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Kinderarbeit

Als Kinderarbeit gilt eine Erwerbstätigkeit unter der gesetzlichen Alterslimite des vollendeten 15. Altersjahres (Kindheit). In der Schweiz wird das Mindestalter durch das Arbeitsgesetz, das Heimarbeitsgesetz und die obligatorische Schulzeit von neun Jahren festgelegt. Am Anfang des 21. Jahrhunderts war Kinderarbeit in der Schweiz kein gesellschaftliches Problem mehr.

In der vorindustriellen Gesellschaft waren die Kinder vielfach Teil der Familienökonomie, wurden früh in den Arbeitsprozess integriert und leisteten einen oft unentbehrlichen Beitrag an das Einkommen (Arbeit). Mit der Industrialisierung mussten Familienmitglieder ausserhalb der traditionellen Hauswirtschaft einen Erwerb suchen. Die Arbeit an den Maschinen war vielfach einfach und körperlich nicht besonders anspruchsvoll, was den Einsatz von Frauen und Kindern begünstigte. Damit nahm die Ausbeutung der Arbeitskraft der Kinder neue Formen und ganz andere Ausmasse an. Sie verbreitete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts rasch, insbesondere im Kanton Zürich und in der Ostschweiz. In den Baumwollspinnereien arbeiteten bereits sechs- bis zehnjährige Kinder (manchmal noch jüngere) unter miserablen Bedingungen (schlechte Luft, wenig Licht, gefährliche Maschinen) bis zu 16 Stunden pro Tag, oft auch nachts. Das hatte gravierende Konsequenzen für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder, die wegen der Arbeit auch dem Schulunterricht fern blieben (Schulwesen). Kinderarbeit wurde zum sozialen Problem, auf das die Behörden mit Untersuchungen reagierten (1812 im Kanton St. Gallen, 1813 im Kanton Zürich). Als Folge wurde im Kanton Zürich 1815 die «Verordnung wegen der minderjährigen Jugend überhaupt und an den Spinnmaschinen besonders» erlassen, welche Nachtarbeit und Fabrikarbeit vor dem vollendeten neunten Altersjahr verbot und die tägliche Arbeitszeit auf 12 bis 14 Stunden beschränkte. Diese Regelungen waren nicht durchzusetzen, markierten jedoch den Anfang der Kinderschutzgesetzgebung. Es folgten Gesetze in Zürich (1837) und anderen Kantonen.

Mit dem eidgenössischen Fabrikgesetz von 1877 wurde die Fabrikarbeit erstmals national geregelt (Verbot der Arbeit von Kindern unter 14 Jahren). Die Fabrikgesetze galten nur für die Fabrikindustrie. Wo es keine gesetzlichen Bestimmungen gab, wurde versucht, die Kinderarbeit über die obligatorische Schulzeit einzuschränken. Doch Kinderarbeit war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet, insbesondere in der Landwirtschaft und der Heimarbeit (Verdingung). Gemäss einer Erhebung von 1904 in zwölf Schweizer Kantonen arbeiteten in der Schweiz zu diesem Zeitpunkt rund 300'000 Kinder.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die Kinderarbeit sukzessive weiter eingeschränkt: Das Bundesgesetz von 1922 über die Beschäftigung von jugendlicher und weiblicher Personen in den Gewerben legte das Mindestalter auf 14 Jahre fest und verbot die Nachtarbeit für Personen unter dem 19. Altersjahr und für Lehrlinge unter dem 20. Altersjahr. Das Bundesgesetz über das Mindestalter der Arbeitnehmer von 1938 setzte das Mindestalter auf 15 Jahre hinauf. Das Bundesgesetz über die Heimarbeit von 1940 verbot die Vergabe von selbstständiger Heimarbeit an Kinder unter dem vollendeten 15. Altersjahr. 1964 wurde der Geltungsbereich des Arbeitsschutzes im Arbeitsgesetz ausgeweitet, ausgenommen blieben die Landwirtschaft und die Heimarbeit. Mit der Revision des Kindesrechts von 1978 wurde der gesetzliche Schutz der Verdingkinder aufgenommen. 1997 ratifizierte die Schweiz die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes und beteiligt sich seither an dem 1991 gegründeten Programm zur Beseitigung der Kinderarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation. 2006 wurde das Schutzalter für Nacht- und Sonntagsarbeit auf 18 Jahre heruntergesetzt.

Quellen und Literatur

  • A. Hauser, Zur Geschichte der Kinderarbeit in der Schweiz, 1956
  • R. Braun, Sozialer und kultureller Wandel in einem ländl. Industriegebiet (Zürcher Oberland) unter Einwirkung des Fabrikwesens im 19. und 20. Jh., 1965 (21999)
  • D. Grobéty, La Suisse aux origines du droit ouvrier, 1979
  • Gruner, Arbeiterschaft 1
  • H.-R. Wiedmer, Arbeit im Industrialisierungsprozess, 1989
  • C. Franz Waldner, Die Heimarbeit aus rechtl. und hist. Sicht, 1994
  • Kind sein in der Schweiz, hg. von P. Hugger, 1998
Weblinks

Zitiervorschlag

Thomas Gull: "Kinderarbeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.03.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013909/2015-03-09/, konsultiert am 19.03.2024.