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Musikvereine

Musikvereine sind Körperschaften, die sich der ehrenamtlichen Pflege der Musik widmen. Im weiten Sinne versteht man darunter verschiedene Formen von Orchestervereinen (Sinfonie-, Akkordeon- und Mandolinenorchester), Blasmusik-, Clairon-, Pfeifer- und Tambourenkorps sowie meist ebenfalls vereinsmässig organisierte Big Bands, Guggenmusiken und Bandellas, im engen Sinne die hier vor allem gemeinten Blasmusikvereine.

Bei den Blasmusikvereinen existieren heute vier verschiedene Besetzungstypen: Die Harmoniemusik, die mit Blech- (u.a. Trompete, Horn) und Holzblasinstrumenten (u.a. Flöte, Klarinette, Oboe) sowie Schlaginstrumenten besetzt ist, die Blechbesetzung (Fanfare), die eher ortsgebundenen Möglichkeiten als einer allgemeinen Besetzungsnorm angepasst ist (u.a. Flügelhörner, Trompeten und Schlagwerk), die Metallharmonie (Fanfare mixte), die neben Blechblasinstrumenten aus Saxophonen und gelegentlich Flöten, Klarinetten und Schlagwerk besteht, sowie die Brass Band mit einer standardisierten Blechbesetzung nach englischem Vorbild (u.a. Kornette, Hörner und Schlagwerk).

Entwicklung bis Ende des 20. Jahrhunderts

Plakat von Walter Läubli, 1935 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat von Walter Läubli, 1935 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurden in der Schweiz die ersten zivilen Blasmusikvereinigungen gegründet. Angeregt durch die Musikkorps der französischen Besatzungstruppen in der Zeit der Helvetischen Republik, der meist nach französischem Vorbild gegründeten Feldmusikkorps in der Mediationszeit, und gefördert durch die Erfindung der Ventile für Blechblasinstrumente in den 1810er Jahren kam es im 19. Jahrhundert, insbesondere nach der Gründung der Eidgenössischen Blechmusikgesellschaft 1862, zu einer Gründungsbewegung, auf die eine grosse Zahl der heute bestehenden Vereine zurückzuführen ist. Abgesehen von wenigen Märschen, Liedern, Tänzen und Chorälen fehlte im 19. Jahrhundert ein eigenständiges Blasmusikrepertoire, sodass leistungsfähige Blasmusikvereine vornehmlich Bearbeitungen von Orchesterwerken, Opern- und Operettenthemen spielten. Erst nach 1900 entstanden Originalkompositionen für Amateurblasmusiken. In der zweiter Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Literatur immer vielfältiger, sodass heute fast alle Musikstile gespielt werden: traditionelle und avantgardistische Blasorchesterliteratur, Bearbeitungen von Orchesterwerken sowie von Jazz, Rock- und Popmusik, Filmmusik, Musicals und von Volksmusik beeinflusste Unterhaltungsmusik.

Gesellschaftliche Bedeutung

Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Musikvereine von grosser gesellschaftlicher Bedeutung, weil sie für viele die einzige Möglichkeit waren, ein Instrument zu erlernen und sich das Notenlesen anzueignen. Die Instrumente wurden den Mitgliedern oft von Gemeinden oder privaten Gönnern zur Verfügung gestellt. Diese Bildungsfunktion verloren die Musikvereine erst mit dem Aufkommen der Jugendmusikschulen in den 1970er und 1980er Jahren. Vor dem Zeitalter von Grammophon und Radio verbreiteten vor allem die Blasmusikkapellen bei Platz- und Promenadenkonzerten die populären Melodien aus Oper, Operette und Volksmusik. Bedeutung hatten die Musikvereine auch durch ihre Repräsentationsfunktion. Grössere Anlässe wie Dorffeste und Umzüge wurden bis ins letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stets von Blasmusikkapellen musikalisch umrahmt. Dies führte dazu, dass verschiedene politische Gruppierungen ihre eigenen Blasmusiken gründeten. So gab es in vielen Dörfern zwei Blasmusiken, eine katholisch-konservative und eine liberale. In Industriegebieten entstanden ab der Wende zum 20. Jahrhundert auch Arbeiter-Blasmusiken, die an den Manifestationen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, etwa dem 1. Mai, auftraten. Noch heute existieren mancherorts mehrere Blasmusiken nebeneinander, obwohl sich deren politische Ausrichtung inzwischen weitgehend verloren hat.

Organisation

Die Schweizer Blasmusiken sind in Verbänden zusammengeschlossen. Sektionen (Vereine) bilden Kantonalverbände mit eigenem Vorstand und zum Teil eigenem Sekretariat. In grösseren Kantonen existieren auch Regionalverbände und in einzelnen Kantonen Jugendmusikverbände. Der Dachverband ist der Schweizer Blasmusikverband SBV (1862 gegründet als Eidgenössische Blechmusikgesellschaft, ab 1905 Eidgenössischer Musikverein, ab 1979 Eidgenössischer Musikverband, seit 1998 unter heutigem Namen). Zu seinen Aufgaben gehören die Förderung und Pflege der Blasmusik, die Förderung und Schaffung von Blasmusikliteratur, die Führung eines Blasmusikarchivs und das Kurswesen (Weiterbildungskurse für Bläser und Schlagzeuger sowie Dirigentenkurse). Das Verbandsorgan "Unisono" (1912-1949 "Schweizerische Zeitschrift für Instrumentalmusik", 1950-1988 "Schweizerische Blasmusikzeitung", 1989-2000 "Blasmusikzeitung") erscheint 24-mal jährlich in drei Sprachen. Seit 1864 werden mehr oder weniger regelmässig eidgenössische Musikfeste durchgeführt. Seit 1981 finden sie alle fünf Jahre statt und sind wettbewerbsmässig in fünf verschiedenen Leistungsklassen organisiert. Seit 2004 wird in den Jahren zwischen den eidgenössischen Musikfesten ein Schweizer Blasmusikfestival für Unterhaltungsmusik, Show und Parade ausgerichtet.

Dem SBV sind neben den Kantonalverbänden auch der 1919 gegründete Arbeitermusikverband mit zwölf Sektionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, der seit 1923 bestehende Blaukreuzmusikverband mit 21 Sektionen, der 1930 gegründete Jugendmusikverband mit 161 Sektionen, der Verband der Musikvereine des Verkehrspersonals der Schweiz, das Spiel der Schweizergarde in Rom, der Schweizer Militärmusikverband, der Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband, die Association romande des directeurs de musiques instrumentales sowie der 1977 gegründete 60 Sektionen umfassende Schweizerischer Brass-Band-Verband angeschlossen. Seit den 1970er Jahren erlebt die Brass-Band-Bewegung in der Schweiz einen grossen Aufschwung und hat mit ihrer Offenheit gegenüber Ausbildung und neuen Blastechniken zu einer Qualitätssteigerung der ganzen Blechbläserbewegung in der Schweiz geführt. Der Verband gibt unter dem Titel "Brass Band" seit 1988 eine elfmal jährlich erscheinende internationale Fachzeitschrift für Brass Band und Blechbläser heraus und organisiert jährlich eine Reihe von Wettbewerben.

Der Schweizer Blasmusikverband umfasste 2010 über 2000 Vereine mit rund 76'000 Aktivmitgliedern. Dazu kommen zahlreiche Vereine – Blaskapellen, Brass Bands, Big Bands, Guggenmusiken usw. –, die nicht dem Verband angeschlossen sind. Seit den 1970er Jahren ist die Blasmusikszene allerdings im Umbruch. Seit den 1990er Jahren verzeichnet der Verband einen Mitgliederrückgang und kämpft mit einer Überalterung der Musikvereine. Die traditionellen lokalen Vereine werden zunehmend durch regionale Ad-hoc-Blasorchester abgelöst, die nicht verbandsmässig organisiert sind.

Quellen und Literatur

  • 125 Jahre Eidg. Musikverband, 1987
  • H. Frei, Unsere Blasmusik, 1989
  • W. Biber, Von der Bläsermusik zum Blasorchester, 1995
  • G. Mattmann, Die Roten und die Schwarzen, 2002
  • W. Suppan, Blasmusikforschung seit 1966: eine Bibl., 2003
Weblinks

Zitiervorschlag

Dieter Ringli: "Musikvereine", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.11.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011894/2011-11-24/, konsultiert am 18.04.2024.