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Internationale Organisationen (IO)

Internationale Organisationen (IO) sind zwischenstaatliche Institutionen mit regionaler oder globaler Mitgliederstruktur und unterschiedlicher Zielsetzung. Gemeinhin wird zwischen den durch völkerrechtliche Verträge gegründeten Intergovernmental Organizations (IGO) und Nongovernmental Organizations (NGO) unterschieden, auch wenn vielerlei Übergangsformen die historische Entwicklung der IO kennzeichnen. Bei den NGO werden profitorientierte transnationale Unternehmen (multinationale Konzerne) meist gesondert betrachtet und als IO im engeren Sinn die nicht profitorientierten Organisationen verstanden.

Entstehung im 19. Jahrhundert

Die Entstehung der modernen IO setzte im ausgehenden 19. Jahrhundert als vornehmlich europäische Entwicklung ein und reflektiert staatliche, gesellschaftliche und ökonomische Strukturveränderungen: Die Ausweitung von Kommunikation und Verkehr bedingte zur Nutzung der Weltwirtschaft multilaterale Absprachen und die Etablierung eines ständigen Informationsaustauschs zwischen den Staaten. Diesem Zwecke dienten die Vorläufer der modernen IGO, welche in der zeitgenössischen Terminologie als internationale Verwaltungsunionen bezeichnet wurden. Eine wachsende Anzahl von NGO förderte neben weltwirtschaftlichen Kontakten die Entstehung einer internationalen Zivilgesellschaft.

Exportorientierte europäische Kleinstaaten wie die Schweiz, Belgien und die Niederlande konkurrierten in dieser Phase um den Sitz der Verwaltungsunionen und anderer IO. Die starke Position der Schweiz im 19. Jahrhundert ist auf eine Kombination günstiger struktureller, politischer und gesellschaftlicher Faktoren zurückzuführen. Dazu gehörten die zentrale Lage im machtpolitisch bedeutendsten Kontinent, eine den Aufstieg neutraler Kleinstaaten begünstigende gegenseitige Blockierung der Grossmächte, eine starke Ausprägung des Vereinswesens mit der Möglichkeit, Internationalisierung mit humanitärer Tradition und Asylpolitik zu verknüpfen, sowie eine Exportorientierung (Exportwirtschaft), die international verbindliche Normen und Standards verlangte.

Das Quartier der internationalen Organisationen in Genf, Juli 2003 (Fotografie Max Oettli).
Das Quartier der internationalen Organisationen in Genf, Juli 2003 (Fotografie Max Oettli). […]

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit IO ist Gegenstand der nach dem Ersten Weltkrieg institutionalisierten Lehre der Internationalen Beziehungen. Über Internationalismus fand allerdings schon vor 1914 eine breite Debatte unter Berücksichtigung der Schweiz als Zentrum internationaler Netzwerke statt (William Thomas Stead, Paul Samuel Reinsch). Aus schweizerischer Sicht verlief die Entwicklung der IO in zwei Phasen. In einer ersten erschienen IO als Instrumente aussenpolitischer Profilierung in einem eurozentrischen internationalen System, wobei die Gründung des Völkerbunds mit Sitz in Genf neue Akzente setzte. Mit der Etablierung der Vereinten Nationen (UNO) erfolgte eine strukturelle Umorientierung, welche den Status der IO als Akteure im Weltsystem stärkte.

Der Aufstieg der Schweiz zum Zentrum internationaler Netzwerke (1865-1945)

Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs wies die Schweiz zwei internationale Zentren auf. In Bern befanden sich die Büros der bedeutendsten Verwaltungsunionen des 19. Jahrhunderts, so die Büros vom Weltpostverein (UPU) und von der Internationalen Union der Telegraphenverwaltungen (Internationale Fernmeldeunion, ITU), das Zentralamt für den internationalen Eisenbahnverkehr und die Vereinigten Internationalen Büros zum Schutz des geistigen Eigentums (Weltorganisation für geistiges Eigentum, WIPO). Diese bildeten den Kern des staatlichen, diplomatische Kontakte einschliessenden Internationalismus. Die Nähe zu den offiziellen Netzwerken suchten aber auch IO mit pazifistischer Zielsetzung wie das Internationale Friedensbüro und die Interparlamentarische Union (1892-1911 in Bern). Überdies befanden sich internationale Gewerkschaftsorganisationen (Internationaler Metallarbeiterverband, Internationales Buchdruckersekretariat) in der Bundesstadt. In Genf prägte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (Rotes Kreuz) ein humanitäres Netzwerk, das überdies in der internationalen Antialkoholbewegung (Abstinenzbewegung) verankert war und IO mit religiöser und moralischer Zielsetzung umfasste (z.B. Alliance universelle des unions chrétiennes de jeunes gens). Weitere, wenn auch schwächer ausgeprägte Netzwerke befanden sich in Basel (Internationales Arbeitsamt), Zürich (internationale Gewerkschaftsorganisationen), Lausanne (Internationales Olympisches Komitee, Internationales Büro zur Bekämpfung des Alkoholismus) und Neuenburg (Internationaler Verein der Freundinnen junger Mädchen). In Freiburg und Ecône hatten katholische IO ihren Sitz, etwa die Fédération internationale catholique d'abstinence totale (Crux).

Die Vorkriegsliteratur ging davon aus, dass die IO der Schweiz bedeutende Vorteile zu geringen Kosten verschafften. In der Tat zogen die Verwaltungsunionen diplomatische Vertretungen an, ohne dass die bescheidene Anzahl schweizerischer Gesandtschaften im gleichen Mass hätte erhöht werden müssen. Der Bundesrat besass ein Oberaufsichtsrecht über die Büros der Verwaltungsunionen und besetzte die von den Mitgliedsländern finanzierten Direktorenposten mit verdienten Magistraten (z.B. Numa Droz). Die zur Steuerung der IO notwendigen internationalen Konferenzen und Kongresse förderten den schweizerischen Tourismus. Der Erste Weltkrieg bestätigte, dass die Arbeit der IO unverzichtbar geworden war.

Der Völkerbund setzte neue Akzente ohne Auflösung der alten Strukturen. Der Bundesrat behielt die Oberaufsicht, da die in der Völkerbundssatzung vorgesehene Integration der Verwaltungsunionen scheiterte. Technische Neuerungen (Radio, Film, Flugverkehr) und Kriegsfolgen (Migration, Flüchtlinge, Kriegsverletzte, Reparationen) führten zu einer neuen Gründungswelle, von der vor allem Genf profitierte. Der Sitz des Völkerbunds stärkte die Bedeutung der Schweiz als internationales Zentrum. Neben dessen verschiedenen Gremien und Institutionen (Internationale Arbeitsorganisation) sammelten sich auch semioffizielle und nicht staatliche IO um das Palais Wilson (internationale Frauenorganisationen, World Jewish Congress). Aber auch in Zürich und Basel traten mit der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (1926-1935, Internationale ) bzw. der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich neue IO auf.

Trotz zunehmender politischer Spannungen und ökonomischer Probleme nahm die Anzahl der in Genf niedergelassenen IO zwischen 1925 und 1938 von 56 auf 80 zu. Während des Zweiten Weltkriegs gerieten die IO wider Erwarten in grosse Bewegung. Teile des Völkerbunds verlagerten ihre Büros in die angelsächsische Welt. Die Aktivitäten der noch in Genf verbliebenen IO wurden von der deutschen Spionage aufmerksam beobachtet. Das NS-Regime initiierte europäische Konkurrenzorganisationen zu den auch in diesem Krieg kontinuierlich arbeitenden Verwaltungsunionen. In besetzten Gebieten wurden die IO aufgelöst oder aber unterwandert. Teilweise gelangen Flucht und Wiedereröffnung in der Schweiz. Bei Kriegsende setzte überdies eine Verschiebung von IO aus Deutschland in die Schweiz ein (u.a. die mit der Festlegung der Radiofrequenzen betraute Union Internationale de Radiotelephonie/Radiodiffusion, der Weltrundfunkvereinigung).

Internationale Organisationen und die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Umstrukturierung der internationalen Netzwerke begann während des Kriegs ohne schweizerische Beteiligung mit der United Nations Relief and Rehabilitation Administration, welche humanitäre Hilfe, Flüchtlingspolitik und militärische Sicherung des Hinterlandes verband. Bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung setzten die Alliierten die Integration der grossen Verwaltungsunionen ins UN-System (United Nations System) durch, das nun auch die Position der IO regelte. UPU und ITU, später auch die WIPO, wurden unter Aufgabe der schweizerischen Oberaufsicht zu UN-Sonderorganisationen. Der relative Bedeutungsverlust Europas, die Etablierung des Hauptsitzes der Vereinten Nationen (UNO) in den Vereinigten Staaten von Amerika, die aussenpolitische Isolation der Schweiz in der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Nichtmitgliedschaft in der UNO (bis 2002) und in der Europäischen Union (EU) bzw. ihren verschiedenen Vorgängerorganisationen prägten die Struktur internationaler Netzwerke bzw. die Stellung der Schweiz in denselben nach 1945.

Die zunehmende Bedeutung der IO für Entwicklungszusammenarbeit und Finanzhilfe beeinflusste den schweizerischen Kapitalmarkt. Bern trat in den Hintergrund, Genf konnte als europäischer Sitz der UNO an Bedeutung zulegen. Allerdings gelang es nicht, das Internationale Erziehungsamt zur Unesco umzuwandeln. Hingegen wurde Genf zum Sitz der 1950 zur UN-Sonderorganisation aufgewerteten Weltorganisation für Meteorologie. Nach wie vor existierten auch IO älteren Typs wie das Zentralamt für den internationalen Eisenbahnverkehr mit Sitz in Bern. Zwischen 1945 und 1989 betonte die schweizerische Aussenpolitik die Beteiligung an den angeblich apolitischen IO als Ausdruck der schweizerischen Neutralität.

Mitarbeiter internationaler Organisationen demonstrieren auf der Place des Nations vor dem UNO-Gebäude in Genf, 11. Juni 1997. Fotografie von Martial Trezzini © KEYSTONE.
Mitarbeiter internationaler Organisationen demonstrieren auf der Place des Nations vor dem UNO-Gebäude in Genf, 11. Juni 1997. Fotografie von Martial Trezzini © KEYSTONE. […]

Nach 1989 wertete der Bundesrat das Verhältnis der Schweiz zu den IO als Nachweis einer multilateralen Aussenpolitik mit nicht zu unterschätzenden ökonomischen Vorteilen für Genf. In der Tat befanden sich Anfang des 21. Jahrhunderts insgesamt 512 IO in Genf, darunter 19 in- und ausserhalb des UN-Systems, mit denen die Schweiz ein Sitzabkommen geschlossen hatte. Diese zogen wiederum 205 Missionen und Ländervertretungen nach sich. Die Ausgaben der Genfer IO mit Sitzabkommen betrugen 1999 3,4 Mrd. Franken, ca. 40% der Genfer Hotelübernachtungen sind den Delegierten und Experten der IO zuzuschreiben. Im globalen Vergleich der IO-Mitgliedschaften befand sich die Schweiz auf Platz 9, und auf Platz 7, wenn nach Anzahl von Sekretariaten und Büros gefragt wurde. Die quantitative Entwicklung der IO zeigte allerdings rückläufige Tendenzen. Das Ende des Kalten Kriegs hatte einige IO hinfällig gemacht und nebst neuen Kommunikationstechnologien eine breitere Verteilung der IO begünstigt. Neue UN-Institutionen zogen immer öfter andere Städte für ihre Residenzen vor; der Wettbewerb um die Niederlassungen der IO verschärfte sich. So kam zwar die 1995 gegründete Welthandelsorganisation nach Genf, das Sekretariat der Klimarahmenkonferenz verlegte dagegen seinen Sitz 1998 von Genf nach Bonn.

Quellen und Literatur

  • Handbook of International Organisations (Associations, Bureaux, Committees, etc.), 12 Bde., 1923-1938.
  • Yearbook of International Organizations 1-, 1983-.
  • International Geneva Yearbook. Organization and Activites of International Institutions in Geneva 1-, 1988-.
  • Murphy, Craig N.: International Organization and Industrial Change. Global Governance since 1850, 1994.
  • Knipping, Franz; Mangoldt, Hans; Rittberger, Volker (Hg.): Das System der Vereinten Nationen und seine Vorläufer, 2 Bde., 1995-1996.
  • Archer, Clive: International Organizations, 20013.
  • Herren, Madeleine; Zala, Sacha: Netzwerk Aussenpolitik. Internationale Kongresse und Organisationen als Instrumente der schweizerischen Aussenpolitik 1914-1950, 2002.
  • Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard: Internationale Organisationen. Politik und Geschichte, 20033.
Weblinks

Zitiervorschlag

Madeleine Herren: "Internationale Organisationen (IO)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.08.2020. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013810/2020-08-25/, konsultiert am 12.12.2024.