Tierische Häute wurden schon in der Frühzeit zu Leder verarbeitet und vielfältig genutzt. Im Gebiet der Schweiz ist die Gerberei seit römischer Zeit archäologisch belegt (z.B. Augusta Raurica, Vitudurum). Im Mittelalter war sie vor allem in Städten angesiedelt und teils als Ehafte bis ins 19. Jahrhundert konzessionspflichtig. Das Handwerk lebte in der hochspezialisierten Lederindustrie (Lederwaren) weiter, die allerdings zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur noch wenige Betriebe zählte.
Unterschiedliche Verfahren und Gerberberufe
Nach den in der Gerberei gängigen Produktionsverfahren unterschied man im Mittelalter drei hauptsächliche Handwerke: Rot- oder Lohgerber stellten durch Gerbung schwerer Grossviehhäute mit Lohe (Eichen-/Tannenrinde) Sohl-, Schuh-, Sattel- und Zaumzeugleder her, Weissgerber durch mineralische Salzgerbung von Kalb-, Ziegen- und Schaffellen mit Alaun dünnere weisse Leder für Bekleidung und Sämischgerber durch Walken von Schaf-, Ziegenfellen mit Fett (Tran) wasserdichte Leder. Die drei Grundprozesse waren das Vorbereiten der Häute (Felle) durch Wässern und Säubern, die Gerbung im Alaun- oder Lohebad bzw. durch Fetten sowie das Zurichten der gegerbten Häute.
Die Rotgerber säuberten die im Wasser weich gemachten Häute mit dem Gerbermesser (Zunftzeichen) am Schabebaum von Fleisch- und Fettresten und im Äscher (Aschen-, Kalklauge) von Haaren, durch Beizen (u.a. Urinbeize) oder Räuchern. Zum eigentlichen Gerben wurden die Häute für ein bis zwei Jahre in Lohgruben gelegt. Dem Spülen, Abtropfen und Trocknen folgte die Zurichtung der Leder unter anderem durch Glätten, Falzen und Spalten. Die kürzeren Verfahren der Weissgerber umfassten folgende Arbeitsschritte: Säubern der Häute, Ausstreichen, Walken und Beizen, Gerben im Alaunfass innert maximal drei Monaten, Trocknen, Stollen (weich machen), Streichen der Leder auf dem Streichrahmen. Zur Gerberei gehörte auch das Lederfärben.
Rot- und Weissgerber produzierten die gebräuchlichsten Lederarten. Feinleder für Luxusware – Saffian und Maroquin (gefärbte Bock-, Schaf-, Ziegenleder), Korduan (weiche Ziegenleder), Lösch (rot gefärbte Feinleder) – wurden im Inland vor allem von Weissgerbern hergestellt, hauptsächlich aber aus spezialisierten Gerbereien Mittel- und Südeuropas importiert. Pergamenter, die aus Kalbshäuten durch Einkalken (ohne Gerben) Pergament herstellten, wurden mit dem Siegeszug des Papiers im 15. und 16. Jahrhundert selten. Die Pelzzubereitung der Kürschner, obschon mit der Gerberei verwandt, war als Handwerk eigenständig.
Standort und soziale Stellung der Gerber
Auf fliessendes Wasser angewiesen, lagen Gerbereien an Flüssen und Bächen; Wasserverschmutzung und Geruchsbelästigung verwiesen sie an den Stadtrand oder in Vorstädte (in Zürich u.a. im Niederdorf; in Luzern an den Ledergassen). Städte siedelten ihre Gerber mit finanziellen Anreizen auch um, Bern 1314 an den Unterlauf des Stadtbachs, 1326 in den Gerberngraben, 1471 in die Matte. Die Nähe der Werkstätten an Gerber- und Ledergassen oder gemeinsame Werkgebäude (z.B. in Basel der «Lohhof») sowie die Verkaufsstelle in der öffentlichen Markthalle mit anderen städtischen Handwerkern oder separat im Lederhaus (-schal) förderten die ständisch-berufliche Organisation der Gerber. Bereits im 14. Jahrhundert befolgten sie eigene Werkregeln. Ihre frühen Zünfte waren Gerberzünfte (u.a. in Bern, Freiburg, Luzern, Zürich, Schaffhausen) oder Schuhmacherzünfte gemeinsam mit allen Lederhandwerkern (u.a. in Basel, St. Gallen, Chur). Rot- und Weissgerber bildeten entweder gemeinsame (Zürich) oder getrennte Zünfte (Bern). Die Kürschner hatten eigene Zünfte, die erste entstand 1226 in Basel.
Wie in ganz Mitteleuropa waren auch die Gerber in spätmittelalterlichen Städten im Gebiet der Schweiz wohlhabend und angesehen, obwohl ihre Betriebe am Stadtrand lagen. Vermögen erwarben die Gerber und Kürschner durch den Handel mit Häuten, Leder und Pelzen. Lederhändler belieferten die Messen im In- und Ausland mit Schiff- und Wagenladungen voller Häute (Leder). Die Ware wurde auch aus permanenten Lagern wie in Zurzach, bis 1800 grösster Umschlagplatz für Leder des süddeutsch-schweizerischen Raums, geliefert. Neben der Metallverarbeitung und der Tuchproduktion war die Gerberei das wichtigste Exportgewerbe der spätmittelalterlichen Stadt. Ihr kam zugute, dass die Rohstoffe (Häute, Felle, Baumrinde) dank der Nähe zu Viehwirtschaft und Wäldern verfügbar waren und zu dieser Zeit eine Vorliebe für Lederbekleidung und Pelzfutter bestand. Vor allem Rotgerber brauchten jedoch aufgrund ihrer langen Produktionszeiten und für ihre Bauten (Wasserwerkstatt mit Spültrögen und Gerbgruben, Lagerräume, Trockengeschosse) viel Kapital. Zu den reichsten Gerbern und Lederhändlern zählten Werner von Gundoldingen in Luzern, Jakob Glentner in Zürich und die Mossu in Freiburg, im 18. und 19. Jahrhundert dann die Mercier in Lausanne.
Gerberei und Zunftwirtschaft
Gerber tendierten zum Grossbetrieb, beschäftigten mehr Gesellen als andere Handwerke und gingen früh Einkaufs- und Verkaufsgemeinschaften ein. Der Einengung des Handwerks durch die zunftwirtschaftliche Ordnung ab dem 15. Jahrhundert konnte sich die Gerberei teilweise entziehen: Kleinbetrieb und Handelsverbote für Meister setzten sich nicht durch, wohl aber das Verbot der Geschäftsgemeinschaft sowie Produktionsbeschränkungen. Der Leder- und Häutehandel war zwar auch reglementiert – unter anderem durch den Zwang, Häute bei einheimischen Metzgern zu kaufen –, blieb jedoch gewinnträchtig. Den Gerbern gelang es, ihr Monopol gegen aussen und innen durchzusetzen: Sattler, Schuhmacher, Riemer und Säckler, die einst ebenso gegerbt hatten und wie die Metzger auch mit Häuten und Leder handelten, durften ab dem 16. Jahrhundert Leder nur noch für den Eigenbedarf herstellen oder kaufen. Interne Regulierung (teurer Zunftkauf, weniger Lehrlinge) und sich ändernde Moden senkten ab Ende des 15. Jahrhunderts die Betriebszahlen.
Städtische Gerbermeisterschaften suchten ihr Monopol nach 1500 auf das Land auszudehnen und neue Ehaften zu verhindern. Neue Landgerbereien stützten sich aber auf persönliche Gewerberechte oder arbeiteten ohne Konzession. Daher stagnierte die Gerberei bis 1800 in den Städten, nahm aber auf dem Land zu. Ländliche wie städtische Gerbereien litten im 17. und 18. Jahrhundert unter Rohstoff-Verknappung; obrigkeitliche Ausfuhrverbote für Häute, Felle und Rinde blieben wirkungslos.
Gerberei nach 1800
Nach dem Wegfall der Restriktionen durch die Zünfte erfuhr die Gerberei nach 1800 einen Aufschwung: Neue Betriebe entstanden wie im 17. und 18. Jahrhundert vor allem im ländlichen Raum. Das einst städtisch-wohlhabende Handwerk erhielt zunehmend ein ländlich-kleinstädtisches, kleinbetriebliches Gepräge. Im herkömmlichen Handwerksbetrieb verharrend, übersah man die Entwicklung der industriellen Lederfertigung, die sich nach 1830 zuerst in Amerika, dann auch in Europa anbahnte. Neue Gerbstoffe wie überseeische Rinden (u.a. Quebrachorinde), ab 1893 die Chromgerbung, Anilinfarbstoffe und die Mechanisierung verschiedener Arbeitsschritte verkürzten die Gerbprozesse. Durch Zuwarten verlor die einheimische Gerberei Anteile im schweizerischen Markt, der sich dem Massenangebot an Importleder in neuer Sortenvielfalt (buntgefärbt, geprägt, bedruckt, Wild-, Lack-, Reptilienleder usw.) aus Amerika (Sohlleder), Frankreich (Feinleder), Russland (Juchten) und vor allem Deutschland öffnete.
Unter Konkurrenzdruck lief der fällige Wandel in den 1870er und 1880er Jahren mit dem raschen Aufbau der einheimischen Lederindustrie an. 1885 gab es in der West- und Nordostschweiz bereits 18 Lederfabriken, während bis 1905 rund ein Drittel aller gewerblichen Betriebe einging. In den beiden Weltkriegen erholte sich die Gerberei als «kriegswirtschaftliche Schlüsselindustrie». Sie war zwar auf einheimische Häute beschränkt, doch von ausländischen Importen geschützt. 1915 erfolgte die Gründung des Verbands Schweizerischer Gerbereien.
Die Konkurrenz aus dem billiger produzierenden Ausland zwang die einheimische Gerberei jedoch zur Lederherstellung in kapitalintensiven, hochtechnisierten Betrieben, was zum steten Rückgang der Beschäftigten und der Betriebszahl führte. 2001 sicherten neun Gerbereien, alle in Familienbesitz, ihren Absatz mit hochwertigen Nischenprodukten. Ihre Abnehmer waren die Schuh- und Ledermöbelindustrie im In- und Ausland.
Gerbereien und Beschäftigte 1882-2001
Jahr | Arbeitsstätten | Beschäftigte | Beschäftigte pro Arbeitsstätte (Durchschnitt) |
---|---|---|---|
1882 | 356 | 2 100-2 400 | 5,9-6,7 |
1905 | 230 | 1 486 | 6,5 |
1929 | 113 | 1 681 | 14,8 |
1955 | 77 | 1 859 | 24,1 |
1975 | 37 | 548 | 14,8 |
1985 | 20 | 349 | 17,5 |
1991 | 19 | 187 | 9,8 |
2001 | 9 | 100 | 11,1 |
Quellen und Literatur
- Volkswirtschafts-Lex. der Schweiz 1, 1887, 702 f.
- HWSVw 2, 901-905
- A. Kurz, Die schweiz. Gerberei, 1948
- HSVw 1, 503-505
- M. Fonjallaz, La tannerie, 1968
- Das Gewerbe in der Schweiz, 1979, 157 f.
- LexMA 4, 1299
- R. Reith, Lex. des alten Handwerks, 1990, 84-91
- J. Demeulemeester, Aux origines d'une tannerie lausannoise, Liz. Lausanne, 2000