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Domkapitel

Unter einem Domkapitel versteht man die korporativ verfasste Gemeinschaft des an einer Bischofskirche (Kathedrale) wirkenden Klerus. Die frühesten Erwähnungen von Domkapiteln in den schweizerischen Bistümern (Basel, Chur, Genf, Konstanz, Lausanne, Sitten) und in der für Teile des Tessins zuständigen Diözese Como entstammen dem 9. Jahrhundert. Wesentliche Funktionen der Domkapitel waren die feierliche Gestaltung des Gottesdienstes in der Domkirche, die Wahl des Bischofs, oft in Konkurrenz zum Papst oder weltlichen Gewalten, die Beratung des Bischofs sowie die Teilnahme an der geistlichen und weltlichen Bistumsverwaltung. Diese Rechte wurden später oft durch Wahlkapitulationen abgesichert und verschafften den Domherren wichtige Ämter. Bereits im Hochmittelalter erreichten die Domkapitel die (auch vermögensrechtliche) Eigenständigkeit gegenüber dem Bischof. Die Zahl der Domherren betrug 20-30 (meist 24), ihre Vita communis endete spätestens im 12. Jahrhundert. Die Korporation ergänzte sich damals selbst. Im Spätmittelalter wurden mehr und mehr Domherren auch durch päpstliche Provision, teils auch von weltlichen Mächten bestimmt. Eine herausgehobene Stellung hatten die Dignitäre und vor allem der Vorsteher des Domkapitels, der Propst, teils auch in vermögensrechtlicher Hinsicht.

Der Dom von Arlesheim und die Domherrenhäuser. Ausschnitt aus dem von Jacob Andreas Fridrich gezeichneten bischöflichen Kalender für das Jahr 1747 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett).
Der Dom von Arlesheim und die Domherrenhäuser. Ausschnitt aus dem von Jacob Andreas Fridrich gezeichneten bischöflichen Kalender für das Jahr 1747 (Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett). […]

Im Hochmittelalter waren die Domkapitel vom Adel dominiert, dem sie als Versorgungsstätten dienten. Vom 14. Jahrhundert an erscheinen immer mehr graduierte Bürgerliche, am meisten in Konstanz, Chur und Sitten, weniger in den welschen Domkapiteln. Der viel beklagte sittliche Tiefstand des Klerus im Spätmittelalter betraf besonders auch die Domkapitel. Chordienst und Residenzpflicht litten, die liturgischen Funktionen wurden mehr und mehr an Vikare delegiert. Der Reformation setzten die Domherren meist wenig Widerstand entgegen; sie schlossen sich aber auch nicht den Neuerern an. In der Folge mussten fast alle Domkapitel kürzere oder längere Zeit ins Ausland emigrieren (z.B. das aus Basel bis 1678); diejenigen von Genf und Lausanne lösten sich ganz auf. In andern Domkapiteln, vor allem in Chur, musste die faktische Stellenzahl reduziert werden. In den Kapiteln von Basel und Konstanz erfolgte eine Refeudalisierung: Vom 16. Jahrhundert an suchte dort der reichsritterliche Adel die Bürgerlichen zu verdrängen, was in Konstanz auch zu einem fast vollständigen Ausschluss eidgenössischen Bewerber führte. In Chur und Sitten hingegen konnten sich die einheimischen Nichtadligen im Wesentlichen halten. Einen erneuten grossen Einbruch in das tradierte Gefüge der Domkapitel brachten 1798 die Helvetik und 1803 der Reichsdeputationshauptschluss. Nur Chur und Sitten konnten ihre Domkapitel kaum verändert ins 19. Jahrhundert hinüber retten. Das Domkapitel Konstanz löste sich mit dem Bistum auf, das Domkapitel von Basel entstand neu 1828 mit Sitz in Solothurn. In den neuen Diözesen St. Gallen und Lugano erfolgte die Errichtung von Domkapiteln 1847 bzw. 1888. Das nach Freiburg transferierte Bistum Genf-Lausanne erhielt erst 1924 durch Umwandlung des Kollegiatstifts St. Nikolaus wiederum ein Domkapitel. Die neuen Domkapitel weisen weniger Stellen (10-15) auf, ebenso (wenn überhaupt) weniger Dignitäten. Die Zuwahl erfolgt grundsätzlich durch die Bischöfe, eventuell zusammen mit den Diözesanständen, nach meritokratischen Prinzipien: Nicht mehr Stand und Vermögen, sondern gute Bildung, organisatorische Fähigkeiten oder Verdienste in der Pfarrseelsorge stellen Auswahlkriterien dar. In Basel, Chur und St. Gallen haben die Domkapitel nach wie vor das zu einem Zankapfel gewordene Wahlrecht der Bischöfe, im Zusammenwirken mit andern, auch weltlichen Gremien. Die Domherren üben nur noch geistliche Funktionen aus, vor allem in der Verwaltung als Generalvikare, Offiziale usw. Als Rat des Bischofs sind sie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil durch andere Institutionen (z.B. Priesterräte) etwas entwertet worden.

Quellen und Literatur

  • P. Hersche, Die dt. Domkapitel im 17. und 18. Jh., 3 Bde., 1984
  • HS I/1-6
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Hersche: "Domkapitel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.11.2003. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011734/2003-11-05/, konsultiert am 18.04.2024.