Gegenstand der folgenden Ausführungen sind der Aussenhandel im engeren Sinn (Import und Export von Waren und Dienstleistungen) sowie die Aussenwirtschaftspolitik. Ausgeklammert sind die im weiteren Sinn ebenfalls zur Aussenwirtschaft zählenden Bereiche des Kapitalverkehrs und des Personenverkehrs (Migration).
Aussenhandel
Eine lange Tradition der Öffnung und Verflechtung
Die Schweiz erscheint im 19. und 20. Jahrhundert als eine der offensten Volkswirtschaften der Welt. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz mit dem Ausland (Handel) sind das Ergebnis einer langen Tradition, die sich vor allem aus der Kleinheit des Landes, dem Rohstoffmangel und der seit dem Mittelalter bestehenden Überbevölkerung (gemessen am Nahrungsangebot) erklärt. Aus topografischen und klimatischen Gründen war die Schweiz schon früh gezwungen, grosse Mengen Getreide (Kornpolitik) einzuführen und dafür Vieh und Viehprodukte (Viehhandel) auszuführen. Zudem musste sie bis 1836 den Grossteil des Salzbedarfs durch den Import von Tausenden Tonnen Salz abdecken. Bereits im 14. Jahrhundert (Wolltuch und Leder in Freiburg, Leinenstoffe in St. Gallen, im bernischen Aargau und im Emmental, Seidenstoffe in Zürich usw.), vor allem aber im 16. Jahrhundert hatte man in mehreren Gebieten mit der Produktion von vorwiegend für den Export bestimmten Fertigwaren begonnen; dies, um die Handelsbilanz auszugleichen und um denjenigen Arbeit zu beschaffen, die in der Landwirtschaft keine Beschäftigung fanden. Diese Entwicklung verstärkte sich im 18. Jahrhundert mit dem rasanten Aufschwung der Baumwollindustrie (Ostschweiz) und der Indienne-Produktion (z.B. Genf, Neuenburg). Neben der Textilbranche, deren Erzeugnisse grösstenteils exportiert wurden, entwickelten sich auch die Uhrenindustrie (z.B. Neuenburg, Genf, Vallée de Joux) und einige andere Wirtschaftszweige (Strohflechterei im Aargau, Buchdruck und Verlagswesen).
Diese Abhängigkeit vom Ausland und das Fehlen einer starken politischen Zentralgewalt standen in der Schweiz einer protektionistischen Wirtschaftspolitik entgegen. Der schweizerische Merkantilismus hatte kaum Auswirkungen auf den Aussenhandel, obwohl die einzelnen Kantone wie auch die eidgenössische Tagsatzung vom 16. Jahrhundert an Anstrengungen unternahmen, um von den Nachbarländern Handelsprivilegien für ihre Importe (Salz, Getreide) und ihre Exporte (v.a. Textilien) zu erlangen. Um den Protektionismus und die Blockaden der Nachbarstaaten zu überwinden, betrieben die Schweizer Händler, mit mehr oder weniger stillschweigender Unterstützung der Behörden, Schmuggel in grossem Umfang. Dieser florierende Aussenhandel wurde durch die beiden Revolutionskriege und die von Napoleon auferlegte Kontinentalsperre schwer beeinträchtigt. Angeregt durch den Aufschwung der sich zunehmend spezialisierenden Textilindustrie kam er jedoch in den 1820er Jahren wieder voll in Gang. Die Integration der Schweiz in die internationale Wirtschaft wurde im Zeitalter der Eisenbahn entscheidend vorangetrieben, als der junge Bundesstaat den verkehrspolitischen Expansionsplänen seiner Nachbarn entgegentrat. Der Anschluss des Landes an das europäische Eisenbahnnetz – in den damaligen Debatten als Sieg über den Isolationismus gefeiert – sowie vor allem auch der spektakuläre Bau des Gotthard-Tunnels (1872-1880) schufen solide Grundlagen für eine kleine, offene Volkswirtschaft, die sich durch die Verflechtung der Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitsmärkte in die Weltwirtschaft einfügte.
Die entsprechend starke Abhängigkeit der Schweiz von der internationalen Arbeitsteilung übte einen nachhaltigen Einfluss auf den Handelsverkehr aus: Auf der Einfuhrseite überwogen bis Mitte der 1950er Jahre Güter des täglichen Bedarfs (Rohwaren, Nahrungsmittel, Energieträger), während auf der Ausfuhrseite seit Beginn der Neuzeit Fertigprodukte mit hoher Wertschöpfung dominierten, ohne dass daraus Handelsüberschüsse resultierten. Dem Einfuhrüberschuss an Waren, während Jahrhunderten die Regel, konnte nur mit einer starken Spezialisierung auf Dienstleistungen, so Solddienst, Transithandel, Gütertransporte, im 19. Jahrhundert ergänzt durch neue Wachstumssektoren wie Bank- und Versicherungswesen und vor allem Fremdenverkehr, begegnet werden. Einen gewissen Ausgleich boten die Kapitalerträge, Geldanlagen und Direktinvestitionen im Ausland, die seit dem 17. und vor allem seit dem 18. Jahrhundert eine wesentliche Rolle spielten (Zahlungsbilanz). Da die Dienstleistungen einen wachsenden Teil der Exporteinnahmen ausmachten, musste der ursprünglich verwendete Begriff Aussenhandel auf die nicht sichtbaren Transaktionen ausgeweitet werden. Ihr Ausmass ist für die Zeit vor 1945 allerdings schwer bezifferbar, da erst nach dem Zweiten Weltkrieg damit begonnen wurde, eine Bilanz der laufenden Transaktionen mit dem Ausland zu erfassen. Detaillierte Statistiken für den Warenverkehr bestehen hingegen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Allgemeine Entwicklung im internationalen wirtschaftlichen und politischen Umfeld
Am Ende des 18. Jahrhunderts verfügte die Schweiz in Europa über ein dichtes Finanz- und Handelsnetz und eine feste Position in mehreren Häfen. Nachdem ihr bis dahin ihre geographische Lage an der Kreuzung der grossen Handelsströme zugute gekommen war, verschlechterte sich ihre Situation im 19. Jahrhundert. Nach dem Sturz Napoleons I. und nach zwei unruhigen Jahrzehnten, die dem Handelsverkehr wenig förderlich gewesen waren, stellte der bei den meisten Handelspartnern aufkommende Protektionismus die Schweiz vor eine neue Herausforderung. Händler und Fabrikanten, die in einem hinter Tarifschranken verschanzten Europa keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr fanden, wandten sich nach Übersee oder dem Nahen Osten zu, wo zahlreiche Handelskolonien entstanden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beruhte das Wachstum des Aussenhandels hauptsächlich auf der Erschliessung neuer, ferner Absatzmärkte, angekurbelt zudem durch einige kräftige regionale Industrialisierungsschübe in der Schweiz.
Im Zuge einer beträchtlichen Steigerung der Industrieproduktion und trotz der grossen Depression der 1870er und 1880er Jahre und dem Wiedererstarken des Protektionismus, das einer kurzen Periode des Freihandels in Europa (1846/1860-1879) ein Ende setzte, wuchs von 1851 bis zum Ersten Weltkrieg das schweizerische Aussenhandelsvolumen relativ rasch, wenn auch in geringerem Masse als im übrigen Westeuropa. Durchschnittlich betrug das jährliche Wachstum der Schweizer Güterexporte 1852-1873 und 1894-1913 jeweils 3,6% (in Europa 1830-1913 3,9%). Zwischen den beiden Zeitspannen lag eine Phase der Stagnation.
Im 20. Jahrhundert verlief die Entwicklung des internationalen Handels unregelmässiger als im 19. Jahrhundert. Die beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise von 1929, die Funktionsstörungen des internationalen Währungssystems nach 1945, das Ende des Systems fester Wechselkurse 1971 und die Ölkrisen von 1973 sowie 1979, die dem rund dreissig Jahre dauernden Nachkriegsboom ein Ende setzten, liessen Märkte und Währungsmechanismen in Unordnung geraten.
In der Zwischenkriegszeit führten die verstärkten Autarkiebestrebungen und der Bilateralismus der 1930er Jahre (Kontingentierungs- und Verrechnungsabkommen, Devisenbewirtschaftung) zu einer beträchtlichen Verminderung der schweizerischen Auslandsverflechtung und bremsten das Wachstum des Aussenhandels, der langsamer zunahm als das Volkseinkommen (1918-1939 Zunahme der Gesamtausfuhr um 20%, des Volkseinkommens um 25%).
Nach 1945 legte die Liberalisierung des Handels (GATT/WTO) in einem institutionellen Umfeld, das sich mit dem Übergang zum Multilateralismus und der Bildung grosser wirtschaftlicher Zusammenschlüsse (OEEC/OECD, EWG, Comecon, EFTA) rasch wandelte, vor allem in Westeuropa den Grundstein für den Wiederaufbau nach dem Krieg und das Wachstum der Einkommen. Der beispiellose Aufschwung des Welthandels liess auch in der Schweiz die Güter- und Dienstleistungsexporte 1948-1973 jährlich real um 6,8% steigen. In den 1970er Jahren lösten dann die beiden Ölkrisen eine klare Trendwende aus: Die Energiekrise bremste das Wirtschaftswachstum in den Industrie- und Entwicklungsländern und verlangsamte damit auch das Wachstum des schweizerischen Aussenhandels, zumal die Exportwirtschaft seither durch die hohe Bewertung des Frankens beeinträchtigt wird.
Der Einfluss des Aussenhandels auf die wirtschaftliche Entwicklung
Für ein kleines Land mit ungünstigen Voraussetzungen für eine eigenständige Entwicklung sind Beziehungen nach aussen lebenswichtig. Durch den Export von Gütern und Dienstleistungen beschafft es sich die erforderlichen Devisen für den Import dessen, was ihm fehlt oder was es nicht selber herstellen kann. Das Handels-, Kapital-, Informations- und Verkehrsnetz, das sich die Schweiz im Laufe der Zeit aufgebaut hatte, war für ihre industrielle und finanzielle Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Der internationale Handel – und weniger der Binnenhandel, der wegen des engen inländischen Marktes eine untergeordnete Rolle spielte – veranlasste die Schweiz wie andere kleine Industrieländer zu rentablen Spezialisierungen. Die Ferne der Absatzmärkte, der Mangel an Rohstoffen und die Besonderheiten der Auslandsnachfrage förderten die Produktion von qualitativ hochstehenden Konsum- und Investitionsgütern. Der Konkurrenzdruck, der im Ausland oft viel stärker war als im Inland, und das Fehlen eines staatlichen Schutzes jenseits der Grenzen zwangen zu ständigen Anpassungen und machten die Exportsektoren zu den produktivsten des Landes. Heute sind Gross- und Exportindustrie weitgehend identisch, und viele kleine Unternehmen arbeiten zu einem grossen Teil als deren Zulieferer.
Überdies hat der Aussenhandel einen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum des Landes, über den sich Historiker und Ökonomen allerdings nicht einig sind. Importe konkurrenzieren einheimische Produkte und zwingen schweizerische Unternehmen zur Innovation, was einen Wachstumseffekt mit sich bringt. Eine gesteigerte Auslandsnachfrage wirkt sich positiv auf die Beschäftigungslage und die Einkommensentwicklung im Inland aus. Vor dem Ersten Weltkrieg bezog ein Drittel der Schweizer Bevölkerung sein Einkommen direkt oder indirekt aus der Aussenwirtschaft. In den 1990er Jahren wurde fast jeder zweite Franken im Ausland verdient. Bereits im 19. Jahrhundert, als die Grossindustrie sich zunehmend auf das Ausland orientierte, hatte die Auslandsnachfrage einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Wachstum der Gesamtnachfrage (Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland). Im 20. Jahrhundert wird ein enger Zusammenhang zwischen Exportentwicklung und internem Wachstum deutlich erkennbar: Der schwankende Anteil der Exporte am Bruttosozialprodukt (BSP), der in Expansionsphasen (1920er und 1960er Jahre) hoch, in Stagnationsphasen (1930er Jahre) niedrig ist, zeigt, dass Exportschwankungen als Motor oder Bremse wirken können.
Zusammensetzung des Aussenhandels
Obwohl die unsichtbaren Transaktionen im internationalen Handel eine immer wichtigere Rolle spielen, hat der Anteil der Dienstleistungen seit den 1980er Jahren nicht weiter zugenommen, während der Warenhandel seine Dynamik und seine zentrale Stellung in der schweizerischen Aussenwirtschaft beibehielt. Bei den Importen hat sich im Vergleich zum 19. Jahrhundert ein grundlegender Wandel vollzogen, der die Veränderung der internationalen Arbeitsteilung widerspiegelt: Der Anteil der Rohstoffe, Agrarprodukte und Energieträger, die lange Zeit zwei Drittel des Gesamtwerts der Einfuhren bildeten, ist seit 1950 im Verhältnis zum wachsenden Anteil der Fertigprodukte (Maschinen, chemische Erzeugnisse, Uhren, Fahrzeuge, Bekleidung, Schuhe usw.) rückläufig. Bei den Exporten, die sich hauptsächlich aus Fertigwaren zusammensetzen (75-95% des Gesamtwerts), dominieren seit dem 19. Jahrhundert einige wenige Industriezweige, nämlich Textilien, Uhren, Maschinen und chemische Produkte. Deren Anteile haben sich jedoch erheblich verändert, was sich auf Umwandlungen der Weltwirtschaft (v.a. die Industrialisierung einiger Gebiete der Dritten Welt und die Verlagerung der Wettbewerbsvorteile) und die dadurch ausgelöste Restrukturierung der Schweizer Industrie zurückführen lässt. In der Zwischenkriegszeit zeichneten sich die neuen Tendenzen dieser strukturellen Anpassung ab. Die Textilien, die 1912 noch 44% des Gesamtexports ausmachten, fielen 1937 auf 20% zurück, während im selben Zeitraum die Maschinen- (von 8 auf 16%) und die chemische Industrie (4,7 auf 15,5%) ihre Anteile erhöhten. In der Nachkriegszeit, die durch die neu erstehende Konkurrenz Japans und der asiatischen «Tigerstaaten» geprägt war, kam es zu einem erneuten Rückgang der Textilexporte, einer deutlichen Verminderung des Anteils der Uhrenausfuhr und einem Zuwachs beim Export von pharmazeutischen Produkten.
Wichtigste Exportgüter 1840-1999a
1840 | 1890 | 1900 | 1912 | 1937 | 1953 | 1970 | 1989 | 1999 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Textilien, Bekleidung | 72,5% | 57,2% | 53,9% | 44,1% | 20,1% | 16,0% | 9,2% | 5,5% | 3,1% |
Seidenwaren | 39,4% | 30,1% | 29,3% | 20,6% | |||||
Baumwollprodukte | 31,3% | 22,4% | 20,0% | 20,3% | |||||
davon Stickereiwaren | 9,6% | 11,1% | 12,9% | 15,6% | 5,4% | 2,0% | 0,7% | 0,3% | 0,2% |
Metallwaren/elektrische Geräte | 10,0% | 21,3% | 25,5% | 28,1% | 50,3% | 56,8% | 51,4% | 61,2%b | 52% |
Maschinen | 0,1% | 3,2% | 5,9% | 8,1% | 16,1% | 20,7% | 30,4% | 29,6% | 17% |
Uhren | 8,2% | 14,2% | 15,0% | 13,0% | 18,1% | 21,2% | 11,8% | 7,4% | 7% |
Präzisionsinstrumente/Apparate | 1,0% | 2,8% | 7,0% | 3,1% | 5,3% | 5,7% | |||
Chemieprodukte | 0,4% | 2,3% | 3,6% | 4,7% | 15,5% | 16,3% | 21,0% | 21,4% | 27% |
Farben | 1,6% | 2,0% | 2,1% | 2,9% | 4,9% | 4,6% | 2,8% | 1,8% | |
Pharmaprodukte | 0,7% | 2,6% | 6,0% | 5,3% | 9,0% | 16% | |||
Landwirtschaftliche Erzeugnisse | 5,6% | 11,3% | 12,4% | 14,6% | 6,2% | 5,6% | 4,3% | 3,2% | 3,0% |
Käse | 5,6% | 3,7% | 5,0% | 3,8% | 2,1% | 1,4% | 0,7% | 0,4% | |
Schokolade | 0,3% | 1,3% | 3,7% | 0,2% | 0,4% | 0,4% | 0,3% | 0,4% | |
Kondensmilch | 1,9% | 3,2% | 3,3% | ||||||
Total | 88,5% | 92,1% | 95,4% | 91,5% | 92,1% | 94,7% | 85,9% | 91,3% | 85,1% |
a In % des gesamten Exportvolumens. Die Berechnungen für die zitierten Jahre basieren auf einem Dreijahresmittel. Im Verlauf der Zeit erfuhr das Warenverzeichnis der Aussenhandelsstatistik zahlreiche Änderungen, sodass die vorliegenden Zahlen nur begrenzt vergleichbar sind.
b Die Zahlen ab 1989 umfassen das Total der Warengruppen Metalle, Maschinen/Apparate/Elektronik, Fahrzeuge, Präzisionsintsrumente/Uhren/Bijouterie.
Geografische Verteilung des Aussenhandels
Im Gegensatz zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der eine ausgeprägte geografische Diversifizierung oder gar Globalisierung des schweizerischen Aussenhandels stattfand, konzentriert sich der Handel seit Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem im 20. Jahrhundert auf Westeuropa. Zwischen ca. 1820 und 1850 entwickelte sich Übersee zum Hauptabsatzmarkt, der um 1845 rund zwei Drittel der Exporte (davon die USA die Hälfte) aufnahm. Die Importe stammten hingegen zu mehr als der Hälfte aus den Nachbarländern.
Eine gewisse Sättigung der überseeischen Märkte und der Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes führten die Schweiz ab den 1850er Jahren wieder näher zu Europa, wo ihre neuen Wachstumssektoren ab den 1880er Jahren Fuss fassten. Im 20. Jahrhundert trieb sie vorwiegend innerhalb von Europa Handel (60-70% der Exporte, 60-80% der Importe), wobei Deutschland ihr wichtigster Partner ist. Die Verteilung des Handelsverkehrs nach Wirtschaftsblöcken (EWG, EFTA, Länder mit Planwirtschaft) ist wegen der verschiedenen Erweiterungen und Verschiebungen in der zweiten Jahrhunderthälfte von eher geringer Aussagekraft. Weit wichtiger ist die faktische Integration der Schweizer Wirtschaft in die EU, deren Bedeutung für den Handel (seit 1970 von 50 auf über 60% der jährlichen Schweizer Exporte und 70-80% der Importe) und die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen des Landes zugenommen hat.
Handelsbeziehungen unterhält die Schweiz in erster Linie mit den in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vertretenen hoch industrialisierten Ländern. Die sich entwickelnden Staaten, darunter vor allem die Gruppe der asiatischen Schwellenländer, haben im Laufe des 20. Jahrhunderts als Absatzmärkte (1900 8,5% und 1992 18,4% der schweizerischen Exporte) und in geringerem Mass als Beschaffungsmärkte (6,5% bzw. 8,4% der Importe) für die Schweiz an Bedeutung gewonnen. Insbesondere mit Asien verzeichnet die Schweiz beachtliche Handelsüberschüsse, die ihr Defizit mit den Ländern der OECD, vor allem mit den EU-Staaten, teilweise ausgleichen.
Wichtige Partnerländer nach Exportvolumen 1900-1999a
1900 | 1910 | 1928 | 1953 | 1970 | 1987 | 1999 | ||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Europa | 79,5% | 74,0% | 69,6% | 56,8% | 67,2% | 66,8% | 65,8% | |
darunter | Deutschland | 22,5% | 18,1% | 11,8% | 15,1% | 20,1% | 22,3% | |
Österreich | 6,6% | 3,5% | 2,8% | 5,3% | 3,8% | 3,1% | ||
Frankreich | 10,8% | 7,6% | 7,1% | 8,5% | 9,2% | 9,2% | ||
Grossbritannien | 16,8% | 14,5% | 5,0% | 7,3% | 7,7% | 5,7% | ||
Italien | 7,1% | 6,6% | 9,2% | 9,0% | 8,1% | 7,8% | ||
Russland/UdSSR | 3,5% | 0,3% | 0,3% | 0,4% | 1,0% | 0,4% | ||
Schweden | 0,6% | 1,4% | 3,4% | 3,3% | 1,9% | 1,3% | ||
Afrika | 1,0% | 1,1% | 2,4% | 5,0% | 3,8% | 2,6% | 1,6% | |
darunter | Südafrika | 0,1% | 0,7% | 1,0% | 1,4% | 0,6% | 0,5% | |
Ägypten | 0,5% | 0,7% | 1,4% | 0,4% | 0,4% | 0,4% | ||
Amerika | 14,3% | 18,9% | 16,9% | 25,4% | 16,3% | 13,1% | 16,1% | |
darunter | Argentinien | 2,2% | 1,8% | 1,1% | 0,8% | 0,3% | 0,4% | |
Brasilien | 1,2% | 1,1% | 2,5% | 1,2% | 1,0% | 1,0% | ||
Kanada | 1,8% | 1,9% | 1,8% | 1,4% | 0,8% | 0,8% | ||
USA | 12,2% | 9,9% | 14,5% | 8,9% | 8,9% | 12,0% | ||
Mexiko | 0,4% | 0,4% | 1,3% | 1,0% | 0,4% | 0,7% | ||
Asien | 4,8% | 5,0% | 9,0% | 11,0% | 11,2% | 16,4% | 15,6% | |
darunter | China | 1,6% | 1,4% | 1,9% | 0,3% | 0,9% | 0,9% | |
Hongkong | - | - | - | 1,7% | 2,1% | 2,5% | ||
Indien | 1,5% | 1,8% | 1,8% | 0,4% | 0,6% | 0,5% | ||
Iran | - | 0,1% | 0,3% | 0,8% | 0,5% | 0,3% | ||
Japan | 0,7% | 2,3% | 0,7% | 3,0% | 3,8% | 4,1% | ||
Türkei | 0,3% | 0,3% | 0,9% | 0,5% | 1,0% | 1,0% | ||
Ozeanien | 0,5% | 1,1% | 2,1% | 1,7% | 1,3% | 1,0% | 0,9% |
a In % des gesamten Exportvolumens. Die Berechnungen für die zitierten Jahre basieren auf einem Dreijahresmittel.
Aussenwirtschaftspolitik
Bis ins 19. Jahrhundert bestanden die wichtigsten handelspolitischen Zielsetzungen der Schweiz in der Eroberung von Märkten und der Verteidigung des Freihandels. Hinzu kamen die Sicherung der wirtschaftlichen Landesversorgung und der Schutz der Landwirtschaft, die im 20. Jahrhundert zu zwei Hauptelementen der Handelspolitik wurden. Schon die Bündnisverträge des Ancien Régime mit dem König von Frankreich und dem Herzog von Mailand regelten die Handelsbeziehungen. Nach 1815 war die Eidgenossenschaft kaum in der Lage, ihre Interessen gegen die protektionistischen Strömungen durchzusetzen. Um dem französischen Druck Widerstand zu leisten, schlossen 1822 13½ Stände ein Retorsionskonkordat, das sie 1824 wieder auflösen mussten. Die Situation verbesserte sich, als mit der Verfassung von 1848 das Zollwesen und damit auch die Handelspolitik in die Zuständigkeit des Bundes überging. 1849 wurde ein erster eidgenössischer Zolltarif beschlossen, weitere folgten 1851, 1884-1887, 1891, 1902, 1921 und 1960 (Zölle). Während die ersten Tarife noch rein fiskalischen Zwecken dienten, leiteten diejenigen von 1891 und 1902 den Kurswechsel zu einem gemässigten Protektionismus ein. Eine Handelsstatistik wird seit 1885 geführt.
Das 1798 vor allem zur Förderung der Aussenwirtschaft geschaffene konsularische Korps erweiterte sich allmählich (1848 38 Konsulate, 1865 78 und Ende 19. Jh. ca. 90), doch 1895 stimmte das Volk gegen dessen Professionalisierung (Konsularwesen). Das Handelssekretariat von 1848 wurde 1874 durch eine Handelsabteilung ersetzt, aus der 1978 das Bundesamt für Aussenhandel bzw. für Aussenwirtschaft (BAWI, 1979-1998) hervorging. Dessen Leiter, der seit 1939 von Delegierten für Handelsverträge unterstützt wird, trägt seit 1979 den Titel eines Staatssekretärs. Besonders lang im Amt waren Arnold Eichmann (1893-1923), Walter Stucki (1925-1935) und Jean Hotz (1935-1947). 1999 fusionierten BAWI und das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit zum Staatssekretariat für Wirtschaft (seco). Abgesehen von 1888-1895, als die Handelsabteilung dem Politischen Departement (heute EDA) unterstanden hatte, lag der Handel stets in der Verantwortlichkeit des EVD und seiner Vorläufer. Die schweizerische Aussenpolitik vertrat lange Zeit lediglich die wirtschaftlichen Interessen des Landes.
Obwohl die schweizerische Aussenwirtschaft in zunehmendem Masse von den staatlichen Institutionen bestimmt wird, hat auch die Privatwirtschaft stets an ihrer Gestaltung mitgewirkt. Der Schweizerische Handels- und Industrieverein (Vorort, 1869, Economiesuisse seit 2000) und der Schweizerische Bauernverband (1897) werden in vielen Fragen konsultiert und angehört, zum Beispiel bei der Diskussion über Zolltarife. Die 1927 entstandene Schweizerische Zentrale für Handelsförderung, ursprünglich ein Privatunternehmen, hat einen halbstaatlichen Status.
Die Exportrisikogarantie (1958) erleichtert die Beziehungen mit Drittweltländern, denen zudem die Entwicklungszusammenarbeit zugute kommt. Seit 1945 bilden die Beitritte zu mehreren internationalen Organisationen (1948 OEEC, 1958/1966 GATT, 1960 EFTA und OECD, 1964 UNCTAD, 1995 WTO) wichtige Schritte der Aussenwirtschaftspolitik, die – wie die Aussenpolitik im Allgemeinen – vom Grundsatz der Universalität der Beziehungen ausgeht. Neben den mit der Ausführung betrauten Politikern und Spitzenbeamten spielt im direktdemokratischen System der Schweiz auch das Volk eine entscheidende Rolle. Zwar stimmte es 1972 dem mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) ausgehandelten Freihandelsabkommen zu, doch lehnte es 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. In der Frage des EU-Beitritts ist es weiterhin gespalten, billigte aber 2000 die bilateralen Verträge mit der EU.
Quellen und Literatur
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- J. L'Huillier, R. Campiche, «Commerce extérieur», in Lexique de l'économie suisse, 1965
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- P. Berwert, Export und Wirtschaftswachstum : der Fall der Schweiz, 1977
- P. Bairoch, «Le volume des exportations de la Suisse de 1851 à 1975», in SZG 28, 1978, 29-50
- H. Siegenthaler, «Die Bedeutung des Aussenhandels für die Ausbildung einer schweiz. Wachstumsgesellschaft im 18. und 19. Jh.», in Gesellschaft und Gesellschaften, hg. von N. Bernard, Q. Reichen, 1982, 325-340
- B. von Tscharner, Aussenwirtschaft und Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz, 1984
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- B. Etemad, «Le commerce extérieur de la Suisse avec le Tiers Monde aux XIXe et XXe siècle», in Annuelles 5, 1994, 19-41
- M. Perrenoud, «Commerce extérieur et politique suisse 1939-1945», in SZG 47, 1997, 477-491
- J.-C. Favez et al., Les relations internationales et la Suisse, 1998
- L. Müller, Von Willi bis Blankart, Liz. Freiburg, 1998
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Kontext | Aussenhandel |