de fr it

Akten

Der Sammelbegriff Akten stammt vom lateinischen Wort acta und bezeichnet bis ins 16. Jahrhundert politische, rechtliche und wirtschaftliche Handlungen, Geschehnisse und Verhandlungen bzw. vom 15. Jahrhundert an immer mehr deren schriftlichen Niederschlag. Während Urkunden das rechtsverbindliche Endprodukt einer Handlung festlegen und aus sich selbst heraus verständlich sein müssen, sind Akten im Zuge des laufenden schriftlichen Geschäftsgangs entstandene Aufzeichnungen und Verhandlungen, die auf Rechtsgeschäfte hinführen oder sie ausführen.

Die fortschreitende Verbreitung der Schriftlichkeit in allen Gebieten der Verwaltung führte vom 12./13. Jahrhundert an zur Zunahme von Akten. Ein langdauernder, zum Teil auch diskontinuierlich verlaufender Differenzierungsprozess brachte neue Typen von Geschäftsschriftgut (z.B. serielle, deskriptive Schriftstücke) und auch neue Darstellungsformen (z.B. tabellarische Gegenüberstellung) hervor. Zentren geistlichen Verwaltungsschriftguts waren die Bistumssitze, Klöster, Stifte und auch Spitäler, welche vorerst vor allem Chartulare, Urbare, Nekrologien und Jahrzeitbücher, Verbrüderungs-, Lehen- und Traditionsbücher, später auch in zunehmendem Masse serielle Akten wie Zins-, Zehnt- und Rechnungsbücher sowie Inventare herstellten. Für das Gebiet der heutigen Schweiz von besonderer Bedeutung sind etwa das Churrätische Reichsgutsurbar (9. Jahrhundert), das Chartular von Rheinau (1126), die um 1160 niedergeschriebenen Acta Murensia, das Lausanner Chartular (1228), das Stifterbuch des Schaffhauser Klosters Allerheiligen (13. Jh.) und der Liber decimationis (Verzeichnis der Pfarreien und ihrer Einkünfte, 1275) des Bistums Konstanz. Vom 15. Jahrhundert an geben die von Bischöfen und päpstlichen Nuntien verfassten Visitationsberichte Aufschluss über die kirchlichen Zustände. Die personen- und bevölkerungsgeschichtlich wertvollen Pfarrbücher setzten in den reformierten Kirchgemeinden sogleich nach der Reformation ein, in den katholischen Pfarreien nach dem Konzil von Trient. Auch weltliche Landesherren legten im Mittelalter Akten an: Landesbeschreibungen, Urbare (z.B. Kyburger Urbar, Habsburgisches Urbar), Revokationsrödel, Lehen-, Steuer-, Formel- und Kanzleibücher. Kaufmännische Kenntnisse der Buchhaltung flossen im Spätmittelalter in das städtische Haushalts- und Rechnungswesen ein, sichtbar zum Beispiel in den seriell angelegten Steuerbüchern und in den Rechnungen der verschiedenen Ämter (Seckelamt, Bauamt, Spendamt usw.) und Vogteien. Wesentliches zur Herstellung und Verbreitung von Akten trug das Notariat bei, Entscheidendes zur Aufbewahrung und Überlieferung leisteten die Archive.

In den eidgenössischen Orten mehrten sich im 14./15. Jahrhundert die Akten insbesondere im Rahmen der kommunalen und territorialstaatlichen Entwicklung. In dieser Zeit setzten in den Städteorten die Ratsprotokolle und Ratsmanuale ein. Für die Länderorte waren die Landsgemeindeprotokolle massgebend, für das Wallis die Landratsabschiede (ab 1500), für die Drei Bünde die Bundstags- oder Landesprotokolle (ab 1567). Ratsbeschlüsse und Ratsreglemente wurden vom 13.-16. Jahrhundert an als Mandate publiziert. Über die Ratsmitglieder und Amtsinhaber geben die vom 15./16. Jahrhundert an geführten Ämterbesatzungs- oder Bestallungsbücher Auskunft, über die Eidesformeln die sogenannten Eidbücher. Die im 14./15. Jahrhundert einsetzenden Bürgerbücher enthalten die Aufnahmen ins Bürgerrecht, die Ausbürger- oder Pfahlbürger-Verzeichnisse die ausserhalb der jeweiligen Stadt wohnenden Bürger. Einzelne Städteorte führten zudem vom späten 15./16. Jahrhundert an Hintersassenrödel, d.h. Verzeichnisse der Bewohner ohne Bürgerrecht in ihrem Herrschaftsgebiet. Der Abfassung von amtlichen Schreiben dienten Formularbücher. Für die Aussenpolitik aufschlussreiche Kopien der ausgehenden Schreiben finden sich in den Kopialbüchern bzw. in den vom 15./16. Jahrhundert an eigens dafür angelegten Missivenbüchern. Über die Beziehungen unter den eidgenössischen Orten berichten Abschiede der eidgenössischen Tagsatzungen. Die Instruktionen der Orte zu den Tagsatzungsverhandlungen finden sich in Ratsmanualen oder Instruktionenbüchern.

Einblick in die Vogteiverwaltung der eidgenössischen Stände geben die vom 16. Jahrhundert an erhaltenen Vogteischreiben, Vogteiakten und Vogteirechnungen, Auskunft über die Verwaltung der gemeineidgenössischen Vogteien die Abschiede der Jahrrechnungs-Tagsatzungen. Die Rechtssprechung fand ihren schriftlichen Niederschlag in den vom 14. Jahrhundert an angelegten Gerichtsprotokollen und Gerichtsakten sowie in den im 16. Jahrhundert einsetzenden Verhör- und Urteilsprotokollen der Kriminaljustiz. Kriegs-, Mannschafts-, Auszügerlisten und Reisrödel, wichtige Quellen zur Kriegs- und Sozialgeschichte, sind vom späten 14. Jahrhundert an überliefert. Bei der Erneuerung der Urbare im 17./18. Jahrhundert profitierten die Regierungen der Städteorte, die den Wert von Plänen und Karten für die Verwaltung erkannten, von den Fortschritten in der Kartografie.

Frühe Beispiele für privates, unternehmerisches Geschäftsschriftgut geben die Akten der Diesbach-Watt-Gesellschaft im 15. Jahrhundert oder des St. Galler Leinwandgewerbes im 14.-18. Jahrhundert. Für die Wirtschaftsgeschichte des Wallis und des Alpenraums wichtig sind die Handels- und Rechnungsbücher des Kaspar Stockalper vom Thurm aus dem 17. Jahrhundert. Zahlreiche Akten aus Privat- und Familiennachlässen (Berichte, Geschäftsbriefe usw.) sowie von den seit dem späten 18. Jahrhundert zahlreicher werdenden Vereinen sind in schweizerischen Archiven, Museen und auch in der Schweizerischen Landesbibliothek deponiert, Geschäftsakten von Unternehmen verschiedener Branchen aus dem 18.-20. Jahrhundert insbesondere im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel.

Mit dem Ende des Ancien Régime begann für das behördliche Aktenwesen ein neues Zeitalter. Die Errichtung der zentralistischen Helvetischen Republik (1798) führte zur Schaffung des Helvetischen Zentralarchivs (heute im Bundesarchiv). Es umfasst die Akten der legislativen, exekutiven und judikativen helvetischen Zentralbehörden und Ministerien. Die Kantons-, Distrikts- und Munizipalbehörden sanken zu Verwaltungsorganen herab, deren Aktenbestände die Durchführung der von der Zentralregierung erhaltenen Verfügungen beinhalten. Durch die Mediationsakte (1803) erhielten die Kantone ihre früheren Hoheitsrechte mehrheitlich zurück. Die Staatstätigkeit verlagerte sich wieder vermehrt auf die Kantons- und Gemeindeebene, während die eidgenössischen Behörden (Tagsatzung, Landammann der Schweiz, Kanzlei etc.) sich vor allem mit auswärtigen und militärischen Angelegenheiten, Zöllen, Post- und Münzwesen beschäftigten. Der Durchbruch der Gewaltentrennung und der Ausbau der Verwaltung durch die Einführung des Departementssystems in den Kantonen brachten im 19. Jahrhundert eine bedeutende Vermehrung der kantonalen Akten mit sich: Zu nennen sind die Kantons- und Regierungsrats-Protokolle und -akten, daneben die Akten der Departemente, der Bezirke (Amtsbezirke, Ämter, Oberämter) und der verschiedenen Gerichte. Für die Geschichte des Bundesstaats, insbesondere der eidgenössischen Räte, des Bundesrats und der eidgenössischen Departemente im 19. und 20. Jahrhundert, sind die Akten des Bundesarchivs unentbehrlich, ebenso die dort liegenden Abschriften ausländischer Akten aus ganz Europa, den USA und Japan (insbesondere Gesandtenberichte, Depeschen, Protokolle, Instruktionen). Auf das Grundrecht der persönlichen Freiheit stützt sich das Akteneinsichtsrecht, das in der Schweiz jedem von einem staatlichen Verfahren betroffenen Bürger Anspruch gibt, die ihn betreffenden behördlichen oder gerichtlichen Unterlagen einzusehen.

Das Aktenwesen in der Schweiz zeichnet sich nicht zuletzt infolge der föderalistischen Struktur und der im staatlichen Aufbau verschiedenen Bundesglieder (Länder-, Städteorte, Zugewandte, Untertanengebiete der alten Eidgenossenschaft) durch eine ausgeprägte Vielfalt aus. Diese widerspiegelt sich in einer Vielzahl von Editionsvorhaben, welche seit den 1830er Jahren zahlreiche Aktenbestände für die schweizergeschichtliche Forschung bereitgestellt haben bzw. noch aufbereiten.

Schweizerische Aktensammlungen (Auswahl)

Aktensammlung (teilweise Kurztitel)ZeitraumPublikationsjahr
Alte Eidgenossenschaft  
Slg. Schweiz. RechtsquellenMA-17981898-
Quellenwerk zur Entstehung der Schweiz. Eidgenossenschaft, Abt. 2: Urbare und Rödel-14001941-57
Materiali e documenti ticinesi1171-14451975-
Mémoires et documents publiés par la Société d'histoire de la Suisse romandev.a. MA1837-
Eidg. Abschiede1245-1798 bzw. 1803-481839-90 bzw. 1874-86
Walliser Landrats-Abschiede1500-1916-
A. über die diplomat. Beziehungen der röm. Curie zu der Schweiz1512-521895
Actenslg. zur Gesch. der Zürcher Reformation1519-331879
Aktenslg. zur Gesch. der Basler Reformation1519-341921-50
Actenslg. zur Gesch. der Berner Reformation1521-321923
Actenslg. zur Schweiz. Reformationsgesch.1521-321878-84
Zurlaubiana AHa16.-18. Jh. (v.a. 17. Jh.)1976-
Helvetische Republik bis zur Bundesstaatsgründung 
Amtl. Slg. der A. aus der Zeit der Helvet. Republik1798-18031886-1966
Offizielle Slg. der das Schweiz. Staatsrecht betreffenden Aktenstücke1815-481820, 1838, 1849
Bundesstaat  
Bundesblatt der Schweiz. Eidgenossenschaft1848-1848-
Diplomat. Dok. der Schweiz1848-1979-
Repertorium über die Verhandlungen der Bundesversammlung der Schweiz. Eidgenossenschaft1848-74, 1874-911942, 1972
Amtl. Slg. der Bundesgesetze und Verordnungenb1848-19261848-1926
Bereinigte Slg. der Bundesgesetze und Verordnungen1848-19471949-55
Amtl. Bull. der Bundesversammlung1891-1891-

a Regesten und Register zu den Acta Helvetica

b Gefolgt von: Eidg. Gesetzessammlung 1927-47; Slg. der eidg. Gesetze 1948-1987; Amtl. Slg. des Bundesrechts 1988-.

Schweizerische Aktensammlungen (Auswahl) -  Autor

Quellen und Literatur

  • A. von Brandt, Werkzeug des Historikers, 1958 (182012)
  • H.O. Meisner, Archivalienkunde vom 16. Jh. bis 1918, 1969
  • Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen der Schweiz, 41976
  • LexMA 1, 258 f.
  • T. Hildbrand, Herrschaft, Schrift und Gedächtnis, 1996
Weblinks

Zitiervorschlag

Hellmut Gutzwiller: "Akten", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.07.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012806/2013-07-17/, konsultiert am 29.03.2024.