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Textilindustrie

Unter der Textilindustrie werden diejenigen Industrien zusammengefasst, die Textilrohstoffe verarbeiten. Sie verwenden einheimische Naturfasern wie Flachs, Hanf (Gewerbepflanzen) und Wolle oder eingeführte wie Seide, Baumwolle, Jute und Bastfasern sowie industriell hergestellte Chemiefasern. Die einzelnen Produktionszweige werden in die vier Verarbeitungsstufen der Spinnstoffaufbereitung (Wäscherei, Kämmerei), der Spinnstoffverarbeitung (Spinnerei), der Garnverarbeitung (Zwirnerei, Weberei, Wirkerei, Strickerei, Flechterei) und der Textilveredelung (u.a. Bleicherei, Färberei, Stoff- bzw. Zeugdruck, Stickerei) unterteilt.

Der Begriff Textilindustrie beinhaltet die industrielle (maschinelle, fabrikmässige) serielle Herstellung von Textilien in unterschiedlichen Produktionszweigen wie der Leinenindustrie (Leinwand, Spitzen), der Woll-, Seiden-, Baumwoll- und Strohindustrie (Strohflechterei) sowie der Hut- und Chemiefaserindustrie. Diese Branchen werden zum Teil auch unter der Bekleidungsindustrie erfasst. Die Produktionsformen, die dem Maschinenzeitalter und somit der Textilindustrie vorausgingen, werden dem Textilgewerbe zugeordnet.

Textilgewerbe und Textilindustrie im Überblick

Wie im übrigen Europa handelt es sich bei der Textilindustrie auch in der Schweiz um den ältesten Industriezweig. Zu dem ihr vorausgehenden Textilgewerbe gehörten primär die Textilhandwerke (Handwerk), die im zünftisch beaufsichtigten Handwerks- oder Meisterbetrieb auf Massanfertigung eingerichtet waren. Ausserhalb des Handwerks zählten das Spinnen und das später teils ebenfalls zünftische Weben zu den Tätigkeiten der bäuerlichen Hauswirtschaft, die sich mit der Bevölkerungszunahme ab dem 15. Jahrhundert zum Nebenverdienst der armen Landbevölkerung wandelten, und zwar zur Heimarbeit im Auftrag städtischer und ländlicher Weber. Die steigende Nachfrage nach Textilprodukten für den Verbrauch im Inland oder den Export zwang ab Ende des 16. Jahrhunderts zu veränderten Produktionsweisen, nämlich zur massenweisen Herstellung textiler Güter. Die neuen Produktionssysteme der Protoindustrialisierung, die Organisationsformen wie das Kaufsystem, das Verlagssystem und die Manufaktur umfassten, mussten gegen den Widerstand der Zünfte durchgesetzt werden, da sie über den von diesen diktierten Werkstattbetrieb hinausgingen. Während sich die Manufaktur des 17. und 18. Jahrhunderts durch räumliche Zentralisierung der Produktion als Vorläuferin der Fabrik etablierte, bestand die Heimarbeit im Rahmen des Verlagswesens in der dezentralen gewerblichen Produktion der zu Hause in ihren Stuben arbeitenden Heimarbeiter.

Deutlich hob sich das protoindustrielle Textilgewerbe vom ursprünglich mehrheitlich städtischen Handwerk ab, denn es erfasste auch die Bevölkerung auf dem Lande, was zur Entstehung von eigentlichen Gewerberegionen führte, in denen städtische und ländliche Haushalte gleichermassen in den Produktionsprozess eingebunden waren. Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Protoindustrialisierung im schweizerischen Textilgewerbe weit fortgeschritten. Letzteres beschäftigte Zehntausende Unternehmer und Arbeiter (Männer, Frauen und Kinder), davon 5% in Manufakturbetrieben und 95% in der Heimarbeit. Sie alle fanden in unterschiedlichen Branchen Arbeit, so in der Strumpf- und Hosenstrickerei (Lismerei) und Hosenwirkerei von Basel über das Fürstbistum Basel, das Solothurnbiet, den Ober- und Unteraargau und das nördliche Luzernbiet bis nach Schaffhausen. Das Leinwandgewerbe in den höher gelegenen Teilen des zentralen Mittellands (Emmental, Oberaargau, Willisau, Entlebuch) bot ebenso Arbeitsplätze wie die Basler Seidenbandweberei, die Seidenstoffweberei im Kanton Zürich und die Innerschweizer Florettspinnerei. Verdienstmöglichkeiten gab es auch in der verlagsweise organisierten Strohflechterei des Freiamts, vor allem aber in der Baumwollspinnerei und -weberei von Genf bis an den Rhein, insbesondere im Gebiet der heutigen Kantone Aargau, Zürich, Glarus, St. Gallen (Toggenburg), Appenzell Inner- und Ausserrhoden, und im dazugehörigen Zeugdruck mit Schwerpunkten in den heutigen Kantonen Genf, Neuenburg, Bern, Aargau, Zürich und Glarus. Allein im Raum Zürich und Aargau zählte man 1787 46'000 Spinnerinnen und 8700 Männer und Frauen, die woben.

Noch im 17. Jahrhundert bildete die Leinenverarbeitung den wichtigsten Zweig der Protoindustrie, bevor ihr im 18. Jahrhundert die Baumwollverarbeitung den Rang ablief. In der europäischen Baumwollverarbeitung hatte die künftige Schweiz um 1790 hinter England sogar den zweiten Platz errungen – zu einem Zeitpunkt, als englisches Maschinengarn den Kontinent zu erobern begann. Die neue Konkurrenz beschleunigte die Mechanisierung der schweizerischen Textilindustrie, die sich auf der Basis der verbreiteten Protoindustrie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzte. Am frühesten und schnellsten wurde sie in der Spinnerei ab 1801 und ab den 1840er Jahren allmählich in der Weberei der führenden Baumwollindustrie eingeführt. Bis um 1888 war diese Entwicklung abgeschlossen, während andere Branchen nur langsam folgten. Insbesondere die Seidenstoff- und Seidenbandweberei, die Stickerei und Strohflechterei blieben bei der Heimarbeit als vorherrschender Produktionsform, deren tiefere Kosten ihre Wettbewerbsfähigkeit verbesserte. Der Anteil der in Fabriken des Textilsektors Beschäftigten, der um 1850 erst bei 25% lag, stieg gleichwohl stetig von 46% (1880-1882) auf 57% (1901-1905) an. Um 1870 erreichte die Textilindustrie ihren Höhepunkt mit knapp 150'000 Beschäftigten oder 12% aller Erwerbstätigen in der Schweiz, wobei sie sich auf die Nordwestschweiz mit Zentrum Basel und auf die Ostschweiz im Dreieck zwischen Zürich, Glarus und St. Gallen mit Ausläufern in den Aargau und Thurgau konzentrierte.

Während zwischen 1870 und 1910 alte Textilregionen wie zum Beispiel der Aargau Beschäftigte einbüssten, wuchs deren Zahl vor allem in der Region um St. Gallen dank dem Höhenflug der Stickerei sprunghaft von 2300 auf 11'800 an. Insgesamt stieg in diesem Zeitraum die Zahl der Erwerbstätigen in der Ostschweizer Textilregion (St. Gallen, Thurgau, beide Appenzell) von 46'100 auf 87'600 (um 90%).

Textilfabrikindustrie 1882-1965
Textilfabrikindustrie 1882-1965 […]
Textilindustrie 1965-2001
Textilindustrie 1965-2001 […]

Um im Wettbewerb mit der europäischen und nordamerikanischen Textilindustrie konkurrenzfähig zu bleiben, wurde die Modernisierung der maschinellen Ausrüstung vorangetrieben. Bereits nach 1900 lief die automatische Produktion an. So wurden Stickautomaten installiert, die ohne Sticker eine hohe Produktivität erzielten. Damit kam vor allem in den Hauptzweigen der Baumwoll-, Seiden- und Stickereiindustrie ein Konzentrationsprozess in Gang, der sich nach einem konjunkturellen Aufflackern nach 1918 in einem steten Rückgang der Beschäftigten- und Betriebszahlen manifestierte. In den Krisenjahren zwischen 1930 und 1940 verstärkte sich der Trend, der durch die vorübergehende konjunkturelle Erholung nach dem Kriegsende nicht gestoppt werden konnte. Ab den 1960er Jahren wurde die Produktion zunehmend in kostengünstigere Länder in Osteuropa und Asien ausgelagert, was den Schrumpfungsprozess der schweizerischen Textilindustrie beschleunigte: Zwischen 1965 und 2001 sank die Zahl der Arbeitsstätten um mehr als die Hälfte und diejenige der Beschäftigten gar um rund vier Fünftel. Es überlebten innovative Betriebe, die ihre Produktion umstellten, zum Beispiel auf Industrietextilien für Autos und Flugzeuge (Sitzbezüge, Airbags, Sicherheitsgurten, Fang- und Schutznetze), Körperschutztextilien (Helme, Kälte-, Wärme-, Strahlen- und Verletzungsschutz), Geotextilien (z.B. Erosionsschutz), Medizinaltextilien (künstliche Adern, Herzklappen, Implantate) oder Transporttextilien (u.a. Förderbänder).

Der Strukturwandel veränderte den Charakter der Textilindustrie. Mit dem Wechsel zu Chemiefasern und Computertechnologie (CAD, Digitalstoffdruck) entwickelte sie sich vom lohn- zum kapitalintensiven Industriezweig. Vor allem die hoch spezialisierte Stickerei, die noch 1905 über 65'000 Erwerbstätige in der Heim- und Fabrikarbeit zählte, gehörte zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu den beschäftigungsarmen, aber innovativen, wertschöpfenden Branchen. Ab den 1980er Jahren war die Zeit der billigen Massenproduktion in der schweizerischen Textilindustrie vorbei.

Exportindustrie par excellence

Mit dem Textilgewerbe und nach 1800 mit der Textilindustrie begründete die Schweiz ihren Ruf als hochrangiges Exportland Europas (Exportwirtschaft). Was ursprünglich zum Eigenverbrauch und später für den Verkauf auf dem Inlandmarkt bestimmt war und an den meisten Orten weiterhin dem lokalen Bedarf diente, weitete sich im Falle des Leinengewerbes in St. Gallen und des Wollgewerbes in Freiburg, die beide auf einheimischen Rohstoffen basierten, zum Exportgewerbe aus. Ihnen folgte dasjenige Textilgewerbe, dessen Produkte von Rohstoffimporten abhingen, unter anderem das Seiden- und Baumwollgewerbe und die Zeugdruckerei als wichtigste Exportbranchen der Zeit vor 1800 mit europäischer Verbreitung. Nach 1800 führten die Baumwollindustrie, dann die Stickerei, die Seidenband- und Seidenstoffweberei sowie die Hutgeflechtindustrie ihre Produkte über Europa hinaus in die ganze Welt aus.

Um sich als Exportgewerbe behaupten zu können, mussten zwei Bedingungen erfüllt sein: Die Produktion hatte erstens einer ständigen Qualitätskontrolle zu unterstehen, denn nur Güter mit stabiler Qualität sicherten den guten Ruf. Zweitens brauchte es eine Organisation, die Absatzmärkte erschloss. In den Städten gehörte die strenge Qualitätskontrolle durch städtische Aufsichtsbeamte, später auch durch die Zünfte – zum Beispiel die Leinwandschau in St. Gallen – vom Mittelalter an zur Marktorganisation (Märkte). Die Sicherstellung der Qualität blieb aber nicht auf die Stadt beschränkt. Über das bernische Leinwandgewerbe des 18. Jahrhunderts wachten in den Zentren Langenthal, Langnau, Huttwil, Zofingen und Kölliken die amtlichen Tuchmesser. Mit der Absatzorganisation stiegen oder fielen die Exportchancen. So existierte in Zürich das Baumwollgewerbe ab dem frühen 15. Jahrhundert, doch erst mit dem kaufmännischen Know-how der Locarneser Handelsleute wurde es 150 Jahre später zur erfolgreichen Exportbranche. Die St. Galler und Appenzeller Baumwollhandelshäuser übertrafen die Zürcher Exporte, weil sie an die europaweiten Handelsbeziehungen der ehemaligen Leinenhandelshäuser anknüpfen konnten. Einige Zweige des Textilgewerbes waren ganz auf den Export ausgerichtet, wie zum Beispiel die Zeugdruckerei, deren Produkte zu 95% das Land verliessen.

Nach 1800 baute die junge Textilindustrie auf dem Textilgewerbe auf: Sie blieb auf dieselben Regionen fixiert und benützte deren bewährte Exportorganisationen. Zusätzlich erschloss sie sich neue Absatzmärkte in Übersee. Im 19. Jahrhundert war sie die Leitindustrie der Schweiz. Von ihrer Vorreiterrolle profitierten andere, vor allem die Maschinenindustrie, die über Lieferungen von Textilmaschinen und Kraftübertragungsanlagen für einheimische Textilfabriken den Weg in den Export fand. Derweil spezialisierte sich die schweizerische Textilindustrie auf Modebranchen, die in guten Jahren Spitzenexportresultate erzielten. Um 1910 stieg die Stickerei mit 18% am Gesamtexport zum damals wichtigsten Exportzweig der Schweizer Wirtschaft auf. Andererseits wuchs mit der Modeabhängigkeit die Krisenanfälligkeit, denn genau diejenigen Branchen, die das Ausland mit Luxusartikeln belieferten – neben der Uhrenindustrie vor allem die Stickerei-, Seiden- und Hutgeflechtindustrie -, wurden von der Depression der 1930er Jahre am schwersten getroffen.

Zwar wurden die Einbrüche nach 1945 zum Teil wieder wettgemacht, aber der schrittweise Bedeutungsrückgang der Textilindustrie im Rahmen der schweizerischen Exportindustrie war nicht mehr aufzuhalten. Nach 1929 übernahmen die Maschinen- und die Chemische Industrie die Führungsrolle. Betrug 1840 der Anteil der Textilien noch 72,6% der Ausfuhren, derjenige der Uhren 8,2%, der chemischen Produkte 0,4% und der Maschinen 0,1%, lagen die entsprechenden Werte 1996 bei 2,6% (Textilien), 7,7% (Uhren), 26,3% (chemische Produkte) und 28,4% (Maschinen) sowie 2002 bei 1,7% (Textilien), 7,8% (Uhren), 32,8% (chemische Produkte) und 23,2% (Maschinen).

Die Produktionsschritte: Spinnen, Zwirnen, Weben und Veredeln

Zu den wichtigsten Verarbeitungsstufen des Textilgewerbes und der Textilindustrie zählen die Spinnerei, Zwirnerei und Weberei sowie die Textilveredelung (Färberei, Bleicherei, Stoffdruck und vor allem Stickerei). Unter den Produktionsschritten nahm das Spinnen – die Herstellung von Fäden (Garnen, Gespinsten) aus Textilfasern – lange den ersten Platz ein. Bis um 1800 existierte in der Schweiz vor allem die Handspinnerei, die mit Geräten wie der Handspindel und dem Spinnrad arbeitete, deren unterschiedliche Formen Entwicklungsstufen bzw. landschaftliche Sonderentwicklungen darstellten. Das älteste Spinngerät, das in der Ostschweiz bis ins 18. Jahrhundert dominierte, ist die Hand- oder Fallspindel. Sie besteht aus einem 20-25 cm langen Holzstab mit einem runden Teller (der sogenannten Wirtel) am unteren Ende als Schwungrad. Beim Handspinnrad wird die horizontal liegende Spindel von Hand durch das Rad angetrieben. Bei beiden Geräten zieht die linke Hand die Fasern zum Faden aus, der in einem separaten Gang auf eine Spindel aufgewickelt wird. Das Tretspinnrad hingegen wird über Fusspedal und Kurbel in Bewegung gesetzt, wobei die Hände für das Spinnen und gleichzeitige Aufspuhlen des Fadens über den Spinnflügel frei bleiben. Das Spinnmaterial hängt an einem Stock (Rocken oder Kunkel genannt), der neben der Spinnerin steht, in ihrem Gürtel steckt oder am Spinnrad befestigt ist. Spinnräder gehörten zur obligaten Ausstattung eines bäuerlichen Haushalts. Da sie wenig kosteten, wurden sie zum idealen Arbeitsgerät der Armen. Jede Region kannte ihr typisches Spinnrad – das Hochspinnrad war in den Kantonen Luzern, Bern, Neuenburg und Wallis verbreitet, das horizontal drehende, grössere Spinnrad in den Kantonen Graubünden und Tessin.

Ab 1790 machte englisches Maschinengarn, das billiger, weicher und gleichmässiger war, dem Handgarn Konkurrenz. Die Mechanisierung der schweizerischen Textilindustrie setzte schon 1799 mit dem Spinnen von Baumwolle ein, als erste angekaufte Mule-Spinnmaschinen samt Karden, Streckwerken und Vorspinnmaschinen in einem St. Galler Pilotbetrieb zu produzieren begannen. Eine Gründungswelle von mechanischen Baumwollspinnereien setzte ab 1801 in Zürich, in der Ostschweiz und im Aargau ein. Manche gingen wieder ein, andere wie die 1802 gegründete Spinnerei Hard bei Wülflingen, Näf in Rapperswil (SG) und Zellweger in Trogen (1804 gegründet) sowie Escher, Wyss & Cie. in Zürich (1805 gegründet) überlebten; Letztere dank dem Wechsel zum Maschinenbau. Erfolg hatten die nach englischem Vorbild errichteten Grossbetriebe, unter anderem Rieter & Cie. mit drei zwischen 1817 und 1826 gegründeten Spinnereien in der Region St. Gallen, Paravicini ab 1822 in Schwanden (GL) und Bebié ab 1828 in Turgi. Mit dem Aufkommen der vollautomatischen Selfaktors nahm die Baumwollspinnerei einen enormen Aufschwung mit einer sich zwischen 1836 und 1880 verdreifachenden Zahl an Spindeln und mit um fast einem Zehntel weniger, dafür grösseren Betrieben. Ein weiterer technologischer Sprung erfolgte um 1880 mit der leistungsstarken Ringspinnmaschine. Angesichts eines wachsenden ausländischen Protektionismus und Konkurrenzdrucks kam es in der Folge in der schweizerischen Textilindustrie zu Betriebsfusionen.

Ab 1824 folgte die Mechanisierung in der Seiden-, ab 1839 in der Flachs- und ab 1866 in der exportorientierten Woll- oder Kammgarnspinnerei. Sie setzte nicht nur später ein, sondern erreichte auch nie die Bedeutung der Baumwollspinnerei. Die mehrheitlich im Tessin angesiedelte Seidenspinnerei – 1842 zählte man 41 Betriebe, 1865 deren 4 und 1900 noch deren 2 – hielt der italienischen Konkurrenz nicht stand. Die mechanische Flachs- und Wollspinnerei konnte sich ohne ausreichendes Angebot an einheimischen Rohstoffen und angesichts billigerer Importgarne nur bescheiden entwickeln. Unter dem Druck der asiatischen Billigkonkurrenz setzte in der schweizerischen Spinnerei ab den 1970er Jahren der Niedergang ein, der sich im 21. Jahrhundert fortsetzte: Von den wenigen überlebenden Firmen schloss 2004 mit Streiff in Aathal (1901 gegründet, damals eine unter 30 Textilfabriken am Aabach) die zweitletzte schweizerische Feinspinnerei. Ab 2010 wurden Fabrikgebäude und Areal der 1828 vom Spinnerkönig Heinrich Kunz gegründeten und 1998 aufgegebenen Spinnerei Windisch als Wohnraum erschlossen.

Das Zwirnen – das Zusammendrehen von zwei oder mehr Garnen zu strapazierfähigeren Näh-, Stick- und Webgarnen – kennt man seit dem Spätmittelalter. Anders als das Spinnen war es eine in der Stadt ausgeübte Tätigkeit, die ab dem 16. Jahrhundert als Exportgewerbe Bedeutung erlangte. Seidenzwirn wurde in den Städten Genf, Zürich und Basel zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert mit Seidenrädern mechanisch hergestellt, die mittels Wassermühlen bzw. Menschenkraft angetrieben wurden. Im 19. Jahrhundert dominierte die für die Stickerei produzierende Baumwollzwirnerei. Die grosse Zeit der fabrikmässigen mechanischen Zwirnerei kam nach 1850 im Gefolge der starken Nachfrage an Stickzwirn und Nähfaden seitens der Maschinenstickerei.

Auch die Weberei – die Herstellung von Geweben aus zwei sich rechtwinklig verkreuzenden Fadensystemen, Kette (Zettel) und Schuss (Einschlag) – nahm schon zur Zeit des Textilgewerbes einen bedeutenden Platz ein. Wohl bereits im Spätmittelalter dürfte der ältere, senkrecht stehende Webstuhl vom Trittwebstuhl abgelöst worden sein. Handwebstühle gehörten zum Inventar bäuerlicher Höfe. Eigene Leinwand deckte den Tuchbedarf und zählte, bereits für das Mittelalter belegt, vielenorts zu den Hofabgaben. Die Anschaffung eines solchen Geräts verursachte jedoch einige Kosten, weshalb es weniger verbreitet als das Spinnrad und ausser bei Bauern vor allem bei Berufswebern zu finden war. Während Gewebe aus einheimischem Flachs überall hergestellt wurden, entstanden Stoffe aus Wolle und Seide in den Städten. Nur an einzelnen Orten stieg die Tuchproduktion zum Exportgewerbe auf. In Freiburg wurden im 15. Jahrhundert Wolltuche, in der Ostschweiz vom 15. bis ins 17. Jahrhundert Leinwand, in Zürich vom 17. bis ins 20. Jahrhundert Seidenstoffe, in der Region Bern-Luzern vom 17. bis ins 20. Jahrhundert Leinwand und in der Ostschweiz vom 18. bis ins 20. Jahrhundert (in Zürich bereits ab dem späten 16. Jahrhundert) Baumwollstoffe hergestellt. Die ab dem 17. Jahrhundert weit verbreitete Hausweberei prägt mit ihren ehemaligen Webkellern und -stuben bis heute die Bauten der einstigen Heimweberregionen.

Die mechanische Weberei setzte sich ab den 1840er Jahren in der Baumwollindustrie durch, doch wurde während dieser Zeit die Leistungsfähigkeit der Handwebstühle verbessert, so vor allem durch den schon im 18. Jahrhundert bekannten Schnellschützen, der das von Hand bediente Weberschiffchen ablöste. Als die Baumwollweissweberei durch billigere englische Importstoffe konkurrenziert wurde, stellten die Weber auf Bunt- und Feinweberei um. Die Handweberei bestand fort, und die Webstühle wurden nochmals aufgerüstet, zum Beispiel durch Vermehrung der Schäfte, durch Wechsellade, Spickplatte und Brochierlade. In der Ostschweiz fand ab 1821 der aus Frankreich eingeführte Jacquard-Webstuhl für grossgemusterte Gewebe Eingang, und in den 1830er Jahren breitete sich der von Johann Conrad Altherr in Teufen (AR) erfundene Plattstichwebstuhl für Weben und Sticken im gleichen Gang aus.

Die Mechanisierung der Weberei ging von der Baumwollbranche aus, allerdings nur zögerlich und zum Teil gegen den Widerstand der Handweber (Usterbrand von 1832). Nach dem Aufschwung in der mechanischen Weiss- und Buntweberei ab den späten 1860er Jahren war bis 1888 die Baumwollweberei fast ganz mechanisiert. Nach 1850 nahm auch die mechanische Seidenstoffweberei langsam zu, aber noch um 1900 lag in der Zürcher Seidenweberei der Anteil der Handstühle bei fast zwei Dritteln aller Stühle – allerdings bei einer dank der mechanischen Weberei um das Dreieinhalbfache gesteigerten Produktion. Die Elektrifizierung gab der Fabrikproduktion Auftrieb. Um 1901 waren in der Zürcher Seidenstoffweberei bereits 15% der Betriebe elektrifiziert, während 34,5% auf die Wasser- und 33,6% auf die Dampfkraft sowie 16,8% auf andere Antriebsformen zurückgriffen. Dennoch behielt die Handweberei ihre Bedeutung für feine und komplizierte Gewebe bei, vor allem in der Seidenband- und Seidenbeuteltuchweberei (Müllergaze).

Die Entwicklung in der Textilindustrie veränderte die Stellung der Produktionszweige untereinander: Schon in den 1880er Jahren musste die Spinnerei ihre Vorrangstellung an die Stickerei und Weberei abtreten. Diese (einschliesslich Wirkerei und Strickerei) hält ihre Führungsrolle bezüglich Betriebs- und Beschäftigtenzahlen bis ins 21. Jahrhundert aufrecht, gefolgt von der Stickerei und der Textilveredelung.

Arbeiter und Unternehmer

Die Erfolgsgeschichte des Textilgewerbes und der Textilindustrie gründete unter anderem in der Tatsache, dass in der Schweiz vom 15. bis Ende des 19. Jahrhunderts ein grosses Angebot an billigen, wenig qualifizierten Arbeitskräften existierte – nicht anders als heute in asiatischen Tieflohnländern. Angewiesen auf das Einkommen war die ländliche Unterschicht, die sogenannten Tauner. In der Regel handelte es sich beim Spinnen, Weben und Flechten um einen Zusatzverdienst, wobei diese Arbeiten oft saisonal, vor allem winters, neben der Tätigkeit als landwirtschaftliche Taglöhner und/oder Störhandwerker ausgeübt wurden. In Handwerker- und Taunerhaushalten musste die ganze Familie einschliesslich der Kinder in verschiedenen Tätigkeitsbereichen mitarbeiten, um das Überleben zu sichern. Sowohl im Textilgewerbe als auch in der Textilindustrie überwog die Frauenarbeit diejenige der Männer. So betrug der Frauenanteil in den Textilfabriken 1870 66%, 1929 65,3%, 1937 62%, 1955 58,2% und 1972 48,9%, in der Hutgeflechtindustrie 1923 70% und 1937 60,1% und in der Stickereiindustrie 1972 68,7%. Frauen verdienten traditionell weniger als Männer. Frauenlöhne lagen vor 1900 in der Baumwollspinnerei um einen Drittel tiefer als Hilfsarbeiterlöhne (Lohn).

Da die Textilindustrie wegen der Modeströmungen extremen Konjunkturschwankungen unterworfen blieb (v.a. in der Stoffdruckerei, Stickerei, Seidenbandweberei und Hutgeflechtindustrie), bewegte sie sich zwischen euphorischer Zunahme an Beschäftigten und Maschinen sowie tiefer Arbeitslosigkeit. Einerseits schnellte in der blühenden Ostschweizer Maschinenstickerei zwischen 1865 und 1876 die Zahl der Stickmaschinen von Heimstickern von 770 auf über 10'000 hoch. Andererseits verloren beim Modewechsel 1920-1921 Zehntausende ihre Arbeit, und Tausende von Stickmaschinen wurden verschrottet. In einigen Textilbranchen verschwanden bis um 1900 die hohen Heimarbeiterzahlen, während sie in der Stickerei ab 1876 noch zunahmen und 1905 bei über 35'000 Personen lagen. Auch die Basler Seidenband- und die Zürcher Seidenstoffweberei zählten um 1905 zusammen noch über 20'000 Heimarbeiter. Längerfristig aber sank die wirtschaftliche Bedeutung der Heimarbeit von 75% aller Erwerbstätigen in der Textilindustrie um 1850 auf 54% um 1880 und 43% um 1900, bis sie um 1950 keine Bedeutung mehr besass.

Beschäftigte der Textilheimindustrie 1880-1910

Branchen1880/82a1900/03a19051910
Baumwolle16 00011 0005 4485 246
Seide42 00031 75022 45415 778
Stickerei19 00025 89335 08741 347
Andere24 00021 9366 8115 990
davon Strohindustrie 20 0006 0955 125
davon Wolle 336106334
davon Leinen 1 600610531
Total101 00090 57969 80068 361

a Schätzung

Beschäftigte der Textilheimindustrie 1880-1910 -  Historische Statistik der Schweiz

Die Textilindustrie (Heim- und Fabrikarbeit) beschäftigte lange mehr Arbeitskräfte als jeder andere Industriezweig. Um 1880 fanden 63% der Erwerbstätigen des Industriesektors hier eine Anstellung. Im 20. Jahrhundert sank dieser Anteil rapid: Um 1930 lag er bei 22%, 1965 bei gut 3% und 2001 bei knapp 0,5%.

Der Lohn für Textilarbeit variierte je nach Branche. In der saisonalen Strohflechterei, die für Heim- und Fabrikarbeit bis zum Abschluss des Gesamtarbeitsvertrags von 1946 besonders tiefe Löhne kannte, richteten sich diese nach den in der örtlichen Taglöhnerei üblichen Tarifen. Die Ostschweizer Schifflisticker hingegen, die sich als «Elite der Textilarbeiterschaft» verstanden, waren schon ab 1894 gewerkschaftlich organisiert und kämpften mit Lohnbewegungen und Streiks für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. 1917-1922 galt in der Stickerei ein Mindestlohnsatz. Das Heimarbeitergesetz von 1940 liess Verordnungen über Mindestlöhne zu, bis ab 1980 die Arbeit zu Hause derjenigen im Betrieb punkto Lohn gleichgestellt wurde.

Auch die Unternehmerseite (Unternehmen) gestaltete sich vielfältig: Die frühen «Unternehmer» im spätmittelalterlichen Tuchexportgewerbe waren zünftisch organisierte, städtische Webermeister. Im St. Galler Leinwandgewerbe lag die Produktion zwar bei zünftischen Webern, aber Kaufleute in Kenntnis der Märkte und des Finanzwesens organisierten den Export. Ganz bei städtischen Kaufherren lag das Seidengewerbe – teils im Verlagssystem, teils im Manufakturbetrieb – in Genf, Zürich und Basel. Zürichs Seidengewerbe (Tramewirkerei und Seidenstoffweberei) und Basels Seidenbandweberei entstanden zwar ausserhalb der Zünfte, standen aber jeweils unter dem Monopol der Stadt und der städtischen Seidenherren. Als Letztere im 17. Jahrhundert durch die städtische Gewerbepolitik in ihrer kombinierten Produktions- und Handelstätigkeit behindert wurden, verlegten die Zürcher Seidenherren die Spinnerei (Woll-, Schappespinnerei) ganz auf die Landschaft und behielten nur den Geschäftssitz, die Weberei und das Ausrüstungsgewerbe in der Stadt. In Basel zogen die Unternehmer auf die Landschaft und beschäftigten dort Heimarbeiter mit Posamenterei und Seidenspinnerei. Die Basler Seidenbandherren behielten den Geschäftssitz in der Stadt, liessen aber ab dem späten 17. Jahrhundert auch auf dem Land weben.

Den Geschäftsverkehr zwischen den städtischen Kaufleuten bzw. Verlagsherren und den auf dem Land lebenden Heimarbeitern besorgten in unterschiedlichem Ausmass selbstständige ländliche Zwischenhändler, die Trager, Fergger, Tüchler und «Fabrikanten». Sie lieferten die Rohstoffe (Baumwolle, Seide, Flachs) oder Zwischenprodukte (Garn, Tuch) zur Verarbeitung an die Arbeitskräfte mit den vom Auftrag gebenden Verlagshaus gewünschten Mustern, prüften und bezahlten die Ware und lieferten sie an das Verlagshaus. Dieses liess sie dann vor dem Export veredeln. In den von den Städten dominierten Landschaften von Basel, Zürich und St. Gallen machten sich im Zug der Gewerbefreiheit nach 1800 ehemalige Zwischenverleger der Seiden- und Baumwollhäuser selbstständig. Ländliche Unternehmer zogen vor allem in der voralpinen Hügelzone (Gaster, Glarnerland, Toggenburg, Appenzell) Produktion und Export an sich.

Versammlung von Textilarbeitern und -arbeiterinnen vor dem Bundeshaus in Bern, 15. Juni 1952. Fotografie von Walter Studer © Peter Studer, Bern.
Versammlung von Textilarbeitern und -arbeiterinnen vor dem Bundeshaus in Bern, 15. Juni 1952. Fotografie von Walter Studer © Peter Studer, Bern. […]

In der West- und Innerschweiz brach die Zeit der ländlichen Unternehmer dagegen schon im 17. Jahrhundert an. So war im Bernbiet die Leinwandexportproduktion Sache einheimischer Handels- und Verlagshäuser mit Sitz in den Marktorten Langnau im Emmental, Burgdorf und Langenthal. In der ehemaligen zürcherisch verlegten Schappespinnerei der Zentralschweiz übernahmen lokale Firmen in ländlichen Verlagszentren, unter anderem in Gersau, die Führung. In Wohlen (AG) bauten einheimische Kleinunternehmer aus der Taunerschicht die verlagsweise organisierte Strohflechterei auf. An ihnen lässt sich stellvertretend für die ländlichen Unternehmer aufzeigen, dass trotz eines oft enormen persönlichen Arbeitseinsatzes (Verlag, Ausrüsterei, Marktverkauf, Export in Europa) vor 1800 keine nennenswerten Vermögen erzielt werden konnten – im Gegensatz zu den Verlagsherren in Basel, Zürich und St. Gallen. Erst mit dem Fabrikbetrieb nach 1800 und der Ausweitung des Exports nach Übersee erwirtschafteten auch auf dem Land einzelne Textilunternehmer hohe Gewinne. Ihnen stand allerdings stets die grössere Zahl an Unternehmern gegenüber, die glücklos blieben und schlimmstenfalls im Konkurs endeten.

Die Krisenanfälligkeit der Textilindustrie führte zur Gründung von vorerst nach Branchen gegliederten Arbeitgeberverbänden. Als erster entstand 1874 der Verein schweizerischer Baumwollspinner, später wurden unter anderem die Verbände der Textilveredler, Seidenstofffabrikanten sowie Leinen- und Wollindustriellen geschaffen, die sich sukzessive zusammenschlossen und seit 1991 unter dem Dach des Textilverbands Schweiz als Gesamtverband der schweizerischen Textilindustrie und Bekleidungsindustrie vereint sind. Der 1906 gegründete Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie betraf hauptsächlich die Baumwollindustrie.

Erst 1903 organisierte sich die Arbeitnehmerschaft im Schweizerischen Textilarbeiter- bzw. Textil- und Fabrikarbeiterverband, der nach verschiedenen Fusionen ab 1963 als Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier auftrat und sich 1993 mit der Gewerkschaft Bau und Holz zur Gewerkschaft Bau und Industrie zusammentat, die ihrerseits 2004 in der Grossgewerkschaft Unia aufging. Daneben bestanden weitere Gewerkschaften, unter anderem der Schweizerische Verband Christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter.

Quellen und Literatur

  • HistStat., 631 f.
  • StJ, 2002
  • HWSVw 2, 920-927; 3, 864-995
  • Allg. Textilztg., 1933-
  • HSVw 2, 652-656
  • Fünf Pioniere der Textilindustrie, 1959
  • W. Bodmer, Die Entwicklung der schweiz. Textilwirtschaft im Rahmen der übrigen Industrien und Wirtschaftszweige, 1960
  • H. Rudin, Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie, 1978
  • L. Mottu-Weber, Economie et refuge à Genève au siècle de la Réforme, 1987, 25-211
  • U. Pfister, Die Zürcher Fabriques, 1992
  • T. Gerlach, Ideologie und Organisation, 1995
  • 1886-1996, 110 Jahre gewobene Gesch., 1996
  • 125 Jahre Textilverband Schweiz, 1999
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  • Textiles St. Gallen, Ausstellungskat. St. Gallen, 2004
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Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Textilindustrie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013957/2014-10-07/, konsultiert am 19.03.2024.