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RenéGardi

1.3.1909 Bern, 9.3.2000 Bern, reformiert, von Höchstetten. Sekundarlehrer, Reiseschriftsteller, Dokumentarfilmer, Fotograf und Populärethnograf, bekannt für seine Berichte über Afrika.

Unter afrikanischen Baumeistern – Beschränke dich und lebe frei. Folge der Sendereihe René Gardi erzählt… des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 21. März 1973 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF).
Unter afrikanischen Baumeistern – Beschränke dich und lebe frei. Folge der Sendereihe René Gardi erzählt… des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 21. März 1973 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF). […]

René Friedrich Gardi war der Sohn des Tramführers Ernst Gardi und der Rosa geborene Minder. Er studierte Mathematik, Physik und Zoologie an der Universität Bern und erwarb 1931 das Sekundarlehrerpatent. Ab 1935 arbeitete er als Sekundarlehrer in Brügg. In der Freizeit engagierte er sich bei den Pfadfindern, organisierte Reisen und veröffentlichte 1936 das erste Buch. 1941 heiratete er Marie Reber. Das Paar hatte drei Kinder. Gardi wurde 1945 wegen «Unzucht mit Kindern» – er hatte mit ehemaligen minderjährigen Schülern onaniert – zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung und zu 10 Jahren Berufsverbot als Lehrer verurteilt. Bis zu seinem Tod kam es zu keinen weiteren Anschuldigungen.

Nach dem Urteil arbeitete Gardi als Reiseschriftsteller mit Schwerpunkt Afrika; er besuchte den Kontinent 32-mal. Dazwischen bereiste und beschrieb er auch andere Teile der Welt, darunter Neu-Guinea und Syrien. Sein Hauptinteresse galt ethnografischen Themen (Volkskunde), vor allem dem Handwerk ländlicher Kulturen, die er populärwissenschaftlich mit Rückgriff auf die westliche Historiografie in früheren Zeiten (z.B. der Steinzeit) verortete. Er stellte sie in positivem Sinn als rückständig und geschichtslos dar, da sie nicht von den – aus seiner Sicht – schädlichen Auswirkungen der westlichen «Zivilisation» und ihrer Konsumkultur verdorben waren. Die Dekolonisation Afrikas, die ab Ende der 1950er Jahre zu vielen neuen Staaten führte, sah Gardi skeptisch. Für ihn waren die ehemals kolonisierten Menschen unmündig und nicht bereit für die Selbstverwaltung. Den gebildeten Schichten warf er vor, die westliche Denkweise lediglich zu imitieren (Kolonialismus).

Afrika im Umbruch. Erlebnisse und Beobachtungen, Beitrag von René Gardi in der Sendung Schulfunk vom 10. Februar 1960 im ersten Programm von Radio Beromünster (Schweizerische Nationalphonothek, Lugano, 18BD1818).
Afrika im Umbruch. Erlebnisse und Beobachtungen, Beitrag von René Gardi in der Sendung Schulfunk vom 10. Februar 1960 im ersten Programm von Radio Beromünster (Schweizerische Nationalphonothek, Lugano, 18BD1818). […]

Indem er alle verfügbaren Kommunikationskanäle nutzte, erreichte Gardi viele Menschen. Er hielt Vorträge, schrieb Artikel und Bücher und beteiligte sich mit seinen Fotografien und Erinnerungsstücken aus Afrika an Ausstellungen. Bemerkenswert ist seine lange Präsenz in Radio und Fernsehen. Die ersten Radiosendungen wurden 1934 ausgestrahlt, die Sendereihe René Gardi erzählt... lief in der Schweiz ab 1958. Auch im deutschen Fernsehen trat er auf. Zusätzlich drehte Gardi mehrere Dokumentarfilme, davon drei im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Debatten Anfang der 1960er Jahre um Sinn und Nutzen der Entwicklungshilfe. Erst ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nahm seine Medienpräsenz ab, jedoch reiste er weiterhin regelmässig nach Afrika (zuletzt 1992), hielt Vorträge und veröffentlichte zwei weitere Bücher.

Gardis Art der populärethnografischen Wissensvermittlung kam bei Publikum und Medien mehrheitlich gut an. Sie schätzten die anschauliche Sprache sowie das sicht- und hörbare Engagement, mit dem er die Lebensweise von Menschen aussereuropäischer Kulturen beschrieb. Seine paternalistische Haltung und rassistisch lesbare Untertöne in einigen Publikationen wurden nicht diskutiert (Rassismus). Viele seiner Bücher erreichten mehrere Auflagen und wurden übersetzt. 1963 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Schweizer Jugendbuchpreis ausgezeichnet (Kinder- und Jugendliteratur), 1969 folgte für Heiteres aus Afrika der Buchpreis der Stadt Bern. Einige seiner Filme wurden prämiert, darunter Mandara (1962) am Festival dei Popoli in Florenz und Die Glasmacher von Bida (1963) mit einer Qualitätsprämie des Bundesamts für Kultur. Für einige Arbeiten erhielt Gardi auch Anerkennung durch die akademische Welt: 1955 wurde einer seiner 16-mm-Filme aus den Mandarabergen (Kamerun) in die Sammlung des Instituts für den wissenschaftlichen Film (IWF) in Göttingen aufgenommen und 1967 verlieh ihm die Universität Bern auf Antrag des Seminars für Ethnologie den Ehrendoktortitel der philosophischen Fakultät. Kritische Auseinandersetzungen erschienen erst im Umfeld postkolonialer Forschungen in den 2010er Jahren. Nach der Publikation des Films African Mirror 2019, der sich mit Gardis Blick auf Afrika befasste und seine Verurteilung von 1945 bekannt machte, wurde die 2004 vom Berner Gemeinderat mit seinem Namen versehene Strasse umbenannt.

Umschläge verschiedener Ausgaben von René Gardis erstmals 1953 auf Deutsch erschienenen Buch Mandara (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Umschläge verschiedener Ausgaben von René Gardis erstmals 1953 auf Deutsch erschienenen Buch Mandara (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Quellen und Literatur

  • Gardi, René: Blaue Schleier, Rote Zelte. Eine Reise ins Wunderland der südlichen Sahara, 1950.
  • Gardi, René; Zbinden, Charles: Mandara, 1959 (Film).
  • Gardi, René; Schweizer, Ulrich: Nous les autres, 1964 (Film).
  • Gardi, René: Unter afrikanischen Handwerkern. Begegnungen und Erlebnisse in Westafrika, 1969.
  • Gardi, René: Alantika. Vergessenes Bergland in Nordkamerun, 1981.
  • Staatsarchiv Bern, Bern, Nachlass René Gardi.
  • Lichtspiel Kinemathek Bern, Bern (Filme von René Gardi).
Weblinks
Normdateien
GND
VIAF
Kurzinformationen
Variante(n)
René Friedrich Gardi (Taufname)
René Fritz Gardi
Lebensdaten ∗︎ 1.3.1909 ✝︎ 9.3.2000

Zitiervorschlag

Felix Rauh: "Gardi, René", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.08.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011814/2024-08-22/, konsultiert am 17.09.2024.