de fr it

Kartoffel

Die Kartoffel gehört botanisch zur Familie der Nachtschattengewächse und zählt in der Landwirtschaft zu den Hackfrüchten. In den Hochanden Südamerikas wird sie seit über 6000 Jahren kultiviert. Spanische Eroberer und englische Seefahrer brachten die Knollenfrucht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Europa, wo sie durch Söldner, Glaubensflüchtlinge und Handwerker verbreitet wurde. 1596 verlieh ihr der Basler Arzt Caspar Bauhin den wissenschaftlichen Namen Solanum tuberosum. Vorerst wurde die Kartoffel nur als Zier- und Gartenpflanze gehalten.

Die ersten in der Schweiz landwirtschaftlich genutzten Kartoffeln stammten aus dem Elsass und aus Irland. Anfänglich wurde die Knollenfrucht im Voralpen- und Alpengebiet angebaut, wo die Bauern ihre Güter ohne Flurzwang bewirtschaften konnten (1697 Glarus, 1716 Zehntstreit im Entlebuch, 1717 Graubünden, 1727 Goldau, 1730 Brienz). Im Jura erfolgte die Einführung um 1750, im Mittelland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Einen Verbreitungsschub erfuhr die Kartoffel während der Hungerkrise 1770-1771. Grossflächiger Anbau wurde erst nach der Abschaffung des Zehntrechts und der Aufhebung der Dreizelgenwirtschaft im Zuge der Agrarrevolution möglich. Die Kartoffel fand Eingang in die Fruchtwechselwirtschaft. Nach der Hungerkrise 1816-1817 etablierte sich die Knolle als Grundnahrungsmittel in ganz Europa. Sie warf höhere Flächenerträge als das Getreide ab, erforderte aber viel Dünger und einen hohen Arbeitseinsatz. Die Kartoffel half mit, die schnell wachsende Unterschicht im Zeitalter der Industrialisierung zu ernähren (Ernährung), erzeugte aber dort, wo ihre Produktion dominierte, eine gefährliche Abhängigkeit.

Das Tischgebet im Kanton Bern. Lithografie nach einer Zeichnung von Ludwig Vogel, erste Hälfte 19. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum).
Das Tischgebet im Kanton Bern. Lithografie nach einer Zeichnung von Ludwig Vogel, erste Hälfte 19. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum). […]

Die Kartoffel war lange Zeit mit zahlreichen Vorurteilen behaftet (wozu auch die Giftigkeit der oberirdischen Pflanze, der unreifen Knollen und der Triebe beitrug), galt als Nahrungsmittel der Armen und diente vorwiegend als Notspeise und Viehfutter. Die städtischen Obrigkeiten des ausgehenden Ancien Régime hatten ein zwiespältiges Verhältnis zum Kartoffelanbau. Einerseits befürworteten sie ihn aus Gründen der Landesversorgung, andererseits befürchteten sie den Rückgang der Getreidezehnten und der -preise, da die Kartoffel ein Substitutionsgut für Getreide darstellte. 1766 erlaubte der Luzerner Rat den Kartoffelanbau auf dem Brachfeld, der aber «in Bescheidenheit» erfolgen solle, damit das Feld nicht zu sehr für den Getreidebau geschwächt würde. Die Frage, ob auch die Kartoffel unter die Zehntpflicht falle, war umstritten (Zehnt). Ab den 1770er Jahren propagierten die Ökonomischen Patrioten in Zürich die Kartoffel bei den Bauern, führten Versuche zur Verarbeitung von Kartoffelmehl zu Brot durch, verteilten Saatkartoffeln und führten neue Sorten ein.

Im 19. Jahrhundert gewann die Kartoffel an Bedeutung für die Vieh- und Schweinemast, ab der Jahrhundertmitte war letztere stark abhängig von der Kartoffelproduktion. In dieser Zeit verbreitete sich auch das Brennen von Kartoffelschnaps, der zu einem billigen Rauschgetränk für die Massen wurde (Alkoholismus). In den 1840er Jahren vernichtete die Kraut- und Kartoffelfäulnis rund die Hälfte der europäischen Kartoffelernte. In der Schweiz kam es zwar nicht mehr zur Hungersnot, aber viele Unterschichtsangehörige wurden in die Armut getrieben und zur Auswanderung bewegt. 1937 wurde erstmals der gefürchtete Kartoffelkäfer, ein aus Nordamerika stammender Schädling, in der Schweiz nachgewiesen. 1939 organisierten sich die Kartoffelproduzenten, -händler und -verarbeiter in der Schweizerischen Kartoffelkommission (seit 1999 Swisspatat). Während des Zweiten Weltkriegs spielte die Kartoffel eine wichtige Rolle in der Anbauschlacht: Die Anbaufläche stieg von 47'000 ha 1939 auf 89'900 ha 1944. 1955 wurden rund 60'000 ha Kartoffeln angebaut, 2005 noch 12'500 ha (davon 36% im Kanton Bern und 19% in der Waadt). 1950 setzte in der Schweiz die industrielle Verarbeitung zu Kartoffelchips, 1960 zu Kartoffelpüreeflocken ein. 1991 wurde der erste Versuch mit gentechnisch veränderten Kartoffeln durchgeführt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Kartoffelkonsum rückläufig, 2005 lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 43 kg.

Quellen und Literatur

  • H.P. Berger, «Auswirkungen von Einführung und Ausbreitung der Kartoffel in Graubünden», in BM 1989, 209-224
  • Pfister, Bern
  • R. Peter, Wie die Kartoffel im Kt. Zürich zum "Heiland der Armen" wurde, 1996
  • H. Steinke, «Die Einführung der Kartoffel in der Waadt 1740-1790», in Zs.f. Agrargesch. und Agrarsoziologie 45, 1997, 15-39
Weblinks

Zitiervorschlag

Roger Peter: "Kartoffel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.11.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013858/2017-11-16/, konsultiert am 19.03.2024.