Der Begriff Agrarverfassung bezeichnet die Gesamtheit der grundlegenden rechtlichen Normen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Wirtschafts- und Lebensweisen in agrarisch geprägten Gesellschaften. Wichtigste Kriterien zur Beurteilung der Agrarverfassung in verschiedenen Zeiten und Gebieten sind Eigentum, Herrschaftsrechte und Nutzungsrechte an land- und waldwirtschaftlichen Nutzflächen und Gütern sowie die Organisation und Regulierung kollektiver bzw. individueller agrarischer Nutzung (Landwirtschaft). Gegenstand ist damit die Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsordnung innerhalb der ländlichen Gesellschaft.
Römische Zeit
Aussagen zur Agrarverfassung der Schweiz in römischer Zeit sind aus manchen Gründen nur sehr schwer zu machen. Das Gebiet der Schweiz bildete in dieser Epoche keine politisch-administrative Einheit, sondern gehörte zu vier verschiedenen Provinzen mit recht unterschiedlichen Strukturen. Ausserdem haben wir über die genaue Ausdehnung und Grenzen der drei römischen Kolonien (Colonia) und deren Verhältnis zu den sicher existierenden peregrinen civitates (Civitas) auf dem Gebiet der späteren Schweiz nur unklare Vorstellungen. Schriftliche, epigrafische und bildliche Quellen fehlen fast vollständig.
Man könnte mit aller Vorsicht Beobachtungen und Belege zur Agrarverfassung aus anderen Gebieten jener Provinzen, zu denen Teile der späteren Schweiz gehörten, herbeiziehen. Dieses Vorgehen wird aber durch die geografisch-topografische Konfiguration der Schweiz erschwert, die derartige Analogieschlüsse und Aussagen über Agrarverhältnisse in den Alpen, in den waldbedeckten Gebieten (Napf) des schweizerischen Mittellandes und des Hochjuras praktisch verunmöglicht.
Bei der Etablierung der römischen Herrschaft, d.h. bei der Provinzialisierung, erhielt die an sich freie einheimische Bevölkerung, die nicht in den Genuss des römischen Bürgerrechts gekommen war, den Status als peregrini (Fremde), die fortan auf ihrem angestammten Boden zu leben hatten. Nicht nachgewiesen, aber durchaus möglich ist, dass die Güter der alten gallischen Oberschicht (parallel zur Verleihung des römischen Bürgerrechts an Angehörige dieser Oberschicht) ohne Besitzerwechsel in römische Rechtsverhältnisse übergingen. Hinweise auf eine solche Entwicklung stammen aus dem Kanton Genf (Villa Parc-La-Grange).
Die Tatsache, dass zwei der drei auf dem Gebiet der späteren Schweiz angelegten Kolonien (Augusta Raurica und Aventicum) in ihrer Titulatur das Wort emerita führen, weist auf die Ansiedlung von ausgedienten Soldaten und damit auf eine Parzellierung und Landanweisung hin. Dasselbe gilt für die Colonia Iulia Equestris, deren Beiname ebenfalls auf die Anwesenheit von Militär hinweist.
Die Vermessung und Aufteilung des Bodens (Limitation und Centuriation) mit den zugehörigen Katasterplänen und Akten dürfte nach den Parallelen, die wir aus anderen Provinzen, insbesondere aus dem Rhonetal haben, auch in unserem Lande durchgeführt worden sein. Die Suche nach Vermessungs- und Landanweisungssystemen führte nicht zu gesicherten Erkenntnissen. In vielen Teilen der Schweiz wird die gebirgige Struktur ohnehin eine solche Vermessung unmöglich gemacht haben.
Zweifellos war eine Schicht reicher Grundbesitzer vorhanden. Der munizipale Adel der Kolonien und der civitates unterlag einer Vermögenseinschätzung. Für die Aufnahme in diesen munizipalen ordo (Stand) war der Nachweis bestimmter, je nach colonia und civitas verschieden hoher Vermögenswerte vorgeschrieben. Diese bestanden weitgehend aus Ländereien, woraus sich das Vorhandensein einer Schicht von vermögenden Grundbesitzern ergibt.
Im ganzen Römischen Reich waren für die Zugehörigkeit zu den beiden höheren Ständen der Ritter (equites) und der Senatoren ebenfalls bestimmte Vermögensausweise erforderlich. Angehörige beider Stände sind im Gebiet der heutigen Schweiz inschriftlich belegt. Auch hier stellt sich die Frage, ob sich der für die Aufnahme in diese Stände nötige Kapitalnachweis (census) nicht auch auf ausgedehnten Landbesitz abstützte.

Wegen fehlender Quellen weiss man nicht, wie diese reichen Grundbesitzer ihr Land bearbeiten liessen. Ob die kleinen Häuschen, die sich regelmässig in der pars rustica der grossen Gutshöfe finden, von Pächtern, freien Bauern, Taglöhnern oder gar von Sklavenfamilien bewohnt waren, entzieht sich unserer Kenntnis. Eine fragmentarischer Mosaik-Inschrift in der Villa von Laufenburg (Baden, D) scheint von einem Klientelverhältnis zu sprechen.
Mittelalter und frühe Neuzeit
Die frühmittelalterliche Agrarverfassung war zum einen charakterisiert durch eine fortgesetzte Nutzung oder zumindest Siedlung auf dem Areal römischer Gutshöfe (z.B. Bioggio, Dietikon, Munzach, Vandœuvres). Vor allem in der Süd-, West- und Nordwestschweiz dürfte die spätantike Gutswirtschaft manchenorts ihre Fortsetzung in frühmittelalterlichen Herrenhöfen gefunden haben. Die Hinweise darauf sind allerdings dürftig. In karolingischer Zeit orientierte sich die Wirtschafts- und Sozialordnung der Königshöfe (z.B. Stammheim), der Herrenhöfe weltlicher Grundherren sowie der Fronhöfe der frühen Benediktinerklöster (z.B. St. Gallen, Saint-Maurice) vermehrt am Modell einer zweigeteilten Grundherrschaft im sogenannten Villikationssystem: Zentrum der Villikation war ein Fronhof mit zugehörigem Salland, das durch Hofhörige und Frondienste bewirtschaftet wurde. Als zweites Element umfasste sie mehrere bäuerliche Güter (Huben, die Schuppose kam wohl erst im Hochmittelalter hinzu), welche gegen Grundzinsen (Naturalien, Arbeit, Geld) verliehen waren. Im 8. Jahrhundert wird erstmals die rechtlich verankerte Pflicht fassbar, vom landwirtschaftlichen Ertrag den Zehnten an die Kirche abzuliefern. Die germanischen Stammesrechte sind zwar ergiebig hinsichtlich der Herrschafts-, Rechts- und Sozialordnung, nicht aber für Fragen zur Wirtschaftsverfassung. Über Letztere sind noch keine verlässlichen Aussagen möglich. Die ländlichen Siedlungen des Frühmittelalters präsentierten sich ― wie die Erforschung von Wüstungen zeigt ― offenbar als lockere Hofgruppen. Die subsistenzorientierte, wenig spezialisierte Landwirtschaft bedurfte wohl nur in bescheidenem Masse kollektiver Regelungen. Ausserhalb der grundherrlichen Villikationen und insbesondere im Voralpen- und Alpenraum ist anhand hochmittelalterlicher Quellen zu sogenannten Berglüten auf eine kleinbäuerliche, zum Teil nomadisierende, kombinierte Ackerbau-, Weide- und Waldwirtschaft zurückzuschliessen.
Das Hochmittelalter gilt als klimatische Gunstphase mit verstärktem Bevölkerungswachstum, einem daraus resultierenden Landesausbau, einer siedlungsmässigen und organisatorischen Verdichtung dörflicher Strukturen («Verdorfung») sowie einer Zunahme des Getreidebaus («Vergetreidung»). Erst in dieser Zeit entwickelten sich die dörflichen Zelgensysteme. Der Güterbesitz und die Herrschaftsrechte zahlreicher Bistümer (z.B. Basel, Sitten, Como) und Klöster (z.B. Einsiedeln, Engelberg, Muri, Disentis) sowie des Adels erfuhren eine erhebliche Ausdehnung, oft verbunden mit einer gebietsmässigen Arrondierung und einer verstärkten herrschaftlichen Durchdringung (Ämterstruktur). Mit dem Besitzwachstum verstärkten die Landes- und Grundherren ihre Bestrebungen, die abhängigen Bauern sozial und wirtschaftlich zu organisieren, wobei bei diesem Prozess nicht nur die Divergenzen zwischen Herren und Bauern, sondern auch die gemeinsamen Interessen gesehen werden sollten. Besonders im schweizerischen Mittelland wurde die Grundherrschaft zu einem Basiselement der hochmittelalterlichen Agrarverfassung und der Feudalgesellschaft insgesamt. Die Zisterzienser und andere hochmittelalterliche Reformorden erbrachten im 12. und 13. Jahrhundert auf ihren Klostergütern eindrückliche organisatorische und kultivatorische Leistungen. Grundelemente der hochmittelalterlichen Grundherrschaft waren weiterhin der zentrale, zum Teil in Eigenwirtschaft betriebene Herrenhof, dezentrale Fronhofverbände mit aus dieser Zeit erstmals überlieferten Hofrechten, von den Reformorden zum Teil in Eigenwirtschaft betriebene Grangien sowie die landwirtschaftlichen und handwerklichen Leihegüter (Leihe). Der Vielschichtigkeit der Herrschaftsbeziehungen entsprachen ebenso vielgestaltige Abgaben (Feudallasten), unter denen Grundzinsen, Bussen, Fall- und Ehrschatzabgaben materiell am wichtigsten waren. Daneben gab es im Mittelland und besonders im Voralpen- und Alpengebiet auch Räume mit einem geringen Feudalisierungsgrad und einer schwachen grundherrlichen Durchdringung. Hinweise auf «freie» bäuerliche Eigengüter (Allod), auf denen einzig gerichts- und landesherrliche Abgaben lasteten, finden sich verschiedenenorts, zuweilen in örtlichen Konzentrationen (z.B. Freiengerichte im Aargau, Thurgau, Appenzellerland).
Im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter begann die Rentengrundherrschaft die bipartite Grundherrschaft zu verdrängen. Das komplexe Verhältnis zwischen Grundherren und Bauern reduzierte sich immer mehr auf eine ökonomische Abgabenbeziehung. Ursache dafür war einerseits das Vordringen der Stadt. In ihrem Umland wich die subsistenzorientierte Produktion allmählich einer marktorientierten. Andererseits bewogen der Verwaltungsaufwand und die schwankenden Erträge der grundherrlichen Eigenwirtschaft die Grundherren zur Auflösung der Villikationen und zur Verleihung der Fronhof- und Hubengüter gegen fixierte Grundzinsen. Dieser Vorgang führte im südlichen Tessin bereits im 12./13. Jahrhundert zum Pachtsystem der sogenannten massaria (von mansionarius = Hubenbauer), in welcher familienwirtschaftliche Einzelbetriebe von kirchlichen Institutionen und stadtsässigen Adligen an massari (Pächter) ausgegeben wurden. In den Hofverbänden gewannen durch diesen Auflösungsprozess die horizontalen, genossenschaftlichen Beziehungen gegenüber den vertikalen, herrschaftlichen an Bedeutung. Primäres Bezugssystem der produzierenden ländlichen Bevölkerung wurde anstelle des Hofverbands (und der grundherrlichen Familia) das Dorf mit seinen Bodennutzungssystemen. Dieser Prozess der Kommunalisierung der landwirtschaftlichen Nutzungsorganisation setzte wiederum in der Südschweiz erheblich früher und auch in der Westschweiz eher ein als in den übrigen Gebieten. Im Mittelland verbreitete sich die dörfliche Dreizelgenbrachwirtschaft. Das Nebeneinander von individuell genutzten Gärten und Sonderkulturen, von Zelgen, in welchen die individuelle Nutzung kollektiv organisiert war, und von gemeinsam genutzter Allmend bedurfte der dorfrechtlichen Regelung (Offnungen), wobei die extensive Allmendnutzung bis in das ausgehende Spätmittelalter vergleichsweise frei blieb. Im Alpenraum bezog die expandierende Weidewirtschaft die Hochweiden in mehrstufige Nutzungssysteme ein, die von Dauersiedlungen im Tal (z.B. Uri) oder am Berg (z.B. Wallis) ausgingen. Unter bäuerlichen Genossenschaften (z.B. in Uri, Schwyz, Glarus) und auch mit Klöstern (z.B. Einsiedeln, Engelberg) ausgetragene Grenzstreitigkeiten (Marchenstreit), die vor allem um Weideflächen entbrannten, begleiteten diesen Intensivierungsprozess (Nutzungskonflikte).
Die Krise des Spätmittelalters (ca. 1300-1450) erschütterte sowohl das herrschaftliche wie auch das soziale und wirtschaftliche Gefüge der ländlichen Gesellschaft. Die Häufung von Missernten, Seuchenzügen und kriegerischen Verwüstungen führte zu einer grossen geografischen und sozialen Mobilität. Leibeigene von weltlichen Herren (z.B. der Habsburger) wie auch Gotteshausleute von Klöstern und Stiften entzogen sich ― oft durch Landflucht ― dem herrschaftlichen Zugriff. Dem stand ein weiterer ökonomischer und politischer Bedeutungsgewinn der Städte gegenüber, insbesondere der territoriumsbildenden eidgenössischen Städteorte. Der ländliche Bodenmarkt wurde dadurch dynamisiert, dass viele Stadtbürger Land erwarben, Renten kauften oder sich als Pächter zwischen die Grundherren und die produzierende Bevölkerung schoben (Pacht, Teilbau, Viehverstellung). Die bäuerlichen Leiheverhältnisse vor 1450 sind charakterisiert durch kurzfristige Zeitleihen, ein Entgegenkommen von Grundherren durch günstige Zinsbedingungen und Aufbauhilfen bei der Übernahme von zuvor unbesetzten Hofstellen sowie durch häufige Veränderungen in der Güterstruktur. Im alpinen Raum breitete sich vom 14./15. Jahrhundert an die marktorientierte Grossviehproduktion (Viehhandel) aus, eine Verlagerung, die in Uri und Obwalden mit einem Wechsel der Führungsgruppen um 1360-1380 einherging. Wo die Alpwirtschaft genossenschaftlich organisiert war, bedurfte sie der in sogenannten Alpbriefen festgehaltenen Nutzungsregelungen (Alprechte). In der Innerschweiz breitete sich diese Form der Alpwirtschaft im Spätmittelalter aus, während sich in den dünn besiedelten Teilen des Wallis und Graubündens weiterhin die familienwirtschaftliche Einzelsennerei hielt. Im Tessin kauften oder pachteten zahlreiche Gemeinden, die im eigenen Territorium über keine oder zu wenig Alpweiden verfügten, in anderen Gemeinden Alpen hinzu.
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts ― im westlichen Mittelland früher als im östlichen ― verfestigten sich die Leiheverhältnisse. Das bäuerliche Interesse an der Umwandlung anderer Leiheformen in Erblehen, die eine verbesserte Verfügungsgewalt bedeuteten, nahm zu. Das Besitzdenken der Erbleheninhaber und die im bäuerlichen Erbrecht vorherrschende Realteilung äusserten sich in einer Zunahme von Teilungs-, Tausch- und Kaufaktivitäten auf Erblehengütern, worauf die Lehensherren mit Teilungs- und Veräusserungsverboten reagierten. Wo familiäre Besitzwahrungsstrategien dem egalitären Erbgang entgegenwirkten, wurden das Ältestenrecht (z.B. im Tessin), das Jüngstenrecht (z.B. im Emmental) oder auch geschwisterliche Gemeinderschaften (consortes) unter Leitung des Ältesten (z.B. im Unterwallis) der Realteilung vorgezogen. Innerhalb der Dorfsiedlungen führten das um 1450 einsetzende Bevölkerungswachstum sowie landwirtschaftliche Intensivierungen zu Konflikten um Ressourcen sowie zu sozialen Spannungen. Die Bestimmungen der Offnungen und Schiedsurkunden dieser Zeit galten vermehrt der zuvor extensiv genutzten Allmend, wo Einhegungen zu Sondernutzungszwecken (Einschlagsbewegung), die übermässige Holznutzung und die Überweidung zu Streitigkeiten in und zwischen den Dorfgemeinschaften führten. Um 1500 begann sich auch der sozioökonomisch und in verschiedenen Dorfrechten auch nutzungsrechtlich relevante Gegensatz zwischen (Voll-)Bauern und Taunern zu verfestigen. Einzugsbriefe aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert belegen zudem erste Abschliessungstendenzen der Dorfgenossen gegenüber armen Zuzügern.
Im 16. und 17. Jahrhundert erfuhr die Agrarverfassung keine grundlegende Umgestaltung, jedoch eine Fortsetzung und zum Teil Intensivierung vieler Prozesse. Die grund- und zehntherrlichen Abhängigkeiten und Abgaben blieben im Wesentlichen unverändert, verloren jedoch im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Kräften an Bedeutung. Zu Letzteren zählten die frühneuzeitlichen Staatsgebilde, die Kommunen, der Agrar- und Gütermarkt sowie das Kapital. Die frühstaatlichen Obrigkeiten legten die Rahmenbedingungen kommunaler Wirtschafts- und Sozialorganisation, des Erbgangs, des Güter-, Waren- und Kapitalverkehrs fest. Sie sanktionierten die dörflichen Einzugsbriefe, Einhegungen und Waldteilungen, griffen mit Holzordnungen und Forstmandaten in die dörfliche Nutzungsordnung, mit Teilungs-, Umnutzungsverboten und Erbrechtsbestimmungen direkt in die bäuerliche Nutzungssphäre ein. Zudem trug der Agrarsektor die Hauptlast der Staatsfinanzierung. In den Dorfgemeinden bewirkte der Bevölkerungsdruck zunehmende Nutzungs- und Abgrenzungskonflikte um Allmenden. So rückte deren Nutzung in den Offnungen weiter in den Vordergrund, und um 1700 bestanden zwischen den Dörfern kaum mehr gemeinsame Nutzungsbereiche. Dörfer mit grossen und qualitativ guten Allmendflächen wurden zudem von Zuzügern bevorzugt, was die Dorfgenossen wiederum zur Erhebung bzw. Steigerung der Einzugsgebühren und auch zu einem restriktiveren Umgang mit den sogenannten Gerechtigkeiten (an Hofstätten gebundene Nutzungsrechte) bewog.
Die im Luzernischen nachgewiesene Zunahme von Einhegungen in Zelgen und Allmenden sowie von Allmend- und Waldteilungen im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert ist eine Folge von sozialen Veränderungen, die zu dieser Zeit wohl im gesamten schweizerischen Mittelland stattfanden. Die Güterzersplitterung infolge von Bevölkerungswachstum und Erbteilungspraktiken liess arme Bevölkerungsgruppen überproportional ansteigen, denen in den aufgelösten Allmenden Ackerland oder Gruppen von kleinen Hofstellen (Taunersiedlungen) zur Verfügung gestellt wurden. Von den Zelgeneinhegungen wiederum profitierten vor allem die wohlhabenden Vollbauern. Die soziale Grenze zwischen Vollbauern und Taunern gewann in solchen Prozessen an Schärfe. Die Zunahme kleinbäuerlicher Betriebe führte im 16. Jahrhundert auch zur Tragerei, in welcher der Trager in der Leihebeziehung eine bäuerliche Gruppe vertrat. Im inneralpinen Raum war die sozio-ökonomische Differenzierung feiner abgestuft. Das kleinbäuerliche Element überwog und komplexe Besitzverhältnisse (im Goms zum Beispiel alle Kombinationen von privater bzw. kollektiver Nutzung von Privat- bzw. Kollektivbesitz) sowie auf Interessenausgleich ausgerichtete kooperative Nutzungsweisen verhinderten grössere Bewegungen im Sozial- und Wirtschaftsgefüge. Dagegen erfuhren ausserhalb des inneren Alpenraums die Marktorientierung der agrarischen Produktion (v.a. Viehwirtschaft, Käse), der ländliche Güter- und Bodenmarkt, in welchen immer mehr Kapital städtisch-patrizischer (z.B. in Bern, Freiburg, Luzern, Südtessin) wie auch ländlich-aristokratischer (z.B. in Graubünden, Wallis) Herkunft eindrang, und damit auch die bäuerliche Verschuldung ausserhalb feudaler Bindungen eine Beschleunigung (Agrarverschuldung).
18.-20. Jahrhundert
Ancien Régime und Helvetik
Die Agrarverfassung veränderte sich im 18. Jahrhundert zunächst kaum. Die grundherrschaftlichen Leiheformen und die Abgabenstruktur blieben bis zur Helvetik de jure bestehen. Allerdings veränderte sich der Charakter des Erblehens weiter in Richtung einer stärkeren Position des Beliehenen, der praktisch nur noch bei jahrelanger Nichtleistung der Zinsen aus dem Lehen gestossen werden konnte. Er besass Rechte, die weit über den Besitz hinausgingen und sich de facto lange vor 1798 dem Eigentum näherten: freie Nutzung, Vererbbarkeit, Veräusserbarkeit, Belastbarkeit des Bodens durch Verschuldung (z.B. Gülten) bei Dritten. Sein Recht am Boden war lediglich durch die zu Grundlasten gewordenen Feudalrechte beschränkt. Der Lehenzins war fixiert; eine Wertvermehrung des Bodens machte er nicht mit. Dies war ein Antrieb für den Lehensmann, sein Gut zu verbessern und die Produktion zu steigern, denn ihm gehörte der Mehrertrag.
Weitere Determinanten der Agrarverfassung blieben das bäuerliche Erbrecht und die Nutzungsregelungen im Dorf. Das Erbrecht variierte nach den Kodifikationen einzelner eidgenössischer Orte von Kanton zu Kanton. Generell lässt sich feststellen, dass im Dorfsiedlungsgebiet in der Regel Realteilung, im Einzelhofgebiet jedoch ― um der Güterzersplitterung vorzubeugen ― das Erbrecht eines Einzigen galt. Letzteres wurde stets einem der Söhne eingeräumt, je nach Region dem jüngsten (Minorat) oder dem ältesten (Majorat). Es war mit der Pflicht verbunden, die übrigen Erben auszuzahlen. Dieses in seinen Grundzügen skizzierte System wurde in der Praxis auf unterschiedliche Weise gehandhabt; insbesondere die Normen über die Teilung und über die Stellung der Witwe des Erblassers wurden an vielen Orten verfeinert. Neuere Untersuchungen legen die Auffassung nahe, dass die Satzungen im Einverständnis mit den am Erbgang Beteiligten häufig situativ angepasst wurden, wobei die Obrigkeit dies duldete. Die Dörfer hatten in den meisten Fällen die Regeln der Landnutzung so ausgestaltet, dass Streitereien nach Möglichkeit vermieden wurden. Entscheidende Punkte waren dabei die Nutzung der Allmend sowie die landwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb der Zelgensysteme.
Eine grundsätzliche Umgestaltung der Agrarverfassung brachte die Helvetische Republik. Kapitel 13 der Helvetischen Verfassung sah die Loskäuflichkeit der Feudallasten vor. Die Behörden reagierten unter dem Erwartungsdruck der bäuerlichen Bevölkerung schnell, fast überstürzt. Nachdem Anfang Mai 1798 die Leibeigenschaft und daraus abgeleitete Abgaben und Frondienste aufgehoben worden waren, wurde im September 1800 beschlossen, dass die Bodenzinsen für das Jahr 1800 noch entrichtet werden müssten; 1801 wurde dasselbe für die Zehnten verfügt. Dieser Entscheid führte in verschiedenen Kantonen zu schweren Unruhen. Am Ende der Helvetik blieb nur die Regelung der Loskäuflichkeit der Grundzinsen und der Grossen Zehnten bestehen.
19. und 20. Jahrhundert

Die erbrechtlichen Normen änderten sich erst mit den kantonalen Gesetzbüchern des 19. Jahrhunderts. Der Flurzwang wurde in den verschiedenen Regionen unterschiedlich lange beibehalten, ehe er abgeschafft oder infolge veränderter Besitzverhältnisse obsolet wurde. Die Helvetik hinterliess in einigen Kantonen einen Kataster, der die Grundeigentumsverhältnisse festschrieb. Die neu erlassenen zivilrechtlichen Kodifikationen der Kantone glichen die Grundeigentums- und Besitzrechte zunächst innerhalb ihres Geltungsbereichs aus, sodass im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts an die Rechtsvereinheitlichung innerhalb der ganzen Schweiz gegangen werden konnte. Die Revision der Bundesverfassung von 1874 mit ihren Änderungen von 1898 ermöglichte zunächst den Erlass des Schweizerischen Obligationenrechts (OR, 1881), dann des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB, 1907). Im OR waren insbesondere der Kauf und die Pacht von Grundstücken sowie die Genossenschaft geregelt. Für die landwirtschaftlichen Verhältnisse noch wichtigere Normen wurden im ZGB geregelt: das Erbrecht, mit speziellen Bestimmungen für landwirtschaftliches Gewerbe, und das Sachenrecht, mit den Titeln über Eigentum und Besitz, speziell auch über das Grundpfand. Alle diese Normen wurden mehrfach verändert und an die Entwicklung der schweizerischen Landwirtschaft (Agrarpolitik) angepasst, so im Bundesgesetz über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen (1940), im Bundesgesetz über die Erhaltung bäuerlichen Grundbesitzes (1951), im Bundesgesetz über die Förderung der Landwirtschaft und die Erhaltung des Bauernstandes (1951, 1998 revidiert, sogenanntes Landwirtschaftsgesetz), im Bundesgesetz über Änderungen des bäuerlichen Zivilrechts (1972) sowie im Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (1991).
Quellen und Literatur
- N. Pichard, M. Andres-Colombo, «Recherches préliminaires sur la cadastration romaine dans la région lémanique», in JbSGUF 70, 1987, 133-143
- P. von Cranach, «Ein Beitrag zur Limitationsforsch. in der Schweiz», in JbSGUF 73, 1990, 113-123
- R. Fellmann, La Suisse gallo-romaine, 1992, 97 f.
- A. Combe, «Les cadastres romains dans la région d'Avenches», in Bull. de l'Association Pro Aventico 38, 1996, 5-22
- HRG 1, 63-80
- P. Frigerio, P.G. Pisoni, Brissago medievale nei suoi statuti (secoli XIII-XVI), 1984
- S. Jäggi, Die Herrschaft Montagny, 1989
- P. Dubuis, Une économie alpine à la fin du Moyen Age, 2 Bde., 1990
- R. Sablonier, «Innerschweizer Gesellschaft im 14. Jh.», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 2, 1990, 9-233
- J. Mathieu, Eine Agrargesch. der inneren Alpen, 1992
- GKZ 1, 146-152, 274-295, 395-426; 2, 69-125
- A. Maffioli, I possessi ticinesi del capitolo cattedrale di Como nel XIII secolo, Diss. Pavia, Ms., 1994, (ASTI)
- A. Ineichen, Innovative Bauern, 1996
- S. Bianchi, Le terre dei Turconi, 1999
- E. Huber, System und Gesch. des schweiz. Privatrechts 4, 1893 (21937)
- P. Liver, Abh. zur schweiz. und bündner. Rechtsgesch., 1970, 49-75
- Braun, Ancien Régime, 58-109
- S. Guzzi, «Die Tessiner Agrarsysteme um 1800», in Die Agrarzonen der Alten Schweiz, hg. von A. Schluchter, 1989, 97-117
- A. Schnyder-Burghartz, Alltag und Lebensformen auf der Basler Landschaft um 1700, 1992
- Pfister, Bern