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St. Vinzenz

Ehem. Kollegiatstift in der Stadt Bern und der Diözese Lausanne, 1484-85 gegr. und 1528 aufgehoben. Im Winter 1484-85 wurde die dem hl. Vinzenz geweihte Pfarrkirche (Münster) der Stadt Bern auf Betreiben des Rats aus der ab dem 13. Jh. bestehenden Abhängigkeit vom Dt. Orden gelöst und zu einem Kollegiatstift mit den Ämtern des Propsts, Dekans, Kantors und Kustos sowie 24 Kanonikaten (Amtsinhaber inbegriffen) erhoben. Dem neuen Stift wurden das Kollegiatstift Amsoldingen, das Augustinerinnenkloster Interlaken sowie die Cluniazenserpriorate Münchenwiler, St. Petersinsel und Rüeggisberg und in den folgenden Jahren auch die Pfarrkirche Ins, das Augustinerpriorat Därstetten und das Augustinerinnenkloster Frauenkappelen inkorporiert; Versuche, die westschweiz.-savoy. Abteien Filly (Chablais), Bonmont, Lac-de-Joux, Grandson und Romainmôtier zu inkorporieren, schlugen dagegen nach 1512 fehl. Die Beziehungen zur Stadt Bern waren im Stiftsvertrag vom 4.3.1485 geregelt. Das Stift war als sog. Stadtstift (gemäss Guy Paul Marchal) in hohem Mass vom Rat abhängig; dieser half ihm zwar über manche Anfangsschwierigkeiten hinweg, ging aber, nachdem er sich einmal für die Reformation entschieden hatte, bei der Aufhebung des Stifts 1528 ebenso rücksichtslos vor wie bei dessen Gründung.

Obwohl ursprünglich für 24 Chorherren geplant, kam das Stift nie über zwölf Kanonikate hinaus. Der Rat verfügte über sämtl. Präsentationsrechte, was zur Folge hatte, dass das Kapitel fast ausschliesslich aus Bernern bestand, die über wenige andere Pfründen verfügten und in Bern residierten. Unter der formellen Aufsicht des Kantors entwickelte sich die bedeutende Stiftskantorei, wofür die sog. Antifonale von Estavayer (heute in Estavayer-le-Lac und Vevey) geschaffen wurden. Das Amt des Leutpriesters ging zunächst in demjenigen des Kustos auf, um später im Prädikanten wiederzuerstehen; der wichtigste Inhaber war Berchtold Haller, der in den 1520er Jahren im reformator. Sinn zu predigen begann.

Da das Dotationsgut aus den inkorporierten Klöstern weit verstreut lag, wurden zu seiner Verwaltung sieben Schaffnereien eingerichtet (in Bern, Burgdorf, Nidau, Rüti bei Büren, Thun sowie im Emmental und Niedersimmental). Weiter besass das Stift 15 Landpfarreien, welche die durch die Residenzpflicht an Bern gebundenen Chorherren indessen nicht selbst versahen.

Quellen und Literatur

  • K. Utz Tremp, «Die Chorherren des Kollegiatstifts S.», in BZGH 46, 1984, 55-110
  • K. Utz Tremp, Das Kollegiatstift S. in Bern 1985
  • K. Utz Tremp, « Gottesdienst, Ablasswesen und Predigt am Vinzenzstift in Bern», in ZSK 80, 1986, 31-98
  • J. Leisibach, «Die Antiphonare des Berner Münsters S.», in ZSK 83, 1989, 177-204
  • G.P. Marchal, «Gibt es eine kollegiatstift. Wirtschaftsform?», in Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise ma. Orden und Klöster, hg. von K. Elm, 1992, 9-29

Zitiervorschlag

Kathrin Utz Tremp: "St. Vinzenz", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.12.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012006/2011-12-13/, konsultiert am 19.03.2024.