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Ziege

Zusammen mit dem Schaf gilt die Ziege als das älteste wirtschaftlich genutzte Haustier. Die Stammform der Hausziege (Capra hircus) ist die Bezoarziege (Capra aegagrus), welche heute noch in schwer zugänglichen Gebirgsregionen Klein- und Vorderasiens beheimatet ist. Ihre Domestikation erfolgte im Vorderen Orient im Gebiet des sogenannten Fruchtbaren Halbmondes um 8000 v.Chr.

Im Gebiet der heutigen Schweiz sind die ersten Hausziegen in jungsteinzeitlichen Siedlungen bei Sitten nachgewiesen, die aus der Zeit um 5000 v.Chr. datieren. Die ersten Belege für das zentrale und östliche Mittelland stammen aus den Seeufersiedlungen (z.B. Egolzwil 3, Zürich-Kleiner Hafner), die etwa ab 4350 v.Chr. entstanden. Es handelte sich dabei um kleinwüchsige, grazile Tiere mit säbelförmig gebogenen Hörnern. In der Frühphase des Neolithikums bis ca. 4100 v.Chr. waren die Ziege und das Schaf die wichtigsten Haustierarten für die menschliche Ernährung. Im Verlauf der Jungsteinzeit nahmen die Ziegen- und Schafbestände jedoch ab, Schweine und Hausrinder wurden dagegen häufiger gehalten. Da Schafs- und Ziegenknochenfragmente nicht immer zu unterscheiden sind, werden die beiden Tierarten in der archäozoologischen Literatur meist zusammen besprochen. Dort, wo eine Unterscheidung möglich ist, überwiegen in der Regel die Schafsknochen. Dies gilt auch für Knochenkomplexe der Bronzezeit (z.B. Hauterive-Champréveyres), der Latènezeit (z.B. Basel-Gasfabrik), der römischen Epoche (z.B. Petinesca, Vitudurum) und des Mittelalters (z.B. Basel-Barfüsserkirche, Basel-Schneidergasse).

Neben dem Fleisch wurde vermutlich bereits in der Jungsteinzeit auch die Milch der Ziege genutzt. Die römischen Autoren Columella und Vergil überliefern, dass man in Italien Ziegenmilch zu verschiedenen Käsesorten verarbeitete. Die Verwendung der Hornscheiden (Löffel, Griffe, Beschläge u.a.) und des Fells (Leder) ist vor allem für die römische Zeit (z.B. Augusta Raurica) und das Mittelalter belegt (z.B. Schaffhausen-Zum Bogen). Gemäss Schriftquellen wurde seit dem Hochmittelalter auf den Alpen Geissenkäse hergestellt. Für die Herstellung von Pergament waren Ziegenhäute ein gefragter Rohstoff. Da Ziegen in erster Linie zur Selbstversorgung gehalten wurden, erscheinen sie in den Wirtschaftsquellen des Mittelalters eher selten. Als Verursacher von Verbissschäden an Bäumen und Gehölz waren sie unbeliebt. In der frühen Neuzeit hielten die Tauner neben anderem Kleinvieh häufig auch Ziegen, die sie auf der Allmend weideten. Vielerorts entstanden deshalb Nutzungskonflikte, denn die Voll- und Halbbauern versuchten, die Tauner vom Gemeindeland zu verdrängen.

Das Melken der Ziegen auf einer Alp der Gemeinde Conthey. Fotografie Luchsinger, um 1910 (Mediathek Wallis, Martigny, Sammlung Rose-Claire Schüle).
Das Melken der Ziegen auf einer Alp der Gemeinde Conthey. Fotografie Luchsinger, um 1910 (Mediathek Wallis, Martigny, Sammlung Rose-Claire Schüle).

Die Entwicklung des Ziegenbestands in der Schweiz

JahrAnzahl Ziegen
1866375 482
1886416 323
1906362 117
1921330 048
1941214 706
196674 707
197879 977
200062 499
2010a86 987

a inkl. Zwergziegen

Die Entwicklung des Ziegenbestands in der Schweiz -  Brugger, Hans: Die schweizerische Landwirtschaft 1850-1914, 1978, S.  175; Brugger, Hans:Die schweizerische Landwirtschaft 1914-1980, 1985, S. 219; Statistisches Jahrbuch der Schweiz

Die gezielte Rassenzucht setzte im 19. Jahrhundert ein. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden die ersten Zuchtgenossenschaften in Saanen (1890) und Toggenburg (1895) gegründet. Der Schwerpunkt lag auf der Züchtung von Milchrassen wie der Saanen- oder der Toggenburgerziege, deren durchschnittliche Milchleistung bei einer Laktationsdauer von ca. neun Monaten zu Beginn des 21. Jahrhunderts etwa 700 kg betrug. Wegen ihrer Leistungsfähigkeit wurden viele Schweizer Ziegenrassen auch ins Ausland exportiert. Da sich die Ziege als Milchlieferant für den landwirtschaftlichen Nebenbetrieb des Taglöhners oder Fabrikarbeiters besonders eignete, stieg während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Bestand an. Er erreichte in den 1880er Jahren mit ca. 416'000 Tieren seinen Höhepunkt; danach setzte ein kontinuierlicher Rückgang ein, der zum Teil auf eine Steigerung der Kuhmilchproduktion zurückzuführen ist. Ausserdem wurde durch das Forstgesetz von 1902 das Weideverbot auf alle Wälder der Schweiz ausgedehnt – die Ziegenhaltung ohne eigenes Land wurde damit nahezu unmöglich. Anfang des 21. Jahrhunderts war die Ziegenhaltung vor allem in voralpinen und alpinen Regionen verbreitet. Seit 1938 wurden sieben Landesrassen anerkannt und im Zuchtregister, dem sogenannten Herdebuch, geführt: die Saanen-, die Toggenburger-, die Gemsfarbige Gebirgs-, die Nera-Verzasca-, die Appenzeller-, die Bündner Strahlen- und die Walliser Schwarzhalsziege. Die Stiftung Pro Specie Rara setzte sich in den 1990er Jahren für die Erhaltung zweier weiterer Arten, der Pfauenziege und der Stiefelgeiss, ein. Als Folge dieser Bemühungen wurde 1998 auch die Pfauenziege ins Herdebuch aufgenommen.

Quellen und Literatur

  • J. Enz, Eine Standortbestimmung der schweiz. Ziegenzucht anhand der Appenzellerziege, 1985
  • La capra campa, Ausstellungskat. Cevio, 1992
  • N. Benecke, Der Mensch und seine Haustiere, 1994
  • SPM 2, 97-118
  • J. Reich, Archäozoolog. Auswertung des ma. Tierknochenmaterials (10.-13. Jh.) von der Schneidergasse 8, 10 und 12 in Basel (CH), 1995
  • Schweizer Ziegen, hg. von U. Weiss, 1996
  • Gesellschaft und Ernährung um 1000, Ausstellungskat. Vevey, 2000, 224-238
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Lehmann; André Rehazek: "Ziege", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013948/2015-01-25/, konsultiert am 19.03.2024.