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Säkularisation

Unter Säkularisation wird seit dem 17. Jahrhundert der Entzug kirchlicher Hoheits-, Besitz- und Nutzungsrechte durch den Staat ohne Zustimmung der betroffenen Kirche verstanden. Es wird unterschieden zwischen der landesherrlichen Säkularisation (öffentlich-rechtliche Säkularisation), der güterrechtlichen Säkularisation (privatrechtliche Säkularisation) und der Aufhebung der kirchlichen Institution (Suppression). Der ausserhalb der Geschichtswissenschaft häufig synonym verwendete Begriff Säkularisierung bezeichnet dagegen die Verdrängung der Religion und der christlichen Kirchen aus dem öffentlichen und privaten Leben. In der Schweiz betraf die Säkularisation nur die katholische Kirche, insbesondere Bistümer und Klöster, und spielte sich in zwei Perioden ab: im 16. Jahrhundert mit der Reformation und 1770-1870 im Zug von Aufklärung, Liberalismus und Radikalismus. Obwohl die Säkularisation zum grössten Besitzwechsel in der Schweizer Geschichte führte, existieren darüber keine Gesamtdarstellungen.

Die Säkularisationen des 16. Jahrhunderts

Die Säkularisation zählt zu den einschneidendsten herrschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Reformation und war Teil der Neuordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat im Protestantismus. Die Bibel lieferte die religiöse Legitimation für diesen Rechtsbruch und massiven Eigentumswechsel, der staatskirchliche Tendenzen des Spätmittelalters (Bevogtungen, Inkorporationen) zu einem radikalen Abschluss brachte.

Nachdem einzelne neugläubig gesinnte Stifts- und Klostervorsteher ihre Häuser der städtischen Obrigkeit schon 1524 freiwillig übergeben hatten (St. Peter in Embrach, Fraumünster in Zürich), übernahmen eidgenössische und zugewandte Orte mit dem politischen Entscheid zugunsten der Reformation das Eigentum von Klöstern, Stiften und Kirchen im ganzen Territorium. Im Fall von St. Gallen wurde die 1529 von der Stadt säkularisierte Fürstabtei als Folge des Zweiten Kappelerkriegs 1532 restituiert. Während der Bündner Wirren verhalf österreichischer Druck katholischen Restitutionsforderungen in Graubünden zu gewissen Erfolgen.

Zur Säkularisationsmasse gehörten Herrschafts- und Patronatsrechte, Feudalgefälle, Immobilien, Fahrhabe und Kirchengeräte. Als Folge der Säkularisation wurden die Kirchengeräte vermünzt. Klosterkirchen und Konventsgebäude wurden ebenso wie Wallfahrtskirchen, überflüssige Pfarrkirchen und Kapellen abgebrochen oder aber einer profanen Nutzung als Schulen, Kornlager, Armenspitäler oder Ökonomiegebäude zugeführt und so vor der Zerstörung bewahrt (Payerne). Die Klosterinsassen mussten die Klöster verlassen. Sie wurden mit einmaligen Zahlungen oder Leibrenten entschädigt und aufgefordert, ein Studium zu ergreifen oder ein Handwerk zu erlernen. Ältere Insassen durften bis zum Tod im Kloster bleiben. Die Bauern schuldeten weiterhin die Feudalgefälle, wobei der Zehnt für die Staatsfinanzen der eidgenössischen Orte ins Gewicht fiel. Die Säkularisation veränderte die Herrschaftsverhältnisse in der Eidgenossenschaft durch die Aufhebung der geistlichen Territorialherrschaften von Klöstern (z.B. Allerheiligen in Schaffhausen, Saint-Victor in Genf) und Bistümern. Zwar blieben die Diözesen als Institutionen der katholischen Kirche weiter bestehen, doch deren weltliche Herrschaftsgebiete verschwanden vollständig (Genf, Lausanne) oder erlitten erhebliche Verluste (Chur, Basel, Konstanz).

Die eidgenössischen Orte gingen verschiedene Wege bei der Übernahme und Verwaltung der Säkularisationsmasse. Bern kleidete die Säkularisation in ein Rechtsgeschäft, kaufte die Gotteshäuser von deren Vorstehern ab und sicherte sich so den Anspruch auf die Klostergefälle ausserhalb seines Hoheitsgebiets. Wenige, kleinere Klosterherrschaften verkaufte es an Ratsmitglieder und schuf aus den grösseren neue Landvogteien. Basel überführte die Verwaltung der Klöster in die Zuständigkeit einer besonderen Behörde (Deputatenamt) und wahrte so deren zivilrechtlichen Status sowie den Anspruch auf deren Abgaben in altgläubigen Gebieten. In Zürich, wo das Grossmünsterstift dank der Reform von 1523 als Stift und Wirtschaftseinheit bestehen blieb, schuf der Rat für jedes aufgehobene Kloster ein Klosteramt unter der Leitung eines städtischen Amtmanns und unterstellte die Klosterämter 1533 der Aufsicht des Obmanns gemeiner Klöster. Bereits 1525 hatte der Rat das Almosenamt eingerichtet und diesem Klostereinkünfte zugewiesen.

Das ehemalige Kloster und die Kirche von Königsfelden, Ansicht von Westen. Lavierte Federzeichnung von Johann Rudolf Rahn, 22. August 1859 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Das ehemalige Kloster und die Kirche von Königsfelden, Ansicht von Westen. Lavierte Federzeichnung von Johann Rudolf Rahn, 22. August 1859 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Während Reformatoren und reformierte Kirchenführer auf der Verwendung der säkularisierten Güter zu kirchlichen und christlich-karitativen Zwecken (Kirchendienst, Armenfürsorge, Krankenpflege, Schulen) beharrten, nutzte die Obrigkeit diese bisweilen für weltliche Zwecke. Die Forschung zur Säkularisation blieb bis ins 20. Jahrhundert nicht frei von Konfessionspolemik. Die reformierte Seite begegnete dem Vorwurf der illegalen Bereicherung mit dem Argument, die Säkularisation habe die Nutzung von Kloster- und Kirchengut wieder dem ursprünglichen, christlichen Zweck zugeführt und sei für die reformierten Obrigkeiten kein Gewinn gewesen.

Die Säkularisationen 1770 bis 1870

Nach der Konsolidierung im Rahmen der katholischen Reform und der Gegenreformation erlebten Bistümer und Klöster im 17. und 18. Jahrhundert eine Blütezeit (Barock). Die Aufklärung stellte ab Mitte des 18. Jahrhunderts die weltliche Hoheitsrechte von Bischöfen und Äbten und die Existenz der Klöster generell in Frage. 1769 forderte der Zürcher Ratsherr Johann Heinrich Heidegger in einem anonymen Pamphlet die Aufhebung der Hälfte der Schweizer Klöster und eröffnete damit, unterstützt vom Reformkatholizismus, eine über 100 Jahre dauernde Publizistik gegen die Klöster. Die ersten Säkularisationen erfolgten nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 durch die katholischen Orte, welche die Kollegien in Staatsbesitz überführten. Beim Einmarsch der französischen Truppen ins Fürstbistum Basel wurden 1792 die Klöster in Pruntrut und Delsberg, 1797 das Prämonstratenserkloster Bellelay säkularisiert und teilweise zerstört. Mit der Helvetischen Revolution 1798 verloren die kirchlichen Institutionen auf einen Schlag alle hoheitlichen Rechte und den grössten Teil des Güterbesitzes, wodurch alle geistlichen Staaten verschwanden (St. Gallen, Engelberg, Chur, Konstanz). Die Helvetische Republik ergriff mehrere Massnahmen, welche die Schweizer Klöster in ihrer Existenz bedrohten: So wurde am 17. September 1798 der gesamte Klosterbesitz nach französischem Vorbild zum Nationaleigentum erklärt. Im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden auch die Herrschaftsrechte und der Güterbesitz der Schweizer Prälaten im Reich und umgekehrt säkularisiert. Die Besitzverhältnisse für säkularisierte Güter wurden zum Teil erst nach jahrzehntelangem Streit bereinigt, so mit dem Grossherzogtum Baden um den Besitz des Fürstbistums Konstanz und einiger Klöster und mit Österreich um das Fürstbistum Chur (Inkamerationsstreit).

Die Mediationsakte von 1803 und der Bundesvertrag von 1815 garantierten den Fortbestand und das Eigentum der Klöster. Einzelne Kantone fuhren mit Säkularisationen fort: So hob St. Gallen die Abtei St. Gallen (1805) sowie das adlige Damenstift Schänis (1811) auf. Mit dem liberalen Siegeszug nach 1830 setzte eine neue Welle von Säkularisationen ein, wobei liberale Katholiken häufig die treibenden Kräfte waren: 1838 säkularisierte St. Gallen die Abtei Pfäfers, 1841 der Aargau seine acht Klöster, richtete aber auf Druck der Tagsatzung die vier Frauenklöster wieder ein (Aargauer Klosterstreit). Der Konflikt um Klöster und Orden (v.a. um die Jesuiten) war einer der zentralen eidgenössischen Streitpunkte der 1830er und 1840er Jahre, der schliesslich zum Sonderbund und 1847 zum Bürgerkrieg führte. Nach dem militärischen Sieg der Liberalen säkularisierten in den folgenden Jahren verschiedene Kantone ihre Klöster, so 1848 Luzern, Thurgau, Tessin und Freiburg, 1852 Tessin (fünf höhere Schulen) und 1861 Zürich (Rheinau). Während des Kulturkampfs kam es noch zu einigen Säkularisationen, so 1870 im Kanton Aargau und zuletzt 1875 in Solothurn. Die Kantone überführten den grössten Teil der säkularisierten Güter in ihr Staatsvermögen und richteten in den Klostergebäuden mehrheitlich Schulen und Kliniken, insbesondere psychiatrische Anstalten, ein. Mit den konfessionellen Ausnahmeartikeln der Bundesverfassung von 1874 verhinderte der liberale Bundesstaat bis 1973 die Wiedererrichtung der säkularisierten Klöster.

Quellen und Literatur

Allgemein
  • HS
  • TRE 29, 597-602
  • Religion in Gesch. und Gegenwart 7, 32004, 1280-1288
16. Jahrhundert
  • E. Rübel, «Die Aufhebung der Klöster im Kt. Zürich und die Verwendung ihrer Güter», in ZTb 2000, 1999, 51-88
  • J. Schweizer, «Säkularisation», in Berns mächtige Zeit, hg. von A. Holenstein et al., 2006, 173-178
  • C. Mottier, «Sécularisation, gestion et dévolution des biens ecclésiastiques par Berne, à l'exemple de ses bailliages limitrophes de Genève (1536-1567)», in Les registres du Conseil de la République de Genève sous l'Ancien Régime, 2009, 195-209
1770 bis 1870
  • M. Jorio, Der Untergang des Fürstbistums Basel (1792-1815), 1982
  • F.X. Bischof, Das Ende des Bistums Konstanz, 1989
  • H. Wicki, Staat, Kirche, Religiosität, 1990
  • M. Piceni et al., La soppressione dei conventi nel Cantone Ticino, 1995
  • Ceschi, Ticino, 113-134
  • Fürstabtei St. Gallen: Untergang und Erbe 1805/2005, 2005
  • A. Holenstein, «Die Säkularisation als Problem der Schweizer Gesch. des 18. und 19. Jh.», in Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas, hg. von P. Blickle, R. Schlögl, 2005, 317-337
Weblinks

Zitiervorschlag

André Holenstein; Marco Jorio: "Säkularisation", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.06.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013102/2012-06-20/, konsultiert am 19.03.2024.