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Zinsen

Der deutsche Begriff Zins leitete sich als Lehnwort vom lateinischen census ab, dessen breit gefächerte Bedeutung von «Vermögensschätzung» bis «Steuerkataster», «Vermögen» und «Abgabe» reichte. Die französischen und italienischen Termini intérêts bzw. interesse (mittellateinisch interesse) treffen den Sinn der Zinsen als «Nutzen» oder «Gewinn» konkreter. Im Mittelalter blieb der deutsche Begriff Zinsen umfassend; er betraf viele Arten von Abgaben besitzes-, personen- und herrschaftsrechtlicher Provenienz, gleichermassen Natural- wie Geldabgaben. Für Geldkapitalzinsen hatte die Antike die Begriffe fenus und usura verwendet. Die Kirche übernahm den Begriff usura, deutete ihn aber zum missbräuchlichen, verbotenen Zins oder Wucher um.

Begrifflich erscheinen Zinsen heute am häufigsten in der Bedeutung von Geldzinsen als Erträge von ausgeliehenem Kapital bzw. als Preis für einen in Anspruch genommenen Kredit, während das Entgelt für die leihweise Nutzung eines Realkredits (Mietzins, Pachtzins) meist nur noch Miete und Pacht heisst. Die Höhe des Zinses (Zinssatz in Prozent der geliehenen Geldsumme) hängt jeweils von der Kapitalmenge, der Laufzeit der Kapitalleihe oder des Kredits sowie der Nachfrage nach Kapital oder Krediten und weiteren Faktoren ab. In der Regel werden pfandgesicherte Kredite mit niedrigeren Zinsen belastet als ungesicherte.

Der Umgang mit dem Zinsverbot der Kirche

Das Zinsgeschäft wurde über Jahrhunderte hinweg durch das kirchliche Zinsverbot eingeschränkt. Die Kirche hatte Wertvorstellungen der griechischen, römischen und jüdischen Moralphilosophie übernommen, die Zinsnehmen von Geld als Verstoss gegen die guten Sitten betrachtete. Mit biblischer Argumentation wurde das Zinsnehmen 314/315 zuerst Klerikern und dann unter Leo dem Grossen (440-461) auch Laien untersagt. Im Unterschied zu der kanonischen kannte die weltliche römische Gesetzgebung kein Verbot der Zinsnahme, sondern setzte nur Höchstzinsen fest; erst unter Karl dem Grossen wurde das Zinsverbot auch Bestandteil des weltlichen Rechts. Ab dem 12. Jahrhundert verschärften es Konzilsbeschlüsse (Lateran, Lyon, Vienne) weiter; Zinsnehmer wurden Wucherern gleichgesetzt.

Doppelseite aus dem Zürcher Richtebrief von 1304 mit Bestimmungen über Geldverleiher und Zinssätze (Staatsarchiv Zürich, B III 1, Fol. 116v und 117r).
Doppelseite aus dem Zürcher Richtebrief von 1304 mit Bestimmungen über Geldverleiher und Zinssätze (Staatsarchiv Zürich, B III 1, Fol. 116v und 117r). […]

Vom Zinsverbot nicht betroffen waren ausserhalb der kirchlichen Rechtsordnung stehende Kapitalverleiher, allen voran Juden, die um 1200 in Genf und Basel, etwas später auch in Zürich, St. Gallen und anderen Städten nachweisbar sind, aber auch die Lombarden und Kawerschen. Sie alle galten als gewiegte Kenner des Wechselgeschäfts (Geldwechsel) und der Pfandleihe. Obschon das Alte Testament die Zinsnahme nicht erlaubte, setzte sich nach Talmud durch, dass Juden zwar nicht unter sich, aber von Christen Zinsen nehmen konnten. Ab dem ausgehenden 14. Jahrhundert verzichteten die Städte allmählich auf die Dienste der Juden; einige, darunter Luzern und Zürich 1283 bzw. 1419, richteten amtliche Wechselstuben, die sogenannten Stadtwechsel, ein.

Das kanonische Zinsverbot stellte sich im Grunde gegen die Monetarisierung des wirtschaftlichen Lebens. Die von der Kirche erlaubten Darlehens- und Kreditformen waren eher auf eine Agrargesellschaft zugeschnitten und wurden den Bedürfnissen der Geldwirtschaft nicht gerecht: Erlaubt waren der Bodenkredit (Grundpfandrecht) mit bodenabhängigen Renten, darunter die in der Schweiz verbreitete Gült, ferner Leibrenten (Altersvorsorge, Versicherungen), deren Kapital mit dem Tod des Rentenbezügers verfiel, das Wechselgeschäft und die Pfandleihe, die Gebühren (Agio) statt Geldzinsen verlangten. Am Zinsverbot war offiziell nicht zu rütteln, obwohl Theologen und Juristen es ab dem 13. Jahrhundert kritisierten und immer mehr Ausnahmen zuliessen. Unter den Reformatoren befürwortete Johannes Calvin am nachhaltigsten die Legalität von Zinsen bei einem gemässigten Zinssatz von 5%; der Calvinismus legitimierte das verzinsliche Darlehen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das Kreditwesen der reformierten Städte ungehindert – insbesondere der Basler Stadtwechsel als bedeutendste öffentliche Bank der Schweiz – zu einer Zeit, als durch fremde Dienste, Handel und Protoindustrie angehäufte private und öffentliche Gelder zinsbringend anzulegen waren. Allerdings lässt sich bezüglich des Darlehensgeschäfts kein grundsätzlicher Unterschied zwischen reformierten und katholischen Städten ausmachen, da Letztere das Zinsverbot ohne grosses Aufheben pragmatisch umgingen. Die Stadtwechsel und Säckelämter der katholischen Städte bauten wie die parallelen Institutionen in reformierten Städten ein umfangreiches Kreditwesen auf und vergaben Darlehen gegen Zinsen im Inland, vor allem aber an Städte, Staaten und den Adel im Ausland. In Luzern beispielsweise überstieg am Ende des 18. Jahrhunderts das Volumen der ausgeliehenen obrigkeitlichen Guthaben den gesamten staatlichen Bargeldbestand bei Weitem. Insgesamt herrschte in der Eidgenossenschaft des Ancien Régime bei einem deutlichen Kapitalüberhang ein Anlagenotstand. Die katholische Kirche hob das Zinsverbot 1830 auf, ohne allerdings die Zinsnahme positiv zu bewerten. Ein Zinsverbot gilt Anfang des 21. Jahrhunderts noch im Islam.

Zinssätze

In der Antike betrugen die Zinssätze in der Regel 12% (1% pro Monat); sie wurden in justinianischer Zeit auf kirchlichen Druck hin auf 6% und für Kaufleute und Bankiers auf 8% gesenkt. Im Mittelalter lagen sie bei den kurz- und mittelfristigen Handelskrediten der Juden und Lombarden zwar deutlich höher bei 33-43%, doch hatten Kaufleute angesichts der Kreditbeschränkungen durch das kanonische Zinsverbot keine andere Wahl, bis Ende des 14. Jahrhunderts städtische Säckelämter bessere Konditionen zu bieten begannen. Als die eidgenössischen Obrigkeiten im 16. Jahrhundert die Aufsicht über den Gültenmarkt an sich zogen, verboten sie Naturalzinsen und setzten für Geldzinsen zum Schutz der Kreditnehmer den Zinssatz auf 5% fest. Dieser Zinssatz fiel jedoch ab dem 17. Jahrhundert von 5 auf 3% oder noch tiefer, als Unternehmerkapital den Gültenmarkt, vor allem auch in den gemeinen Herrschaften, zwischenzeitlich überschwemmte. Die wiederholten Versuche der Obrigkeiten, diese Entwicklung durch einen per Mandat vorgeschriebenen Mindestzinssatz von 5% für Gülten zu bekämpfen, blieben erfolglos.

Nach 1800 galten in der Schweiz die alten Zinssatzmaxima weiter – für Gülten 5% und für Handelskredite 6%. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich unter dem Einfluss der deutschen Rechtsprechung im Obligationenrecht (OR) der heute geltende Wucherbegriff bei Kreditverträgen durch (Artikel 21 OR), nicht aber die Zinsfreiheit. Vielmehr ermächtigte das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) die Kantone zur Aufstellung von Zinsschranken für grundpfandgesicherte Forderungen (Artikel 795 ZGB); solche gelten zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur noch in den Kantonen Appenzell Innerrhoden, Neuenburg, Tessin und Nidwalden, da sich Zinsfussmaxima durch faustpfändliche Belehnung, den Einschlag und die Provision leicht umgehen lassen. Gesamtschweizerisch geregelt ist die Höhe von vertragslos-strittigen Zinsen und von Verzugszinsen bei 5% (Artikel 73 und 104, Absschnitt 1 OR) sowie die Zulässigkeit von Zinseszinsen (Artikel 105 und 114 OR).

Waren der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im Bretton-Woods-System noch weitgehend die Hände gebunden, so übte sie nach dessen Zusammenbruch 1973 und dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen mit einer unabhängigen, auf die Erhaltung der Preisstabilität ausgerichteten Geld- und Währungspolitik einen bestimmenden Einfluss auf die Entwicklung der Zinssätze aus, ohne eine eigentliche Zinspolitik zu betreiben und Nominalzinssätze festzulegen. Heute kann der Zinssatz unter den Parteien frei ausgehandelt werden. Von der Zinsfreiheit ausgeschlossen sind Konsumkredite; sie unterstehen ab 2003 dem revidierten Konsumkreditgesetz von 2001, das den Höchstzinssatz derzeit auf 15% pro Jahr festlegt.

Zinsentwicklung im internationalen Vergleich 1960-2005
Zinsentwicklung im internationalen Vergleich 1960-2005 […]

Nach 1950 wurde die Schweiz im internationalen Vergleich zum Tiefzinsland (sogenannte Zinsinsel Schweiz); die Zinsen für kurzfristige Geldaufnahmen lagen zeitweilig, diejenigen für langfristige konstant unter denjenigen fast aller anderen Länder. Gründe für diese Entwicklung sind neben der hohen Sparneigung der Bevölkerung, der niedrigen Fiskalquote und dem leistungsfähigen Bankensystem der Schweiz die erfolgreiche Inflationsbekämpfung durch die SNB, die ausländische Anleger eine Aufwertung des Schweizer Frankens erwarten lässt, sowie die hohe wirtschaftliche und politische Stabilität der Schweiz, infolge der ausländische Investoren auch niedrigere Renditen in Kauf nehmen (Finanzplatz, Kapitalverkehr). Um den übermässigen Zustrom von ausländischem Kapital zu bremsen, wurden in der Schweiz 1964-1966 sowie mit Unterbrechungen 1971-1979 Negativ- oder Strafzinsen von ausländischen Anlegern erhoben. Zur Steuerung der durch die europäische Schuldenkrise ausgelösten Frankenaufwertung gegenüber dem Euro glich die SNB 2009 die Zinsen dem international tiefen Zinsniveau an (Drei-Monats-Libor 0-0,25%) und legte 2011 gegenüber dem Euro einen Mindestkurs von 1,2 Fr. fest.

Geldanlage im Bann der Globalisierung

Noch im 18. Jahrhundert waren mangels Anlagemöglichkeiten im Inland – eine Kreditnachfrage seitens der eidgenössischen Orte bestand überhaupt nicht – viele private und vor allem öffentliche Kapitalien ins Ausland abgeflossen, die spätestens in der Französischen Revolution praktisch alle vernichtet wurden, sodass die Schweiz nach 1800 einen Notstand im Kreditwesen erlebte. Nur allmählich liess sich der grosse einheimische Kreditbedarf bei der Industrialisierung, im Eisenbahnbau und in der Hotellerie ohne ausländische Kapitalgeber durch schweizerische Banken befriedigen.

Dies änderte sich im 20. Jahrhundert, als die Grossbanken bei der Finanzierung des Import- und Exporthandels, der Grossindustrie und im Emissionsgeschäft führend wurden und sich insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte vermehrt auf das internationale Bankgeschäft ausrichteten, was eine Internationalisierung des Zinseninstrumentariums nach sich zog. Bei der Zinsrechnung beispielsweise schloss sich die Schweiz der deutschen Usanz an (Jahr = 360 Tage, Monat = 30 Tage), mit üblichen Zinsterminen per 30. Juni und 31. Dezember. Das Anlagegeschäft richtete sich nach dem Angebot internationaler Märkte: Neben gewohnte Zinspapiere traten neue Formen, darunter «zinslose» Anlagen wie Zerobonds (Null-Coupon-Anleihen: Emission unter pari, Rückzahlung zum Nennwert), globalverzinsliche Obligationen (Emission zum Nennwert, Rückzahlungspreis höher), verschiedene Arten kurzfristig handelbarer Geldmarktinstrumente, unter anderem die Thesaurierungsfonds (Anlagen ohne Zinsausschüttung, mit Wertzuwachs und Zinseszinseffekt). Festgelder (feste Laufzeit und Zinssatz) wurden zum wichtigen Refinanzierungsinstrument der Banken bei allerdings schwankendem Volumen. Ab 1988 setzte sich zwecks einfacherer Verwaltung die Entmaterialisierung von Wertpapieren durch (ohne Zinscoupons, Übergang auf Bucheffekte oder Wertrechte).

Die Hypothekarkredite, die in erster Linie dem Bau, Kauf und Unterhalt von Haus-,Wohn- und Grundbesitz dienen (Hypothek), stellen in der Schweiz nach wie vor das wichtigste Zinsgeschäft dar. Sie umfassen über zwei Drittel aller Kundenausleihungen der Banken. Die Schuldenkrise im Euroraum liess die Hypothekarzinsen ab 2009 auch in der Schweiz auf ein rekordtiefes Niveau fallen (2013 zehnjährige Festhypotheken für bis 1,9% und tiefer).

Quellen und Literatur

  • T. Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel, 1886, 211-216
  • HSVw 2, 630
  • A. Denzler, «Kapitalanlagen von Winterthurern im Rheintal und im Thurgau», in ZTb 1943, 1942, 83-92
  • HRG 5, 1707-1714 und 1719-1722
  • J.-F. Bergier, «Taux de l'intérêt et crédit à court terme à Genève dans la seconde moitié du XVIe siècle», in Studi in onore di Amintore Fanfani 4, 1962, 91-119
  • M. Körner, Luzerner Staatsfinanzen 1415-1798, 1981, 305-315, 321-323 und 456-460
  • LexMA 9, 622-625
  • C. Braun, Vom Wucherverbot zur Zinsanalyse, 1150-1700, 1994
  • T. Moser, Die patrist. Zinslehre und ihre Ursprünge, 1997
  • Geld-, Bank- und Finanzmarkt-Lex. der Schweiz, hg. von M. Boemle et al., 2002, 1138-1152
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Zinsen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 03.02.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013923/2015-02-03/, konsultiert am 18.01.2025.