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Eremiten

Das Eremitentum, also das religiöse Leben als Einzelgänger "in der Wüste", wird von der Religionsgeschichte oft übergangen, obwohl es einst sehr verbreitet war. Sieht man von der Legende des heiligen Beatus ab, treten Eremiten in der Schweiz seit der Merowingerzeit auf. Der heilige Amatus, ein Mönch von Saint-Maurice, zog sich 611 in die Felsen oberhalb des Klosters zurück. Der heilige Gallus, wohl ein irischer Mönch, liess sich um 630 im Steinachtal nieder. Aus seiner Einsiedelei und seinem Grab entstand das bedeutende Kloster St. Gallen. Um die Mitte des 9. Jahrhundert verliess Meinrad das Kloster Reichenau, um als Eremit "im finsteren Wald" zu leben; am Ort seines Aufenthalts und seiner Ermordung entstand auf Initiative eines anderen Eremiten, des heiligen Benno, das Kloster Einsiedeln. Diese ersten Eremiten sind dank hagiografischen Quellen bekannt. Ab dem 10. Jahrhundert sind in Nekrologen zudem die Namen von Reklusen überliefert, die in zugemauerten Häuschen lebten.

Aus den ab dem 13. Jahrhundert zahlreicher vorhandenen Rechts- und Verwaltungsquellen geht hervor, dass Eremiten in Stadt und Land verbreitet waren. Diese Quellen erlauben auch einen soziologischen Blick: Die Eremiten, Laienbrüder und Laienschwestern, Beginen und Begarden, waren in Gesellschaft und Familie integriert, nahmen Immobilientransaktionen vor, traten als Zeugen auf, stifteten Jahrzeiten, erhielten Zuwendungen und stritten vor Gericht miteinander oder gegen Bettelorden, die ebenfalls auf Almosen angewiesen waren. Werke der Dominikaner, Sammlungen von Predigten, Visionen und Wundern, zahlreiche Ausgaben und Übersetzungen geistlicher Werke, vor allem des Erbauungsbuches "Imitatio Christi" (deutsch Nachfolge Christi) und "De Vita Patrum", zeigen auf, dass der Rückzug in die Einöde und die einsame Meditation bei den Laien auf zunehmendes Interesse stiessen. Dies gilt nicht nur für das Rheinland, sondern auch für die Schweizer Alpen. Die Eremiten waren stets der Gefahr ausgesetzt, als Ketzer angeklagt zu werden. Der Fall von Niklaus von Flüe illustriert zugleich die Anziehungskraft der Devotio moderna auf Laien und das verborgene politische Gewicht der Eremiten im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit.

Ab dem 15. Jahrhundert liefern Ratsprotokolle und Gerichtsakten ein nuancierteres Bild der Eremiten. Sie beleuchten die Lebensweise und die Beziehungen der Eremiten zu Pfarreien und Klöstern, für die sie häufig als Küster oder Kapellwächter tätig waren. Unter die wandernden Eremiten mischten sich auch Schwindler, Diebe, Vergewaltiger und Mörder. Andere wirkten als Unternehmer, bauten Kapellen, gründeten und belebten Wallfahrtsorte oder waren selbst Pilger. Einige wirkten als Schulmeister, Organisten, Maler und Bildhauer.

Diese Tätigkeiten, die im Widerspruch zur Berufung eines Eremiten zu stehen schienen, gab einigen von ihnen Anlass zu Besorgnis über ihren Ruf. In der Folge wurden die Eremiten, deren Status im kanonischen Recht bis 1983 nicht klar definiert war, von Bischöfen diszipliniert, die sie in ihren Bistümern zu Kongregationen zusammenfassten, ihnen ein Noviziat und Regeln auferlegten und Generalkapitel sowie Visitationen von Einsiedeleien organisierten. Die Eremiten des Bistums Konstanz, mindestens jene im eidgenössischen Teil, erhielten vom Bischof Anfang des 18. Jahrhunderts die Bewilligung, sich zu einer Kongregation zusammenzuschliessen; die 1777 in Augsburg gedruckte Regel wurde mit einigen Anpassungen bis Ende des 19. Jahrhunderts benutzt. Die darin enthaltenen Vorschriften ergänzten die Regel des Dritten Franziskusordens, dem die meisten Eremiten angehörten. Die Kongregation umfasste drei Provinzen: die Ostprovinz mit dem St. Galler Oberland, dem Thurgau, Appenzell Innerrhoden und dem Toggenburg, die Westprovinz mit Freiburg, Solothurn und dem Gebiet des alten Bistums Basel, und die am besten bekannte Provinz der Zentralschweiz.

Die Einsiedelei von Longeborgne in der Nähe von Sitten. Gouache eines unbekannten Malers, Anfang 19. Jahrhundert (Privatsammlung; Fotografie Jean-Marc Biner).
Die Einsiedelei von Longeborgne in der Nähe von Sitten. Gouache eines unbekannten Malers, Anfang 19. Jahrhundert (Privatsammlung; Fotografie Jean-Marc Biner). […]

1761 bestand letztere Provinz aus 28 Eremiten, denen ein Visitator (der Altvater) und ein Novizenmeister vorstanden; sie lebten in acht sogenannten Zipfeln und traten jährlich an Mariä Verkündigung (25. März) zum Generalkapitel zusammen. Die Provinz nahm am Ende des 18. Jahrhunderts Österreicher und Franzosen auf, die durch den Josephinismus und die Französische Revolution aus ihren Klausen vertrieben worden waren. Von der Aufhebung des Bistums Konstanz war auch die Kongregation betroffen, doch wurde sie 1815 wieder hergestellt. Sie hatte ihren Sitz zuerst in Küssnacht (SZ), dann in Zug (Pilgerkapelle der heiligen Verena) und ab 1846 in Luthernbad (Gemeinde Luthern). 1904 wurde aus der Kongregation die Gruppe der Barmherzigen Brüder, die sich der Pflege von Geisteskranken annahm. Sie kaufte 1908 ein Grundstück in Oberwil bei Zug und baute dort das Franziskusheim, das als Bleibe für betagte Eremiten und als psychiatrische Klinik diente und noch heute den Sitz der Kongregation beherbergt. 1922 wurde sie Schweizer Vikarie der Barmherzigen Brüder Trier. Noch heute besitzt sie ein Noviziat im Steinhof in Luzern.

Das traditionelle Eremitentum überlebte im Wallis, das sich nie in die Kongregation der schweizerischen Eremiten integriert hat, mit Klausen in Longeborgne sowie zeitweise in der klostereigenen Kapelle Notre-Dame-du-Scex in Saint-Maurice. Auch in den Kantonen Schwyz (Kapelle von Tschütschi), Solothurn (Einsiedelei von Kreuzen) und Tessin gibt es traditionelle Eremiten.

Quellen und Literatur

  • J. Bütler, «Die Restauration des Eremitenstandes in den V Orten anno 1815», in Gfr. 112, 1959, 123-129
  • E. Gruber, «Beginen und Eremiten der Innerschweiz», in ZSK 58, 1964, 79-106
  • DHGE 15, 771-787; Ergänzungsbd., 1489-1494
  • C. Santschi, «Les ermites du Valais», in Vallesia, 1988, 1-103
  • C. Santschi, L'encadrement des ermites, 1999
  • R. Syburra-Bertelletto, C. Santschi, L'ermitage de Longeborgne, 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Catherine Santschi: "Eremiten", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.03.2006, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011527/2006-03-20/, konsultiert am 28.03.2024.