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Ketzer

Häretiker

Der nur in der deutschen Sprache gebräuchliche Begriff Ketzer geht etymologisch vermutlich auf «Katharer» (abgeleitet aus dem griechischen Begriff katharoi «die Reinen») zurück und wird synonym zur Bezeichnung «Häretiker» verwendet. Er beinhaltet Widerspruch gegen herrschende, offizielle christliche Lehren und Auffassungen von Kirchenleitungen (Christentum). Besonders im Mittelalter, aber auch noch in der frühen Neuzeit wurden Ketzer mit aller Härte verfolgt. Welche Vorstellungen häretisiert wurden und folglich als ketzerisch galten, konnte allerdings nach Ort und Zeit variieren. Das Verketzerte wurde mitunter zu einer späteren Zeit sanktioniert, wie zum Beispiel die heliozentrische Weltsicht. Die Abweichung im Glauben galt zugleich als politische und gesellschaftliche Abweichung.

Mittelalter

Die wichtigste spätantik-frühmittelalterliche Häresie war der Arianismus, den die Burgunder in die nachmalige Westschweiz mitbrachten und der durch die Bekehrung ihres Königs Sigismund zum Katholizismus (505) überwunden wurde. Von den zahlreichen hochmittelalterlichen heterodoxen (Wander-)Predigern haben Heinrich von Lausanne vor 1116 in Lausanne und Arnold von Brescia 1140 in Zürich gewirkt. Dagegen blieb die Schweiz von der wichtigsten hochmittelalterlichen Häresie, dem dualistischen Katharismus, verbreitet vor allem in Südfrankreich (Albigenser) und Oberitalien (Patarener), weitgehend unberührt.

Eine zensierte Seite der in Basel erschienenen Cosmographia Universalis von Sebastian Münster, 1550 (Stiftsbibliothek St. Gallen; Fotografie Carsten Seltrecht).
Eine zensierte Seite der in Basel erschienenen Cosmographia Universalis von Sebastian Münster, 1550 (Stiftsbibliothek St. Gallen; Fotografie Carsten Seltrecht). […]

Anklang fanden die Häresien des 14. Jahrhunderts, insbesondere jene des Freien Geistes, welcher namentlich die Beginen und Begarden verdächtigt wurden. Diese waren in der Deutschschweiz recht verbreitet, wo um 1350 auch die Geisslerbewegung (Flagellanten) auftrat. Ende des 14. Jahrhunderts wurden in Freiburg Waldenser entdeckt, denen 1430 der endgültige Prozess gemacht wurde, nicht zuletzt weil man fürchtete, dass sie mit den Hussiten zusammenarbeiteten, die in den 1420er Jahren rasch über ihr Stammland Böhmen hinausgriffen. In Freiburg ging die Verfolgung der Waldenser in den 1430er Jahren fast nahtlos in diejenige von Hexern und Hexen (Hexenwesen) über, die in der Westschweiz – neben der Dauphiné – ihre frühesten mittelalterlichen Wurzeln hatte.

Frühe Neuzeit

Vor dem 18. Jahrhundert war es für alle Kirchen und religiösen Bewegungen in der Geschichte des Christentums klar, dass sie selbst Rechtgläubigkeit, ihre Widersacher hingegen Häresie vertraten. Folglich bezeichneten beide Konfessionen in der Eidgenossenschaft sich gegenseitig als ketzerisch und versuchten Andersgläubige, darunter auch die Juden (Judentum), zu unterdrücken.

Als Ketzer verfolgt wurden darüber hinaus die Täufer, eine aus der Reformation erwachsene religiöse Bewegung, die ihren Ursprung in Zürich hatte, ferner die Bewegungen der Spiritualisten (Spiritualismus) und Antitrinitarier sowie eigenständige religiöse Denker und Nonkonformisten. Mit der Aufklärung, welche Toleranz, Glaubensfreiheit und die Aufwertung des Individuums vertrat, erwiesen sich Wirklichkeit und Begriff des Ketzers für alle Kirchen als zunehmend unscharf und problematisch.

Quellen und Literatur

  • W. Nigg, Das Buch der Ketzer, 1949 (mehrfach neu aufgelegt)
  • Hérésies et sociétés dans l'Europe pré-industrielle, hg. von J. Le Goff, 1968
  • R. Pfister, Kirchengesch. der Schweiz 2, 1974
  • TRE 14, 318-341
  • F. Graus, Pest – Geissler – Judenmorde, 1987 (31994)
  • A. Blauert, Frühe Hexenverfolgungen, 1989
  • G.G. Merlo, Eretici ed eresie medievali, 1989
  • Ketzer, Täufer, Utopisten, hg. von F. Staeck, C. Welsch, 1991
  • LThK 4, 1189-1193
  • Ökumen. Kirchengesch. der Schweiz, hg. von L. Vischer et al., 1994 (21998)
  • M. Lambert, Häresie im MA, 2001 (engl. 1977, 32002)
Weblinks

Zitiervorschlag

Kathrin Utz Tremp; Franz Xaver Bischof: "Ketzer", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 02.09.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011447/2008-09-02/, konsultiert am 13.04.2024.