai 2001. Fotografie von Jean-Claude Gadmer © Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung CIRIC.

Heute befindet sich die schweizerische katholische Kirche in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Besondere Herausforderungen stellen unter anderem Wertewandel, Individualisierung, innerkirchliche Pluralisierung (gefördert auch durch neue geistliche Bewegungen), Kirchenaustritte, Rückgang des traditionell-kirchlichen Lebens, vor allem bei der Jugend, Priestermangel und eine unterschiedliche Entwicklung des kirchlichen Lebens in der Deutschschweiz, der französischen Schweiz und im Tessin dar.

Quellen und Literatur

  • R. Pfister, Kirchengesch. der Schweiz, 3 Bde., 1964-84
  • HS
  • P. Stadler, Der Kulturkampf in der Schweiz, 1984 (21996)
  • U. Altermatt, Katholizismus und Moderne, 1989 (21991)
  • R. Weibel, Schweizer Katholizismus heute, 1989
  • Gegen die Gottvergessenheit, hg. von S. Leimgruber, M. Schoch, 1990
  • L. Karrer, Katholische Kirche Schweiz, 1991
  • Jede(r) ein Sonderfall?, hg. von A. Dubach, R.J. Campiche, 1993
  • D. Kraus, Schweiz. Staatskirchenrecht, 1993
  • Ökumen. Kirchengesch. der Schweiz, hg. von L. Vischer et al., 1994 (21998)
  • C. Jäggi, «Vom röm. Pantheon zur christl. Kirche», in Die Schweiz zwischen Antike und MA, hg. von A. Furger et al., 1996, 61-125
  • F.X. Bischof, C. Dora, Ortskirche unterwegs, 1997
  • Theol. Profile, hg. von B. Bürki, S. Leimgruber, 1998
  • M. Ries, «Die Schweiz», in Kirche und Katholizismus seit 1945, hg. von E. Gatz, 1, 1998, 333-356
  • Die Bistümer des Hl. Röm. Reiches von Ihren Anfängen bis zur Säkularisation, hg. von E. Gatz, 2003
  • Schweizer Katholizismus 1933-1945, hg. von V. Conzemius, 22003
  • Die Bistümer der deutschsprachigen Länder von der Säkularisation bis zur Gegenwart, hg. von E. Gatz, 2005
  • B. Secrétan, Eglise et vie catholiques à Lausanne du XIXe siècle à nos jours, 2005
Weblinks

Zitiervorschlag

Franz Xaver Bischof: "Katholische Kirche", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26.11.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011429/2014-11-26/, konsultiert am 19.03.2024.