Landwirtschaftliches Gut in der aargauischen Gemeinde Birr, 1774-1780 auch Armenanstalt, ab 1914 Erziehungsheim. Um 1770 erwarb das frisch getraute Stadtzürcher Ehepaar Johann Heinrich Pestalozzi und Anna Pestalozzi-Schulthess am Nordfuss des Kestenbergs 36 ha Land für einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb. Die Mitgift von Anna Pestalozzi-Schulthess finanzierte das Unterfangen weitgehend. 1771 zog die junge Familie mit dem 1770 geborenen Hans Jacob in den Neuhof ein, der ein herrschaftliches Bauernhaus mit Scheune umfasste. Der Standort unweit von Schinznach-Bad, dem Tagungsort der Helvetischen Gesellschaft, war mit Bedacht gewählt.

Pestalozzi wollte sich, ganz im Sinne der agrarischen Reformideen, mit neuen Futterpflanzen und Anbaumethoden auf seinem Bauerngut finanziell unabhängig machen. Schon im zweiten Jahr jedoch geriet der Landwirtschaftsbetrieb in finanzielle Not. Der Führung des eigenen Bauernbetriebs war Pestalozzi, der lediglich eine einjährige landwirtschaftliche Ausbildung beim ökonomischen Patrioten Johann Rudolf Tschiffeli gemacht hatte, nicht gewachsen. In der Folge baute das Ehepaar eine Armenerziehungsanstalt auf, in der ab 1774 drei Dutzend Kinder nach aufklärerischen Erziehungsgrundsätzen in einer familiären Atmosphäre lebten und arbeiteten. Anna Pestalozzi-Schulthess kümmerte sich um Hauswesen, Finanzen und Unterricht der Mädchen. Trotzdem machte der Neuhof 1780 wegen organisatorischer Unzulänglichkeiten Konkurs. Danach beschäftigte der Indiennedrucker Christian Friedrich Laué die Kinder.
In literarischer Hinsicht hingegen war Johann Heinrich Pestalozzi während seiner Zeit auf dem Neuhof erfolgreich. Angeregt von den Schriften Jean-Jacques Rousseaus verfasste er hier die Abendstunde eines Einsiedlers (1780) sowie den Erziehungsroman Lienhard und Gertrud (4 Bde., 1781-1787), der im Grunde eine Dorfgeschichte des Birrfelds darstellt. Nach der Veröffentlichung von Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts (1797) zog die Familie Pestalozzi weg. 1825 – zehn Jahre nach dem Tod seiner Ehegattin – kehrte Pestalozzi als Greis auf den Neuhof zurück. Zu dessen Wiederaufbau unternahm er bis zum Tod 1827 letzte Anstrengungen. Sein Enkel Gottlieb Pestalozzi liess den 1821-1822 begonnenen Bau des sogenannten Herrenhauses fertigstellen.
Nach acht Besitzerwechseln und einem Brand des Pächterhauses (1858) übernahm ein Konsortium 1909 den heruntergewirtschafteten Neuhof und richtete eine Stiftung ein. Als Mitinitiatoren wirkten Personen aus der Politik, Vertreter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, der kantonalen Erziehungsdirektionen und des Schweizerischen Lehrervereins, unter anderen Ernst Laur und Friedrich Zollinger. 1914 eröffnete die Stiftung auf dem Neuhof das Schweizerische Pestalozziheim, das über 70 «Zöglingen» Lern-, Entwicklungs- und Arbeitsmöglichkeiten bot. Diese stammten aus überwiegend ärmlichen Verhältnissen und wurden durch Waisenämter, Armenpflegen oder die Fürsorge eingewiesen. Der Neuhof übernahm 1915 den verpachteten landwirtschaftlichen Betrieb selber, erweiterte und änderte mit der Zeit die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten. Die männlichen Jugendlichen wurden vor allem in der Landwirtschaft und der Küche (Gastronomie), im Gartenbau (Gärtnerei ab 1916) und je nach Bildungsziel in der Schuhmacherei (1965 geschlossen), Schneiderei (1923-1978), Schreinerei (ab 1927, ab 1986 auch Zimmerei), Schlosserei (ab 1953) bzw. im Metallbau und in der Malerwerkstatt (1986) ausgebildet. Der Unterricht fand in heimeigenen Schulen und der internen Berufsschule statt. Eine pädagogische Neuausrichtung ab den 1990er Jahren und Anpassungen der Heim- und Betreuungsstrukturen führten 2004-2006 zum Neubau von Wohngruppenhäusern. Seither bietet das Berufsbildungsheim Neuhof Platz für 40 Jugendliche.
